S 7 SO 8/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 7 SO 8/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist, ob der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin neben einen Barbetrag einen Zusatzbarbetrag zur persönlichen Verfügung zu gewähren.

Die am 14.04.1948 geborene Klägerin ist seit Dezember 2003 verwitwet. Sie bezieht von der Bundesknappschaft eine Witwenrenten in Höhe von 789,29 Euro monatlich sowie zusätzlich eine Werksrente in Höhe von 156,26 Euro pro Monat. Im Frühjahr 2005 litt sie verstärkt unter einer paranoiden Schizophrenie, weswegen sie sich von April bis Juni 2005 in stationärer Krankenhausbehandlung befand. Im Mai 2005 wurde sie in der gesetzlichen Pflegeversicherung in die Pflegestufe I eingestuft. Aufgrund dessen erhält sie seitdem monatliche Pflegegeldleistungen in Höhe von 1.023,00 Euro. Aus dem Krankenhaus wurde sie am 17.06.2005 unmittelbar in das evangelische Altenheim Homberg entlassen, wo sie stationär gepflegt wird. Der tägliche Pflegesatz beläuft sich auf 82,55 Euro. Einem Antrag auf Bewilligung von Pflegewohngeld gab der Beklagte statt.

Am 12.07.2005 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten außerdem die Übernahme der Heimpflegekosten ggfs. unter Berücksichtigung der vorhandenen Einkünfte bzw. des einzusetzenden Vermögens. Mit Bescheid vom 19.08.2005 bewilligte der Beklagte der Klägerin daraufhin Leistungen nach dem zwölften Buch des Sozialgeseztbuches (SGB XII) unter Berücksichtigung eines täglichen Pflegesatzes von 82,55 Euro ab dem 17.06.2005. Außerdem bewilligte er ihr einen Barbetrag zur persönlichen Verfügung auf der Grundlage des § 35 Abs. 2 SGB XII in Höhe von 89,70 Euro monatlich; wegen des in dem davor liegenden Zeitraum zu berücksichtigenden Einkommens bzw. Vermögens jedoch erst ab dem 01.08.2005. Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, der bewilligte Barbetrag sei zu gering. Der nach dem früheren Vorschriften des Bundessozialgehilfegesetzes (BSHG) zu bewilligende Zusatzbarbetrag sei mit der Einführung des SGB XII ab dem 01.01.2005 zu Unrecht ersatzlos gestrichen worden. Demgegenüber gebe es für frühere Heimbewohner eine Besitzstandswahrung. Mit Widerspruchsbescheid vom 07.10.2005 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Darin verwies er zur Begründung darauf, dass der "einfache" Barbetrag nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen seit dem 01.08.2005 gewährt werde. Eine Grundlage für die Gewährung eines Zusatzbarbetrages biete das Gesetz für die Klägerin nicht. Die Voraussetzungen des § 133a SGB XII lägen nicht vor, weil diese Regelung nur für Personen gelte, die bereits früher, d. h. zur Zeit der Geltung des BSHG einen Anspruch auf den Zusatzbarbetrag gehabt hätten.

Am 20.10.2005 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Duisburg erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt.

Sie hält es nicht für vertretbar, dass bisherige Heimbewohner mit eigenen Einkünften besser gestellt werden, als solche Heimbewohner mit eigenen Einkünften, die erst ab dem 01.01.2005 stationäre Hilfeleistungen in Anspruch nehmen müssen. Sie sei damit Personen gleichgestellt, die nicht über Einkünfte verfügten und sich damit an den Kosten der Pflege nicht beteiligten.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 19.08.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2005 zu verurteilen, ihr ab dem 01.08.2005 einen zusätzlichen Barbetrag zur persönlichen Verfügung zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich im Wesentlichen auf die Ausführungen in dem Widerspruchsbescheid.

Der Beklagte hat dem Antrag der Klägerin auf Zulassung der Sprungrevision im Termin zur mündlichen Verhandlung zugestimmt. Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie dem Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid vom 19.08.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.10.2005 ist rechtmäßig und die Klägerin deswegen nicht beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die angefochtene Entscheidung entspricht, was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist, den normativen Vorgaben der seit dem 01.01.2005 gültigen Vorschriften des SGB XII. Danach erhalten Personen, die in (stationären) Einrichtungen leben, gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII nur noch einen angemessenen Barbetrag zur persönlichen Verfügung. Die frühere Regelung des § 21 Abs. 3 Satz 4 BSHG, wonach Personen, die einen Teil der Kosten des Aufenthaltes in der Einrichtung selbst trugen, einen zusätzlichen Barbetrag in Höhe von 5 % ihres Einkommens, höchstens jedoch in Höhe von 15 % des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes, erhielten, ist für Personen, die wie die Klägerin, vor dem 01.01.2005 keinen Anspruch auf diesen Zusatzbarbetrag hatten, ersatzlos weggefallen. Nach § 133a SGB XII haben nur noch solche Personen ein Anrecht auf einen zusätzlichen Barbetrag, die am 31.12.2004 anspruchsberechtigt nach § 21 Abs. 3 Satz 4 BSHG gewesen sind. Hierzu zählt die Klägerin nicht.

Die Kammer ist nicht davon überzeugt, dass der Ausschluss von Personen, die seit dem 01.01.2005 keinen Anspruch auf die Gewährung des zusätzlichen Barbetrages hatten, gegen das Grundgesetz verstößt. Aus diesem Grund bedarf es einer Aussetzung des Verfahrens und einer Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Verfassungsmäßigkeit der streitigen Regelung nach Artikel 100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) nicht.

Zu unterscheiden ist zwischen der Abschaffung des Zusatzbarbetrages generell (dazu unten 1) und der Einfügung der Vertrauensschutzvorschrift des § 133a SGB XII, für den Personenkreis, der am 31.12.2004 einen Anspruch auf Gewährung des Zusatzbarbetrages hatte (dazu unten 2)).

1) Die Streichung des Zusatzbarbetrages als solches ist aus Sicht der Kammer verfassungsrechtlich unbedenklich.

a) Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Artikel 3 Abs. 1 GG) liegt darin nicht. Der allgemeine Gleichheitssatz verlangt, dass für die (un-) gleiche Behandlung von Sachverhalten und die Auswahl der Anknüpfungskriterien – bezogen auf die Eigenarten des in Rede stehenden Sachbereichs und unter besonderer Berücksichtigung von Sinn und Zweck der betreffenden Regelung – vernünftige, einleuchtende Gründe bestehen (vgl. BVerfGE 79, 224 (236) m.w.N.). Im vorliegenden Fall führt die Streichung des Zusatzbarbetrages im Rahmen der Einführung des SGB XII zu einer Gleichbehandlung von Personen in Einrichtungen, die sich mit ihren Einkünften an den entstehenden Pflegekosten beteiligen und Personen, die dies aufgrund fehlender Einkünfte nicht tun. Für die Streichung des Zusatzbarbetrages insgesamt und damit der für die Gleichbehandlung der vorgenannten Personenkreise besteht ein vernünftiger bzw. einleuchtender Grund. Dieser liegt ausweislich der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 15/1514 Seite 61 zu § 36) darin, eine andere Ungleichbehandlung nämlich die von Leistungsberechtigten in- und außerhalb von stationären Einrichtungen zu beenden. Außerdem hat der Gesetzgeber die Vorschrift für erforderlich gehalten, um den Grundsatz "ambulant vor stationär" auch in der Praxis umzusetzen. Das Bemühen des Gesetzgebers um eine Angleichung von ambulanter und stationärer Versorgung ergibt sich auch aus anderen Neuerungen innerhalb des SGB XII (z.B. § 85 SGB XII; vgl. dazu BT-Drs. a.a.O. Seite 65).

b) Gründe des Vertrauensschutzes bzw. des Sozialstaatsprinzipes sind ebenfalls nicht geeignet, verfassungsrechtliche Bedenken an der Streichung des Zusatzbarbetrages zum 01.01.2005 zu begründen. Denn zum Einen ist im Sozialhilferecht anerkannt, dass es grundsätzlich keinen Schutz des Vertrauens in den Fortbestand bestimmter Leistungen gibt. Dies gilt insbesondere deswegen, weil der Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe nicht unmittelbar auf eigene Vorleistungen des Berechtigten zurückzuführen ist (vgl. BVerfG Urteil vom 12.02.1986 – 1 BvL 39/83 = SozR 4100 § 4 Nr. 13; Beschluss des LSG NRW vom 23.12.2005 L 20 B 76/05 SO ER). Zudem ist darauf hinzuweisen, dass dem Gesetzgeber gerade in diesem Bereich ein großer Gestaltungsspielraum zuzubilligen ist und sich aus den Vorschriften der Verfassung grundsätzlich keine unmittelbaren Leistungsansprüche von Versicherten oder sonstigen Leistungsberechtigten herleiten lassen (vgl. hierzu z. B. Urteil des Bundessozialgerichts vom 10.05.2005 B 1 KR 25/03 R m.w.N.).

2) Ist die Streichung des Zusatzbarbetrages als solches verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, gilt nichts anderes aufgrund der durch den Gesetzgeber nachträglich allerdings noch vor Inkrafttreten des SGB XII geschaffenen Übergangs- bzw. Vertrauensschutzregelung.

Im Hinblick auf Artikel 3 Abs. 1 GG ist die Vorschrift zwar verschiedentlich (vgl. Armborst in: LPK SGB XII, 3. Auflage 2005, § 35 Randziffer 14; Schellhorn/Schellhorn/Hohm SGB XII 17. Auflage 2006 § 133 a Randziffer 6; Hauck/Haines-Falterbaum, K § 133a Randziffer 3; Mergler/Zink, SGB XII, § 133a Rz. 3) als nicht unbedenklich und sogar problematisch bezeichnet worden. Die Bedenken beziehen sich insbesondere darauf, dass für einen verhältnismäßig langen Zeitraum Personen mit eigenem Einkommen, die in stationären Einrichtungen leben, aufgrund der Übergangsregelung unterschiedlich behandelt werden. Im Ergebnis greifen diese Bedenken jedoch nicht durch.

Die von dem Gesetzgeber gewählte unbefristete Übergangsregelung mag zwar nicht zwingend und für die betroffenen Heimbewohner schlecht nachvollziehbar sein. Ernstliche verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG sind jedoch nicht erkennbar. Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen unter Ziff. 1) zur generellen Unbednklichkeit der Abschaffung des Zusatzbarbetrages ergibt, handelt es sich bei § 133a SGB XII um eine von dem Gesetzgeber nicht geschuldete Übergangsvorschrift in Form einer Stichtagsregelung. Nach der Rechtssprechung des BVerfG sind derartige nicht geschuldete Übergangsregelungen mit einem besonderes großen Gestaltungsermessen des Gesetzgebers versehen (vgl. Beschluss vom 28.03.2000 Az. 1 BVR 1610/95 u.a.). Zudem hatte der Gesetzgeber nach dem Inhalt der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 15/3977 Seite 7) ein nachvollziehbares Motiv für die Einführung der Übergangsvorschrift. Er hielt die Regelung für erforderlich, um Menschen, die sich auf die bestehende Regelung bereits eingestellt haben, auch weiter den Zusatzbarbetrag zu gewähren. Dieser Beweggrund ist – auch wenn er nicht auf verfassungsrechtlichen Erwägungen beruht – anzuerkennen. Im Übrigen hat der Gesetzgeber in seiner Begründung zu Recht darauf hingewiesen, dass die von der Klägerin beanstandete Stichtagsregelung nicht systemfremd ist. Denn die §§ 130 und 132 SGB XII enthalten für die ambulante Versorgung bzw. für den Bereich der Sozialhilfegewährung für Deutsche im Ausland enthalten vergleichbare Regelungen.

Vor diesem Hintergrund sind die dadurch hervorgerufenen Ungleichheiten hinzunehmen. Denn nach der Rechtssprechung des BVerfG (a.a.O. m.w.N. sowie Beschluss vom 08.04.1987, Az. BvR 564/87 u.a. Rz. 77 – zitiert nach juris - ) sind Stichtagsregelungen nicht zu beanstanden, wenn die Einführung notwendig ist und die Wahl des Zeitpunktes orientiert an dem gegebenem Sachverhalt sachlich vertretbar ist (vgl. Gubelt in: von Münch/Kunig, Grundgesetz – Kommentar, 5. Auflage 2000, Art. 3 Rz. 33 m.w.N.). Hier bestehen insoweit keine Bedenken, da der Zeitpunkt, an dem die Stichtagsregelung anknüpft, hier der ist, mit dem insgesamt eine Vielzahl von Rechtsänderungen im Bereich des Sozialhilferechts eintraten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Sprungrevision ist gemäß § 161 Abs. 1 und 2 SGG zugelassen worden. Dem Antrag des Klägers hat der Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung zugestimmt. Die Kammer hat der Sache im Hinblick auf die kontroverse Diskussion in der Literatur und die Tatsache, dass eine höchstrichterliche Entscheidung zu dieser Frage noch nicht vorliegt, grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 161 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugemessen.
Rechtskraft
Aus
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