L 6 B 165/06 EG

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 22 EG 16/06
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 B 165/06 EG
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eine hinreichende Aussicht auf Erfolg als Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist auch für Fallgestaltungen gegeben, bei denen zwar nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 6 BErzGG (Fassung des Zuwanderungsgesetzes vom 30.7.2004) im Hinblick auf den Aufenthaltsstatus des Ausländers ein Anspruch auf Erziehungsgeld ausgeschlossen ist, wegen der bestehenden Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit jedoch die vom Bundesverfassungsgericht in dessen Beschluss vom 6. Juli 2004 (1 BvR 2515/95 = SozR 4-7833 § 1 Nr. 4) angelegten Kriterien zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Norm in gleicher Weise herangezogen werden können, wie dies bei der als verfassungswidrig erkannten Bestimmung des § 1 Abs. 1a BErzGG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms vom 23. Juni 1993 der Fall gewesen ist.
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 12. Juni 2006 aufgehoben. Der Klägerin wird für das vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main unter dem Aktenzeichen S 22 EG 16/06 geführte Verfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigen, Rechtsanwalt R. F., A., bewilligt.

Gründe:

Der Klägerin steht für das sozialgerichtliche Verfahren Prozesskostenhilfe zu. Die hierfür erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht der Klage (§§ 114 Zivilprozessordnung ZPO – 73a Sozialgerichtsgesetz – SGG -), an die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. z.B. Beschluss vom 4.2.2004 – 1 BvR 1172/02 = NJW-RR 2004, S. 1153) ohnehin keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen, ist entgegen der vom Sozialgericht vertretenen Auffassung gegeben. Ein Anspruch auf Erziehungsgeld für das am 30. August 2004 geborene Kind S. M. kann für den Zeitraum vom 1. März 2006 bis zum 29. August 2006, der nach dem Inhalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2006 zweifelsfrei streitbefangen ist, durchaus bestehen. Ob sich eine Rechtswidrigkeit des Bescheides des beklagten Landes vom 6. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2006 ggf. auch deshalb ergeben kann, weil dieser Bescheid sich nach seinem Ausspruch auch auf den Zeitraum vom 30. August 2004 bis zum 28. Februar 2006 bezieht, dabei allerdings eine "Rückforderung" der gewährten Leistungen ausdrücklich ausschließt und deshalb möglicherweise keine eigenständige Beschwer enthält, kann deshalb für das Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe dahingestellt bleiben.

Grundlage für die Annahme der hinreichenden Erfolgsaussicht ist dabei der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juli 2004 (1 BvR 2515/95 = SozR 4-7833 § 1 Nr. 4 - Entscheidungsformel veröffentlicht in BGBl. I v. 20.1.2005, S. 112). In diesem Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht § 1 Abs. 1a S. 1 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms (FKPG) vom 23. Juni 1993 (BGBl I, S. 994), durch den der Anspruch eines Ausländers ausdrücklich an den Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Aufenthaltserlaubnis gebunden worden war, als mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) für unvereinbar erklärt. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in diesem Beschluss hervorgehoben, dass sich die von ihm festgestellte Verfassungswidrigkeit nicht auf die Neufassung von § 1 Abs. 6 S. 2 Nr. 3 BErzGG in der Fassung des 3. Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes vom 12. Oktober 2000 (BGBl I, S. 1426) bzw. vom 7. Dezember 2001 (BGBl I, S. 3358) und des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I, S. 1950) erstreckt. Zugleich hat das Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) den Gesetzgeber jedoch aufgefordert, auch diese Nachfolgeregelungen auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen und ggf. durch eine Regelung zu ersetzen, die den Kriterien des Art. 3 GG gerecht wird.

Von den angesprochenen Nachfolgeregelungen ist aber auch die Klägerin im Hinblick auf ihren im streitbefangenen Zeitraum maßgeblichen Aufenthaltsstatus betroffen. Die Klägerin verfügt nämlich seit dem 7. März 2005 "lediglich" über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), die nach dem Wortlaut des derzeit noch maßgeblichen § 1 Abs. 6 BErzGG i.d.F. vom 30. Juli 2004 (a.a.O.) zu keiner Anspruchsberechtigung hinsichtlich des Erziehungsgeldes in dem vorliegend streitbefangenen Zeitraum führen würde.

Die hier umstrittene Fassung des § 1 Abs. 6 BErzGG unterliegt hinsichtlich des Ausschlusses vom Erziehungsgeldbezug jedoch im Wesentlichen den gleichen Kriterien, wie sie für die als verfassungswidrig erkannte Norm des § 1 Abs. 1a BErzGG maßgeblich gewesen sind, zumal die der Klägerin erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 S. 4 AufenthG zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt und damit der vom Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) angesprochene Anknüpfungspunkt für einen verfestigten Aufenthaltsstatus tatsächlich vorhanden ist. Im Hinblick darauf liegt die Annahme nahe, dass - wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat (vgl. Beschlüsse 16.12.2005 - L 6 B 195/05 EG, vom 8.3.2006 - L 6 B 223/05 EG und vom 23.5.2006 - L 6 B 134/05 EG -) - auch die für die Klägerin maßgebliche Nachfolgeregelung, soweit sie im konkreten Fall dem Anspruch auf Erziehungsgeld für das Kind S. entgegen steht, als verfassungswidrig anzusehen ist und insoweit bereits Gründe des Gleichbehandlungsgebotes nach Art. 3 GG einen Anspruch auf Erziehungsgeld begründen können.

Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber zwischenzeitlich das Anliegen des Bundesverfassungsgerichts (a.a.O.) jedenfalls hinsichtlich derjenigen Rechtslage aufgegriffen hat, von der die Klägerin ganz unmittelbar betroffen ist: So sieht der "Entwurf eines Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss" der Bundesregierung vom 27. Januar 2006 (BRDrucks. 68/06) u.a. die Anbindung des Erziehungsgeldanspruchs für Ausländer, von Ausnahmen abgesehen, die vorliegend nicht einschlägig sind, an die Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit vor. Diese Regelung soll nunmehr - nach der zwischenzeitlich erfolgten Anhörung des Bundesrates - nach Maßgabe des von der Bundesregierung am 3. Mai 2006 eingebrachten Gesetzentwurfs (BT-Drucks. 16/1368) rückwirkend ab dem 1. Januar 2006 in Kraft treten. Wird der Gesetzentwurf in dieser Fassung vom Deutschen Bundestag verabschiedet, dann besteht im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juli 2004 (a.a.O.) auch eine ausdrückliche gesetzliche Anspruchsgrundlage für das von der Klägerin verfolgte Begehren, dessen weitere Anspruchsvoraussetzungen zwischen den Beteiligten nicht umstritten sind.

Der Beschluss des Sozialgerichts vom 12. Juni 2006, bei dem die Senatsentscheidungen vom 16. Dezember 2005, vom 8. März 2006 und vom 23. Mai 2006 (a.a.O.) gänzlich unbeachtet geblieben sind, war deshalb aufzuheben. Da vom Senat die Vertretung durch einen fachkundigen Prozessbevollmächtigten für geboten erachtet wird und auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen für das mit der Beschwerde verfolgte Begehren vorliegen, war der Klägerin nach alledem antragsgemäß Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt F. zu bewilligen.

Die hierüber vom Senat getroffene Entscheidung ist unanfechtbar (§177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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