Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 RA 1539/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 R 3167/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Der am 28.10.1952 geborene Kläger ist gelernter Fernmeldehandwerker, übte den erlernten Beruf auch aus und war zuletzt als EDV-Organisator versicherungspflichtig beschäftigt.
Er beantragte am 21.5.2001 die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Die von der Beklagten veranlasste orthopädische Begutachtung (Gutachten Dr. O. vom 2.7.2001) erbrachte ein degeneratives Lumbalsyndrom sowie flüchtige Arthropathien verschiE.er großer Gelenke bei einem mehr als sechsstündigen Leistungsvermögen für den bisherigen Berufsbereich.
Hierauf gestützt lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 30.7.2001 ab.
Während des Widerspruchsverfahrens absolvierte der Kläger eine stationäre Heilbehandlung in Bad Saulgau, aus der er mit den Diagnosen depressive Störung (derzeit mittelgradige Episode), Somatisierungsstörung, Verdacht auf passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung, arterielle Hypertonie und Refluxösophagitis Grad II als arbeitsunfähig, aber mit der Leistungsbeurteilung entlassen worden war, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten könnten bei Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen mehr als sechs Stunden am Tag verrichtet werden.
Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16.4.2002 zurück.
Dagegen hat der Kläger am 6.5.2002 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben, mit der er sein Rentenbegehren weiterverfolgt hat.
Das SG hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt. Der Allgemeinmediziner Dr. M. hat in seiner Auskunft vom 27.8.2002 den Schwerpunkt der leistungseinschränkenden Befunde auf psychiatrischem Fachgebiet und den Kläger wegen dieser Befunde als nur noch unter dreistündig leistungsfähig erachtet. Der Orthopäde Dr. W. hat in seinem Bericht vom 8.10.2002 bezüglich seines Fachgebiets eine vollschichtige Leistungsfähigkeit für leichte bis mittelschwere Arbeiten angenommen, aber auf die ihm aufgefallene ausgeprägte depressive Stimmung mit Somatisierungsstörungen hingewiesen. Die Nervenärztin Keresztes-Kraus hat unter dem 5.11.2002 wegen einer chronisch verlaufenden Erschöpfungsdepression ein aufgehobenes Leistungsvermögen angenommen.
Sodann hat das SG Beweis erhoben durch Einholung des nervenärztlichen Sachverständigengutachtens des Arztes Y. vom 26.1.2003. Diagnostiziert worden sind eine Dysthymia, Spannungskopfschmerzen sowie Wirbelsäulenbeschwerden ohne klinischen oder elektrophysiologischen Anhaltspunkt für eine Nervenwurzelkompression und - fachfremd - eine Meniskusschädigung beider Kniegelenke, eine Chondropathia patellae Grad I bzw. Grad I bis II beidseits, eine chronische Gastritis mit Refluxösophagitis sowie eine arterielle Hypertonie. Festgestellt worden ist eine überdurchschnittliche Aggravation bei mangelnder Kooperation - insoweit in Übereinstimmung mit den bereits anlässlich der stationären Heilbehandlung erhobenen Simulations- und Aggravationstendenzen -. Mittelschwere Tätigkeiten sowie die letzte Tätigkeit als EDV-Organisator könnten weiterhin vollschichtig verrichtet werden. Zumutbar sei das Heben und Tragen von Lasten bis zu 15 kg mit gelegentlichen Zwangshaltungen, ebenso sei zumutbar überwiegendes Stehen, Gehen oder Sitzen. Unzumutbar seien demgegenüber Tätigkeiten mit extrem hohem Zeitdruck oder extrem hoher nervlicher Belastung (Akkord- Fließband- und Nachtschichtarbeiten). Möglich sei das Steigen auf Leitern oder Gerüsten, das Treppensteigen, die Arbeit an Büro- und sonstigen laufenden Maschinen, des weiteren seien Arbeiten im Freien, in Kälte, unter Wärmeeinfluss, unter Einwirkung von Staub, Gasen, Dämpfen oder Nässe zumutbar. Möglich seien auch Arbeiten mit Publikumsverkehr und mit Beanspruchung des Gehörs und des Sehvermögens. Besondere Arbeitsbedingungen oder betriebsunübliche Pausen seien nicht erforderlich. Die Wegefähigkeit sei gegeben. Es bestehe eine erfolgreiche Behandlungsmöglichkeit.
Das SG hat die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid vom 30.7.2003 abgewiesen.
Es hat unter Darstellung der für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erforderlichen Voraussetzungen und der hierfür maßgebenden Rechtsvorschriften sowie unter Darstellung der Grundsätze zum Berufsschutz entschiE., dass der Kläger Tätigkeiten seines bisherigen Berufsbereichs mindestens sechs Stunden am Tag verrichten könne. Gefolgt werde den im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten sowie dem Sachverständigengutachten des Arztes Y ... Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.
Gegen den ihm am 31.7.2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 12.8.2003 Berufung eingelegt, mit der er sein Klagebegehren weiterverfolgt.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des psychiatrischen Sachverständigengutachtens von Dr. C. vom 14.7.2005 (Untersuchung im November/Dezember 2004), zu welchem der Diplom-Psychologe Kullmann die psychologische Stellungnahme vom 6.12.2004 abgegeben hat. Beim Kläger bestehe eine rezidivierende depressive Störung mit - bei mittelgradiger Episode - somatischen Symptomen. Seit Frühjahr 2003 bestehe ein aufgehobenes Leistungsvermögen, allerdings sei auch eine Besserungsfähigkeit durch eine zwei bis drei Monate dauernde stationäre psychiatrisch/psychotherapeutische Behandlung nicht auszuschließen. Die testpsychologische Untersuchung hat im Wesentlichen normgerechte Testwerte und im Übrigen Verdeutlichungstendenzen aufgezeigt. Dr. C. spricht in seinem Gutachten insoweit von einer ausgesprochen bewusstseinsnahen Verdeutlichungstendenz.
Die Beklagte hat zu der vom Sachverständigen vorgenommenen Leistungseinschätzung die Auffassung vertreten, dass insbesondere unter Berücksichtigung von Aggravation und Simulation keine quantitative Leistungsminderung angenommen werden könne. Zur Abklärung und Objektivierung sei eine medizinische Rehabilitation einschließlich Belastungserprobung angezeigt und werde hiermit angeboten. Letzteres hat der Kläger abgelehnt und stattdessen die Einholung eines nervenärztlichen Sachverständigengutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beantragt.
Unter Einführung der Verweisungstätigkeiten u. a. eines Registrators bei einem Gericht sowie eines Mitarbeiters in der Poststelle einer Verwaltungsabteilung nebst Tätigkeitsbeschreibung in das Verfahren hat der Senat daher das nervenärztliche Sachverständigengutachten von Dr. E. vom 22.6.2006 eingeholt. Erhoben wird eine chronifizierte, zum Zeitpunkt der Untersuchung deutlich gebesserte somatoforme Depression mit erhaltener emotionaler Schwingungsfähigkeit. Bei nach Angaben des Klägers aufgegebenem Rentenbegehren sei keine Simulation oder Aggravation mehr festzustellen. Die Tagesstruktur sei ausgefüllt, es bestünden diverse Aktivitäten in der Familie und mit Freunden. Er sei zufriE. in seiner Ehe, stolz, ein eigenes Haus gebaut zu haben, und freue sich an der Entwicklung seines Sohnes. Der Kläger mache seinen Haushalt, habe Hobbys, engagiere sich sozial, mache Spaziergänge und fahre hin und wieder in die USA. Anhaltspunkte für mangelnde Konzentrations- und Merkfähigkeit hätten sich nicht ergeben. Im erlernten bzw. zuletzt ausgeübten Beruf könne der Kläger nicht mehr tätig sein. Leichte körperliche Arbeiten ohne hohe Konzentrationsanforderungen könnten bis zu sechs Stunden am Tag verrichtet werden. Unzumutbar seien Arbeiten auf Gerüsten, im Schichtdienst sowie mit dem Tragen oder Heben von schweren Lasten. Möglich seien in diesem Rahmen zum Beispiel Tätigkeiten eines Registrators ohne das Bewältigen von Gewichten über 10 kg oder auch die Tätigkeit in einer Poststelle. Besondere Pausen seien nicht erforderlich und es bestehe keine Beschränkung des Arbeitsweges.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30. Juli 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2002 zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Rentenakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung, weil er zur Überzeugung des Senats ihm zumutbare Tätigkeiten sechs Stunden am Tag verrichten konnte und kann.
Der Senat weist die Berufung im Wesentlichen bereits aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung und der Begründung der streitgegenständlichen Bescheide folgend als unbegründet zurück und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 136 Abs. 3 und § 153 Abs. 2 SGG).
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens wird das berufliche Restleistungsvermögen des Klägers entscheidend geprägt durch die bei ihm vorliegenden psychischen Befunde (Depression, Somatisierung, Schmerzen). Eine rentenrechtlich relevante Leistungseinschränkung resultiert hieraus nicht. Dies hat zuletzt Dr. E. mit ihrer Annahme eines bis zu sechsstündigen Leistungsvermögens bestätigt.
Der Senat stützt seine diesbezügliche Überzeugung in erster Linie auf die Sachverständigengutachten von Dr. E. und des Arztes Y ... Danach bedingen die bei dem Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen lediglich die Beschränkung auf noch leichte körperliche Tätigkeiten unter Beachtung der weiteren, in den Sachverständigengutachten im Einzelnen aufgeführten qualitativen Leistungseinschränkungen. Insbesondere ist nach diesen Gutachten die Annahme einer quantitativen (zeitlichen) Leistungseinschränkung auf ein nur noch unter sechsstündiges Leistungsvermögen medizinisch nicht begründet. Die von den Sachverständigen vorgenommene Leistungsbeurteilung ist nach den erhobenen Befunden, bei kritischer Würdigung und der gebotenen Anlegung eines strengen Maßstabes für den Senat schlüssig und nachvollziehbar, weshalb er ihr folgt. Die hiervon abweichende Leistungsbeurteilung durch Dr. C. und die insoweit behandelnden Fachärzte erachtet der Senat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens als widerlegt.
Die sozialmedizinische Beurteilung bei Somatisierungsstörungen erfordert eine ausführliche Befragung des Probanden zu den Tagesaktivitäten. Erfragt (und hinterfragt) werden müssen auch Symptome des sozialen Rückzugs. Nur bei einer weitgehenden Einschränkung der Fähigkeit zur Teilnahme an den Aktivitäten des täglichen Lebens (im Sinne einer "vita minima") beispielsweise in den Bereichen Mobilität, Selbstversorgung, Kommunikation, Antrieb, Konzentrationsfähigkeit, Interesse und Aufmerksamkeit ist von einer Minderung des qualitativen und quantitativen Leistungsvermögens auszugehen (Empfehlungen für die sozialmedizinische Beurteilung psychischer Störungen, DRV-Schriften, Band 30, S. 47).
Hinsichtlich der Auswirkungen von Schmerzen auf die Erwerbsfähigkeit ist zu beachten, dass je nach Ausprägung der Schmerzsymptomatik die Konzentration deutlich beeinträchtigt sein kann, es können auch kognitive Störungen auftreten. Antriebstörungen, Störungen der Vitalgefühle und weitere depressive Symptome sind häufig vorhanden, bei entsprechendem Schweregrad auch suizidale Tendenzen. Chronische Schmerzen können die Möglichkeit der Betroffenen, an Aktivitäten des täglichen Lebens teilzunehmen, beeinträchtigen. Es kann zu einem zunehmenden sozialen Rückzug kommen, da die Betroffenen gegebenenfalls ihre körperlichen Aktivitäten einschränken, gewissermaßen ihre gesamte Lebensgestaltung dem chronischen Schmerz unterordnen.
Für die Leistungsbeurteilung ist es deshalb von entscheidender Bedeutung, dass der Gutachter die Entwicklung der Schmerzsymptomatik und ihre Auswirkungen insbesondere auf dem Bereich der sozialen Möglichkeiten und Aktivitäten bei dem Probanden differenziert erfragt. Eine exakte Erhebung und Darstellung der medikamentösen Therapie (unter Umständen einer vorhandenen Medikamentenabhängigkeit) ist ebenso erforderlich wie die Einsichtnahme in ein eventuell vorhandenes Schmerztagebuch. Erfragt werden muss differenziert der Tagesablauf des Probanden, weil sich hier unter Umständen Hinweise auf Partizipationsstörungen ergeben. Das Fehlen einer objektiven Messmethode zur Quantifizierung des Schmerzes erschwert die Leistungsbeurteilung dieser Probanden, auch die Verwendung entsprechender Schmerzskalen in der Leistungsbeurteilung ist nicht zielführend, sodass der Gutachter nur durch eine umfassende und auch zeitlich umfangreiche Befragung des Probanden eine nachvollziehbare und zutreffende Beurteilung abgeben kann. Zu beurteilen sind neben dem Ausmaß der psychopathologischen Auffälligkeiten und dem eventuell bestehenden Ausmaß einer schmerzbedingten Persönlichkeitsveränderung die Fragen nach einer eventuell stattgefundenen Adaption an die Symptomatik bzw. nach bisher vom Probanden eingeschlagenen Coping-Strategien (Empfehlung für die sozialmedizinische Beurteilung bei chronischen Schmerzsyndromen DRV-Schriften, Band 30, S. 51/52).
Auch im Übrigen richtet sich die sozialmedizinische Beurteilung des beruflichen Restleistungsvermögens bei psychischen Störungen (z. B. depressiven Verstimmungen) im Wesentlichen nach dem Ausmaß von Funktions- bzw. Aktivitätsstörungen und einer möglicherweise eingeschränkten Teilhabe an den verschiE.en Bereichen des gesellschaftlichen Lebens (Empfehlungen für die sozialmedizinische Beurteilung psychischer Störungen, a. a. O., S. 37).
Die Anwendung dieser sozialmedizinischen Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt hier insbesondere unter Berücksichtigung der von Dr. E. getroffenen Feststellungen (vgl. dazu im Einzelnen bereits oben) keine so weitgehende Einschränkung, dass hieraus eine quantitative (zeitliche) Leistungseinschränkung abzuleiten wäre. Beschrieben werden vielmehr z. B. erheblich erhalten gebliebene Restaktivitäten, soziale Kontakte und keine wesentlichen Einschränkungen im Bereich der Selbstversorgung. Bei dieser Sachlage erscheint bereits die Beschränkung des Leistungsvermögens auf - im Rahmen des neuen Rentenrechts ausreichende - sechs Stunden am Tag als nicht notwendig.
Der Senat vermag sich unter Berücksichtigung der insgesamt im Verfahren getroffenen medizinischen Feststellungen nicht davon zu überzeugen, dass bei dem Kläger insbesondere in der Zeit zwischen der Begutachtung durch den Sachverständigen Y. und der Untersuchung durch Dr. E. eine mehr als nur vorübergehende quantitative Leistungsminderung anzunehmen ist.
Hierfür ist für den Senat zum einen entscheidend, dass sowohl im Heilbehandlungsentlassungsbericht vom 18.1.2002 als auch im Sachverständigengutachten des Arztes Y. vom Januar 2003 eine rentenrechtlich relevante zeitliche Leistungsminderung verneint worden ist. Im Rahmen der Begutachtung durch Dr. C. hat sich nach Auffassung des Senats kein Anhalt für eine wesentliche Verschlechterung ergeben, zumal der Kläger im Rahmen der Begutachtung insoweit lediglich angegeben hat, er sei seit Anfang 2001 in ambulanter nervenärztlicher Behandlung, aktuell gehe es ihm etwas besser, insgesamt habe es in all den Jahren jedoch keine wesentliche Besserung gegeben. Die Ärztin baue ihn auf und er fasse wieder Hoffnung (Blatt 65/66 der LSG-Akte). Offenbar hat die behandelnde Nervenärztin seinerzeit auch eine stationäre Heilbehandlung nicht für erforderlich gehalten (vgl. Blatt 83 der LSG-Akte), was objektiv betrachtet ohnehin nicht für eine erhebliche Ausprägung des Krankheitsbildes spricht. Letztlich kommt noch hinzu, dass selbst Dr. C. angenommen hat, bei entsprechender Behandlung sei eine Besserung der Befunde nicht auszuschließen, was insgesamt zu der Annahme berechtigt, dass die beim Kläger vorliegenden Befunde zu keinem Zeitpunkt eine mehr als nur vorübergehende, d. h. länger als sechs Monate dauernde Leistungsminderung begründet haben.
Zum anderen kann hier nicht unbeachtet bleiben, dass anlässlich der seit dem Jahr 2001 durchgeführten Untersuchungen durchgängig eine mangelnde Kooperation bzw. eine bewusstseinsnahe Simulation und Aggravation sowie erhebliche Verdeutlichungstendenzen beschrieben werden, die den Nachweis erheblicher Beeinträchtigungen (auch im Sinne der im Heilbehandlungsentlassungsbericht angenommenen Beschränkung der Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit) und damit einer relevanten Leistungsminderung ausschließen. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich auf die von Dr. E. getroffenen Feststellung, wonach vor dem Hintergrund der vom Kläger glaubhaft versicherten Aufgabe des Rentenbegehrens nunmehr Simulation und Aggravation nicht mehr gegeben sind. Dies und das bei der Untersuchung durch Dr. E. gezeigte Selbstbild belegen, dass der Kläger seine Beschwerdenangaben zweckgerichtet steuern konnte und kann.
Mit den beim Kläger zu beachtenden qualitativen Leistungseinschränkungen und unter Berücksichtigung von Berufsschutz als Facharbeiter kann er subjektiv (sozial) zumutbar auf die Anlerntätigkeit eines Registrators im öffentlichen Dienst in der Vergütungsgruppe VIII BAT verwiesen werden.
In diese Vergütungsgruppe sind nämlich "Angestellte im Büro -, Registratur-, ... sonstigen Innendienst ... mit schwieriger Tätigkeit ..." eingruppiert (vgl. hierzu und zur zumutbaren Verweisbarkeit eines zur Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters gehörenden Berufskraftfahrers auf die Tätigkeit eines Registrators BSG vom 27.11.1991 - 5 RJ 91/89 - und allgemein BSG vom 12.9.1991 - 5 RJ 34/90 - sowie zur Verweisung eines Maurer-Facharbeiters auf die Tätigkeit eines Registrators Urteil des erkennenden Senats vom 19.11.2003 - L 3 RJ 2583/03 -).
Diese Tätigkeit ist ihm mit seinem Restleistungsvermögen auch objektiv (gesundheitlich) zumutbar. Nach der vom Senat in das Verfahren eingeführten berufskundlichen Stellungnahme des - damaligen - Landesarbeitsamtes Baden-Württemberg vom 16.8.2000 handelt es sich bei der Tätigkeit eines Registrators um eine Tätigkeit, die auch im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen ausgeübt wird und in der Regel lediglich mit leichten Arbeiten verbunden ist. In diesem Rahmen kann zwar das Heben und Tragen von Lasten (Aktenvorgänge, Poststücke) grundsätzlich nicht vermiE. werden, es können dabei im Einzelfall durchaus Lasten von über 5 kg bis zu 10 kg zu bewegen sein, im Einzelfall können auch Zwangshaltungen und Überkopfarbeiten häufig nicht vermiE. werden und - je nach Registratur - können durchaus auch Arbeiten auf Leitern vorkommen. Für den Senat ist letztlich jedoch die berufskundliche Einschätzung maßgebend, dass die körperliche Belastung insgesamt auch weitgehend von der jeweiligen Arbeitsplatzgestaltung und der Arbeitsorganisation abhängt. Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass das Bewegen von Lasten von über 5 kg bis zu 10 kg, Zwangshaltungen und das Arbeiten auf Leitern nicht generell und in allen Fällen mit der Tätigkeit eines Registrators verbunden sind. Dies deckt sich im Übrigen mit den Kenntnissen des Senats über die Tätigkeit eines Registrators z.B. bei einem Gericht, die damit aus berufskundlicher Sicht bestätigt wurden.
Schließlich erfüllt diese Verweisungstätigkeit auch die höchstrichterlich vorgegebene Voraussetzung, dass auf eine Tätigkeit nur verwiesen werden darf, wenn die für sie notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten innerhalb einer bis zu drei Monaten dauernden Einarbeitung und Einweisung erworben werden können (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 23). Denn nach der erwähnten berufskundlichen Stellungnahme beträgt die Anlernzeit/Einarbeitungszeit üblicherweise nicht länger als drei Monate. Sie hängt dabei zwar auch von den jeweiligen persönlichen Fähigkeiten ab, ist aber weitgehend von Vorkenntnissen unabhängig. Es handelt sich nämlich um eine einfache Anlerntätigkeit, für die keinerlei besondere Ausbildung erforderlich ist.
Da also die für die Ausübung einer Registratorentätigkeit erforderliche Einarbeitungszeit weitgehend von Vorkenntnissen unabhängig ist (und damit auch von Verwaltungsgrundkenntnissen), kann die Tatsache, dass der Kläger vorliegend über solche Vorkenntnisse möglicherweise nicht verfügt, im Ergebnis nicht dazu führen, dass er sich auf eine längere und damit nach der Rechtsprechung nicht mehr zumutbare Einarbeitungszeit berufen kann. Dass beim Kläger - von Vorkenntnissen abgesehen - sonst eingeschränkte persönliche Fähigkeiten vorliegen, die eine längere Einarbeitungszeit begründen, ist insbesondere vor dem Hintergrund der von ihm zuletzt ausgeübten Tätigkeit nicht ersichtlich.
In Betracht kommt ferner die Verweisung auf gehobene Büro- (Hilfs-) Tätigkeiten der Vergütungsgruppe VIII BAT. Diese dem Bereich der angelernten Tätigkeiten zuzuordnenden Bürotätigkeiten sind einem Facharbeiter grundsätzlich zumutbar (Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26.6.1995 - L 2 I 248/94 -). Dazu gehört z. B. die Tätigkeit eines Mitarbeiters in der Poststelle der Verwaltungsabteilung - Allgemeine Verwaltung -.
Diese Tätigkeit umfasst folgende Aufgaben: Öffnen der eingegangenen Post und Anbringung des Eingangsstempels, Verteilen der Post auf die Abteilungen und Referate entsprechend dem Sachverhalt, Richten von abgehenden Sammelsendungen, Kuvertieren der abgehenden Briefpost und Verpacken der Paketsendungen, Bedienen des Freistemplers entsprechend der Aufgabeneinteilung durch den Bearbeiter, Erfassung der Einschreibesendungen entsprechend der Aufgabeneinteilung durch den Bearbeiter und Beförderung der Post, entsprechend der Anweisung des Bearbeiters, von und zum Postamt mit anstaltseigenem Fahrzeug.
Es handelt sich um eine körperlich leichte Tätigkeit, die im Wechsel zwischen Gehen, Sitzen und Stehen ausgeübt werden kann. Zwar müssen in der Poststelle der Verwaltungsabteilung Pakete oder Körbe mit Postsendungen gehoben oder getragen werden, die 5 kg oder mehr wiegen. Solche Transporttätigkeiten sind jedoch nicht typisch für die Tätigkeit in der Poststelle, weil der Transportdienst von und zum Postamt sowie innerhalb der Poststelle nur von wenigen, und zwar speziell hierfür bestimmten Mitarbeitern wahrgenommen wird. Die Mehrheit der Mitarbeiter der Poststelle ist hingegen ausschließlich mit dem Fertigmachen der auslaufenden Post und mit der Bearbeitung der eingehenden Post betraut, so dass die zu verrichtenden Aufgaben nicht den Schweregrad leichter körperlicher Tätigkeiten übersteigen (Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26.5.1997 - L 2 I 47/95 - mwN).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Der am 28.10.1952 geborene Kläger ist gelernter Fernmeldehandwerker, übte den erlernten Beruf auch aus und war zuletzt als EDV-Organisator versicherungspflichtig beschäftigt.
Er beantragte am 21.5.2001 die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Die von der Beklagten veranlasste orthopädische Begutachtung (Gutachten Dr. O. vom 2.7.2001) erbrachte ein degeneratives Lumbalsyndrom sowie flüchtige Arthropathien verschiE.er großer Gelenke bei einem mehr als sechsstündigen Leistungsvermögen für den bisherigen Berufsbereich.
Hierauf gestützt lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 30.7.2001 ab.
Während des Widerspruchsverfahrens absolvierte der Kläger eine stationäre Heilbehandlung in Bad Saulgau, aus der er mit den Diagnosen depressive Störung (derzeit mittelgradige Episode), Somatisierungsstörung, Verdacht auf passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung, arterielle Hypertonie und Refluxösophagitis Grad II als arbeitsunfähig, aber mit der Leistungsbeurteilung entlassen worden war, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten könnten bei Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen mehr als sechs Stunden am Tag verrichtet werden.
Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16.4.2002 zurück.
Dagegen hat der Kläger am 6.5.2002 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben, mit der er sein Rentenbegehren weiterverfolgt hat.
Das SG hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt. Der Allgemeinmediziner Dr. M. hat in seiner Auskunft vom 27.8.2002 den Schwerpunkt der leistungseinschränkenden Befunde auf psychiatrischem Fachgebiet und den Kläger wegen dieser Befunde als nur noch unter dreistündig leistungsfähig erachtet. Der Orthopäde Dr. W. hat in seinem Bericht vom 8.10.2002 bezüglich seines Fachgebiets eine vollschichtige Leistungsfähigkeit für leichte bis mittelschwere Arbeiten angenommen, aber auf die ihm aufgefallene ausgeprägte depressive Stimmung mit Somatisierungsstörungen hingewiesen. Die Nervenärztin Keresztes-Kraus hat unter dem 5.11.2002 wegen einer chronisch verlaufenden Erschöpfungsdepression ein aufgehobenes Leistungsvermögen angenommen.
Sodann hat das SG Beweis erhoben durch Einholung des nervenärztlichen Sachverständigengutachtens des Arztes Y. vom 26.1.2003. Diagnostiziert worden sind eine Dysthymia, Spannungskopfschmerzen sowie Wirbelsäulenbeschwerden ohne klinischen oder elektrophysiologischen Anhaltspunkt für eine Nervenwurzelkompression und - fachfremd - eine Meniskusschädigung beider Kniegelenke, eine Chondropathia patellae Grad I bzw. Grad I bis II beidseits, eine chronische Gastritis mit Refluxösophagitis sowie eine arterielle Hypertonie. Festgestellt worden ist eine überdurchschnittliche Aggravation bei mangelnder Kooperation - insoweit in Übereinstimmung mit den bereits anlässlich der stationären Heilbehandlung erhobenen Simulations- und Aggravationstendenzen -. Mittelschwere Tätigkeiten sowie die letzte Tätigkeit als EDV-Organisator könnten weiterhin vollschichtig verrichtet werden. Zumutbar sei das Heben und Tragen von Lasten bis zu 15 kg mit gelegentlichen Zwangshaltungen, ebenso sei zumutbar überwiegendes Stehen, Gehen oder Sitzen. Unzumutbar seien demgegenüber Tätigkeiten mit extrem hohem Zeitdruck oder extrem hoher nervlicher Belastung (Akkord- Fließband- und Nachtschichtarbeiten). Möglich sei das Steigen auf Leitern oder Gerüsten, das Treppensteigen, die Arbeit an Büro- und sonstigen laufenden Maschinen, des weiteren seien Arbeiten im Freien, in Kälte, unter Wärmeeinfluss, unter Einwirkung von Staub, Gasen, Dämpfen oder Nässe zumutbar. Möglich seien auch Arbeiten mit Publikumsverkehr und mit Beanspruchung des Gehörs und des Sehvermögens. Besondere Arbeitsbedingungen oder betriebsunübliche Pausen seien nicht erforderlich. Die Wegefähigkeit sei gegeben. Es bestehe eine erfolgreiche Behandlungsmöglichkeit.
Das SG hat die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid vom 30.7.2003 abgewiesen.
Es hat unter Darstellung der für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erforderlichen Voraussetzungen und der hierfür maßgebenden Rechtsvorschriften sowie unter Darstellung der Grundsätze zum Berufsschutz entschiE., dass der Kläger Tätigkeiten seines bisherigen Berufsbereichs mindestens sechs Stunden am Tag verrichten könne. Gefolgt werde den im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten sowie dem Sachverständigengutachten des Arztes Y ... Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.
Gegen den ihm am 31.7.2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 12.8.2003 Berufung eingelegt, mit der er sein Klagebegehren weiterverfolgt.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des psychiatrischen Sachverständigengutachtens von Dr. C. vom 14.7.2005 (Untersuchung im November/Dezember 2004), zu welchem der Diplom-Psychologe Kullmann die psychologische Stellungnahme vom 6.12.2004 abgegeben hat. Beim Kläger bestehe eine rezidivierende depressive Störung mit - bei mittelgradiger Episode - somatischen Symptomen. Seit Frühjahr 2003 bestehe ein aufgehobenes Leistungsvermögen, allerdings sei auch eine Besserungsfähigkeit durch eine zwei bis drei Monate dauernde stationäre psychiatrisch/psychotherapeutische Behandlung nicht auszuschließen. Die testpsychologische Untersuchung hat im Wesentlichen normgerechte Testwerte und im Übrigen Verdeutlichungstendenzen aufgezeigt. Dr. C. spricht in seinem Gutachten insoweit von einer ausgesprochen bewusstseinsnahen Verdeutlichungstendenz.
Die Beklagte hat zu der vom Sachverständigen vorgenommenen Leistungseinschätzung die Auffassung vertreten, dass insbesondere unter Berücksichtigung von Aggravation und Simulation keine quantitative Leistungsminderung angenommen werden könne. Zur Abklärung und Objektivierung sei eine medizinische Rehabilitation einschließlich Belastungserprobung angezeigt und werde hiermit angeboten. Letzteres hat der Kläger abgelehnt und stattdessen die Einholung eines nervenärztlichen Sachverständigengutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beantragt.
Unter Einführung der Verweisungstätigkeiten u. a. eines Registrators bei einem Gericht sowie eines Mitarbeiters in der Poststelle einer Verwaltungsabteilung nebst Tätigkeitsbeschreibung in das Verfahren hat der Senat daher das nervenärztliche Sachverständigengutachten von Dr. E. vom 22.6.2006 eingeholt. Erhoben wird eine chronifizierte, zum Zeitpunkt der Untersuchung deutlich gebesserte somatoforme Depression mit erhaltener emotionaler Schwingungsfähigkeit. Bei nach Angaben des Klägers aufgegebenem Rentenbegehren sei keine Simulation oder Aggravation mehr festzustellen. Die Tagesstruktur sei ausgefüllt, es bestünden diverse Aktivitäten in der Familie und mit Freunden. Er sei zufriE. in seiner Ehe, stolz, ein eigenes Haus gebaut zu haben, und freue sich an der Entwicklung seines Sohnes. Der Kläger mache seinen Haushalt, habe Hobbys, engagiere sich sozial, mache Spaziergänge und fahre hin und wieder in die USA. Anhaltspunkte für mangelnde Konzentrations- und Merkfähigkeit hätten sich nicht ergeben. Im erlernten bzw. zuletzt ausgeübten Beruf könne der Kläger nicht mehr tätig sein. Leichte körperliche Arbeiten ohne hohe Konzentrationsanforderungen könnten bis zu sechs Stunden am Tag verrichtet werden. Unzumutbar seien Arbeiten auf Gerüsten, im Schichtdienst sowie mit dem Tragen oder Heben von schweren Lasten. Möglich seien in diesem Rahmen zum Beispiel Tätigkeiten eines Registrators ohne das Bewältigen von Gewichten über 10 kg oder auch die Tätigkeit in einer Poststelle. Besondere Pausen seien nicht erforderlich und es bestehe keine Beschränkung des Arbeitsweges.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30. Juli 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2002 zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Rentenakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung, weil er zur Überzeugung des Senats ihm zumutbare Tätigkeiten sechs Stunden am Tag verrichten konnte und kann.
Der Senat weist die Berufung im Wesentlichen bereits aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung und der Begründung der streitgegenständlichen Bescheide folgend als unbegründet zurück und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 136 Abs. 3 und § 153 Abs. 2 SGG).
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens wird das berufliche Restleistungsvermögen des Klägers entscheidend geprägt durch die bei ihm vorliegenden psychischen Befunde (Depression, Somatisierung, Schmerzen). Eine rentenrechtlich relevante Leistungseinschränkung resultiert hieraus nicht. Dies hat zuletzt Dr. E. mit ihrer Annahme eines bis zu sechsstündigen Leistungsvermögens bestätigt.
Der Senat stützt seine diesbezügliche Überzeugung in erster Linie auf die Sachverständigengutachten von Dr. E. und des Arztes Y ... Danach bedingen die bei dem Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen lediglich die Beschränkung auf noch leichte körperliche Tätigkeiten unter Beachtung der weiteren, in den Sachverständigengutachten im Einzelnen aufgeführten qualitativen Leistungseinschränkungen. Insbesondere ist nach diesen Gutachten die Annahme einer quantitativen (zeitlichen) Leistungseinschränkung auf ein nur noch unter sechsstündiges Leistungsvermögen medizinisch nicht begründet. Die von den Sachverständigen vorgenommene Leistungsbeurteilung ist nach den erhobenen Befunden, bei kritischer Würdigung und der gebotenen Anlegung eines strengen Maßstabes für den Senat schlüssig und nachvollziehbar, weshalb er ihr folgt. Die hiervon abweichende Leistungsbeurteilung durch Dr. C. und die insoweit behandelnden Fachärzte erachtet der Senat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens als widerlegt.
Die sozialmedizinische Beurteilung bei Somatisierungsstörungen erfordert eine ausführliche Befragung des Probanden zu den Tagesaktivitäten. Erfragt (und hinterfragt) werden müssen auch Symptome des sozialen Rückzugs. Nur bei einer weitgehenden Einschränkung der Fähigkeit zur Teilnahme an den Aktivitäten des täglichen Lebens (im Sinne einer "vita minima") beispielsweise in den Bereichen Mobilität, Selbstversorgung, Kommunikation, Antrieb, Konzentrationsfähigkeit, Interesse und Aufmerksamkeit ist von einer Minderung des qualitativen und quantitativen Leistungsvermögens auszugehen (Empfehlungen für die sozialmedizinische Beurteilung psychischer Störungen, DRV-Schriften, Band 30, S. 47).
Hinsichtlich der Auswirkungen von Schmerzen auf die Erwerbsfähigkeit ist zu beachten, dass je nach Ausprägung der Schmerzsymptomatik die Konzentration deutlich beeinträchtigt sein kann, es können auch kognitive Störungen auftreten. Antriebstörungen, Störungen der Vitalgefühle und weitere depressive Symptome sind häufig vorhanden, bei entsprechendem Schweregrad auch suizidale Tendenzen. Chronische Schmerzen können die Möglichkeit der Betroffenen, an Aktivitäten des täglichen Lebens teilzunehmen, beeinträchtigen. Es kann zu einem zunehmenden sozialen Rückzug kommen, da die Betroffenen gegebenenfalls ihre körperlichen Aktivitäten einschränken, gewissermaßen ihre gesamte Lebensgestaltung dem chronischen Schmerz unterordnen.
Für die Leistungsbeurteilung ist es deshalb von entscheidender Bedeutung, dass der Gutachter die Entwicklung der Schmerzsymptomatik und ihre Auswirkungen insbesondere auf dem Bereich der sozialen Möglichkeiten und Aktivitäten bei dem Probanden differenziert erfragt. Eine exakte Erhebung und Darstellung der medikamentösen Therapie (unter Umständen einer vorhandenen Medikamentenabhängigkeit) ist ebenso erforderlich wie die Einsichtnahme in ein eventuell vorhandenes Schmerztagebuch. Erfragt werden muss differenziert der Tagesablauf des Probanden, weil sich hier unter Umständen Hinweise auf Partizipationsstörungen ergeben. Das Fehlen einer objektiven Messmethode zur Quantifizierung des Schmerzes erschwert die Leistungsbeurteilung dieser Probanden, auch die Verwendung entsprechender Schmerzskalen in der Leistungsbeurteilung ist nicht zielführend, sodass der Gutachter nur durch eine umfassende und auch zeitlich umfangreiche Befragung des Probanden eine nachvollziehbare und zutreffende Beurteilung abgeben kann. Zu beurteilen sind neben dem Ausmaß der psychopathologischen Auffälligkeiten und dem eventuell bestehenden Ausmaß einer schmerzbedingten Persönlichkeitsveränderung die Fragen nach einer eventuell stattgefundenen Adaption an die Symptomatik bzw. nach bisher vom Probanden eingeschlagenen Coping-Strategien (Empfehlung für die sozialmedizinische Beurteilung bei chronischen Schmerzsyndromen DRV-Schriften, Band 30, S. 51/52).
Auch im Übrigen richtet sich die sozialmedizinische Beurteilung des beruflichen Restleistungsvermögens bei psychischen Störungen (z. B. depressiven Verstimmungen) im Wesentlichen nach dem Ausmaß von Funktions- bzw. Aktivitätsstörungen und einer möglicherweise eingeschränkten Teilhabe an den verschiE.en Bereichen des gesellschaftlichen Lebens (Empfehlungen für die sozialmedizinische Beurteilung psychischer Störungen, a. a. O., S. 37).
Die Anwendung dieser sozialmedizinischen Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt hier insbesondere unter Berücksichtigung der von Dr. E. getroffenen Feststellungen (vgl. dazu im Einzelnen bereits oben) keine so weitgehende Einschränkung, dass hieraus eine quantitative (zeitliche) Leistungseinschränkung abzuleiten wäre. Beschrieben werden vielmehr z. B. erheblich erhalten gebliebene Restaktivitäten, soziale Kontakte und keine wesentlichen Einschränkungen im Bereich der Selbstversorgung. Bei dieser Sachlage erscheint bereits die Beschränkung des Leistungsvermögens auf - im Rahmen des neuen Rentenrechts ausreichende - sechs Stunden am Tag als nicht notwendig.
Der Senat vermag sich unter Berücksichtigung der insgesamt im Verfahren getroffenen medizinischen Feststellungen nicht davon zu überzeugen, dass bei dem Kläger insbesondere in der Zeit zwischen der Begutachtung durch den Sachverständigen Y. und der Untersuchung durch Dr. E. eine mehr als nur vorübergehende quantitative Leistungsminderung anzunehmen ist.
Hierfür ist für den Senat zum einen entscheidend, dass sowohl im Heilbehandlungsentlassungsbericht vom 18.1.2002 als auch im Sachverständigengutachten des Arztes Y. vom Januar 2003 eine rentenrechtlich relevante zeitliche Leistungsminderung verneint worden ist. Im Rahmen der Begutachtung durch Dr. C. hat sich nach Auffassung des Senats kein Anhalt für eine wesentliche Verschlechterung ergeben, zumal der Kläger im Rahmen der Begutachtung insoweit lediglich angegeben hat, er sei seit Anfang 2001 in ambulanter nervenärztlicher Behandlung, aktuell gehe es ihm etwas besser, insgesamt habe es in all den Jahren jedoch keine wesentliche Besserung gegeben. Die Ärztin baue ihn auf und er fasse wieder Hoffnung (Blatt 65/66 der LSG-Akte). Offenbar hat die behandelnde Nervenärztin seinerzeit auch eine stationäre Heilbehandlung nicht für erforderlich gehalten (vgl. Blatt 83 der LSG-Akte), was objektiv betrachtet ohnehin nicht für eine erhebliche Ausprägung des Krankheitsbildes spricht. Letztlich kommt noch hinzu, dass selbst Dr. C. angenommen hat, bei entsprechender Behandlung sei eine Besserung der Befunde nicht auszuschließen, was insgesamt zu der Annahme berechtigt, dass die beim Kläger vorliegenden Befunde zu keinem Zeitpunkt eine mehr als nur vorübergehende, d. h. länger als sechs Monate dauernde Leistungsminderung begründet haben.
Zum anderen kann hier nicht unbeachtet bleiben, dass anlässlich der seit dem Jahr 2001 durchgeführten Untersuchungen durchgängig eine mangelnde Kooperation bzw. eine bewusstseinsnahe Simulation und Aggravation sowie erhebliche Verdeutlichungstendenzen beschrieben werden, die den Nachweis erheblicher Beeinträchtigungen (auch im Sinne der im Heilbehandlungsentlassungsbericht angenommenen Beschränkung der Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit) und damit einer relevanten Leistungsminderung ausschließen. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich auf die von Dr. E. getroffenen Feststellung, wonach vor dem Hintergrund der vom Kläger glaubhaft versicherten Aufgabe des Rentenbegehrens nunmehr Simulation und Aggravation nicht mehr gegeben sind. Dies und das bei der Untersuchung durch Dr. E. gezeigte Selbstbild belegen, dass der Kläger seine Beschwerdenangaben zweckgerichtet steuern konnte und kann.
Mit den beim Kläger zu beachtenden qualitativen Leistungseinschränkungen und unter Berücksichtigung von Berufsschutz als Facharbeiter kann er subjektiv (sozial) zumutbar auf die Anlerntätigkeit eines Registrators im öffentlichen Dienst in der Vergütungsgruppe VIII BAT verwiesen werden.
In diese Vergütungsgruppe sind nämlich "Angestellte im Büro -, Registratur-, ... sonstigen Innendienst ... mit schwieriger Tätigkeit ..." eingruppiert (vgl. hierzu und zur zumutbaren Verweisbarkeit eines zur Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters gehörenden Berufskraftfahrers auf die Tätigkeit eines Registrators BSG vom 27.11.1991 - 5 RJ 91/89 - und allgemein BSG vom 12.9.1991 - 5 RJ 34/90 - sowie zur Verweisung eines Maurer-Facharbeiters auf die Tätigkeit eines Registrators Urteil des erkennenden Senats vom 19.11.2003 - L 3 RJ 2583/03 -).
Diese Tätigkeit ist ihm mit seinem Restleistungsvermögen auch objektiv (gesundheitlich) zumutbar. Nach der vom Senat in das Verfahren eingeführten berufskundlichen Stellungnahme des - damaligen - Landesarbeitsamtes Baden-Württemberg vom 16.8.2000 handelt es sich bei der Tätigkeit eines Registrators um eine Tätigkeit, die auch im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen ausgeübt wird und in der Regel lediglich mit leichten Arbeiten verbunden ist. In diesem Rahmen kann zwar das Heben und Tragen von Lasten (Aktenvorgänge, Poststücke) grundsätzlich nicht vermiE. werden, es können dabei im Einzelfall durchaus Lasten von über 5 kg bis zu 10 kg zu bewegen sein, im Einzelfall können auch Zwangshaltungen und Überkopfarbeiten häufig nicht vermiE. werden und - je nach Registratur - können durchaus auch Arbeiten auf Leitern vorkommen. Für den Senat ist letztlich jedoch die berufskundliche Einschätzung maßgebend, dass die körperliche Belastung insgesamt auch weitgehend von der jeweiligen Arbeitsplatzgestaltung und der Arbeitsorganisation abhängt. Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass das Bewegen von Lasten von über 5 kg bis zu 10 kg, Zwangshaltungen und das Arbeiten auf Leitern nicht generell und in allen Fällen mit der Tätigkeit eines Registrators verbunden sind. Dies deckt sich im Übrigen mit den Kenntnissen des Senats über die Tätigkeit eines Registrators z.B. bei einem Gericht, die damit aus berufskundlicher Sicht bestätigt wurden.
Schließlich erfüllt diese Verweisungstätigkeit auch die höchstrichterlich vorgegebene Voraussetzung, dass auf eine Tätigkeit nur verwiesen werden darf, wenn die für sie notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten innerhalb einer bis zu drei Monaten dauernden Einarbeitung und Einweisung erworben werden können (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 23). Denn nach der erwähnten berufskundlichen Stellungnahme beträgt die Anlernzeit/Einarbeitungszeit üblicherweise nicht länger als drei Monate. Sie hängt dabei zwar auch von den jeweiligen persönlichen Fähigkeiten ab, ist aber weitgehend von Vorkenntnissen unabhängig. Es handelt sich nämlich um eine einfache Anlerntätigkeit, für die keinerlei besondere Ausbildung erforderlich ist.
Da also die für die Ausübung einer Registratorentätigkeit erforderliche Einarbeitungszeit weitgehend von Vorkenntnissen unabhängig ist (und damit auch von Verwaltungsgrundkenntnissen), kann die Tatsache, dass der Kläger vorliegend über solche Vorkenntnisse möglicherweise nicht verfügt, im Ergebnis nicht dazu führen, dass er sich auf eine längere und damit nach der Rechtsprechung nicht mehr zumutbare Einarbeitungszeit berufen kann. Dass beim Kläger - von Vorkenntnissen abgesehen - sonst eingeschränkte persönliche Fähigkeiten vorliegen, die eine längere Einarbeitungszeit begründen, ist insbesondere vor dem Hintergrund der von ihm zuletzt ausgeübten Tätigkeit nicht ersichtlich.
In Betracht kommt ferner die Verweisung auf gehobene Büro- (Hilfs-) Tätigkeiten der Vergütungsgruppe VIII BAT. Diese dem Bereich der angelernten Tätigkeiten zuzuordnenden Bürotätigkeiten sind einem Facharbeiter grundsätzlich zumutbar (Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26.6.1995 - L 2 I 248/94 -). Dazu gehört z. B. die Tätigkeit eines Mitarbeiters in der Poststelle der Verwaltungsabteilung - Allgemeine Verwaltung -.
Diese Tätigkeit umfasst folgende Aufgaben: Öffnen der eingegangenen Post und Anbringung des Eingangsstempels, Verteilen der Post auf die Abteilungen und Referate entsprechend dem Sachverhalt, Richten von abgehenden Sammelsendungen, Kuvertieren der abgehenden Briefpost und Verpacken der Paketsendungen, Bedienen des Freistemplers entsprechend der Aufgabeneinteilung durch den Bearbeiter, Erfassung der Einschreibesendungen entsprechend der Aufgabeneinteilung durch den Bearbeiter und Beförderung der Post, entsprechend der Anweisung des Bearbeiters, von und zum Postamt mit anstaltseigenem Fahrzeug.
Es handelt sich um eine körperlich leichte Tätigkeit, die im Wechsel zwischen Gehen, Sitzen und Stehen ausgeübt werden kann. Zwar müssen in der Poststelle der Verwaltungsabteilung Pakete oder Körbe mit Postsendungen gehoben oder getragen werden, die 5 kg oder mehr wiegen. Solche Transporttätigkeiten sind jedoch nicht typisch für die Tätigkeit in der Poststelle, weil der Transportdienst von und zum Postamt sowie innerhalb der Poststelle nur von wenigen, und zwar speziell hierfür bestimmten Mitarbeitern wahrgenommen wird. Die Mehrheit der Mitarbeiter der Poststelle ist hingegen ausschließlich mit dem Fertigmachen der auslaufenden Post und mit der Bearbeitung der eingehenden Post betraut, so dass die zu verrichtenden Aufgaben nicht den Schweregrad leichter körperlicher Tätigkeiten übersteigen (Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26.5.1997 - L 2 I 47/95 - mwN).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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