L 8 SB 3806/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 1956/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3806/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichtes Konstanz vom 29. Juli 2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die am 1958 geborene Klägerin begehrt die Neufeststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX).

Das Versorgungsamt Freiburg (VA) stellte bei der Klägerin in Ausführung eines im Klageverfahren S 1 SB 823/00 beim Sozialgericht Konstanz (SG) von der Klägerin zur Erledigung des Rechtsstreites angenommenen Vergleichsangebotes mit Bescheid vom 13.11.2001 wegen einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Teil-GdB 20), einer Funktionsbehinderung beider Kniegelenke (Teil-GdB 10) sowie wegen einer seelischen Störung (Teil-GdB 40) den GdB mit 50 ab 12.11.1999 fest.

Am 22.01.2002 beantragte die Klägerin die Erhöhung des GdB wegen Verschlimmerung der festgestellten Behinderungen. Das VA holte die Befundscheine der Augenärzte Dr. N. und Dr. B. vom 08.02.2002, des Internisten Dr. W. vom 27.2.2002, der Ärztin für Neurologie Dr. T. vom 25.03.2002 und des Orthopäden Dr. B. vom 26.02.2002 ein und ließ diese versorgungsärztlich auswerten (Dr. M.-K. vom 08.04.2002). Mit Bescheid vom 11.04.2002 entsprach das VA dem Neufeststellungsantrag nicht, da die Voraussetzungen für eine höhere Bewertung des GdB nicht vorlägen.

Hiergegen legte die Klägerin am 25.04.2002 Widerspruch ein. Sie machte geltend, der GdB sei deutlich anzuheben. Ihre seelische Störung sei nunmehr der Gruppe der schweren Störungen unterzuordnen. Der GdB sei mit mindestens 80 festzustellen, was auch gleichzeitig der Gesamt-GdB wäre. Ergänzend machte sie geltend, sie leide bereits einige Zeit an einem heftigen Tinnitus, durch den sie sich ständig verfolgt fühle und kaum mehr Ruhe finden könne, wodurch sich ihre psychische Situation weiter verschärfe. Das VA zog weitere medizinische Unterlagen bei (Tonaudiogramm Dr. M. vom 29.04.2002, Laborwerte, Arztbriefe Dr. T. vom 06.06.2002 und Dr. B. vom 03.06.2002 sowie Befundschein Dr. T. vom 11.09.2002).

Nach versorgungsärztlicher Auswertung dieser Unterlagen (Stellungnahme Dr. W. vom 20.09.2002) stellte das VA mit Teilabhilfebescheid vom 26.09.2002 wegen einer seelischen Störung, Ohrgeräuschen beidseitig (Tinnitus) und Schwindel (Teil-GdB 50), einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Teil-GdB 20) und einer Funktionsbehinderung beider Kniegelenke (Teil-GdB 10) den GdB nunmehr mit 60 seit 22.01.2002 fest. Im Übrigen wurde der Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamtes Baden-Württemberg vom 09.10.2002 zurückgewiesen. Die vorgenommene Erhöhung des GdB auf 60 gebe das Ausmaß der tatsächlich eingetretenen Änderung des Gesundheitszustandes der Klägerin wieder. Eine weitere Erhöhung des GdB lasse sich nicht begründen.

Hiergegen erhob die Klägerin am 15.10.2002 Klage beim SG. Sie führte zur Begründung aus, die Anhebung des GdB auf 60 stelle keine ausreichende Bewertung des Gesamt-GdB dar. Bereits der GdB für ihre seelische Erkrankung liege über dem zuerkannten Gesamt-GdB. Der GdB für diese Erkrankung sei wenigstens auf 60 anzuheben. Der völlig dekompensierte Tinnitus, der ihre psychische Situation weiter verschärfe, sei als eigenständige Erkrankung zu tenorieren und zu bewerten. Die Befunde auf orthopädischem Gebiet, insbesondere hinsichtlich der Halswirbelsäule, hätten sich weiter verschlechtert, sodass auch insoweit eine Anhebung des GdB notwendig erscheine. Daneben gebe es noch die Sehstörung. Die Klägerin legte den Reha-Entlassungsbericht B.-Klinik, D., vom 05.03.2003 vor. Hilfsweise werde die Einholung eines orthopädischen Gutachtens nach § 109 SGG beantragt.

Der Beklagte trat unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. B. vom 30.06.2003 der Klage entgegen.

Mit Urteil vom 29.07.2004 wies das SG die Klage ab. Zwar stehe fest, dass eine wesentliche Änderung eingetreten sei, die zu einem höheren Gesamt-GdB führe. Dem habe der Beklagte zutreffend und angemessen Rechnung getragen. Der von der Klägerin geltend gemachte GdB von 80 lasse sich freilich nicht begründen. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.

Gegen das am 10.09.2004 abgesandte Urteil hat die Klägerin bereits am 02.09.2004 Berufung eingelegt. Sie hat zur Begründung ausgeführt, bereits aufgrund der psychischen Problematik ergebe sich nach dem Abgrenzungskriterien, die der Sachverständigenbeirat beim BMA getroffen habe, aufgrund der Vielfältigkeit der Diagnosen, die in der B.-Klinik erhoben worden seien, ein höherer GdB als 50, der im Urteil insoweit für ausreichend erachtet werde. Ihr sei es aufgrund der Befunde auf neurologisch/psychiatrischem Fachgebiet nicht mehr möglich, einer geregelten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erhalte sie deswegen Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Mindestens sei der Mittelwert des GdB-Rahmens von 50 bis 70 in Ansatz zu bringen. Das SG sei darüber hinaus der Tinnitus-Erkrankung nicht nachgegangen, welche die psychische Situation noch zusätzlich erhebliche verschärfe. Weiter habe sich der orthopädische Befund verschlechtert.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 29. Juli 2004 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 11. April 2002 und 26. September 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. Oktober 2002 zu verurteilen, ihr einen Grad der Behinderung von 80 zuzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat den HNO Arzt Dr. M. und den Orthopäden Dr. B. schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Dr. B. hat in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 25.02.2005 mitgeteilt, bei allen Beschwerden der Klägerin seien psychosomatische und neurologische Überlagerungen eingeschlossen. Die sehr wechselnden Symptome und Krankheitszustände hätten auch unterschiedliche Funktionsbeeinträchtigungen zur Folge. Je nach Aktualisierung der Schmerzsymptomatik seien weniger ausgeprägte oder auch z. T. stärkere Bewegungs- und Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule festgestellt worden. Wechselnde pseudoradikuläre und radikuläre Ausstrahlungen überlagerten die muskuläre Schmerzsymptomatik und würden z. T. von Blockierungen der Hals- und Lendenwirbelsäule begleitet. Seit August 2001 sei ggf. eine zunehmende psychosomatische Überlagerung festzustellen. Von orthopädischer Seite her seien die organischen Befunde in vielen Punkten nur wenig ergiebig gewesen. Aufgrund der sehr wechselnden Beschwerdesymptomatik und Beschwerdeintensität sei die Stellungnahme des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten vom 17.09.2002 korrekt. Dr. M. teilte in seiner Stellungnahme vom 01.05.2005 unter Vorlage medizinischer Befundunterlagen die gestellten Diagnosen mit. Eine einseitige Hochtonhörminderung links bedinge einen GdB von 0. Der Tinnitus beidseits sei wegen der zugrunde liegenden Neurose HNO-ärztlich nicht zu bewerten. Er sei Ausdruck der seelischen Störung. Die für die Klägerin relevante Behinderung liege auf psychiatrischem Gebiet.

Der Senat hat von Amts wegen Dr. R. S., Ärztlicher Direktor der Abteilung Psychotherapie, Kliniken S. K., zum gerichtlichen Sachverständigen bestellt. Dieser hat am 11.04.2006 schriftlich mitgeteilt, die Klägerin habe im Hinblick auf den Untersuchungstermin telefonisch mitgeteilt, dass der Untersuchungstermin gegenstandslos sei. Der Klägervertreter hat daraufhin auf Nachfrage des Senates mit Schreiben vom 26.05.2006 mitgeteilt, dass sich die Klägerin keiner weiteren gutachtlichen Untersuchung mehr unterziehen wolle. Gleichzeitig hat er um eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gebeten.

Der Beklagte hat sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, zwei Band Akten des SG (S 1 SB 823/00 und S 1 SB 1956/02) sowie auf ein Band Akten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Neufeststellung des GdB von 70 oder mehr.

Der Beklagte wird seit 01.01.2005 wirksam durch das Regierungspräsidium Stuttgart (Abteilung 10) vertreten. Nach § 71 Abs. 5 SGG wird in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts das Land durch das Landesversorgungsamt oder durch die Stelle, der dessen Aufgaben übertragen worden sind, vertreten. In Baden-Württemberg sind die Aufgaben des Landesversorgungsamts durch Art 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Reform der Verwaltungsstruktur, zur Justizreform und zur Erweiterung des kommunalen Handlungsspielraums (Verwaltungsstruktur Reformgesetz - VRG -) vom 01.07.2004 (GBI S. 469) mit Wirkung ab 01.01.2005 (Art 187 VRG) auf das Regierungspräsidium Stuttgart übergegangen.

Das SG hat im angefochtenen Urteil die für die Entscheidung des Rechtsstreites maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften und Rechtsgrundsätze vollständig und zutreffend genannt. Hierauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug. Soweit zwischenzeitlich die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) - 2004" (AHP) gelten, ist eine Änderung damit nicht verbunden.

Das SG hat die Klage auch mit zutreffender Begründung abgewiesen. Der Senat gelangt nach eigener Überprüfung aus den im Urteil dargestellten Entscheidungsgründen ebenfalls zu der Überzeugung, dass die bei der Klägerin bestehenden Behinderungen nach den vorliegenden medizinischen Befundunterlagen mit einem GdB von 60 angemessen und ausreichend neu bewertet sind. Der Senat macht sich die Ausführungen des SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zur Vermeidung von Wiederholungen voll zu eigen und nimmt hierauf zur Begründung seiner eigenen Entscheidung Bezug (§ 152 Abs. 3 SGG).

Ergänzend und im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Klägerin bleibt auszuführen:

Dass der Beklagte die seelische Störung der Klägerin in Form einer Angst- und Somatisierungsstörung mit zusätzlichen körperlichen Beeinträchtigungen mit einem GdB von 50 zu Lasten der Klägerin zu niedrig bewertet hat, lässt sich für den Senat nicht feststellen. Die hierzu vorliegenden medizinischen Befundunterlagen lassen die Bewertung des GdB durch den Beklagten angemessen erscheinen, wie das SG im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt hat. Weitere Ermittlungen sind dem Senat nicht möglich, nachdem die Klägerin erklärt hat, sie wolle sich keiner weiteren gutachtlichen Untersuchung mehr unterziehen. Zweifel gingen nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten der Klägerin.

Auch eine Verschlechterung des orthopädischen Befundes lässt sich nicht feststellen. Dr. B. hat in seiner vom Senat eingeholten schriftlichen sachverständigen Zeugenauskunft vom 25.02.2005 vielmehr die Bewertung des GdB durch den Beklagten hinsichtlich der auf orthopädischem Gebiet gelegenen Behinderungen der Klägerin als korrekt bestätigt. Der Senat ist auch nicht gehalten, das hilfsweise beantragte Gutachten der Klägerin gemäß § 109 SGG einzuholen, nachdem sie durch Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 26.05.2006 hat mitteilen lassen, sich keiner weiteren gutachtlichen Untersuchung mehr unterziehen zu wollen und weiter um eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gebeten hat.

Auch auf HNO-ärztlichen Fachgebiet liegen bei der Klägerin keine relevanten Behinderungen vor, die eine Anhebung des GdB auf über 60 rechtfertigen können. Dies ergibt sich aus der vom Senat eingeholten schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. M. vom 01.05.2005. Danach bedingt eine bei der Klägerin vorliegende einseitige Hochtonhörminderung links keinen GdB. Der Tinnitus ist als Ausdruck der seelischen Störung der Klägerin zu sehen und damit in diesem Zusammenhang zu bewerten.

Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass bei der Klägerin eine Sehstörung vorliegt, die die Erhöhung des GdB auf 70 oder mehr rechtfertigt. Zwar leidet die Klägerin nach dem Reha-Entlassungsbericht der B.-Klinik vom 05.03.2003 an einer starken Myopie (Kurzsichtigkeit), die jedoch nach dem Reha-Entlassungsbericht durch Brille und Kontaktlinsen korrigiert ist. Nach dem Befundschein der Augenärzte Dr. N. und Dr. B. vom 08.02.2002 betrug der Visus beidseits cc 0,8 bei intaktem Gesichtsfeld, was nach den "AHP Nr. 26.4 S. 52 keinen GdB bedingt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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