L 7 AS 69/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 50 AS 231/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 69/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Kläger werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 13. Oktober 2005 und der Bescheid vom 13. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. April 2005 aufgehoben und die Beklagte dem Grunde nach verurteilt, den Klägern ab 1. Februar 2005 Arbeitslosengeld II zu zahlen.
II. Die Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) - Alg II - streitig.

Der 1949 geborene Kläger zu 1., die 1961 geborene Klägerin zu 2. und der 1992 geborene gemeinsame Sohn G. beantragten am 09.12.2004 die Bewilligung von Alg II. Der Kläger zu 1. bezog bis 29.11.2004 Arbeitslosengeld in Höhe von täglich 38,41 EUR.

Die Kläger bewohnen zusammen mit dem am 27.10.1985 geborenen Sohn I. ein 1999 fertiggestelltes Haus mit einer Wohnfläche von 159 m²; die Grundstücksfläche beträge 561 m². Das Ehepaar hat das Grundstück nach Abschluss eines notariellen Kaufvertrages vom 20.05.1998 von der Gemeinde zu einem Preis von 127.347,00 DM erworben. Der Verkauf erfolgte im sogenannten Einheimischen-Modell der Gemeinde U. zur Erstellung eines eigengenutzten Wohnhauses und dessen Bezug durch die Erwerber. Zum 01.01.2005 bestanden Darlehensverbindlichkeiten von 67.000,00 EUR. Im Februar 2005 erfolgte eine außerplanmäßige Tilgung in Höhe von 18.422,37 EUR. Die Klägerin zu 2. erzielte aus einer Beschäftigung ein monatliches Bruttoentgelt von 622,12 EUR - netto 419,20 EUR -.

Mit Bescheid vom 13.12.2004 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Alg II mit der Begründung ab, Hilfebedürftigkeit liege nach den nachgewiesenen Vermögensverhältnissen nicht vor.

Mit dem Widerspruch brachten die Kläger vor, die Eltern hätten zur Tilgung von Schulden, die aus dem Hausbau stammten, auf den Namen der Kinder zur Erlangung von Sparzulagen und günstigeren Sparzinsen Beträge angespart, die ihnen gehörten und inzwischen durch Tilgung von Schulden nicht mehr existierten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.04.2005 wies die Beklagte den Widerspruch unbegründet zurück. Die Vermögenswerte des Klägers zu 1. (Sparkassenbriefe, Lebensversicherung, Rentenversicherung usw.) würden 12.685,33 EUR betragen, die der Klägerin zu 2. 12.627,30 EUR, die Vermögenswerte des Sohnes G. 10.666,72 EUR. Die der Familie zur Verfügung stehende Wohnfläche von 159 m² übersteige die Angemessenheitsgrenze, da für einen Vier-Personen-Haushalt nur eine Wohnfläche von bis zu 90 m² als angemessen erachtet werde. Auch übersteige der maßgebliche Wert des Hausgrundstücks in Höhe von ca. 283.000,00 EUR (Verkehrswert von 350,00 EUR abzüglich der Darlehensverbindlichkeiten von ca. 67.000,00 EUR) den angemessenen Wert. Weiterhin übersteige der mit 9.824,00 EUR - abzüglich der Verbindlichkeiten von 176,00 EUR - zu beziffernde Wert des Kfz die Angemessenheitsgrenze von 5.000,00 EUR. Die Kläger zu 1. und 2. besäßen somit Vermögensgegenstände in Höhe von insgesamt 303.136,63 EUR, denen ein Freibetrag von 21.100,00 EUR gegenüberstehe.

Mit ihrer zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage haben die Kläger vorgebracht, eine Wohnfläche von 130 m² bei Häusern sowie eine Grundstücksfläche von 500 m² im städtischen Bereich sei immer angemessen. Die tatsächliche Nettowohnfläche des Hauses betrage 128 m², da von den 159 m² zwei Abstellräume, Bäder, ein Vorraum und der Balkon abzuziehen seien. Die in dem notariellen Kaufvertrag eröffnete Möglichkeit einer Einliegerwohnung sei eine vertragliche Nutzungsbeschränkung und nie angedacht worden. Zudem werde der Erwerb des Eigenheimes noch bis 2006 durch eine Eigenheimzulage, von der mittlerweile anerkannt sei, dass sie bei der Bedarfsermittlung unberücksichtigt bleibe, gefördert.

Mit Gerichtsbescheid vom 13.10.2005 wies das SG die Klage ab. Es sei nur noch darüber zu entscheiden, ob das selbstgenutzte Einfamilienhaus als Vermögen zu berücksichtigen sei, da die Beklagte in der mündlichen Verhandlung erklärt habe, dass es sich bei dem Kfz um ein angemessenes im Sinne des § 12 Abs.3 Satz 1 Nr.2 SGB II handele. Bei dem Einfamilienhaus handele es sich nicht um ein nach § 12 Abs.3 Satz 1 Nr.4 SGB II privilegiertes Vermögen. Das Eigenheim der Kläger sei unangemessen groß. Es sei keine Differenzierung zwischen Wohnfläche und Nutzfläche vorzunehmen. Als Auslegungshilfe zur Ermittlung der Angemessenheit seien sowohl im Arbeitslosenhilfe - als auch im Sozialhilferecht in Anlehnung an § 39 Abs.1 Satz 1 i.V.m. § 82 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes eine Haus- und Wohnungsgröße für vier Personen bis zu 130 m² und Grundstücksflächen bis zu 500 m² im städtischen bzw. 800 m² im ländlichen Raum als angemessen angesehen worden. Hiernach sei das Haus mit 159 m² für vier Personen unangemessen groß. Im dicht besiedelten städtischen Bereich einer süddeutschen Großstadt und ihrem Einzugsbereich, in dem der Kläger wohne, sei eine Grundstücksgröße von 500 m² regelmäßig unangemessen groß; hierauf komme es vorliegend jedoch nicht entscheidungserheblich an, da das Haus bereits mit 159 m² unangemessen groß sei. Die Verwertung stelle keine besondere Härte nach § 12 Abs.3 Satz 1 Nr.6 SGB II dar. Es werde nicht erwartet, dass das Haus verkauft werde, jedoch bestehe die Möglichkeit, einzelne Zimmer oder eine Einliegerwohnung zu vermieten und damit Einnahmen zu erzielen. Da das Haus sechs Zimmer habe, sei dies ohne weiteres möglich. Denkbar sei wegen der geringen Restschuld eine höhere Beleihung, mit der z.B. auch Umbaumaßnahmen für eine Einliegerwohnung finanziert werden könnten.

Zur Begründung ihrer Berufung tragen die Kläger vor, das selbstgenutzte Wohneigentum sei die klassische Form der Alterssicherung; es müssten im vorliegenden Fall das Lebensalter und der verbleibende Zeitraum bis zum Renteneintritt berücksichtigt werden. Eine höhere Beleihung, um z.B. eine Einliegerwohnung zu schaffen, sei nicht geeignet, die Hilfebedürftigkeit zu beseitigen, da letztlich der Mietzins für die Rückzahlung des Darlehens aufgewendet werden müsste.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts München vom 13.10.2005 und des Bescheides der Beklagten vom 13.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.04.2005 zu verurteilen, Arbeitslosengeld II für die Zeit ab dem 01.02.2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf den Inhalt der Bekalgtenakte und der Verfahrensakte beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als begründet.

Jedenfalls ab 01.02.2005, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat beantragt, haben die Kläger dem Grunde nach Anspruch auf Alg II.

Die Kläger sind Leistungsberechtigte nach § 7 SGB II; der bereits volljährige Sohn I. zählt nicht zur Bedarfsgemeinschaft. Die Kläger sind auch hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II. Unstreitig reicht das von der Klägerin zu 2. erzielte Einkommen, das nach § 11 auf die Leistung anzurechnen ist, nicht aus, um den Bedarf zu decken.

Die Kläger sind auch nicht in der Lage, ihren Bedarf im Sinne des § 9 Abs.1 Nr.2 SGB II aus einem zur Verfügung stehenden Vermögen zu decken. Denn das vorhandene Vermögen ist hierbei nicht zu berücksichtigen.

Wie die Beklagte zutreffend dargelegt hat, bestehen für die Kläger zu 1. und 2. Freibeträge in Höhe von 21.100,00 EUR (§ 12 Abs.2 Nrn.1 und 4 SGB II). Dem stehen Vermögenswerte (Sparkonten, Lebensversicherung usw.) von 15.310,33 EUR gegenüber. Selbst wenn man davon ausgeht, wie die Beklagte noch im Widerspruchsbescheid ausführte - dieser Ansicht ist nicht zu folgen, wie das SG zu Recht dargelegt hat -, dass der den Betrag von 5.000,00 EUR übersteigende Wert des Kfz - Gesamtwert 10.000,00 EUR - mit zu berücksichtigen ist, würden die Freibeträge nicht erreicht.

Zum 01.02.2005 lag das Vermögen des Sohnes G. unter dem Freibetrag von 4.100,00 EUR, da von dem auf seinen Namen lautenden Prämiensparvertrag am 25.01.2005 ein Betrag von 8.577,72 EUR abgehoben und zur außerplanmäßigen Tilgung der Darlehensverbindlichkeiten verwendet worden war. Hierzu waren die Kläger auch gegenüber der Beklagten berechtigt, da mit der Herabsetzung der Darlehensverbindlichkeiten die nach § 20 Abs.1 Satz 1 SGB II zu erstattenden Aufwendungen für die Unterkunft herabgesetzt wurden.

Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei dem im Eigentum der Kläger zu 1. und 2. stehenden Hausgrundstück nicht um verwertbares Vermögen im Sinne des § 12 Abs.1 SGB II. Aktuell scheidet eine Verwertbarkeit durch Verkauf ohnehin aus, da sich die Käufer in dem notariellen Vertrag verpflichteten, das Haus bis zum Ablauf von 15 Jahren selbst zu bewohnen. Aber auch für die Zeit nach Ablauf dieser 15 Jahre ist eine Verwertung durch Verkauf nicht zumutbar, weshalb die Anwendung von § 9 Abs.4 SGB II - darlehensweise Gewährung - nicht in Betracht kommt.

Gem. § 12 Abs.3 Satz 1 Nr.4 SGB II ist ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung als Vermögen nicht zu berücksichtigen. Zu Recht weist das SG darauf hin, dass eine Wohnfläche von 130 m² in jedem Fall angemessen ist. Naheliegend ist insoweit eine Bezugnahme auf die Wohnflächengrenzen des § 39 Abs.1 Satz 1 Nr.1 und 3 i.V.m. Abs.2 des 2. WoBauG, (vgl. zum Arbeitslosenhilferecht Urteil des BSG vom 17.12.2002, B 7 AL 126/01 R). Diese Entscheidung ist zu der Frage ergangen, inwieweit ein während des Leistungsbezuges vorhandenes Vermögen, das für die Anschaffung eines selbstbewohnten Hausgrundstückes verwendet wird, zum Wegfall der Bedürftigkeit führt. Es kann dahinstehen, ob diese Grenzen der Grundstücks- bzw. Wohnflächengrößen in gleicher Weise auf den Fall eines bereits vor Eintritt des Leistungsfalles vorhandenen selbstbewohnten Hausgrundstückes übertragen werden kann, da der Schutzzweck des § 12 Abs.3 Nr.4 SGB II der Erhalt des Lebensmittelpunkts ist (vgl. Mecke in Eicher/Spellbrinck, SGB II, RdNr.73 zu § 12), und somit letztlich der ideelle Wert, in dem bisher bewohnten Haus bleiben zu können, geschützt ist. Denn nach Auffassung des Senats würde es eine besondere Härte im Sinne des § 12 Abs.3 Satz 1 Nr.6 SGB II bedeuten, bei der Bewertung eines bereits vor Eintritt der Hilfebedürftigkeit vorhandenen selbstgenutzten Hausgrundstückes oder einer entsprechenden Eigentumswohnung, die die oben genannten Grenzen in relativ geringem Maße - was bei 29 m² im Verhältnis zu 130 m² der Fall ist -, von einer Verwertbarkeit auszugehen, da in diesen Fällen bei der Anschaffung eines solchen - häufig ererbten - Hausgrundstückes diese Grenzen nicht beachtet werden konnten (vgl. Hengelhaupt in Hauck/Noftz SGB II RdNr.213, 265 zu § 12). Insoweit unterscheidet sich diese Fallkonstellation von der Verwertung eines nach Eintritt der Hilfebedürftigkeit noch vorhandenen Vermögens und dessen Verwendung durch Anschaffung eines Hausgrundstückes, bei dem zumutbarerweise die strikte Einhaltung der oben dargestellten Grenzen gefordert werden kann.

Diese Auffassung deckt sich mit den Hinweisen der Bundesagentur für Arbeit zur Auslegung des § 12 (RdNr.12.27). Danach kann vom Hilfebedürftigen in der Regel nicht erwartet werden, dass er sein selbst bewohntes Grundstück verkauft, um an anderer Stelle ein anderes Grundstück mit einem vorhandenen oder noch zu bauenden Gebäude zu kaufen. Im vorliegenden Fall verfügt das Haus der Kläger nicht über abgeschlossene, getrennt verwertbare Wohneinheiten. Gleiches gilt für die Grundstücksfläche von 561 m². Dem SG ist nicht darin zu folgen, dass eine 500 m² übersteigende Grundstücksfläche in jedem Fall unangemessen ist; für den mehr dem ländlichen Raum zuzuordnenden Gemeindebereich U. ist auch nach den Hinweisen der Bundesagentur für Arbeit (12.26 a.a.O) eine Grundstücksfläche von 800 m² als angemessen anzusehen. Zudem scheidet eine Verwertung des 500 m² übersteigenden Grundstücksanteils aus praktischen Gründen aus.

Es kann dahinstehen, ob in einem Fall wie dem vorliegenden eine Verwertung in der Weise zu fordern ist, dass der die Grenze von 130 m² überschreitende Hausanteil durch Bildung einer Einliegerwohnung oder durch Vermietung einzelner Zimmer und hieraus zu erzielender Einnahmen zu verwerten ist. Denn es ist nicht ersichtlich, dass mit der die Grenze von 130 m² überschreitenden Wohnfläche von 29 m² eine die Hilfebedürftigkeit beseitigende Verwertbarkeit aus praktischen Gründen möglich ist. Zu Recht weist der Kläger darauf hin, dass eine solche Einliegerwohnung erst durch umfangreiche Baumaßnahmen geschaffen werden müsste; die später dann zu erzielenden Einnahmen müssten für die Bestreitung der Darlehensverbindlichkeiten, die zur Bestreitung der Umbaukosten eingegangen werden müssten, verwendet werden. Die Vermietung einzelner Zimmer, also ohne abgeschlossene Wohnung, ist gerade im ländlichen Raum nicht erfolgversprechend zur Erzielung von Einnahmen, soweit dies der familiären Wohngemeinschaft überhaupt zumutbar wäre. Zudem würde eine solche Verwertung nicht rückwirkend die Hilfebedürftigkeit beseitigen, sondern erst ab Erzielung von Einnahmen diese allenfalls dadurch einschränken, dass auf den Bedarf die Einnahmen nach § 11 SGB II anzurechnen wären. Gegenwärtig und in absehbarer Zeit ist jedenfalls nicht erkennbar, dass die Kläger ihren Bedarf durch Erzielung solcher Einnahmen zumutbarerweise herabsetzen können. Ggf. obliegt es der Beklagten, nach Prüfung an Ort und Stelle mit den Klägern eine sinnvolle und zumutbare Verwertung in dem dargestellten Sinne zu besprechen und entsprechende Hinweise zu geben. Heranzuziehen ist der aus § 22 Abs.1 Satz 2 SGB II ableitbare Rechtsgedanke, nämlich dass die Beklagte im Falle von die Angemessenheitsgrenzen überschreitenden Wohnverhältnissen die Beteiligten zu konkreten Maßnahmen aufzufordern und entsprechende Wege aufzuzeigen hat, den Hilfebedarf zu senken (vgl. Beschluss des Senats vom 27.02.2006, L 7 B 451/05 AS ER).

Somit war die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des SG vom 13.10.2005 und der Bescheide vom 13.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.04.2005 zu verpflichten, den Klägern dem Grunde nach für die Zeit ab dem 01.02.2005 Alg II zu bewilligen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung gem. § 160 Abs.2 Nr.1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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