L 20 R 250/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 RJ 982/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 R 250/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 21.02.2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der 1951 geborene Kläger hat keine Berufsausbildung durchlaufen. Er war von 1966 an zunächst als Molkereiarbeiter, als Metallarbeiter und Arbeiter in der Polstermöbelherstellung und von 1974 bis 1994 als Montagearbeiter in der Metallindustrie versicherungspflichtig beschäftigt. Seit 1994 besteht Arbeitslosigkeit, abwechselnd mit Arbeitsunfähigkeit.

Ein erster Rentenantrag des Klägers vom September 1995 ist von der Beklagten abgelehnt worden. Die dagegen erhobene Klage hat der Kläger am 10.11.1997 zurückgenommen. Vom 04.03. bis 25.03.1998 unterzog sich der Kläger einer stationären Heilmaßnahme in Bad C ...

Am 21.08.1998 beantragte der Kläger erneut die Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbsminderung wegen orthopädischer und internistischer Beschwerden. Die Beklagte ließ ihn untersuchen durch den Chirurgen Dr.G. und den Nervenarzt Prof. Dr.N. , die zusammenfassend zu dem Ergebnis gelangten, dass der Kläger leichte bis mittelschwere Arbeiten insgesamt in Vollschicht verrichten könne. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 30.09.1998 ab. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Bescheid vom 01.12.1998 zurück. Der Kläger sei nach seinem beruflichen Werdegang auf das gesamte Tätigkeitsfeld des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 22.12.1998 Klage beim Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und im Wesentlichen auf seine orthopädischen Gesundheitsstörungen verwiesen, die ihn hinderten, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachzugehen; hierzu hat der Kläger ein Attest des Orthopäden Dr.H. vom 11.11.1998 vorgelegt. Das SG hat eine Auskunft vom letzten Arbeitgeber des Klägers, der Fa. E. GmbH & Co. KG in H. eingeholt (Entlohnung des Klägers zuletzt nach Lohngruppe 5 des Tarifvertrags der Bayer. Metallindustrie) und einen Befundbericht des Orthopäden Dr.H. zum Verfahren beigenommen. Auf Veranlassung des SG hat der Internist Dr.D. das Gutachten vom 10.05.2000 erstattet und den Kläger für fähig erachtet, zu üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes weiterhin in Vollschicht zu arbeiten; es könnten leichte und mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Stellung im Freien und in geschlossenen Räumen ausgeführt werden. Auf Antrag des Klägers hat der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.J. das Gutachten vom 29.01.2001 erstattet. Beim Kläger bestehe eine neurotische Entwicklung im Sinne einer Charakterneurose mit Rentenbegehren, welche durch vielfältige körperliche Beschwerden, eine weitschweifige Beschwerdeschilderung mit Aggravation, eine subdepressiv-dysphorische Grundstimmung und sozialen Rückzug geprägt sei. Dem Kläger sei eine regelmäßige Tätigkeit zu üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht mehr zumutbar. Er sei ab Anfang der 90er Jahre wohl nicht mehr in der Lage gewesen, seine Tätigkeit adäquat auszuüben. Auf Veranlassung des Gerichts hat der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.F. das weitere Gutachten vom 09.07.2001 nach ambulanter Untersuchung des Klägers erstattet. Beim Kläger sei das Endstadium einer Rentenneurose bei weitem noch nicht erreicht. Er könne Tätigkeiten im Erwerbsleben noch vollschichtig nachgehen. Im Übrigen bestehe beim Kläger eine kombinierte Persönlichkeitsstörung, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und der Verdacht auf eine dissoziative Bewegungsstörung. Die Einsatzfähigkeit beziehe sich auf leichte Tätigkeiten, vorwiegend im Sitzen, mit der Möglichkeit zum Wechsel der Körperhaltung. Vermieden werden sollten Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung wie Wechselschicht oder mit besonderen Anforderungen an das Anpassungs- und Umstellungsvermögen sowie an den technischen Wandel. Des Weiteren hat der Internist und Arbeitsmediziner Dr.S. das Gutachten vom 21.02.2002 erstattet. Der Kläger könne bei den im Einzelnen beschriebenen Gesundheitsstörungen noch leichte Arbeiten in Vollschicht verrichten, ohne besonderen Zeitdruck und ohne besondere Anforderungen an das Anpassungs- und Umstellungsvermögen. Als zumutbare Tätigkeiten hat der Sachverständige die eines Drehers in der Metallbranche genannt. Mit Urteil vom 21.02.2002 hat das SG die Klage - gerichtet auf Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit - abgewiesen. Die Kammer könne mit der Leistungsbeurteilung von Dr.J. nicht einig gehen, weil die Beurteilung nicht mit der Befunderhebung in Einklang zu bringen sei und insoweit das Gutachten insgesamt nicht schlüssig erscheine. Vielmehr sei den Ausführungen von Dr.F. und Dr.S. zu folgen, die weiterhin ein vollschichtiges Leistungsvermögen beim Kläger für gegeben sehen. Weder die orthopädischen Befunde noch die psychischen Beeinträchtigungen rechtfertigten eine quantitative Leistungseinschränkung. Der Kläger habe zuletzt einfach angelernte Maschinenarbeiten verrichtet (mit Entlohnung nach Lohngruppe 5 des Metalltarifs) und sei auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 16.05.2002 Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Er verlangt weiterhin die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab frühestmöglichem Zeitpunkt. Er sei erwerbsunfähig, da ihm eine regelmäßige, auch geringfügige Tätigkeit zu üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes nicht mehr zumutbar sei. Der Senat hat einen Befundbericht des Orthopäden Dr.H. vom 06.02.2003 (mit einem Bericht des Krankenhauses H. und einem MRT-Befund der LWS vom 02.01.2002) und einen Bericht des Allgemeinarztes Dr.S. (ebenfalls mit weiteren ärztlichen Unterlagen) zum Verfahren beigenommen. Auf Veranlassung des Senats hat der Orthopäde Prof. Dr.B. das Gutachten vom 25.10.2003 erstattet. Er hat die Befunde des orthopädisch-chirurgischen Fachgebiets im Einzelnen beschrieben und den Kläger für fähig erachtet, leichte bis mittelschwere Arbeiten weiterhin in Vollschicht zu leisten. Es sollte sich um Arbeiten im Wechselrhythmus handeln, die keine besonderen Anforderungen an die Sinnesorgane oder das Handgeschick stellen.

Auf Antrag des Klägers hat der Nervenarzt Prof. Dr.V. von der Bezirksklinik in W. das weitere Gutachten vom 12.07.2004 erstattet. Er hat als Diagnosen genannt: Kombinierte Persönlichkeitsstörung, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Verdacht auf dissoziative Bewegungsstörung (psychogene Gehstörung). Darüber hinaus seien die von Prof. B. beschriebenen Gesundheitsstörungen zu beachten. Hinsichtlich des Schweregrades noch möglicher Arbeiten könnte der Kläger noch mittelschwere Arbeiten verrichten. Der Kläger sei in seiner psychischen Belastbarkeit deutlich vermindert, insbesondere was Anforderungen an das Konzentrationsvermögen und das Arbeiten unter Zeitdruck betreffe. Hinsichtlich des zeitlichen Umfangs der Arbeitstätigkeit sei diese nur noch halb- bis untervollschichtig möglich. Als Maschinenarbeiter in der industriellen Fertigung sollte er nicht mehr arbeiten; er könne aber, wie auch von Prof. B. erwähnt, noch Tätigkeiten als Telefonist, Pförtner, hausmeisterliche Tätigkeiten oder Verpackungs- und Sortierarbeiten durchführen. Die Beklagte hat zu dem Gutachten von Dr.V. Stellung genommen und hält dessen Leistungseinschätzung insgesamt für nicht überzeugend. Der Allgemeinarzt Dr.S. hat nochmals einen Befundbericht / ärztliche Bescheinigung vom 30.11.2004 übersandt, in dem der Allgemeinzustand des Klägers als unverändert schlecht bezeichnet wird. Auf Veranlassung des Senats hat der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.K. das Gutachten vom 04.01.2006 (nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 14.11.2005) erstattet. Er hat als Diagnosen genannt: Rezidivierendes LWS-Syndrom, pseudoradikuläre Schmerzausstrahlung ins linke Bein; bekannter kleiner Bandscheibenvorfall L5/S1 ohne radikuläre Ausfälle; elektrophysiologisch nachgewiesenes Karpaltunnelsyndrom rechts, ohne funktionelle Ausfälle, tendenziöse Elemente mit Zeichen des Rentenbegehrens ohne Hinweis auf eine neurotische Entwicklung, eine Persönlichkeitsstörung oder eine somatoformen Schmerzstörung; Zeichen einer leichten Anpassungsstörung. Der Kläger könne körperlich leichte und teilweise mittelschwere Arbeiten noch verrichten und zwar in Vollschicht (acht Stunden pro Tag). Die Arbeiten sollten möglichst durchgeführt werden im Stehen, Gehen und Sitzen sowie im Wechsel der Körperhaltungen. Die Arbeiten sollten in geschlossenen temperierten Räumen stattfinden. Eine psychiatrische Erkrankung liege nicht vor. Aufgrund der gesamten psychischen Struktur des Klägers sollten von ihm jedoch keine Arbeiten mit Führungsverantwortung oder unter Zeitdruck abverlangt werden; ebenso vermieden werden sollten Arbeiten mit überdurchschnittlichen Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen. Der Kläger könne auch noch die zuletzt ausgeübte Beschäftigung als Maschinenarbeiter in der industriellen Fertigung in Vollschicht leisten. Er könne sonst alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten und sei auch noch in der Lage, sich in neue Arbeitsbereiche einzuarbeiten. Der Kläger hält das von Dr.K. gefunde Ergebnis für unzutreffend und vertritt die Auffassung, dass seine Leistungsbeurteilung aus den Gutachten von Dr.J. und Dr.V. abzuleiten sei. Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 21.02.2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30.09.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.12.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, hilfsweise wegen Erwerbsminderung auf den Antrag vom 21.08.1998 hin zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten und die Prozessakten des SG Würzburg sowie die Schwerbehindertenakte des AVF W. (GdB 30) vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig.

Das Rechtsmittel des Klägers erweist sich als nicht begründet. Das SG hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger Rentenleistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht zustehen. Dies gilt sowohl für die Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit nach §§ 43, 44 SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung wie auch für die Rente wegen Erwerbsminderung nach der seit 01.01.2001 geltenden Neuregelung. Durch die Beweiserhebung im Berufungsverfahren ist das vom SG gefundene Ergebnis bestätigt worden. Von orthopädischer Seite ist der Kläger bei der Begutachtung durch Prof. Dr.B. am 25.10.2003 für fähig erachtet worden, leichte bis mittelschwere Arbeiten in Vollschicht zu leisten. Die Untersuchung hat das Bestehen nur geringer objektivierbarer Funktionsstörungen ergeben mit jedoch Vorliegen einer ausgeprägten psychischen Beeinträchtigung im Sinne einer Persönlichkeitsstörung mit übersteigertem Versorgungsbedürfnis und Rentenbegehren bei gleichzeitig übersteigerter Schmerzwahrnehmung und gestörter Schmerzverarbeitung im Sinne einer somatoformen Schmerzstörung. Dies bedingt nach Prof. B. eine Einschränkung der qualitativen, nicht jedoch der zeitlichen Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben. Prof. B. hat als zumutbare Arbeiten genannt: einfache Überwachungsarbeiten, Telefondienst, Pförtner, hausmeisterliche Tätigkeiten, Verpackungs- und Sortierarbeiten. In dem Gutachten nach § 109 SGG ist Prof. Dr.V. vom Bezirkskrankenhaus W. zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger nur noch im Umfang von halb- bis untervollschichtig arbeiten könne. Eine nähere zeitliche Einschätzung hat er nicht vorgenommen und das Absinken der Leistungsfähigkeit auf untervollschichtig auch nicht näher begründet. Im Übrigen hat er den Kläger für fähig erachtet, noch mittelschwere Arbeiten zu verrichten und hat ausgeführt, dass sich aus psychiatrischer Sicht keine wesentlichen Einschränkungen hinsichtlich der Körperhaltung und Bewegung ergeben. Auch er hat die von Prof. B. diskutierten Verweisungstätigkeiten für zumutbar erachtet. Der Nervenarzt Dr.K. ist schließlich im Gutachten vom 04.01.2006 zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger noch alle körperlich leichten und teilweise mittelschwere Arbeiten in Vollschicht (acht Stunden täglich) leisten kann. Er hat sich mit allen vorausgegangenen Gutachten sachlich auseinandergesetzt und hat - in seltener Deutlichkeit - ausgeführt, dass den Gutachten von Dr.J. und Dr.V. im Ergebnis nicht gefolgt werden kann. Er hat weiter betont, dass beim Kläger eindeutig die Elemente des sekundären Krankheitsgewinns und der Versorgungstendenz im Vordergrund stehen; zentrale Anteile der Persönlichkeit sind davon jedoch nicht betroffen. Nach genauer Analyse der Persönlichkeitsstruktur hat er auch festgehalten, dass eine Persönlichkeitsstörung beim Kläger nicht nachweisbar war und ist. Dementsprechend hat er auch die Diagnosestellung aus den Vorgutachten korrigiert. Er hat zusammenfassend herausgestellt, dass beim Kläger eine psychiatrische Erkrankung nicht vorliegt.

Das Gutachten von Dr.K. ist nach Ableitung der Befunde und der differenzierten Darstellung der Leistungseinschätzung für den Senat überzeugend. Zu den Vorgutachten fällt auf, dass auch Dr.V. mit seiner Leistungseinschätzung keineswegs die von Dr.J. angenommene Leistungsunfähigkeit bestätigt hat. Dr.V. hat das Leistungsvermögen des Klägers mit halb- bis untervollschichtig eingeschätzt, ohne jedoch eine nähere zeitliche Abstufung nach Stunden vorzunehmen und dies zu begründen.

Der Kläger hat keinen Beruf erlernt und war in verschiedenen Arbeitsbereichen tätig, zuletzt als Montagearbeiter in der Metallindustrie (mit Entlohnung zeitweise nach Lohngruppe 6 des Metall-Tarifvertrags, zuletzt nach Lohngruppe 5). Das SG hat ihn zutreffend und auch für den Senat überzeugend als einfach angelernten Arbeiter angesehen mit der Folge, dass er auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verweisen ist, und zwar ohne dass es der Benennung einer konkreten Tätigkeit bedarf.

Da die Berufung des Klägers zurückzuweisen war, sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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