L 4 KR 3082/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 4 KR 442/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 3082/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten für ambulant durchgeführte Krampfaderoperationen nach der CHIVA-Methode (französisch: "Cure Conservatrice et Hemodynamique de l´Insuffisance Veineuse en Ambulatoire", übersetzt "konservative hämadynamische ambulante Behandlung der venösen Insuffizienz") streitig.

Die am 1963 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie leidet an einer Varikosis beidseits.

Am 27. September 2001 beantragte sie die Übernahme der Kosten für eine CHIVA-Venenoperation, die durch den Chirurgen/Gefäßchirurgen Dr. M. in K. durchgeführt werden solle und je Bein voraussichtlich Kosten in Höhe von DM 1.500,00 verursache. Sie machte geltend, nachdem der behandelnde Internist und Angiologe Dr. N. ihr im Hinblick auf die seit längerem bestehenden Venenbeschwerden zu einer Varizenoperation geraten habe, habe sie sich über die angebotenen Operationsmethoden informiert, diese mit ihrer Hausärztin Dr. G. besprochen und sich für einen Eingriff nach der beantragten Art entschieden. Am 04. Oktober 2001 teilte die Beklagte der Klägerin telefonisch mit, dass es sich bei der begehrten Behandlung nicht um eine Kassenleistung handle. Am 11. Oktober 2001 wurde die Behandlung durch Dr. M. rechtsseitig (vgl. Rechnung vom 09. November 2001) durchgeführt.

Mit Schreiben vom 18. Oktober 2001 wandte sich die Klägerin erneut an die Beklagte, bezog sich auf ihren Antrag vom 27. September 2001 und führte aus, sie habe sich zu der Behandlung bei Dr. M. entschlossen, weil es sich um einen verhältnismäßig kleinen Eingriff gehandelt habe und für sie die volle Arbeits- und Einsatzfähigkeit im häuslichen Bereich als alleinerziehende Mutter einer viereinhalbjährigen Tochter sehr wichtig sei. Nach dem Eingriff sei sie nicht arbeitsunfähig (au) gewesen und habe sofort völlig schmerzfrei ihren Haushalt sowie die Tochter versorgen können. Sie fügte die "Information zur Vorlage bei der Krankenkasse zwecks Kostenübernahme" (ohne Datum) des Dr. M. bei. Die Beklagte veranlasste die Stellungnahme des Dr. Z. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) in S. vom 29. Oktober 2001, der die Kostenübernahme nicht befürwortete. Bei der CHIVA-Methode handle es sich um eine derzeit noch nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung; es fehle eine Validierung, so dass kein Nachweis vorliege, dass diese Versorgung der Standardmethode (Crossektomie und vollständige Ligatur sämtlicher einmündender Seitenäste) überlegen sei. Prospektiv randomisierte kontrollierte Studien lägen diesbezüglich nicht vor. Gestützt auf diese Stellungnahme lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 07. November 2001 erneut ab. Am 22. November 2001 wurde auch das linke Bein nach der CHIVA-Methode operativ behandelt (vgl. Rechnung vom 28. November 2001). Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin nochmals die Gründe dar, die sie veranlasst hatten, die CHIVA-Methode zu wählen. Es habe sich gezeigt, dass die Behandlung mit Eingriffen am 11. Oktober und 22. November 2001 erfolgreich habe abgeschlossen werden können, wobei sie lediglich an diesen beiden Tagen au gewesen sei. Sie sei nunmehr beschwerdefrei, so dass die Behandlung erfolgreich gewesen sei. Die eingesetzte Methode sei auch wirtschaftlicher als ein operativer Eingriff mit den Standardmethoden, da diese mit einem mehrtägigen stationären Krankenhausaufenthalt und anschließender Arbeitsunfähigkeit verbunden seien. Es könne keine Rede davon sein, dass die CHIVA-Methode nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche. Sie legte das Schreiben des Dr. M. vom 22. November 2001, nochmals dessen bereits erwähnte "Information", das Schreiben des Dr. N. vom 28. Juni 2001, die "Aufklärung über die Behandlung von Krampfadern am Bein nach der Methode CHIVA" sowie die Abhandlung "Moderne Behandlung der Krampfadern - Die CHIVA-Methode -" vor. Mit Widerspruchsbescheid des bei der Beklagten gebildeten Widerspruchsausschusses vom 14. Januar 2002 wurde der Widerspruch im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, die ambulante Venenoperation nach der CHIVA-Methode sei nicht Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung, nachdem der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (BA; seit 01. Januar 2004 Gemeinsamer Bundesausschuss - GBA) eine entsprechende Empfehlung bisher nicht abgegeben habe. Die Behandlungsweise habe sich in der medizinischen Praxis im Übrigen auch nicht durchgesetzt.

Dagegen wandte sich die Klägerin mit ihrer am 29. Januar 2002 beim Sozialgericht (SG) Stuttgart erhobenen Klage, mit der sie über ihr bisheriges Vorbringen hinaus weiter geltend machte, die Methode sei im Ausland bereits weit verbreitet, werde in der Bundesrepublik Deutschland jedoch noch nicht flächendeckend durchgeführt. Private Krankenkassen übernähmen jedoch regelmäßig die entsprechenden Kosten, da die Behandlung mit der CHIVA-Methode wesentlich präziser, kostengünstiger und vor allem langfristig erfolgreicher sei. Zu Unrecht habe die Beklagte sich darauf berufen, der BA habe eine Empfehlung für diese Methode nicht abgegeben. Dem für ihren Fall angetretenen Wirksamkeitsnachweis sei nicht nachgegangen worden. Soweit die Beklagte einerseits darauf abstelle, dass jedenfalls "bestimmte Leistungspositionen des EBM" auch die Behandlung nach CHIVA erfassten, sie andererseits aber eine Kostenerstattung aus Rechtsgründen verneine, sei dies widersprüchlich. Sie legte das an ihren Bevollmächtigten gerichtete Schreiben der Ersten Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für CHIVA Dr. M. vom 28. Februar 2002 vor. Die angefallenen Kosten bezifferte sie mit insgesamt EUR 1.898,92 (EUR 952,28 - Rechnung vom 09. November 2001; EUR 737,52 - Rechnung vom 28. November 2001; EUR 124,76 - Fahrtkosten: zwei mal von S. nach K. und zurück; EUR 84,36 - Übernachtung in Köln). Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage ihrer Verwaltungsakten und Aufrechterhaltung ihres bisherigen Standpunktes entgegen. Sie machte geltend, die operative Entfernung behandlungsbedürftiger Krampfadern gehöre zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen; hierfür seien im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) Abrechnungsziffern geschaffen worden. Außer Frage stehe, dass die CHIVA-Methode nicht zu den vertraglich zugelassenen Behandlungsmethoden gehöre. Zwar umfasse diese Methode der Krampfaderbehandlung auch bestimmte Leistungspositionen des EBM, die über die Krankenversicherungskarte abrechenbar seien, wie beispielsweise die Sonographie, doch könne für das Anwenden der speziellen CHIVA-Methode mangels Existenz einer Abrechnungsziffer vom Arzt nichts zusätzlich abgerechnet werden. Vermutlich sei die Behandlung deshalb auf Privatliquidation erfolgt, da die Vergütung nach dem EBM für den Behandler nicht ausreichend erscheine. Das SG holte die Auskünfte des früheren BA - Arbeitsausschuss "Ärztliche Behandlung" - vom 28. Mai 2002 sowie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung - Bewertungsausschuss - vom 13. Februar 2003 ein und hörte Dr. M. unter dem 22. Oktober 2002 schriftlich als sachverständigen Zeugen. Mit Urteil vom 06. Mai 2004 wies es die Klage im Wesentlichen mit der Begründung ab, als neue Behandlungsmethode im Sinne des § 135 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V), für die der BA bisher keine Empfehlung abgegeben habe, gehöre die CHIVA-Methode nicht zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenkassen. Die mangelnde Anerkennung durch den BA beruhe auch nicht auf einem Systemversagen. Zudem sei die Wirksamkeit dieser Methode nicht in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken belegt. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des dem Bevollmächtigten der Klägerin am 06. Juli 2004 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Urteils verwiesen.

Dagegen richtet sich die am 28. Juli 2004 schriftlich durch Fernkopie beim Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung der Klägerin, zu deren Begründung sie geltend macht, die Nichtanerkennung der streitigen Methode stelle ein Systemversagen dar. Es seien keine hinreichenden Gründe dafür erkennbar, dass eine seit über 15 Jahren im In- und Ausland praktizierte Behandlung, die im Ausland seitens der Kassen weitgehend Anerkennung gefunden habe, trotz der vorliegenden wissenschaftlichen Berichte und Untersuchungen, die die Vorteile belegten, nicht zur Anerkennung komme. Da keine anderen Gründe für die Nichtbefassung des BA mit dieser Methode erkennbar seien, sei zu vermuten, dass die Ärzte und Krankenhäuser, die die traditionellen Methoden anwendeten, kein Interesse an der entsprechenden Befassung hätten. Offenbar hätten auch die auf die CHIVA-Methode spezialisierten Ärzte und Vereinigungen kein Interesse an einer solchen Anerkennung, da sie dadurch quasi ihre Monopolstellung und die Möglichkeit verlören, die Leistung zu vergleichsweise hohen Preisen privat abzurechnen. Im Hinblick auf die aktenkundigen Unterlagen sei es auch fachlich nicht verständlich, dass sich der BA mit dieser Methode nicht beschäftigt habe. Schließlich würden fundierte Einwendungen nirgendwo vorgebracht. Unverständlich sei zudem, dass offenbar seit längerem eine Sondervereinbarung mit dem Krankenhaus in Schwedt bestehe, wonach die entsprechende Leistung im Rahmen einer stationären Krankenhausbehandlung erbracht werden könne. Fachliche Gründe hierfür seien nicht erkennbar, zumal der Vorteil der Methode ja darin liege, dass die Behandlung mit vergleichsweise beschränkten operativen Eingriffen gerade auch ambulant und damit Kosten sparend durchgeführt werden könne. Die Klägerin hat die unter dem 11. Oktober 2001 mit den Dres. Sc., St. und Kollegen abgeschlossene Selbstzahlervereinbarung sowie deren Rechnungen vom 09. und 28. November 2001 vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 06. Mai 2004 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 07. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Januar 2002 zu verurteilen, ihr EUR 1.898,92 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen. Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig und verweist darauf, dass anders als im ambulanten Bereich neue Behandlungsmethoden im stationären Bereich nicht ausgeschlossen seien, solange sie vom BA (noch) nicht bewertet worden seien. Ein Systemversagen sei nicht festzustellen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 07. November 2001 in unveränderter Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Januar 2002 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte war nicht verpflichtet, der Klägerin die begehrte operative Varizenbehandlung unter Anwendung der CHIVA-Methode als Sachleistung zur Verfügung zu stellen. Somit ist sie auch nicht verpflichtet, ihr nunmehr die Kosten zu erstatten, die ihr dadurch entstanden sind, dass sie sich die gewünschte Behandlung auf eigene Kosten selbst beschafft hat.

Das SG hat die vorliegend allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommende Regelung des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V dargelegt und mit zutreffender Begründung ausgeführt, dass die entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt sind, weil die Beklagte die von der Klägerin begehrte operative Behandlung nach der CHIVA-Methode nicht zu Unrecht abgelehnt hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung. Nachdem neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur abgerechnet werden dürfen, wenn der GBA (bis 31. Dezember 2003 der BA) in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u.a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der Methode abgegeben hat, die ambulante Krampfaderoperation nach der CHIVA-Methode eine neue Behandlungsmethode in diesem Sinne (§ 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V) darstellt und eine entsprechende Empfehlung des BA bzw. des GBA nicht vorliegt, ist diese Methode nicht Gegenstand des gesetzlichen Leistungssystems und daher von der Beklagten auch nicht als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.

Auch ein Systemversagen liegt - wie das SG zutreffend dargelegt hat - nicht vor. Die Klägerin kann den geltend gemachten Anspruch daher auch nicht aus diesem Gesichtspunkt herleiten. Eine Untätigkeit kann dem BA schon deshalb nicht vorgeworfen werden, weil diesem im Zeitpunkt der Inanspruchnahme der in Rede genommenen Behandlungen (Oktober/November 2001) noch nicht einmal ein Antrag auf Prüfung der CHIVA-Methode vorgelegen hat. Für die Annahme eines Systemversagens liegen damit keine Anhaltspunkte vor.

Das SG hat letztlich auch zutreffend dargelegt, dass selbst die Annahme eines Systemversagens keine Leistungspflicht der Beklagten auslösen würde. Denn im Oktober/November 2001 konnte für diese Behandlungsmethode ein Wirksamkeitsnachweis aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken noch nicht geführt werden. Denn auch nach den Ausführungen der Ersten Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für CHIVA Dr. M. (vgl. Ausdruck aus dem Internetauftritt www.chiva-info.de/kontroverse.html, Bl. 73 der SG-Akte) wurde in Deutschland erst im Januar 2002 eine prospektive multizentrische Studie begonnen, in der die CHIVA-Methode mit der konventionellen Stripping-Methode verglichen wird. Da sich die streitige Behandlungsmethode zum Zeitpunkt ihrer Inanspruchnahme damit noch im Stadium der Erforschung befand, mithin ein wissenschaftlicher Beleg für deren Wirksamkeit noch nicht vorlag, scheitert die begehrte Kostenerstattung unter dem Gesichtspunkt eines Systemversagens auch an diesem Erfordernis.

Darauf, dass sich die Behandlung im Falle der Klägerin möglicherweise als erfolgreich erwiesen hat, kommt es nicht an. Denn die Leistungspflicht der Beklagten knüpft nicht an den Erfolg einer Behandlungsmethode im Einzelfall an, sie orientiert sich vielmehr an der generellen Wirksamkeit der Methode.

Unerheblich ist letztlich auch, dass mit dem Einsatz der in Rede stehenden Behandlungsart möglicherweise geringere Kosten verbunden waren als bei Durchführung einer konventionellen Behandlung angefallen wären. Denn das Gesetz sieht eine Erstattungspflicht für Stellvertreterleistungen gerade nicht vor.

Die Berufung der Klägerin konnte nach alledem keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für eine Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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