L 17 U 350/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 U 92/95
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 350/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 07.07.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit (BK) nach Nrn 1303 bzw 1317 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) streitig.

Der 1941 geborene Kläger ist selbstständiger Kfz-Meister. Er hat von Februar 1974 bis Dezember 1988 eine Kfz-Reparaturwerkstatt mit Tankstelle betrieben. Im April 1993 beantragte er bei der Beklagten die Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit. Seit Oktober 1983 leide er unter abdominellen Beschwerden, Erbrechen, Schwindel, Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen. Diese Beschwerden führe er auf den Kontakt mit Lösungsmitteln und das Einatmen von Benzindämpfen zurück.

Die Beklagte leitete ein Feststellungsverfahren ein und holte ärztliche Befundberichte über den Kläger ein. Der Allgemeinarzt Dr.G. führte in dem Befundbericht vom 21.05.1993 aus, dass umfangreiche und wiederholte Spezialuntersuchungen beim Kläger durchwegs Normalbefunde erbracht hätten. Weiter beigezogen wurde ein Arztbericht des Krankenhauses St.R. Bad M. vom 15.12.1987. Danach seien die dortigen Untersuchungen vollkommen normal ausgefallen. Die geklagten Beschwerden seien auf eine somatisierte Depression zurückzuführen. Das Kreiskrankenhaus C. , in dem sich der Kläger vom 17. bis 18.03.1985 befand, nahm in dem Arztbericht vom 21.03.1985 einen Subileus-Zustand unklarer Genese an. Die Nervenärztin Dr.R. führte im Arztbericht vom 11.07.1986 aus, der Kläger habe seit vielen Jahren Kopfschmerzen. Aus weiteren bei Dr.G. vorliegenden ärztlichen Befunden der Jahre 1986 bis 1993 waren neben einer agitierten, hypochondrischen Depression vor allem eine wahnhaft vorgetragene Krankheitsangst ersichtlich, insbesondere Carzinophobie neben funktionellen Beschwerden. Der HNO-Arzt Dr.O. sah in dem Arztbericht vom 28.08.1989 die psychische Situation des Klägers im Vordergrund. Auch im Arztbericht des Prof.Dr.H. vom 08.08.1990 konnte kein die Beschwerden erklärender toxikologischer Befund gefunden werden.

Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) führte auf Befragen der Beklagten in seiner Stellungnahme vom 14.02.1994 aus, dass die Expositionen, denen der Kläger bei Wartung, Reinigung und Reparatur sowie beim Betanken der Fahrzeuge ausgesetzt gewesen sei, wie folgt zu benennen seien: Inhalation von Benzin einschließlich Benzoldämpfen, Inhalation von Dieselkraftstoffdämpfen, Exposition gegenüber Abgasen, Frostschutzmitteln, Bremsflüssigkeiten und Petroleum. Als wesentlich für die Schadstoffbelastung seien die durchgeführten Arbeiten an Kfz-Lackschäden einzuschätzen. Der Kläger habe alle anfallenden Lackierarbeiten ohne Absaugung, aber meist mit Atemschutzmaske selbst durchgeführt. Wöchentlich sei es zu ca 4 Stunden Lackierarbeiten gekommen. Bis 1987 habe eine Exposition gegenüber Nitroverdünnung und verschiedenen Kunstharzlack-Inhaltsstoffen bestanden. Der Kläger sei täglich der Exposition gegenüber Kraftstoff-Inhaltsstoffen (Blei, Benzol) und gegenüber Asbest ausgesetzt gewesen. Es sei davon auszugehen, dass es während der Tätigkeit zu Lösungsmittelexpositionen unterschiedlicher Art gekommen sei. Bei einem Benzintankausbau 1983 sei der Kläger gegenüber Benzin-Inhaltsstoffen kurzzeitig extrem exponiert gewesen.

Für die Beklagte erstellte der Arbeitsmediziner Prof.Dr.L. das Gutachten vom 06.08.1994. Er schloss eine BK aus. Entschädigungspflichtige Erkrankungsfolgen lägen nicht vor. Sowohl die beim Kläger bestehende hypochondrische Neurose mit depressiver Verstimmung als auch der nebenbefundlich festgestellte Diabetes mellitus, die Hyperlipidämie und die Adipositas seien berufsunabhängig. Die dokumentierte Schadstoffexposition im Zuge der Tätigkeit als Kfz-Mechaniker und Tankstellenbetreiber sei nicht geeignet gewesen, eine Intoxikation hervorzurufen. Eine erhöhte innere Belastung mit potenziellen Berufsgiften sei zu keinem Zeitpunkt nachweisbar gewesen. Zudem sei die geklagte Symptomatik sowohl für eine Intoxikation durch Blei als auch durch organische Lösungsmittel untypisch.

Nach Stellungnahme des Staatlichen Gewerbearztes Dr.H. vom 05.09.1994 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13.10.1994 die Anerkennung einer BK (insbesondere der Nr 1101 oder Nr 1303 der Anlage zur BKVO) ab. Zur Begründung bezog sie sich auf die Ausführungen des Prof.Dr.L. vom 06.08.1994.

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte nach Vorlage eines Befundberichts der Missionsärztlichen Klinik W. vom 18.02.1991 (Diagnose: Leichter differenzierter Leberschaden) mit Widerspruchsbescheid vom 03.03.1995 zurück.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Würzburg hat der Kläger die Aufhebung des Bescheides vom 13.10.1994 idF des Widerspruchsbescheides vom 03.03.1995 beantragt und die Anerkennung einer BK gemäß Nr 1303 und die Gewährung einer Rente ab 01.01.1989 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vH und ab Oktober 1997 nach einer MdE von 30 vH begehrt. Seine Beschwerden seien nicht eingebildet. Sie hätten eine reale Grundlage. Er habe seit Beginn seiner Tätigkeit als Kfz-Mechaniker alle Arbeiten verrichtet, die in diesem Gewerbe anfielen. Dadurch sei es zum Kontakt mit Motoröl, Hydrauliköl, Getriebeöl, Bremsflüssigkeit, Kühlerfrostschutzmitteln, Bremsreinigungsmitteln, Schmierstoffen, Batteriesäuren, Unterbodenschutz auf Bitumenbasis, Hohlraumversiegelungsmaterial mit erheblichen Dämpfen, Asbeststolpen sowie Benzindämpfen beim Vergaserreinigen gekommen. Eine besondere Gefährdung sei von den Karosserie- und Lackierarbeiten ausgegangen, die zeitweise mit Atemschutzmaske vorgenommen wurden. Eine Absauganlage habe nicht zur Verfügung gestanden. Bei den Karosseriearbeiten seien Gase und Dämpfe entstanden, insbesondere beim Hartlöten, Verzinnen, Schweißen, Spachteln, Schleifen und Grundieren, zum Teil mit Bleimennige, so insbesondere beim Abflammen der Karosserielacke zum Vorbereiten für Schweißarbeiten. Beim Betanken habe er unmittelbar die austretenden Benzin- und Bleidämpfe einatmen müssen. Erst ab November 1983 sei die Tankstelle auf Selbstbedienung umgestellt worden. Noch Jahre nach Beendigung seiner Tätigkeit sei bei der Begutachtung durch Prof.Dr.L. der Bleigehalt im Urin mit 30 µg/l festgestellt worden, obwohl die obere Normgrenze bei 15 µg/l liege. Zudem sei das Gutachten von Prof.Dr.L. erst ca 6 bis 7 Jahre nach Beendigung der Berufstätigkeit erstellt worden.

Anschließend hat das SG Prof.Dr.G. mit der Erstellung eines nervenärztlichen Gutachtens und Dr.S. mit einem arbeitsmedizinischen Gutachten beauftragt. In dem Gutachten vom 05.08.1996 hat Prof.Dr.G. aus neurologischer und aus psychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht keine Hinweise auf eine organische Erkrankung des pheripheren Nervensystems erkennen können. Dr.S. hat als Diagnosen einen manifesten arteriellen Hypertonus, Adipositas, latenten Diabetes mellitus, polypoide Sinusitis sowie Leberparenchymschaden im Sinne einer Fettleber angenommen (Gutachten vom 21.08.1996). Diese Erkrankungen seien nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die Tätigkeit in der Kfz-Branche zurückzuführen. Die vorliegenden internistischen Grunderkrankungen sowie der in früherer Zeit vorgelegene Alkoholgenuss, das Fehlen einer pheripheren Neuropathie und einer Enzephalopathie sowie der fehlende Nachweis einer hohen Lösungsmittelexposition oder wiederholter Episoden akuter neurotoxischer Effekte sprächen gegen eine BK. Die neurologischen Befunde sowie das Blutbild und der klinische Untersuchungsbefund seien nicht mit einer Erkrankung durch Blei vereinbar. Der 1994 im Rahmen der Begutachtung durch Prof.Dr.L. gewonnene Bleiwert im Urin mit 30 µg/l habe nicht über der Normgrenze gelegen, da von verschiedenen Laboratorien der Normwert mit 10 bis 40 µg/l angenommen werde.

Auf Veranlassung des Klägers hat das SG ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von Prof.Dr.H. (mit nervenärztlichen Zusatzgutachten des Dr.G. vom 27.10.1997) eingeholt. Dr.G. hat auf dem neurologisch-psychiatrischen Gebiet eine sog. "Major Depression" iS der Klassifikation DSM-III-R diagnostiziert. Organneurologische Störungen iS einer Encephalopathie oder pheripheren Polyneuropathie ließen sich nicht objektivieren. Von seinem Fachgebiet her sei keine mit Wahrscheinlichkeit auf die Tätigkeit als Kfz-Meister zurückzuführende Erkrankung festzustellen. Prof.Dr.H. hat in seinem Gutachten vom 02.04.1998/07.03.1999 eine deutliche Albuminurie nachgewiesen. Es bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Albuminurie und die beim Kläger vorliegenden immunologischen Veränderungen durch die Benzolbelastung bedingt seien. Die übrigen Erkrankungen, wie Diabetes mellitus Typ II, Depression und Adipositas seien dagegen berufsunabhängig. Die Albuminurie stelle eine Erkrankung im Sinne der BK Nr 1303 dar. Die MdE betrage 30 vH seit der nachgewiesenen Immundisregulation im Oktober 1997.

Für die Beklagte hat Prof.Dr.L. in einem arbeitsmedizinischen Gutachten nach Aktenlage vom 20.08.1998 die Ausführungen von Prof.Dr.H. zurückgewiesen. Weder für die Albuminurie noch für die leichte Immundisregulation sei ein Kausalzusammenhang mit beruflichen Einwirkungen wahrscheinlich zu machen. Die Albuminurie erkläre sich durch einen zum Zeitpunkt der Untersuchung des Klägers bestehenden Harnwegsinfekt. Die leichten uncharakteristischen Veränderungen einiger immunologischer Werte seien am ehesten durch die beim Kläger bestehende Depression zu erklären.

Mit Urteil vom 07.07.1999 hat das SG die Klage abgewiesen und sich im Wesentlichen auf die Ausführungen der Sachverständigen Prof.Dr.G. , Dr.G. und Dr.S. sowie auf die Stellungnahme des Prof.Dr.L. gestützt. Die vom Kläger vorgetragenen Beschwerden seien nicht mit der im Unfallversicherungsrecht notwendigen Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Tätigkeit des Klägers zurückzuführen.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Die Albuminurie sei mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Schadstoffbelastung am Arbeitsplatz zurückzuführen. Dies ergebe sich aus der erneuten Stellungnahme des Prof.Dr.H. vom 26.08.1999. Gegen eine andere Verursachung spreche die fehlende Erhöhung von Serumkreatinin und Beta-II-Mikroglobulin. Die Albuminurie sei der Nachweis der Nephrotoxizität durch chlororganische Schadstoffe. Zudem sei zu beachten, dass er täglich bis zu 30 Betankungen vorgenommen habe und beim Betanken kein Abschaltventil am Zapfhahn vorhanden gewesen sei. Er habe also unmittelbar die austretenden Benzin- und Bleidämpfe eingeatmet. Erst im November 1983 sei die Tankstelle auf Selbstbedienung umgestellt worden. Der Nervenarzt Dr.B. sei in dem für das SG im Verfahren S 2 SB 311/96 erstellten Gutachten vom 05.08.1999 zu dem Ergebnis gekommen, dass bei ihm eine Polyneuropathie vorliege.

Der Senat hat die Schwerbehindertenakte des Amtes für Versorgung und Familienförderung W. , die Akte der Schwerbehindertenstreitsache S 2 SB 311/96 des SG, mit nervenärztlichen Gutachten des Dr.K. vom 27.07.1998, Befundberichte des Internisten Dr.P. vom 11.05.2000 und des HNO-Arztes Dr.O. vom 10.01.2001 sowie die ärztlichen Unterlagen der Landesversicherungsanstalt Unterfranken (insbesondere die Gutachten der Nervenärzte PD Dr.N. vom 06.12.1998 und Dr.W. vom 05.11.1991) zum Verfahren beigezogen. Anschließend hat die Psychologin Prof.Dr.S. am 06.04.2002 ein fachpsychologisches Gutachten erstellt. Sie hat eine weit überdurchschnittliche intellektuelle Leistungskapazität des Klägers bestätigt, ohne dass über die Jahre ein Abbauprozess festzustellen sei, der auf eine mögliche hirnorganische Beeinträchtigung schließen ließe. Auffallend im Persönlichkeitsbereich seien deutliche Hinweise auf eine depressive Störung wie auch die Selbstschilderung des Klägers als aggressiv-dominant und gleichzeitig niedergedrückt-verzagt. Es ließen sich keine testdiagnostischen Hinweise finden, die eine Polyneuropathie stützen würden.

Der Senat hat weiter den Nervenarzt Dr.S. gehört. In dem psychiatrisch-neurologischen Gutachten vom 05.11.2003 hat er Gesundheitsstörungen im neurologischem Bereich, insbesondere eine Encephalopathie oder Polyneuropathie ausgeschlossen. Es liege lediglich eine hypochondrische Reaktionsform vor, teilweise iatrogen, zwar nicht ausgelöst, aber richtungsweisend beeinflusst auf dem Boden einer gemischten Persönlichkeitsstörung mit neurasthenischen und hypochondrischen Zügen. Es handele sich nicht um eine berufsbedingte Erkrankung. Ein Zusammenhang mit der berufsbedingten Exposition sei nicht zu erkennen.

Auf Antrag des Klägers hat der Senat Prof.Dr.H. auch im Berufungsverfahren zum Sachverständigen bestellt. Prof.Dr.H. hat in dem Gutachten vom 16.09.2004 bei dem Kläger eine berufsbedingte Polyneuropathie und Encephalopathie Schweregrad II B angenommen. Es bestehe eine BK nach Nr 1303 und 1317, da eine toxisch-relevante Exposition gegenüber Benzol vorgelegen habe. Nachgewiesen sei dies durch eine neurogene Atrophie in der Muskelbiopsie, eine großflächige und erheblich ausgeprägte Minderung der cerebralen Glucose-Utilisation und eine erhebliche und ungerichtete Ataxie im PET, eine Reduktion des Stehversuches bei offenen und geschlossenen Augen und eine kognitive Leistungsminderung als Folge einer beruflich bedingten Benzin-Belastung. Die volle Symptombildung bestehe ab Januar 1989. Die Polyneuropathie sei als leicht bis mittelschwer mit einer MdE von 20 vH, die Encephalopathie ab Schweregrad II B mit einer MdE von 50 vH einzuschätzen. Die Gesamt-MdE betrage 50 vH ab Januar 1989.

Dr.S. hat in der ergänzenden Stellungnahme vom 09.01.2005 an seiner Beurteilung festgehalten. Die Diagnose einer leichten bis mittelschweren Polyneuropathie sowie einer Encephalopathie, die Prof.Dr.H. nicht in seinem Fachgebiet getroffen habe, sei weder als Folge einer beruflichen Exposition gegenüber Benzol noch prinzipiell nachvollziehbar. Beim Kläger sei der körperliche und neurologische Befund letztlich normal. Der psychische Befund sei durch eine stark symptom- und krankheitsbezogene Beobachtung und einer Eingrenzung des Erlebens auf die Symptome und deren unterstellte Verursachung gekennzeichnet. Dies sei nicht die Folge einer beruflichen Exposition gegenüber Benzol, sondern persönlichkeitsimmanent.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Würzburg vom 07.07.1999 sowie des Bescheides der Beklagten vom 13.10.1994 idF des Widerspruchsbescheides vom 03.03.1995 zu verurteilen, eine BK nach Nrn 1303 oder 1317 der Anlage zur BKVO anzuerkennen und spätestens ab 01.01.1989 mit einer Rente nach einer MdE von mindestens 20 vH und ab Oktober 1997 mit einer Rente nach einer MdE von mindestens 30 vH zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Würzburg vom 07.07.1999 zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt.

Ergänzend wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Akte des Amtes für Versorgung und Familienförderung W. , die Akte des SG (S 2 SB 311/96) sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Entscheidung ergeht mit Einverständnis der Beteiligten im schriftlichen Verfahren (§§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG).

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, sachlich aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass seine Gesundheitsstörungen als BK Nr 1303 oder 1317 der Anlage zur BKVO anerkannt werden. Aus diesem Grunde hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Verletztenrente nach den auf diesen Sachverhalt noch anwendbaren §§ 551, 581 Reichsversicherungsordnung (RVO, Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII -).

Nach § 551 Abs 1 Satz 2 RVO sind Berufskrankheiten die Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Nach der Nr 1303 der Anlage zur BKVO sind Berufskrankheiten Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder Styrol. Die Feststellung einer BK setzt grundsätzlich voraus, dass zum einen die sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt sind und dass ein Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung selbst besteht. Es muss danach ein dieser BK entsprechendes Krankheitsbild vorliegen und dieses muss iS der unfallrechtlichen Kausalitätslehre wesentlich ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückgeführt werden können. Hinsichtlich der als BK geltend gemachten Gesundheitsstörung ist der Vollbeweis (an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit) erforderlich. Die Frage, ob die Krankheit durch die versicherte Tätigkeit wesentlich verursacht worden ist, ist mit Wahrscheinlichkeitsbeweis zu führen, dh es müssen mehr Gesichtspunkte dafür als dagegen sprechen.

Beim Kläger liegen die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr 1303 vor. Dies folgt aus der Stellungnahme des TAD der Beklagten vom 14.02.1994. Danach war der Kläger bei seiner Tätigkeit als Tankwart und Kfz-Mechaniker bei der Wartung, Reinigung und Reparatur sowie beim Betanken von Fahrzeugen wesentlich exponiert, insbesondere durch Inhalation von Benzin und Benzindämpfen, von Dieselkraftstoffdämpfen, gegenüber Abgasen und Petroleum. Bei dem in früheren Zeiten verwendeten Unterbodenschutz bestand ebenfalls eine Exposition gegenüber Kraftstoff-Inhaltsstoffen (Blei, Benzol). Beim Ausbau eines Benzintanks im Jahre 1983 war er kurzzeitig einer intensiven inhalativen Benzinaufnahme ausgesetzt. Der Kläger war daher während seiner Beschäftigung gegenüber Benzol und ähnlichen Stoffen in erheblichen Maße exponiert. Die genaue Expositionszeit lässt sich zwar nicht mehr exakt ermitteln, war aber sicherlich täglich gegeben. Nach dem Merkblatt zur BK Nr 1303 ist Benzol in manchen Rohölen, Benzin sowie Petroleum enthalten. Auch kommt es als Lösemittel, beim Lackieren und bei der Lack- und Farbeentfernung vor. Die Aufnahme erfolgt überwiegend durch Inhalation der Dämpfe. Dies ist beim Kläger zu unterstellen, wurde im Wesentlichen von Seiten der Beklagten auch nicht angezweifelt.

Der Senat folgt nicht den Ausführungen des Prof.Dr.H. vom 02.04.1998, 07.03.1999 und 26.08.1999, nach denen der Kläger aufgrund der Belastung mit Benzol an einer berufsbedingten Albuminurie (Vorkommen von Eiweiß im Harn) und Immundisregulation leidet. Prof.Dr.H. konnte bei seinen Untersuchungen immunologische von der Norm abweichende Parameter nachweisen. Dies gilt insbesondere bei dem Lymphozytenstimulationstest, Interleukin-2, Komplement C3, IA-pos. B Monozyten und aktuelle T-Zellen, B-Lymphozyten, T-Gesamtzellen OKT3, IgA-anti F (ab2) sowie Iga-anti Fc. Untersuchungen auf Albuminurie wurden von den früheren Gutachtern nicht vorgenommen. Zwar sind insbesondere bei Lacken, Lackentfernungsmitteln, Verdünnern, Reinigungsmitteln im Hinblick auf Albuminausscheidungen signifikante Unterschiede zwischen der Gruppe der maximal exponierten und nichtexponierten Personen festzustellen. Allerdings führt Prof.Dr.L. in seiner Stellungnahme vom 20.08.1998 überzeugend aus, es sei nicht hinreichend gesichert, dass eine Lösemittelexposition in der beim Kläger vorliegenden Größenordnung überhaupt geeignet ist, eine Nierenschädigung und insbesondere eine Albuminurie hervorzurufen. Die bisher eingeholten wissenschaftlichen Untersuchungen widersprechen sich. Darüber hinaus bestand beim Kläger zum Zeitpunkt der Begutachtung bei Prof.Dr.H. am 23.09.1997 offensichtlich ein berufsunabhängiger Harnwegsinfekt. Dies ließ sich an Leukozyten, Erythrozyten und Bakterien im Urinsediment nachweisen. Infekte der ableitenden Harnwege sind aber typische Ursachen einer Albuminurieausscheidung im Urin. Prof.Dr.H. bezeichnet auch unzutreffend die von der Norm abweichenden immunologischen Parameter als erheblich. Die allermeisten Parameter lagen weniger als 10 % außerhalb der Normbereichsgrenze. Zudem hat Prof.Dr.H. selbst ausgeführt, die immunologischen Untersuchungen hätten kein einheitliches Ergebnis hervorgebracht. Es bleibt unklar, warum er die leichte Immundisregulation auf toxische Einflüsse zurückführt. Es ist daher nicht wahrscheinlich, dass die Albuminurie und die Immundisregulation auf berufliche Einwirkungen zurückzuführen sind.

Ob bei dem Kläger berufsbedingt eine Polyneuropathie und Encephalopathie und damit eine BK Nr 1303 oder 1317 vorliegt, hat der Nervenarzt Dr.S. in dem Gutachten vom 05.11.2003/ 09.01.2005 überzeugend verneint. Danach ist bei dem Kläger von einer hypochondrischen Reaktionsbildung auf dem Boden einer gemischten Persönlichkeitsstörung mit psychasthenischen, narzistischen und sensitiven Einschlag auszugehen. Die Auffassung, dass es sich bei dem Kläger um eine Hypochondrie handelt, wird von sämtlichen psychiatrisch-neurologischen Vorgutachtern (mit Ausnahme des Prof.Dr.H. und Dr.B.) überzeugend vertreten. Die Beschwerdesymptomatik ist multifaktoriell. Neben persönlichkeitseigenen Charakteristika wurzelt sie aber nicht in einer berufsbedingten Erkrankung.

Tatsächlich bietet der Kläger keinerlei Hinweise für eine motorische oder sensible Polyneuropathie. Ein relevantes hirnorganisches Psychosyndrom scheidet aus. Anhaltspunkte für eine organische, psychische oder neurologische Beeinträchtigung haben sich, auch in den Voruntersuchungen, nicht ergeben. Vielmehr liegt bei ihm eine abnorme ängstliche Einstellung auf seinen Körper vor, was sich vor allem in ängstlicher Selbstbeobachtung äußert. Der Kläger ist eine Persönlichkeit, bei der infolge einer abnormen Neigung zur Hinwendung der Aufmerksamkeit auf den eigenen Leib die Selbstbeobachtung iS einer hypochondrischen Fehleinstellung körperliche Funktionsstörungen hervorruft, lebendig erhält und fixiert. Von daher werden auch vielfältige körperliche Klagen in typischer Weise wie Kopfschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, Schlaflosigkeit, Ermüdung usw vorgetragen. Zentrales Motiv für die Selbstbeobachtung des Klägers war zunächst die Angst, krank zu sein, vielleicht später auch der Wunsch, krank zu werden. Unbewusst ist der Kläger der Versuchung, in Krankheit zu leben, erlegen. Er bietet typische Persönlichkeitstrukturen für die Entwicklung einer hypochondrischen Fehlentwicklung.

Symptome einer chronischen Benzolvergiftung sind grundsätzlich weniger spezifisch. Sie treten vor allem mit Folgeschäden des Knochenmarks auf. Dazu gehören Müdigkeit, Schlaflosigkeit und Schwäche, aber eben auch eine Abnahme der roten Blutkörperchen. Dies war in den Laboruntersuchungen der Prof.Dr.L. und Prof.Dr.H. nicht zu verzeichnen. Zudem sehen chronisch Benzolvergiftete auch abgemagert und blaß aus. Der Kläger hat dagegen, wie Dr.S. ausführt, eine gute Hautfärbung und er stellt das Gegenteil eines abgemagerten Zustandsbildes dar. Die bei ihm vorliegende Adipositas betrug bei der Untersuchung durch Prof. Dr.H. am 15.04.2004 bei einer Körpergröße von 178 cm immerhin 113 kg.

Der Kläger weist damit keine Polyneuropathie oder Encephalopathie auf, weder in sensibler noch in motorischer oder vegetativer Hinsicht. Zusammenfassend ist festzustellen, dass bei ihm Gesundheitsstörungen im neurologischen Bereich nicht vorliegen. Es fehlen dafür typische Sensibilitätsstörungen und auch die geschilderte Vibrationsverminderung ist nicht distal zunehmend, sondern proximal. Er bietet keine Motilitätsstörungen, ist ohne Hinweise für Paresen oder Lähmungen, wobei auch distale Muskelgruppen häufiger befallen sind als proximale, die Beine früher als die Arme. Kein Kraftverlust ist ersichtlich, keine Tonusverminderung, kein Abschwächen oder Löschen der Sehnenreflexe, ebenso keine Hyper- oder Areflexie, keine Umfangsverminderung (Atrophie) und keine muskulären Entartungsreaktionen. Hinweise für eine krankhafte Beteiligung der Hirnnerven bieten sich nicht. Die beobachtete Muskulatur zeigt auch keine Zuckungen. Eine berufsbedingte Erkrankung liegt daher nicht vor. Ein Zusammenhang mit der berufsbedingten Exposition vor allem gegenüber Benzol lässt sich nicht erkennen. Die ätiologischen Faktoren der hypochondrischen Reaktionsbildung sind nicht berufsbedingt, sondern als persönlichkeitseigen zu werten.

Nicht folgen kann der Senat dem Gutachten des Prof.Dr.H. vom 16.09.2004. Seine Diagnosen hinsichtlich des Vorliegens einer Polyneuropathie sowie Encephalopathie als Folge der beruflichen Exposition beruhen im Wesentlichen auf einer allgemeinen körperlich-klinischen Untersuchung. Als wesentliche neurologische Befunde werden dabei eine unsichere Koordination, ein Stehversuch auf einem Bein bei offenen und geschlossenen Augen sowie ein beidseits reduziertes Vibrationsempfinden angeführt. Daneben beruht die Beurteilung offenbar auf den erhobenen Laborbefunden. Dies ist für die Untermauerung einer Polyneuropathie bzw Encephalopathie nicht ausreichend. Bei der PET, die Prof.Dr.H. als beweisend für eine Encephalopathie annimmt, handelt es sich um ein bildgebendes Verfahren. Entscheidend sind aber nicht die pathologischen Schäden, sondern deren funktionelle Auswirkung, wie sie Dr.S. anführte. Hinsichtlich der PET ist festzuhalten, dass hiermit je nach verwendeter Strahlung lediglich Aussagen über die Perfusion oder die Stoffwechselsituation getroffen werden können. Als nuklearmedizinische Untersuchung ist sie nicht die Methode der Wahl in der Neurologie. Auch der Befund einer Muskelbiopsie, bei der in der Beurteilung von einer mäßigradig ausgeprägten neurogenen Muskelatrophie ausgegangen wurde, gibt keinen Anhalt für einen entzündlichen Prozess. Klinisch wirkt sich beim Kläger eine Muskelatrophie nicht aus, weder morphologisch noch durch funktionelle Einschränkungen. Es gibt beim klinischen Status keinen Hinweis, der irgendeiner Verteilung neurogener Atrophien naheliegt. Insbesondere bieten die oberen und unteren Extremitäten im Seitenvergleich keine Abweichung.

Bei der Bewertung der testpsychologischen Verfahren zur Begutachtung der kognitiven Leistung durch den Dipl.Psychologen K. vom 11.08.1999, auf die sich Prof.Dr.H. vor allem bezieht, ist zu berücksichtigen, dass bei den von Dr.S. durchgeführten neuro-psychologischen Tests offensichtliche Mitarbeitsfaktoren bemerkbar wurden, wie sie sich bei Aggravation und Simulation, aber sicher nicht im Rahmen eines Schwächezustandes bemerkbar machen. Insgesamt ist Prof.Dr.H. nicht auf die psychischen Auffälligkeiten des Klägers eingegangen. Er setzt sich nicht mit der psychiatrischen Diagnose der Hypochondrie auseinander, was allerdings sein Fachgebiet überschreiten würde. Unerwähnt lässt er auch die früher stattgehabte Carzinophobie.

Im nervenärztlichen und arbeitsmedizinischen Bereich haben die Gutachter Prof.Dr.G. , Dr.S. , Dr.G. , der 1990 für Prof.Dr.H. als nervenärztlicher Zusatzgutachter tätig war, und Dr.S. eine Polyneuropathie und Encephalopathie beim Kläger als Gesundheitsstörungen ausgeschlossen. Dies kommt auch in den nervenärztlichen Gutachten der LVA Unterfranken von PD Dr.N. vom 06.12.1998 und Dr.W. vom 05.11.1991 zum Ausdruck. Den Ausführungen des Dr.B. folgt der Senat nicht. Nach alledem ist nicht nachgewiesen, dass beim Kläger eine Polyneuropathie oder Encephalopathie und damit eine BK 1303 oder 1317 besteht.

Das Urteil des SG Würzburg vom 07.07.1999 war daher im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Berufung war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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