L 13 AS 2759/06 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 867/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 2759/06 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Schuldzinsen sind Aufwendungen für Unterkunft, wenn sie als mit dem Eigentum unmittelbar verbundene Last zu tragen sind. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob es sich um Schuldzinsen für Darlehen handelt, die zur Bebauung eines Hausgrundstücks, zum Kauf eines Eigenheims oder für eine Sanierung und Modernisierung eines schon im Eigentum stehenden Eigenheimes aufgenommen werden.
2. Schuldzinsen, welche für ein Darlehen zum Kauf einer Einbauküche zu zahlen sind, sind keine Aufwendungen für Unterkunft.
3. Schuldzinsen sind nur insoweit als Aufwendungen für Unterkunft zu übernehmen, soweit diese unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls angemessen sind.
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 26. April 2006 abgeändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig vom 14. März 2006 bis längstens 31. Dezember 2006 weitere Kosten der Unterkunft in Höhe von 206,31 EUR monatlich zu gewähren.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller ein Drittel der außergerichtlichen Kosten für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht und die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist zulässig und im tenorierten Umfang auch sachlich begründet.

Der Antragsteller hat entgegen dem angegriffenen Beschluss des Sozialgerichts einen im Wege der einstweiligen Anordnung durchsetzbaren Anspruch darauf, dass der Antragsgegner ab 14. März 2006, dem Beginn der Rechtshängigkeit des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes, vorläufig verpflichtet wird, ihm zu den bis 31. Dezember 2006 bewilligten Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 212,69 EUR monatlich weitere Kosten für Unterkunft in Höhe von monatlich 206,31 EUR zu gewähren.

Dem Antragsteller, der mit seiner zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Ehefrau in dem in deren Eigentum stehenden Haus mit nach seinen Angaben 96,1 qm Wohnfläche wohnt, hat der Antragsgegner mit den Bescheiden vom 7. April 2006 und 26. Juli 2006 für die Zeit vom 1. Februar 2006 bis 31. Dezember 2006 212,69 EUR monatlich als Kosten für Unterkunft und Heizung bewilligt. Es handelt sich dabei nach den in den Verwaltungsakten enthaltenen internen Vermerken um die Neben- oder Betriebskosten mit monatlich 94,59 EUR und die Heizkosten in Höhe von 118,10 EUR monatlich. Als Kosten der Unterkunft macht der Antragsteller noch die monatlichen Zinsen für Darlehen geltend, die er und seine Ehefrau einer Bank und zwei Bausparkassen schulden und die für die von 1996 bis 2000 durchgeführte Sanierung sowie Modernisierung des im Jahr 1765 erbauten und im Jahr 1966 in standgesetzten, der Ehefrau von ihrer Mutter geschenkten Hauses benötigt worden sind. Die monatlichen Darlehenszinsen belaufen sich seit März 2006 auf zwischen 440,50 EUR und 446,97 EUR; die ursprüngliche Darlehenssumme betrug 204.000 DM. Der Antragsgegner lehnt es in beiden Bescheiden - dort allerdings ohne nähere Begründung - sinngemäß ab, die Schuldzinsen ganz oder teilweise zu übernehmen, weil nach seiner Auffassung Schuldzinsen für wertsteigernde Erneuerungsmaßnahmen nicht als Kosten der Unterkunft übernommen werden müssten. Das Sozialgericht ist dem im Ansatz gefolgt; der Antragsgegner müsse als Kosten der Unterkunft nur Zinsen für solche Kredite übernehmen, die konkret zur Erhaltung des sanierungsbedürftigen Hauses verwendet worden seien, was sich aber derzeit nicht klären lasse. Wegen fehlender existenzieller Nachteile hat es außerdem den Anordnungsgrund verneint. Während der Antragsteller im Eilrechtsschutz vor dem Sozialgericht unter Einschluss der Tilgungsleistungen 1.151,54 EUR monatlich als Kosten der Unterkunft und Heizung begehrt hat, hat er bereits mit dem am 28. April 2006 - zeitgleich mit dem am selben Tag hinausgegangenen Beschluss - eingegangenen Schriftsatz als Mindestbegehren die vorläufige Gewährung von monatlich 419 EUR für Unterkunft und Heizung genannt und hierauf nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe die Beschwerde beschränkt.

Prozessuale Grundlage des im vorläufigen Rechtsschutz verfolgten Anspruchs ist § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung als Regelungsanordnung setzt einen jeweils glaubhaft zu machenden (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)) Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch voraus (zum Folgenden vgl. Senatsbeschluss vom 25. November 2005 - L 13 AS 4106/05 ER-B m.w.N.). Die Dringlichkeit einer die Hauptsache vorwegnehmenden Eilentscheidung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG (Anordnungsgrund) kann bei Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in aller Regel nur bejaht werden, wenn wegen einer Notlage über existenzsichernde Leistungen für die Gegenwart und die nahe Zukunft gestritten wird und dem Antragsteller schwere schlechthin unzumutbare Nachteile entstünden, wenn er auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen würde. Einen finanziellen Ausgleich für die Vergangenheit herbeizuführen ist, von einer in die Gegenwart fortfolgenden Notlage abgesehen, nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes, sondern des Hauptsacheverfahrens. Der Anordnungsanspruch hängt vom voraussichtlichen Erfolg des Hauptsacherechtsbehelfs ab und erfordert eine summarische Prüfung; an ihn sind um so niedrigere Anforderungen zu stellen, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen wiegen, insbesondere eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung droht (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in NJW 2003, 1236 f. und Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - abgedruckt in Juris). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, hier also der Entscheidung über die Beschwerde.

Der Antragsteller hat für die Zeit ab 14. März 2006 einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Er hat jedenfalls einen Anspruch darauf, dass der Antragsgegner als Kosten für Unterkunft und Heizung monatlich 419 EUR übernimmt, was - auch nach Auffassung des Antragsgegners - bei einem Ehepaar in einer 60 qm großen Mietwohnung angemessene Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sind. Für den Anordnungsanspruch ist auszugehen von § 19 Satz 1 Nr. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) und § 22 Abs. 1 SGB II. Nach der erstgenannten Bestimmung erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige wie der Antragsteller als Arbeitslosengeld II (Alg II) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. In Bezug auf die vom Antragsgegner zu erbringenden Leistungen für Unterkunft und Heizung enthält § 22 Abs. 1 SGB II eine nähere Regelung. Nach seinem Satz 1 werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Der Senat hat bereits entschieden (vgl. Beschluss vom 26. Juli 2006 - L 13 AS 1620/06 ER-B), dass Schuldzinsen, die zum Kauf eines Eigenheims mit grundlegender Renovierung aufgenommen worden sind, als berücksichtigungsfähige Aufwendungen für die Unterkunft anzusehen sind (vgl. auch Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in BVerwGE 77, 232, 237), während - hier auch nicht geltend gemacht - Tilgungsleistungen dazu nicht rechnen (BVerwGE 41, 22, 25; 48, 282, 285; BVerwG Buchholz 436.0 § 77 BSHG Nr. 10). Bei den vom Antragsgegner zu tragenden Schuldzinsen handelt es sich um Aufwendungen, die als mit dem Eigentum unmittelbar verbundene Last zu tragen sind, was sich vorliegend auch daran zeigt, dass die Darlehen im Grundbuch dinglich abgesichert sind. Nach Auffassung des Senats macht es keinen Unterschied, ob es sich um Schuldzinsen für Darlehen handelt, die zur Bebauung eines Hausgrundstücks, zum Kauf eines Eigenheimes (Haus oder Eigentumswohnung) oder für eine vor Erstbezug durch die Hilfebedürftigen erfolgte Sanierung und Modernisierung eines schon in deren Eigentum stehenden Eigenheimes aufgenommen werden. Dabei ist auch ohne Bedeutung, ob es sich bei der Sanierung und Modernisierung ausschließlich um Erhaltungsaufwand im Sinne von Ausgaben für Instandsetzung und Instandhaltung (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung zur Durchführung des § 82 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) vom 28. November 1962 in der Fassung vom 14. März 2005 BGBl. I 818, 829) oder auch und in welchem Umfang um Verbesserungen (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 2 Durchführungsverordnung zu § 82 SGB XII) im Sinne wertsteigernder Erneuerungsmaßnahmen handelt. Abgesehen davon, dass es vorliegend nicht um die unmittelbare Geltendmachung von Erhaltungs- oder Verbesserungsaufwand als Kosten der Unterkunft geht, wäre die vom Antragsgegner vorgenommene Differenzierung verfassungsrechtlich bedenklich, weil für eine Unterscheidung zwischen berücksichtigungsfähigen Schuldzinsen für Darlehen zum Bau oder Kauf eines Eigenheims oder für darin vorgenommenen Erhaltungsaufwand einerseits und nichtberücksichtigungsfähigen Schuldzinsen für Darlehen zur Durchführung von Verbesserungsmaßnahmen ein sachlich einleuchtender Grund fehlt. Deshalb sieht § 7 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz Nr. 1 Durchführungsverordnung zu § 82 SGB XII Schuldzinsen ohne Einschränkung als eine mit der Erzielung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung notwendig verbundene und diese mindernde Ausgabe an; erforderlich ist lediglich, dass es sich um eine mit dem Hauseigentum und damit der Unterkunft unmittelbar verbundene Last handelt (vgl. auch BVerwGE 77, 232, 235). Nicht zu den in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Eigenheim stehenden Schuldzinsen gehören indes diejenigen, die auf das Darlehen entfallen, soweit dieses zum Kauf der Einbauküche verwandt wurde. Angesichts dessen, dass die Tilgung des Darlehens bereits ab Sommer 1998 eingesetzt hat und offenbar ununterbrochen fortgeführt wurde, ist davon auszugehen, dass der auf die Einbauküche entfallende Darlehensteil zwischenzeitlich getilgt ist und insoweit keine Schuldzinsen mehr anfallen. Eine ungeschmälerte Berücksichtigung der Schuldzinsen als Aufwendungen für die Unterkunft kommt allerdings nur in dem Umfang in Betracht, sofern diese unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls angemessen sind. Dass das Eigenheim wie vorliegend mit einer Wohnfläche von 96,1 qm angemessen im Sinn von § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II ist und damit vor der Vermögensverwertung geschützt bleibt, bedeutet nicht, dass deshalb Schuldzinsen in vollem Umfang zu übernehmen sind (Senatsbeschluss vom 26. Juli 2000 a.a.O.). Der Senat hat bei einem Ehepaar als angemessenen Betrag für Schuldzinsen denjenigen angesehen, den dieses als Kaltmietzins für eine 60 qm große Wohnung am Wohnort zahlen müsste (Beschluss vom 26. Juli 2006 a.a.O.); denn dadurch werden bei den Aufwendungen für Unterkunft Eigentümer mit Schuldzinsverpflichtung und Mieter mit der Verpflichtung zur Mietzinszahlung im Ansatz gleichbehandelt. In dieser Entscheidung ist auch nicht beanstandet worden, wenn als angemessene Heizkosten nur solche für eine 60 qm große Mietwohnung übernommen werden. Der Antragsgegner sieht als angemessene Aufwendungen für Unterkunft und Heizung einen Betrag von 419 EUR monatlich an. Hierauf hat der Antragsteller sein Begehren im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes beschränkt. Jedenfalls hinsichtlich dieses Betrages ist deshalb ein Anordnungsanspruch gegeben. Denn nach dem, was ausweislich der Akten als Einkommen anzurechnen ist, verbleibt bei summarischer Prüfung kein die Leistungen des Antragsgegners mindernder Rest (vgl. § 19 Satz 3 SGB II in der ab 1. August 2006 geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I S. 1706)). Allerdings wird der Antragsgegner im fortsetzenden Vorverfahren aufschlüsseln müssen, welcher Teil der 684,19 EUR auf die Kaltmiete und welcher auf die Heizkosten entfällt. Sollten damit die 419 EUR bereits ausgeschöpft sein, müssen zusätzlich noch die Nebenkosten, welche beim Antragsteller 94,59 EUR monatlich betragen, in vollem Umfang berücksichtigt werden.

Anders als das Sozialgericht bejaht der Senat auch den Anordnungsgrund. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass ihm schwere nicht wieder gutzumachende Nachteile entstehen, wenn er den Ausgang des Vorverfahrens und voraussichtlich auch eines anschließenden Klageverfahrens abwarten müsste. Ihm werden voraussichtlich für einen längeren Zeitraum Monat für Monat mindestens 206,32 EUR vorenthalten; ein solcher Betrag des zum Wohnen Notwendigen, auf den der Antragsteller dringend angewiesen ist, begründet ohne weiteres die besondere Dringlichkeit. Dazu kommt, dass der Antragsteller glaubhaft gemacht hat, dass die Darlehensgeber bei einem Ausfall der Zinsen mit monatlich zuletzt 442,20 EUR mit der zwangsweisen Verwertung des Hausgrundstücks drohen und diese Drohung ernst zu nehmen ist. Damit erscheint die Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Gewährung von weiteren Kosten als im Sinn von § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig. Abgesehen davon dürfen bei bejahtem Anordnungsanspruch und einer sich auf einen längeren Zeitraum erstreckenden Vorenthaltung der begehrten Leistungen an den Anordnungsgrund keine besonderen Anforderungen gestellt werden; vielmehr dürfte in einem solchen Fall der Anordnungsgrund indiziert sein.

Der Senat macht von seiner nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 938 ZPO eingeräumten Gestaltungsbefugnis dahingehend Gebrauch, dass er die Wirksamkeit der einstweiligen Anordnung auf den im Tenor ersichtlichen Umfang begrenzt.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG; sie berücksichtigt, was der Antragsteller anfänglich im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren begehrt hat und zuletzt nur noch begehrt.

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (vgl. § 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved