L 8 AS 3148/06 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AS 1955/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AS 3148/06 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 6. Juni 2006 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin auch die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist nicht (mehr) zulässig, wenn die Antragsgegnerin die Leistung für den Monat Juni 2006 bereits ausbezahlt hat.

Zulässiger Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsschutzverfahrens ist nur die Frage der aufschiebenden Wirkung der u.a. gegen den Bescheid vom 26.04.2006 beim SG erhobenen Klage (S 8 AS 1693/06) der Antragstellerin. Mit diesem Bescheid hat die Antragsgegnerin ihren früheren Bescheid vom 20.12.2005, mit dem sie der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.01.2006 bis zum 30.06.2006 bewilligt hatte, für die Zeit ab 01.06.2006 aufgehoben. Streitig ist damit nur ein Anspruch auf Auszahlung der Leistungen für den Monat Juni 2006. Leistungen für die Zeit ab 01.07.2006 wurden der Antragstellerin bislang nicht bewilligt. Ob sie auch für die Zeit ab 01.07.2006 Leistungen beantragt hat, lässt sich den dem Senat vorliegenden Gerichtsakten nicht entnehmen. Da die Beschwerde der Antragsgegnerin keine aufschiebende Wirkung hat (vgl § 175 SGG) und die Frist des 30.06.2006 bereits abgelaufen ist, hätte sich bei einer bereits erfolgten Auszahlung der Leistung für Juni 2006 das Beschwerdeverfahren durch Zeitablauf erledigt.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, aber unbegründet, wenn die Antragsgegnerin die Leistung für Juni 2006 noch nicht ausbezahlt hat.

Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Zwar haben nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG Widerspruch und Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung entfällt jedoch in den durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG). Ein solcher Fall ist hier gegeben. Nach § 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Klage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Da Widerspruch und Klage nur aufschiebende Wirkung besitzen können, wenn Entscheidungen der Leistungsträger mit einem bloßen Anfechtungsbegehren angegangen werden, kommen lediglich Aufhebungsentscheidungen nach den §§ 45ff SGB X i.V.m. § 40 SGB II und Entscheidungen über die Absenkung und den Wegfall von bereits bewilligtem Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld gemäß den §§ 31, 32 SGB II in Betracht (Beschluss des Senats vom 20.03.2006 aaO; Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 39 RdNr. 12; ebenso der 7. Senat des LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 12.04.2006 - L 7 AS 1196/06 ER-B -).

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs aufgrund von § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG ist anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen. Die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen (Krodel, Der sozialgerichtliche Rechtsschutz in Anfechtungssachen, NZS 2001, 449, 453). Dabei ist zu beachten, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in § 39 SGB II dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt (kritisch hierzu Eicher aaO § 39 RdNr. 3). Diese typisierend zu Lasten des Einzelnen ausgestaltete Interessenabwägung (Eicher aaO RdNr. 2) kann aber im Einzelfall auch zu Gunsten des Betroffenen ausfallen. Die konkreten gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den konkreten Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens, dem konkreten Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung (Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 1. Aufl. 2005, RdNr. 195).

Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur einstweiligen Anordnung entwickelten Grundsätze anzuwenden (Krodel aaO RdNr. 205). Danach sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die Eilentscheidung zu Gunsten des Antragstellers nicht erginge, die Klage später aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte Eilentscheidung erlassen würde, der Klage aber der Erfolg zu versagen wäre (st. Rspr des BVerfG; vgl. BVerfG NJW 2003, 2598, 2599 m.w.N.). Besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens ergeben sich zudem aus Art 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG), wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines gerichtlichen Hauptsacheverfahrens geht. Ist während des Hauptsacheverfahrens das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn die im Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden (BVerfG 12.05.2005 NVwZ 2005, 927, 928)

Im vorliegenden Fall ergibt die nach den oben dargestellten Grundsätzen vorzunehmende Abwägung, dass das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheides vom 26.04.2006 das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage gegen diesen Bescheid nicht überwiegt. Die Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 26.04.2006 hat aus den vom SG genannten Gründen voraussichtlich Aussicht auf Erfolg. Im Übrigen ergibt die bei offenem Verfahrensausgang vorzunehmende Abwägung, dass die Folgen, die sich für die Antragsgegnerin ergeben, wenn dem Eilantrag stattgegeben wird, die Klage in der Hauptsache aber erfolglos bleibt, nur gering sind. Die Antragsgegnerin muss lediglich mit dem Risiko leben, dass sie einen Monatsbetrag in Höhe von 587,- EUR zuviel gezahlt hat. Ihrem Interesse , eine größere Überzahlung zu vermeiden, ist durch die Befristung bis 30.06.2006 hinreichend Rechnung getragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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