Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 91 AS 9735/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 B 1272/05 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Unter "Erstausstattung für die Wohnung" versteht der Gesetzgeber insbesondere Fälle, in denen nach einem Wohnungsbrand oder bei der Erstanmietung nach einer Haft ein besonderer Bedarf auf Wohnungsausstattung besteht. Hierunter fällt aber auch die Erstanmietung einer Wohnung im Falle einer Trennung oder Scheidung oder aufgrund eines Auszuges eines Kindes aus dem Haushalt der Eltern, der Fall eines neu gegründeten Haushalts wegen Heirat, nach Zuzug aus dem Ausland oder wenn ein Wohnungsloser eine Wohnung gefunden hat.
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. Oktober 2005 wird auf die Beschwerde der Antragstellerin aufgehoben. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen für die Erstausstattung einer Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten zu gewähren. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.
Gründe:
Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Die danach zu treffende Eilentscheidung kann, wie das Bundesverfassungsgericht in einer jüngst ergangenen Entscheidung in Zusammenhang mit Leistungen nach dem SGB II bzw. XII betont hat (3. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05), sowohl auf eine Folgenabwägung (Folgen einer Stattgabe gegenüber den Folgen bei Ablehnung des Eilantrages) als auch alternativ auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. In diesem Zusammenhang ist das Gericht verpflichtet, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen, besonders wenn das einstweilige Verfahren – wie hier – vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und einem Beteiligten eine endgültige Grundrechtsbeeinträchtigung droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende regelmäßig der Fall ist, da der elementare Lebensbedarf für die kaum je absehbare Dauer des Hauptsacheverfahrens bei ablehnender Entscheidung nicht gedeckt ist. Unter Beachtung der auf dem Spiel stehenden Grundrechte dürfen dabei die Anforderungen an die Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht überspannt werden (vgl. BVerfG, a.a.O.).
Hieran gemessen hat die Antragstellerin für die von ihr begehrte Leistungsanordnung sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund in einem die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Maße glaubhaft gemacht.
Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SGB II sind Leistungen für Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten nicht von der Regelleistung umfasst. Sie werden gesondert erbracht.
Eine etwaige Bestandskraft des ablehnenden Bescheides der Antragsgegnerin vom 15. August 2005 hindert den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht. Besteht der geltend gemacht Anspruch nämlich – wie hier – der Sache nach, müsste die Antragsgegnerin einen erneuten Antrag der Antragstellerin als Überprüfungsantrag nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X behandeln und Abstand nehmen von der bestandskräftigen Ablehnung. Im Rahmen des Eilrechtsschutzes ist diese Betrachtungsweise umso mehr geboten, als es mit der Folgenabwägung um die Wahrung von Grundrechten und um die Vermeidung existentieller Notlagen geht. Eine formellere Betrachtungsweise wäre nur im Hauptsacheverfahren am Platze.
Der Senat ist der Überzeugung, dass der Antragstellerin der Anspruch auf eine Erstausstattung im Sinne von § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II zusteht (Anordnungsanspruch). Antragsgegnerin und Sozialgericht verstehen diesen Begriff zu eng. Sinn und Zweck der Regelung des § 23 Abs. 3 SGB II ist es, besondere Bedarfe, von denen nicht erwartet werden kann, dass sie aus der Regelleistung gedeckt werden, gesondert zu befriedigen. Als einen solchen besonderen Bedarf sieht § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II auch die Erstausstattung für die Wohnung an. Hierunter versteht der Gesetzgeber insbesondere Fälle, in denen nach einem Wohnungsbrand oder bei der Erstanmietung nach einer Haft ein besonderer Bedarf auf Wohnungsausstattung besteht (vgl. SG Speyer, S 16 ER 100/05 AS, Beschluss vom 13. Juni 2005; SG Lüneburg, S 29 SO 78/05 ER, Beschluss vom 24. März 2005, jeweils zitiert nach juris und jeweils mit Hinweis auf die Gesetzgebungsmotive). Hierunter fällt aber auch die Erstanmietung einer Wohnung im Falle einer Trennung oder Scheidung oder aufgrund eines Auszuges eines Kindes aus dem Haushalt der Eltern, der Fall eines neu gegründeten Haushalts wegen Heirat, nach Zuzug aus dem Ausland oder wenn ein Wohnungsloser eine Wohnung gefunden hat (vgl. SG Speyer und SG Lüneburg, a.a.O.; Münder, SGB II, 1. Aufl. 2005, § 23 Rdnr. 22; Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II, 1. Aufl. 2005, Rdnr. 96 zu § 23). Nur diese erweiterte Auslegung wird dem Sinn und Zweck der Regelung gerecht. Ein Bedarf nach Trennung oder Scheidung unterscheidet sich im gegebenen Falle nicht von einem Bedarf nach Wohnungsbrand oder Haftentlassung.
Die 1979 geborene Antragstellerin benötigt eine Erstausstattung im Sinne des Gesetzes. Sie lebte bis Ende 2000 in der elterlichen Wohnung und von Januar 2001 bis Anfang Mai 2004 mit ihrem Ehemann zusammen in einer Wohnung in der K Straße. Die inzwischen geschiedene Antragstellerin trägt vor, die Möbel seien bei der Trennung in der ehelichen Wohnung verblieben, weil es mit dem gewalttätigen Ehemann keine Einigung gegeben habe. Es ist nichts dafür ersichtlich, warum dieses Vorbringen unzutreffend sein sollte. Von Mai 2004 bis Februar 2005 lebte die Antragstellerin erneut in der elterlichen Wohnung, von wo sie nach ihrem Vorbringen in ihre jetzige Wohnung ausziehen musste. Der Verlauf der Wohnverhältnisse ist durch einen Auszug aus dem Melderegister belegt. Nach dem Auszug aus der Ehewohnung und nach dem erneuten Auszug aus der elterlichen Wohnung hatte die Antragstellerin Bedarf nach einer Erstausstattung an Möbeln und Haushaltsgeräten. Das Vorbringen der Antragstellerin ist insoweit schlüssig und widerspruchsfrei, selbst wenn es sich erst im Laufe des Verfahrens weiter konkretisiert hat. Dieser Umstand macht es aber nicht unglaubhaft.
Im Rahmen der gebotenen Folgenabwägung konnte weiter nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Antragstellerin schwanger ist (voraussichtlicher Entbindungstermin im Januar 2006) und ihr Bedarf deshalb besonders dringend, ihr Schutzbedürfnis besonders groß ist. Der Anordnungsgrund liegt danach auf der Hand.
Über die Höhe der Leistungen musste der Senat nicht entscheiden. Die Antragsgegnerin wird sich insoweit am Wortlaut des Gesetzes orientieren: Nach § 23 Abs. 3 Satz 5 und 6 SGB II können die Leistungen als Sachleistung oder Geldleistung, auch in Form von Pauschalbeträgen, erbracht werden. Bei der Bemessung der Pauschalbeträge sind geeignete Angaben über die erforderlichen Aufwendungen und nachvollziehbare Erfahrungswerte zu berücksichtigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Die danach zu treffende Eilentscheidung kann, wie das Bundesverfassungsgericht in einer jüngst ergangenen Entscheidung in Zusammenhang mit Leistungen nach dem SGB II bzw. XII betont hat (3. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05), sowohl auf eine Folgenabwägung (Folgen einer Stattgabe gegenüber den Folgen bei Ablehnung des Eilantrages) als auch alternativ auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. In diesem Zusammenhang ist das Gericht verpflichtet, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen, besonders wenn das einstweilige Verfahren – wie hier – vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und einem Beteiligten eine endgültige Grundrechtsbeeinträchtigung droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende regelmäßig der Fall ist, da der elementare Lebensbedarf für die kaum je absehbare Dauer des Hauptsacheverfahrens bei ablehnender Entscheidung nicht gedeckt ist. Unter Beachtung der auf dem Spiel stehenden Grundrechte dürfen dabei die Anforderungen an die Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht überspannt werden (vgl. BVerfG, a.a.O.).
Hieran gemessen hat die Antragstellerin für die von ihr begehrte Leistungsanordnung sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund in einem die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Maße glaubhaft gemacht.
Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SGB II sind Leistungen für Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten nicht von der Regelleistung umfasst. Sie werden gesondert erbracht.
Eine etwaige Bestandskraft des ablehnenden Bescheides der Antragsgegnerin vom 15. August 2005 hindert den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht. Besteht der geltend gemacht Anspruch nämlich – wie hier – der Sache nach, müsste die Antragsgegnerin einen erneuten Antrag der Antragstellerin als Überprüfungsantrag nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X behandeln und Abstand nehmen von der bestandskräftigen Ablehnung. Im Rahmen des Eilrechtsschutzes ist diese Betrachtungsweise umso mehr geboten, als es mit der Folgenabwägung um die Wahrung von Grundrechten und um die Vermeidung existentieller Notlagen geht. Eine formellere Betrachtungsweise wäre nur im Hauptsacheverfahren am Platze.
Der Senat ist der Überzeugung, dass der Antragstellerin der Anspruch auf eine Erstausstattung im Sinne von § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II zusteht (Anordnungsanspruch). Antragsgegnerin und Sozialgericht verstehen diesen Begriff zu eng. Sinn und Zweck der Regelung des § 23 Abs. 3 SGB II ist es, besondere Bedarfe, von denen nicht erwartet werden kann, dass sie aus der Regelleistung gedeckt werden, gesondert zu befriedigen. Als einen solchen besonderen Bedarf sieht § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II auch die Erstausstattung für die Wohnung an. Hierunter versteht der Gesetzgeber insbesondere Fälle, in denen nach einem Wohnungsbrand oder bei der Erstanmietung nach einer Haft ein besonderer Bedarf auf Wohnungsausstattung besteht (vgl. SG Speyer, S 16 ER 100/05 AS, Beschluss vom 13. Juni 2005; SG Lüneburg, S 29 SO 78/05 ER, Beschluss vom 24. März 2005, jeweils zitiert nach juris und jeweils mit Hinweis auf die Gesetzgebungsmotive). Hierunter fällt aber auch die Erstanmietung einer Wohnung im Falle einer Trennung oder Scheidung oder aufgrund eines Auszuges eines Kindes aus dem Haushalt der Eltern, der Fall eines neu gegründeten Haushalts wegen Heirat, nach Zuzug aus dem Ausland oder wenn ein Wohnungsloser eine Wohnung gefunden hat (vgl. SG Speyer und SG Lüneburg, a.a.O.; Münder, SGB II, 1. Aufl. 2005, § 23 Rdnr. 22; Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II, 1. Aufl. 2005, Rdnr. 96 zu § 23). Nur diese erweiterte Auslegung wird dem Sinn und Zweck der Regelung gerecht. Ein Bedarf nach Trennung oder Scheidung unterscheidet sich im gegebenen Falle nicht von einem Bedarf nach Wohnungsbrand oder Haftentlassung.
Die 1979 geborene Antragstellerin benötigt eine Erstausstattung im Sinne des Gesetzes. Sie lebte bis Ende 2000 in der elterlichen Wohnung und von Januar 2001 bis Anfang Mai 2004 mit ihrem Ehemann zusammen in einer Wohnung in der K Straße. Die inzwischen geschiedene Antragstellerin trägt vor, die Möbel seien bei der Trennung in der ehelichen Wohnung verblieben, weil es mit dem gewalttätigen Ehemann keine Einigung gegeben habe. Es ist nichts dafür ersichtlich, warum dieses Vorbringen unzutreffend sein sollte. Von Mai 2004 bis Februar 2005 lebte die Antragstellerin erneut in der elterlichen Wohnung, von wo sie nach ihrem Vorbringen in ihre jetzige Wohnung ausziehen musste. Der Verlauf der Wohnverhältnisse ist durch einen Auszug aus dem Melderegister belegt. Nach dem Auszug aus der Ehewohnung und nach dem erneuten Auszug aus der elterlichen Wohnung hatte die Antragstellerin Bedarf nach einer Erstausstattung an Möbeln und Haushaltsgeräten. Das Vorbringen der Antragstellerin ist insoweit schlüssig und widerspruchsfrei, selbst wenn es sich erst im Laufe des Verfahrens weiter konkretisiert hat. Dieser Umstand macht es aber nicht unglaubhaft.
Im Rahmen der gebotenen Folgenabwägung konnte weiter nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Antragstellerin schwanger ist (voraussichtlicher Entbindungstermin im Januar 2006) und ihr Bedarf deshalb besonders dringend, ihr Schutzbedürfnis besonders groß ist. Der Anordnungsgrund liegt danach auf der Hand.
Über die Höhe der Leistungen musste der Senat nicht entscheiden. Die Antragsgegnerin wird sich insoweit am Wortlaut des Gesetzes orientieren: Nach § 23 Abs. 3 Satz 5 und 6 SGB II können die Leistungen als Sachleistung oder Geldleistung, auch in Form von Pauschalbeträgen, erbracht werden. Bei der Bemessung der Pauschalbeträge sind geeignete Angaben über die erforderlichen Aufwendungen und nachvollziehbare Erfahrungswerte zu berücksichtigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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