S 14 RA 800/04

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 14 RA 800/04
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Im Bereich des Rechtes der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach dem SGB VI kommt es nur auf die Fähigkeit zur Teilhabe am Arbeitsleben und nicht auf die (weitergehende) Teilhabe am Leben in der Gesellschaft an.
2. Die nach dem Schwerbehindertengesetz bzw. gemäß § 69 SGB IX getroffenen Feststellungen über das Vorliegen und den Grad einer Be-hinderung enthalten keine unmittelbaren Aussagen über die Erwerbsfähigkeit.
3. Ein Rückgriff auf die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht ist bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit nach dem SGB VI ausgeschlossen.
4. Daher sind gutachtliche Ausführungen unverwertbar, soweit sie sich bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit auf die Grundsätze der sog. Heilungsbewährung nach o.g. Anhaltspunkten stützen.
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über Rechte der Klägerin auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die 1950 geborene Klägerin nahm an der zehnjährigen allgemeinbildenden Schulausbildung teil, ohne einen Abschluss zu erwerben. Die anschließend begonnene Betriebs- und Verkehrslehre bei der Deutschen Reichsbahn beendete sie 1968 aufgrund einer Schwangerschaft vorzeitig. Danach war sie bis Anfang 1973 Hausfrau,. Vom 10. September 1973 bis 31.Dezenber 1991 arbeitete sie als Flaschenkellereiarbeiterin. Nach anschließenden Zeiten der Arbeitslosigkeit nahm sie vom 31. August bis 25. September 1992 an einer Weiterbildung "Berufswegplanung mit integriertem Bewerbertraining" teil. Nach einer Umschulung vom 08. März 1993 bis 10. März 1994 bestand die Klägerin die staatliche Prüfung in der Krankenpflegehilfe (Zeugnis vom 10.03.1993). Anschließend war sie von April 1994 bis Dezember 2003 als Krankenpflegehelferin in einem Krankenhaus beschäftigt. Arbeitsunfähigkeit bestand seit dem 30. Oktober 2002. Ab dem 11.Dezember 2002 bezog die Klägerin Krankengeld. Seit dem 28. April 2004 bezieht sie Arbeitslosengeld. Ein Grad der Behinderung von 50 ist anerkannt.

Auf Antrag vom 16.05.2003 bewilligte die Beklagte der Klägerin vom 16.07. bis 13.08.2003 Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.

Am 14. Oktober 2003 machte die Klägerin bei der Beklagten die Leistung einer der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit geltend. Ihre Erwerbsfähigkeit sei seit einer Mammakarzinom - Operation in 2002 und anschließender Lungenfibrose im Jahre 2003 sowie orthopädischen Beschwerden vermindert.

Die Beklagte zog daraufhin den Rehabilitationsentlassungsbericht vom 20.08.2003 bei. Danach lehnte sie mit Bescheid vom 19. November 2003 den Rentenantrag ab. Die Klägerin sei weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Zwar sei der Klägerin die zuletzt ausgeübte Beschäftigung als Krankenpflegehelferin nicht mehr zuzumuten. Sie sei jedoch auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes verweisbar. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit sei bei einer Ausbildung für den Beruf der Krankenpflegehelferin bis zu einem Jahr nicht erforderlich.

Dagegen erhob die Klägerin am 2. Dezember 2003 Widerspruch. Zur Zeit könne sie nicht einmal vier Stunden täglich arbeiten. Zwar könne sie noch ihren Haushalt bewältigen. Jedoch nur, weil sie sich die Zeit hierfür einteilen könne. Sehr schnell und plötzlich komme es zu Ermüdungserscheinungen. Weiterhin leide sie an Gelenkschmerzen und Luftproblemen.

Die Beklagte ließ die Klägerin daraufhin von Dr. med. L., Fachärztin für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, Leiterin der Abteilung Diagnostik des Fachkrankenhauses C., begutachten. Im Gutachten vom 11. März 2004 werden folgende Diagnosen benannt: Z.n. operiertem Mammakarzinom links im Stadium pT2 pNO MX G3 RO; Z.n. nachfolgender Chemotherapie und Radiatio bis 05/2003 sowie Z.n. Strahlenpneumonitis. Ein Rezidiv des operierten Mammakarzinoms sei gegenwärtig nicht nachweisbar. Die Strahlenpneumonitis zeige eine günstige Rückbildungstendenz. Dennoch sei die Klägerin gegenwärtig nur eingeschränkt belastbar. Eine weitere Erwerbsunfähigkeit von einem Jahr werde empfohlen.

Mit Bescheid vom 19. Mai 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der bisherige Beruf als Krankenpflegehelferin gehöre zu den einfachen Anlernberufen bzw. ungelernten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes. Die Klägerin sei nach sozialmedizinischer Leistungsbeurteilung in der Lage, einfache Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden im Rahmen einer 5-Tage-Woche zu verrichten. Ein wesentlicher sozialer Abstieg sei damit nicht zu verbinden.

Hiergegen richtet sich die Klage vom 2. Juni 2004.

Im Rahmen der medizinischen Ermittlungen hat das Gericht eine ergänzende Stellungnahme von Dr. med. L. angefordert. Auf den Inhalt der Stellungnahme vom 7. Juli 2004 wird verwiesen (Blatt 29f der Gerichtsakte). Des weiteren hat das Gericht ein Arbeitsunfähigkeitsgutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 28. Januar 2004 und ein Gutachten nach Aktenlage der Agentur für Arbeit P. vom 23. Juni 2004 beigezogen sowie Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin angefordert. Auf deren Inhalte wird ebenso verwiesen (Blatt 32ff, 39f, 65 und 117 der Gerichtsakte). Sodann hat das Gericht Univ.-Prof. Dr. med. S., Facharzt für Arbeitsmedizin, Arzt für Sozial- und Umweltmedizin, Direktor des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden, mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Im Gutachten vom 29. März 2005 werden folgende Diagnosen benannt: invasiv duktales Mammakarzinom links (pT2 NO Mx G3 RO), Z.n. BET und LNE 11/02, nachfolgend Chemotherapie und Radiatio bis 05/03; Z.n. atypischer Pneumonie 05/03; chronisch rezidivierendes lumbales Pseudoradikulärsyndrom bei Fehlstatik der Wirbelsäule sowie Übergewicht. Die Klägerin könne leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung weiterer qualitativer Einschränkungen vollschichtig verrichten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Gutachtens sowie die ergänzende Stellungnahme hierzu vom 11. Juli 2005 verwiesen (Blatt 76ff und 133ff der Gerichtsakte).

Die Klägerin trägt vor, sie leide nach wie vor unter subjektiver Atemnot, allgemeiner Leistungsinsuffizienz, thorakalem Engegefühl, Husten, zähem Auswurf, Gelenkbeschwerden und psychischen Beschwerden. Sie lebe in ständiger Angst, einen Rückfall zu erleiden. Ihre Lebenserwartung sei unterdurchschnittlich. Langes Stehen oder Sitzen sei nicht möglich. Diverse Verrichtungen müsse sie vermeiden. Ihre Hausarbeit könne sie nur mit Mühe und längeren Pausen erledigen. Die Freizeitgestaltung sei begrenzt. Sie sei nicht in der Lage, einer Tätigkeit in einem Umfang von mindestens drei Stunden täglich nachzugehen. Bei der Beurteilung ihrer Erwerbsfähigkeit sei das gesamte Beschwerdebild zu berücksichtigen.

Die Klägerin beantragt unter bezug auf den Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 11. August 2004 (Blatt 48 der Gerichtsakte),

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.11.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2004 zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die angefochtenen Entscheidungen seien rechtmäßig. Der Sachverständige habe ein vollschichtiges Leistungsvermögen der Klägerin für körperlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bestätigt.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Denn die Klägerin hat weder ein Recht auf Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) noch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI, jeweils in der ab dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung.

Die Anwendung des Rechtes der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit in der ab dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung ergibt sich aus Art. 24 Abs. 1 des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I, S. 1827, 1845). Ausnahmen hiervon sind nicht ersichtlich, vgl. hierzu Fünftes Kapitel, Zweiter Abschnitt (Ausnahmen von der Anwendung neuen Rechts) des SGB VI (§§ 300 ff).

Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI bei einem Leistungsvermögen von unter drei Stunden. Aus den Gesetzesmaterialien sowie dem Regelungsgehalt des Rechtes der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit folgt, dass Versicherte auch dann voll erwerbsgemindert sind, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein und ihr Restleistungsvermögen aus arbeitsmarktbedingten Gründen nicht auf einem Teilzeitarbeitsplatz verwerten können, sog. konkrete Betrachtungsweise. Denn trotz des o.g. Gesetzes vom 20. Dezember 2000 hat sich der Gesetzgeber nicht von der Berücksichtigung der konkreten Arbeitsmarktlage verabschiedet, allg. Auffassung, vgl. nur BTDrucks. 14/4230, Seite 23, 25f; KassKomm-Niesel, Band 1, Stand der 38. EL, August 2002, § 43 Rn 4, 30ff; Verband Deutscher Rentenversicherungsträger in DRV 2-3/2002, S. 96, 136ff.

Nach § 43 Abs. 2 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung waren berufsunfähig Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken war. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit zu beurteilen war, umfasste alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprachen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden konnten. Nicht berufsunfähig war, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben konnte. Dabei war die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Das Risiko des Eintrittes der Berufsunfähigkeit ist im SGB VI seit dem 1. Januar 2001 grundsätzlich nicht mehr gesetzlich versichert. Allein nach dem aus Vertrauensschutzgründen normierten § 240 SGB VI (ebenso in der ab dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung) haben Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren sind, bei Vorliegen von Berufsunfähigkeit einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Die Definition der Berufsunfähigkeit weicht vom früheren Recht nur insoweit ab, als nach § 240 Abs. 2 Satz 4 SGB VI berufsunfähig nicht ist, wer - ungeachtet der jeweiligen Arbeitsmarktlage - eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann. Die bisherigen Grundsätze zur Beurteilung der Berufsunfähigkeit können unter Beachtung der an § 43 SGB VI angepassten Versicherungsschutz- bzw. Leistungsgrenzen somit weiterhin Anwendung finden.

§ 240 SGB VI ist für die Klägerin anwendbar. Denn sie ist vor dem 2. Januar 1961 geboren. Sie ist jedoch nicht berufsunfähig. Denn sie hat keinen qualifizierten Berufsschutz. Somit ist sie auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sozial verweisbar. Eine rentenrechtsbegründende Leistungsminderung konnte nicht nachgewiesen werden.

Ausgangspunkt der Beurteilung ist der (rentenrechtlich) versicherte "bisherige Beruf" (sog. Hauptberuf). Darunter ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) im allgemeinen diejenige der Versicherungspflicht unterliegende Tätigkeit zu verstehen, die zuletzt auf Dauer, das heißt mit dem Ziel verrichtet wurde, sie bis zum Eintritt der gesundheitlichen Unfähigkeit oder bis zum Erreichen der Altersgrenze auszuüben. In der Regel ist das die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, jedenfalls wenn sie die qualitativ höchste ist. Kann der bisherige Beruf nicht mehr ausgeübt werden, hängt der Rentenanspruch davon ab, ob es zumindest eine Tätigkeit gibt, die sozial zumutbar ist und gesundheitlich und fachlich noch bewältigt werden kann (sog. Verweisungstätigkeit).

Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit richtet sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufes. Zur praktischen Ausführung der rechtlichen Vorgaben und zur Vermeidung einer nicht zu rechtfertigenden unterschiedlichen Rechtsanwendung bei Berufen mit gleicher Qualität hat das BSG das sog. Mehrstufenschema entwickelt. Die Stufen sind von unten nach oben nach ihrer Leistungsqualität, diese gemessen nach Dauer und Umfang der im Regelfall erforderlichen Ausbildung und beruflichen Erfahrung, nicht nach Entlohnung oder Prestige, geordnet. Danach sind zu unterscheiden: Ungelernte Berufe (Stufe 1); Berufe mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren (Stufe 2); Berufe mit einer Ausbildung von mehr als zwei Jahren (Stufe 3); Berufe, die zusätzliche Qualifikationen oder Erfahrungen oder den erfolgreichen Besuch einer Fachschule voraussetzen (Stufe 4), zu ihr gehören Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion gegenüber anderen Facharbeitern, Spezialfacharbeiter, Meister, Berufe mit Fachschulqualifikation als Eingangsvoraussetzung; Berufe, die einen erfolgreichen Abschluss einer Fachhochschule oder eine zumindest gleichwertige Berufsausbildung voraussetzen (Stufe 5); Berufe, deren hohe Qualität regelmäßig auf einem Hochschulstudium oder einer vergleichbaren Qualifikation beruht (Stufe 6). Eine "Verweisung" kann nur auf einen Beruf derselben qualitativen Stufe oder der nächstniedrigeren erfolgen. Hierbei ist das Überforderungsverbot (Einarbeitung innerhalb von drei Monaten) zu beachten. Eine konkrete Benennung ist grundsätzlich nicht erforderlich, wenn der bisherige Beruf der ersten Stufe angehört oder wenn ein sog. einfacher Angelernter (Stufe 2, aber Ausbildung bis zu einem Jahr) auf ungelernte Berufe verwiesen wird. Vgl. zum Vorstehenden zB BSG, Urteil vom 29. Juli 2004 - B 4 RA 5/04 R -JURIS, mwN.

Die Beklagte hat zu Recht als bisherigen Beruf der Klägerin im o.g. Sinne die zuletzt ausgeübte Beschäftigung als Krankenpflegehelferin zugrunde gelegt. Diese mittelschwere bis zeitweise schwere körperliche Arbeit kann die Klägerin nach insoweit übereinstimmender Beurteilung der Beteiligten und der im Verwaltungs- sowie Gerichtsverfahren beauftragten medizinischen Sachverständigen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr vollwertig verrichten. Ein Teilzeitarbeitsplatz steht ihr nicht zur Verfügung. Ebenso zutreffend ist die von der Beklagten vorgenommene Einstufung dieses bisherigen Berufes in die Leitgruppe der sog. einfachen Angelernten im Sinne des o.g. Mehrstufenschemas. Denn die Klägerin war zunächst ohne Abschluss einer allgemeinbildenden Schulausbildung und Berufsausbildung ungelernt beschäftigt. 1994 bestand sie nach einjähriger Umschulung die staatliche Prüfung in der Krankenpflegehilfe und arbeitete anschließend als Krankenpflegehelferin. Die Ausbildung als Krankenpflegehelferin betrug nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 des Gesetzes über die Berufe in der Krankenpflege in der vom 1. September 1985 bis 31. Dezember 1985 geltenden Fassung generell (nur) ein Jahr. Unter Berücksichtigung dessen (einjährige Ausbildung als Krankenpflegehelferin und entsprechende Beschäftigung) kommt eine höhere Einstufung nicht in Betracht. Somit ist die Klägerin auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sozial zumutbar verweisbar.

Entscheidend ist damit sowohl im Rahmen des § 43 SGB VI als auch des § 240 SGB VI, ob die Klägerin wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes irgendeine Tätigkeit mindestens sechs Stunden werktäglich zu verrichten. Die Tatsache der tatsächlichen Minderung der Erwerbsfähigkeit (u.a. Eintritt, Umfang, Dauer) ist beweispflichtig und bedarf des Vollbeweises. Tatsachen sind bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich sind, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen, so zB BSG, Urteil vom 8. August 2001 - B 9 V 23/02 B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4. Gesetzlich normierte Milderungen der Beweisanforderungen gibt es in diesem Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung nicht.

Nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme konnte nach Überzeugung der Kammer eine rentenrechtsbegründende Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin nicht nachgewiesen werden. Denn danach kann die Klägerin mit dem vorhandenen Leistungsvermögen noch eine Vielzahl der auf dem allgemeinen (bundesweiten) Arbeitsmarkt existierenden (nicht notwendig individuell zur Verfügung stehenden) Beschäftigungen unter den (arbeitsmarkt-) üblichen Bedingungen mindestens sechs Stunden werktäglich ausüben. Dies ergibt sich für die Kammer aus einer Gesamtbewertung der gutachtlichen Bewertungen seit 2003.

Bereits im Reha-Entlassungsbericht vom 20.08.2003 wurde der Klägerin nach weiterer psycho-psychischer Stabilisierung ein Leistungsvermögen für die Ausübung körperlich leichter Tätigkeiten im Wechsel der Körperhaltung zwischen Sitzen, Stehen und Gehen in einem zeitlichen Umfang von mindestens sechs Stunden werktäglich attestiert. Zu vermeiden seien danach Heben von mehr als 5 kg als Dauerbelastung, Überlastungen des Schultergürtels, Hautkontakt mit Allergenen sowie extrem schwankende Temperaturen. Der Gesundheitszustand der Klägerin habe sich nach dem operativem Eingriff am 05.11.2002 sowie anschließender Chemo- und Strahlentherapie verbessert. Die Klägerin fühle sich beweglicher sowie psychisch und physisch stabilisierter. Sie interessiere sich für die baldige Wiederaufnahme einer beruflichen Beschäftigung. Im MDK-Gutachten vom 28. Januar 2004 wurde unter der Bedingung der Unauffälligkeit von Befunden aus anstehenden pulmologischen und onkologischen Kontrolluntersuchungen dieses Leistungsvermögen bestätigt. Nach den Ausführungen im Gutachten vom 11. März 2004 bestand bei der Klägerin zum Zeitpunkt der ambulanten Untersuchung ein regulärer postoperativer Befund. Hinweise für eine cardio-respiratorische Insuffizienz seien nicht festzustellen. Die cardio-respiratorische Funktionsanalyse habe keine Restriktion mehr erkennen lassen. Eine Diffusionsbehinderung bestehe ebenso nicht. Ein Rezidiv des operierten Mammakarzinoms sei nicht nachweisbar. Somit waren die Befunde insoweit im wesentlichen unauffällig im Sinne der Ausführungen im o.g. MDK-Gutachten. Der darin mitgeteilte Vorbehalt für die Erstellung des o.g. Leistungsvermögens der Klägerin ist damit entfallen. Bestätigt wird dies durch das nachfolgende Gutachten der Agentur für Arbeit P. vom 23. Juni 2004. Auch danach kann die Klägerin ständig leichte Arbeit in wechselnder Arbeitshaltung sowie ohne Zeitdruck und häufigen Heben vollschichtig ausüben. Aus orthopädischer Sicht wird diese Bewertung durch die behandelnde Fachärztin für Orthopädie, Chirotherapie und Akupunktur, im Befundbericht vom 16. November 2004 bestätigt. Denn danach bestehen bei der Klägerin insoweit Einschränkungen in der Leistungsfähigkeit für die Ausübung mittelschwerer bis schwerer körperlicher Tätigkeiten. Die vorgenannten Beurteilungen werden wiederum durch das Sachverständigengutachten vom 29. März 2005 in vollem Umfang bekräftigt. Denn auch danach konnten keine grob pathologischen Befunde erhoben werden. Die Funktion der Schultergelenke und Wirbelsäule sei nur geringfügig eingeschränkt. Eine Beeinträchtigung der Lungenfunktion könne nicht nachgewiesen werden. Hinweise auf neurologische Störungen seien nicht feststellbar. Die Klägerin könne leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Wechsel der Körperhaltung zwischen Sitzen, Stehen und Gehen vollschichtig ausführen. Ein besonderer Pausenbedarf bestehe nicht. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Eine Änderung des Gesundheits- und Leistungszustandes sei seit mindestens Februar 2004 nicht eingetreten. Eine Prognose sei spekulativ. Die Ergebnisse der Befunderhebung seien im Vergleich zu den Vorgutachten nicht abweichend. Die Kammer folgt diesen Ausführungen ohne Einschränkungen. Denn Mängel an einer ordnungsgemäßen Begutachtung (Auswertung der Akten, Anamnese, Befunderhebung, Beurteilung der Befunde - mit Ausschluss oder Annahme von Aggravation, Simulation oder Dissimulation -, Diagnostik, Ermittlung des Schweregrades, Beurteilung des Restleistungsvermögens mit Blick auf die rentenrechtliche Fragestellung) sind nicht erkennbar. Im Gegenteil. Das Gutachten erfolgte fachübergreifend, ermöglicht durch die Qualifikation und Berufserfahrung des Sachverständigen als Facharzt für Arbeitsmedizin und Arzt für Sozial- und Umweltmedizin. Damit konnte eine umfassende und nicht nur auf bestimmte medizinische Fachgebiete beschränkte Beurteilung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin vorgenommen werden. Abweichende Befunde wurden im Vergleich zu den Vorgutachten nicht erhoben. Die von der Klägerin gewünschten Erläuterungen zu den gutachtlichen Ausführungen (vgl. Schreiben vom 25. April 2005) hat der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 11. Juli 2005 mitgeteilt. Darin wird u.a. darauf hingewiesen, dass bei der Klägerin eine subjektive Leistungsinsuffizienz besteht, die durch die erhobenen Befunde nicht objektiviert werden kann. Denn pathologische und leistungseinschränkende psychiatrische Befunde seien ebenso nicht feststellbar. Die Klägerin sei allerdings klagsam. Einwendungen gegen die Ausführungen des Sachverständigen in dessen Gutachten und/oder ergänzenden Stellungnahme wurden nicht erhoben. Somit konnte insgesamt eine rentenrechtsbegründende Leistungsminderung der Klägerin nicht nachgewiesen werden.

Allein unter Würdigung einiger Ausführungen im Gutachten vom 11. März 2004 konnte (insbesondere im Termin zur mündlichen Verhandlung) über eine zeitlich begrenzte Leistungsminderung diskutiert werden. Denn die Gutachterin empfahl eine Leistungsgewährung von einem Jahr. Begründet wurde dies in der ergänzenden Stellungnahme vom 7. Juli 2004 im Wesentlichen mit der Einbeziehung der psychischen Belastungen und angegebenen Beschwerden der Klägerin bei der Beurteilung deren Erwerbsfähigkeit. Eine gerichtliche Entscheidung konnte auf diese Empfehlung nicht gestützt werden. Denn die Gutachterin irrt bereits, soweit sie empfiehlt, der Klägerin "weiterhin Erwerbsunfähigkeit zu gewähren". Eine der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wurde bisher noch nicht geleistet. Hiervon abgesehen hat sich die Gutachterin zur Begründung ihrer Empfehlung im Wesentlichen auf Angaben der Klägerin und die sog. Heilungsbewährung gestützt. Beides bewirkt eine Unverwertbarkeit dieser gutachtlichen Ausführungen. Denn medizinische Sachverständige haben die ihnen obliegende Begründung zur Beurteilung der Erwerbsfähigkeit des zu Begutachtenden nicht durch subjektive Angaben des zu Untersuchenden zu ersetzen. Vielmehr werden sie herangezogen, um (auch) diese Angaben unter Würdigung der auf der Basis eines bio-psycho-sozialen Krankheitsmodells ermittelten (Kontext-) Faktoren sowie unter Berücksichtigung ihrer beruflichen Ausbildung und Erfahrungen im Vergleich zu Menschen mit entsprechenden Krankheiten und Behinderungen zu würdigen, mithin zu "objektivieren". Daran mangelt es hier, wenn vorgetragene Beschwerden zum (wesentlichen) Maßstab der Beurteilung werden. Weiterhin hat die Gutachterin zu erkennen gegeben, dass ihre Empfehlung auf rechtlichen Kriterien beruhen, die hier nicht anwendbar sind. Denn Feststellungen des Versorgungsamtes haben keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Gegenstand dieses Verfahrens. Denn die nach dem Schwerbehindertengesetz bzw. seit dem 1. Juli 2001 gemäß § 69 SGB Neuntes Buch (IX) getroffenen Feststellungen über das Vorliegen und den Grad einer Behinderung enthalten keine unmittelbaren Aussagen über die Erwerbsfähigkeit des Betroffenen. Entscheidend ist bei diesen Feststellungen nach dem SGB IX vielmehr, ob und wenn, inwieweit Abweichungen der körperlichen Funktionen, geistigen Fähigkeiten und/oder seelischen Gesundheit vorliegen und deswegen Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft bestehen, vgl. hierzu vor allem § 69 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Im Bereich des Rechtes der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach dem SGB VI kommt es hingegen nur auf die Fähigkeit zur Teilhabe am Arbeitsleben und somit nicht auf die (weitergehende) Teilhabe am Leben in der Gesellschaft an. Daher ist ein Rückgriff auf die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht, herausgegeben vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, aktuelle Auflage 2004, zur Beurteilung der Erwerbsfähigkeit nach dem SGB VI ausgeschlossen. Darauf weisen auch die Herausgeber ausdrücklich hin, vgl. Teil A - Gemeinsame Grundsätze - Grundbegriffe unter Ziffer 20, Seite 26 der o.g. Anhaltspunkte. Davon abgesehen ist die sog. Heilungsbewährung "u.a. ein Kind der Prognose", bei bösartigen Geschwulsterkrankungen vor allem hinsichtlich der Überlebensrate bzw. des Heilungserfolges (vgl. ausführlicher hierzu Jaeger, MdE und "Heilungsbewährung", insbesondere bei Krebserkrankungen - rechtliche Aspekte, MED SACH 90 (1994) No. 2, Seite 47ff). Hier "ist eine prognostische Einschätzung schwierig und wäre reine Spekulation", so der Sachverständige im Gutachten vom 29. März 2005. Entscheidend ist des weiteren primär nur der gegenwärtige (Leistungs-) Zustand und nicht der evtl. zukünftig bestehende.

Die der Klägerin somit medizinisch zumutbaren Beschäftigungen kann sie ebenso unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten. Anhaltspunkte für eine Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes bestehen auch unter Berücksichtigung der sog. Katalogfälle, vgl. hierzu zB BSG, Großer Senat, Beschluss vom 19. Dezember 1995 - GS 2/95 - BSGE 80, 24ff und Entscheidung der Kammer vom 12. Januar 2004 - S 14 RJ 577/02 - JURIS, nicht.

Schließlich bedarf es keiner Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit durch die Beklagte. Denn mit dem vorhandenen Leistungsvermögen ist die Klägerin nicht außerstande (sondern dazu fähig), eine Vielzahl von Beschäftigungen des allgemeinen Arbeitsmarktes, zB im Dienstleistungsbereich, ohne wesentliche Einschränkungen vollwertig ausüben. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder schwere spezifische Leistungsbehinderung, vgl. hierzu zB BSG, Urteil vom 24. Februar 1999 - 5 RJ 30/98 R - SozR 3-2600 § 44 Nr. 12 mwN, besteht nicht.

Der Umstand, dass es in einer Zeit angespannter Arbeitsmarktlage schwierig ist, einen passenden Arbeitsplatz zu finden, und die Bundesagentur für Arbeit zu einer derartigen Vermittlung nicht in der Lage ist, ist kein Grund zur Gewährung einer der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Denn bei bestehender Fähigkeit (nicht Möglichkeit), mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, ist der jeweilige Arbeitsmarkt kraft Gesetzes nicht zu berücksichtigen, vgl. §§ 43 Abs. 3 Halbsatz 2, 240 Abs. 2 Satz 4 Halbsatz 2 SGB VI.

Damit sind Rechte auf Rente wegen Erwerbsminderung nach §§ 43, 240 SGB VI ausgeschlossen. Denn die Klägerin kann unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden (werk)täglich erwerbstätig sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Sozialgerichtsgesetz.
Rechtskraft
Aus
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