Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 4 AL 469/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 B 7/06 AL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers werden der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 16.03.2006 und die Kostenrechnungen der Urkundsbeamtin des Sozialgerichts Gelsenkirchen 18.10.2005 sowie vom 22.03.2006 aufgehoben. Gerichtskosten werden im Verfahren S 4 AL 469/04 SG Gelsenkirchen nicht erhoben. Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Klägerin hat sich im Ausgangsverfahren gegen das Schreiben der Beklagten vom 12.02.2004 und ihren Widerspruchsbescheid vom 04.11.2004 gewandt.
Die Klägerin wurde in ihrer Eigenschaft als Gesellschafterin einer Vor-GmbH von der Beklagten auf Zahlung von Arbeitsentgelt aus übergegangenem Recht gemäß § 187 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in Anspruch genommen. Mit Schreiben vom 12.02.2004, dessen Betreff sie als "Zahlungsaufforderung/Erstattungsbescheid" bezeichnete, forderte die Beklagte die Klägerin zur Zahlung von 37.621,08 EUR auf. Mit Schreiben vom 17.02.2004 erhob die Klägerin Widerspruch gegen den "Bescheid". Mit weiterem Schreiben vom 08.04.2004 wies der Ehemann der Klägerin die Beklagte darauf hin, er habe mit Datum vom 17.02.2004 Widerspruch gegen den "Bescheid" vom 12.02.2004 eingelegt. Mit Schreiben vom 08.04.2004 antwortete die Beklagte der Klägerin: " ... die Agentur für Arbeit S teilt mir mit, dass dort ein Widerspruch gegen die hier bestehende Forderung nicht vorliegt. Da es sich bei der Forderung um einen gesetzlichen Anspruchsübergang nach § 187 SGB III handelt, ist ein Widerspruch auch nicht möglich. Bitte unterbreiten Sie mir einen angemessenen Zahlungsvorschlag. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass ich zur Sicherung meiner Ansprüche einen Mahnbescheid beantragen werde."
Auf Antrag der Beklagten erließ das Arbeitsgericht Herne am 04.06.2004 einen Mahnbescheid über 37.621,08 EUR gegen die Klägerin. Auf deren Widerspruch hin begründete die Beklagte ihre Klage und wies darauf hin, sie habe die übergegangenen Ansprüche am 12.02.2004 gegenüber der Klägerin geltend gemacht. Im Gütetermin vor dem Arbeitsgericht (Az.: 3 Ca 2014/04 ArbG Herne) wurde die zivilrechtliche Rechtslage erörtert und Kammertermin auf den 16.11.2004 bestimmt. Mit Widerspruchsbescheid vom 04.11.2004 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen das Schreiben vom 12.02.2004 zurück. In der Begründung heißt es auszugsweise: "Mit der Zahlungsaufforderung vom 12.02.2004 teilte das Arbeitsamt S der Widerspruchsführerin mit, dass sie in ihrer Eigenschaft als persönlich haftende Gesellschafterin zur Erstattung des gezahlten Insolvenzgeldes in Höhe von 37.621,08 EUR verpflichtet ist ... Der Widerspruch ist unzulässig. § 78 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bestimmt, dass vor Erhebung der Anfechtungsklage Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) nachzuprüfen sind. Nach § 31 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt jede Entscheidung, die die Agentur für Arbeit zur Regelung eines Einzelfalles trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Die Zahlungsaufforderung vom 12.02.2004 enthält keine Regelung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts und stellt somit keinen Verwaltungsakt dar." Im Kammertermin vom 16.11.2004, in dem die Klägerin nicht persönlich erschienen, sondern durch einen Rechtsanwalt vertreten war, wurde die mündliche Verhandlung vertagt.
Am 06.12.2004 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhoben, in der sie darauf hingewiesen hat, die Begründung des Widerspruchsbescheides verschließe sich ihr zur Gänze. Zumal zwischenzeitlich ein Mahnbescheid ergangen sei, könne sie nicht erkennen, aus welchen Gründen die Beklagte nunmehr nach fest zehn Monaten den Widerspruchsbescheid erlassen habe. Zur Vermeidung einer doppelten "Rechtsanhängigkeit" werde um eine Entscheidung über die Zulässigkeit der Klage gebeten. Das SG hat der Klägerin mitgeteilt, es beabsichtige, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise und der Sachverhalt geklärt sei. Der Gerichtsbescheid wirke wie ein Urteil und sei wie dieses mit der Berufung überprüfbar. Sie erhalte hiermit Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit Gerichtsbescheid vom 10.08.2005 hat das SG die Klage abgewiesen und der Klägerin die Gerichtskosten auferlegt. Mit Beschluss vom 28.09.2005 hat es den Streitwert auf 37.621,08 EUR festgesetzt. Die Beschwerde der Klägerin hiergegen ist erfolglos geblieben (Senat, Beschluss v. 17.01.2006, L 1 B 26/05 AL, sozialgerichtsbarkeit.de).
Mit Kostenrechnung vom 18.10.2005 hat die Kostenbeamtin die von der Klägerin zu zahlenden Gerichtskosten auf 398,00 EUR festgesetzt. Die hiergegen erhobene Erinnerung hat das SG zurückgewiesen (Beschluss v. 16.03.2006). In den Gründen heißt es, der Gebührenansatz sei sogar noch zu niedrig. Er habe sich auf 1.194,- EUR belaufen müssen. Eine Nichterhebung der Gerichtskosten nach § 21 Abs. 1 Satz 2 Gerichtskostengesetz (GKG) komme nicht in Betracht. Eine derartige Entscheidung könne nur ergehen, solange das Gericht über die Kosten nicht entschieden habe. Dies sei jedoch bereits im Gerichtsbescheid vom 10.08.2005 geschehen, indem die Gerichtskosten der Klägerin auferlegt worden seien. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach § 21 Abs. 1 Satz 2 GKG nicht vor. Der Klageantrag habe nicht auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruht. Warum die Klägerin gegen den Widerspruchsbescheid vom 04.11.2004 geklagte habe, sei nicht erkennbar. Der Widerspruchsbescheid habe die Sach- und Rechtslage zutreffend dargestellt. Mit Kostenrechnung vom 22.03.2006 hat die Kostenbeamtin der Klägerin daraufhin mitgeteilt, sie könne die Kostenrechnung vom 18.10.2005 als gegenstandslos ansehen und habe nunmehr 1.194,- EUR an Gerichtskosten zu zahlen.
Gegen den Beschluss vom 16.03.2006 richtet sich die Beschwerde der Klägerin, mit der diese unter anderem vorträgt, das Schreiben vom 12.02.2004 sei ein Verwaltungsakt gewesen, dem lediglich die Rechtsmittelbelehrung gefehlt habe. Mit ihrer Klage habe sie auf eine Klärung der Rechtslage hinwirken und eine doppelte Rechtshängigkeit des Anspruchs vermeiden wollen.
II.
Gegenstand der Beschwerde ist die das Verfahren S 4 AL 469/04 SG Gelsenkirchen betreffende Kostenrechnung gegenüber der Klägerin. Insofern ist nicht nur der Beschluss des SG vom 16.03.2006 und die vorausgegangene Kostenrechnung vom 18.10.2005, sondern auch die anschließend ergangene Kostenrechnung vom 22.03.2006 zum Gegenstand des Verfahrens geworden, ohne dass es hierzu einer erneuten Erinnerung seitens der Klägerin gegen diese Kostenrechnung bedurft hätte.
Die zulässige Beschwerde der Klägerin ist begründet. Im vorliegenden Fall sind Gerichtskosten nicht zu erheben.
Im Ansatz zutreffend ist das SG mit dem Senat (Beschluss v. 17.01.2006, a.a.O.) davon ausgegangen, dass über die Nichterhebung der Kosten auch im Erinnerungsverfahren nach § 66 Abs. 1 GKG entschieden werden kann. Entgegen seiner Auffassung steht die Vorschrift des § 21 Abs. 2 Satz 2 GKG einer Entscheidung in der Sache jedoch nicht entgegen.
Diese Bestimmung regelt, dass eine Entscheidung über die Nichterhebung der Gerichtskosten im Verwaltungsweg möglich ist, solange das Gericht keine Entscheidung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 GKG getroffen hat. Damit ist gemeint, dass der für die Überwachung des Kostenbeamten im Rahmen seiner Aufsichtspflichten zuständige Vorstand der Justizbehörde (§ 41 Abs. 1 Kostenverfügung, AV des Justizministeriums [JM] NRW v. 01.03.1976 [KostVfg], JMBl. NRW 1976, S. 61; zuletzt geändert durch AV d. JM v. 07.10.2005, JMBl. NRW 2005, S. 255), im konkreten Fall die Präsidentin des Sozialgerichts Gelsenkirchen, und die Kostenprüfungsbeamten, insbesondere der Bezirksrevisor (§ 42 Nr. 1 KostVfg), im Vorfeld einer gerichtlichen Entscheidung im Verwaltungswege zuständig sind, die Nichterhebung von Kosten anzuordnen (vgl. § 44 KostVfg). Über Beschwerden hiergegen ist auf dem Dienstaufsichtswege zu entscheiden (§ 44 Satz 3 KostVfg). Dieser Weg ist hingegen versperrt, sobald eine Entscheidung des Gerichts über den Kostenansatz vorliegt. In diesem Fall stehen dem Kostenschuldner nur noch die vom GKG vorgesehenen Rechtsmittel zur Verfügung, und das Verfahren ist einem Zugriff der Dienstaufsicht entzogen.
Demgegenüber hindert § 21 Abs. 2 Satz 2 GKG das Gericht nicht daran, im Falle einer in der Hauptsache getroffenen Kostengrundentscheidung auf die Erhebung der anschließend durch den Urkundsbeamten angesetzten Kosten zu verzichten. Im Gegenteil ist dies einer der typischen Anwendungsfälle des § 21 Abs. 1 GKG. Die Vorschrift geht gerade davon aus, dass im konkreten Fall Gerichtskosten grundsätzlich anfallen würden (insbesondere dem Kostenschuldner durch eine Kostengrundentscheidung auferlegt worden sind) und von ihrer Erhebung lediglich aufgrund einer Einzelfallentscheidung abgesehen wird. Dementsprechend kann die Entscheidung über die Nichterhebung der Gerichtskosten zwar mit der Kostengrundentscheidung verbunden, aber auch noch zeitlich nach ihr getroffen werden (Hartmann, KostG, 36. Aufl. [2006], § 21 GKG Rdnr. 56).
In der Sache selbst war von der Erhebung von 3,0 Gebühren gemäß Ziff. 7110 des Kostenverzeichnisses (KV) schon deshalb abzusehen, weil der Klageantrag auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen und rechtlichen Umstände seitens der Klägerin beruhte (§ 21 Abs. 1 Satz 3 GKG).
Die Unkenntnis rechtlicher Verhältnisse kann sich dabei auch auf die prozessuale Rechtslage beziehen. Ob sie unverschuldet ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Betreffende rechtskundig oder im konkreten Verfahren durch einen Rechtsanwalt bzw. einen anderweitigen Berufsträger vertreten gewesen ist (BFH, Beschluss v. 25.04.2006, VIII E 2/06 m.w.N.). In einem sozialgerichtlichen Klageverfahren kann die unverschuldete Unkenntnis der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse dabei auch auf einem Verwaltungshandeln beruhen. Da § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG maßgebend auf den Kläger abstellt, kommt es nicht darauf an, ob dieses Verwaltungshandeln pflicht- oder rechtswidrig gewesen ist. Entscheidend ist, ob der Kläger ohne Fahrlässigkeit, d.h. unter Beachtung der ihm zumutbaren Sorgfalt, subjektiv den Eindruck gewinnen durfte, dass im konkreten Fall die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes geboten war, obwohl es dessen objektiv nicht bedurfte.
Nach diesen Maßstäben beruht die Klageerhebung nicht auf einem vorwerfbaren Sorgfaltsverstoß seitens der Klägerin.
Unbeschadet der hier nicht zu beurteilenden Frage, ob es sich bei dem Schreiben vom 12.02.2004 entgegen der im Widerspruchsbescheid geäußerten Auffassung um einen Formalverwaltungsakt gehandelt hat (vgl. zu dieser Rechtsfigur BSG, Urteil v. 20.10.2005, B 7a AL 18/05 R, SozR 4-4300 § 119 Nr. 3), konnte dieses Schreiben auch ohne Beifügung einer entsprechenden Rechtsbehelfsbelehrung wegen der ebenso unzutreffenden wie überflüssigen Bezeichnung als "Erstattungsbescheid" jedenfalls den berechtigten Eindruck erwecken, es handele sich dabei um eine behördliche Regelung. Es kann der Klägerin daher nicht vorgeworfen werden, dass sie gegen dieses Schreiben vorsorglich Widerspruch erhoben hat, um die sonst drohende Bestandskraft eines Leistungsbescheides zu verhindern. Die bei der anwaltlich nicht vertretenen Klägerin derart berechtigterweise entstandenen und wegen der Verwendung des Wortes "Bescheid" in den im Widerspruchsverfahren verfassten Schreiben auch erkennbaren Zweifel über die Rechtsnatur des Schreibens vom 12.02.2004 hat die Beklagte in der Folgezeit nicht ausgeräumt. Nachdem sie zunächst die Existenz des Widerspruchsschreibens vom 17.02.2004 in Abrede gestellt und sogar ohne jede weitere Erläuterung ausgeführt hatte, ein Widerspruch gegen das Aufforderungsschreibens sei "unmöglich", hat sie unter dem 04.11.2004 den mit der Klage angegriffenen Widerspruchsbescheid erlassen, der sich auf eine formelhafte Wiedergabe des Gesetzestextes beschränkte, ohne die im konkreten Fall bestehende Rechtslage zu erläutern. Einer solchen Erläuterung hätte es jedoch bedurft, um der Klägerin zu verdeutlichen, dass die Beklagte nicht auf einem zweiten Wege, d.h. außerhalb des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, die Befriedigung ihrer Erstattungsforderung suchte. Das gilt umso mehr, als der Widerspruchsbescheid unter Wiederholung des Wortlauts der Zahlungsaufforderung vom 12.02.2004 das Bestehen der Erstattungsforderung im Indikativ behauptete und für die Klägerin aus den sonstigen Umständen nicht erkennbar war, inwiefern es einer solchen Verwaltungsentscheidung ausgerechnet zwei Wochen vor dem arbeitsgerichtlichen Kammertermin, auf den die Beklagte indessen in keiner Weise Bezug nahm, bedurfte. Vor diesem Hintergrund ist es der Klägerin nicht subjektiv vorzuwerfen, dass sie sozialgerichtlichen Rechtsschutz gesucht hat, um der Gefahr des Entstehens eines Vollstreckungstitels außerhalb des arbeitsgerichtlichen Verfahrens zu begegnen.
Der Vorwurf schuldhafter Unkenntnis trifft die Klägerin auch nicht deshalb, weil sie es versäumt hätte, im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht am 16.11.2004 eine Klärung der Rechtslage über ihren dortigen Prozessbevollmächtigten herbeizuführen. Dieser war, soweit ersichtlich, nur für das arbeitsgerichtliche Verfahren mandatiert. Im Übrigen besteht im arbeitsgerichtlichen Verfahren regelmäßig kein Anlass, Fragen eines parallel laufenden sozialrechtlichen Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens zu erörtern. Schließlich ist es der Klägerin nicht vorzuwerfen, dass sie innerhalb der Klagefrist keine außergerichtliche Klärung der Rechtslage mit der Beklagten gesucht hat. Hierzu besteht innerhalb der kurzen Klagefrist von nur einem Monat auch bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt keine Verpflichtung.
Bei dieser Sachlage kann der Senat es dahinstehen lassen, ob die über die einfache Gebühr nach Ziff. 7111 KV hinausgehenden 2,0 Gebühren zusätzlich nach § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG deshalb nicht zu erheben sind, weil das SG die Klägerin vor Erlass des Gerichtsbescheides nicht mit dem von ihr erkennbar erbetenen richterlichen Hinweis über seine Beurteilung der Rechtslage in Kenntnis gesetzt und ihr damit nicht die Möglichkeit der gebührensparenden Klagerücknahme eröffnet hat (vgl. zu den Anforderungen an eine Anhörungsmitteilung nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 17.09.1993, L 4 J 109/93, E-LSG SF-010 [SGG]).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 66 Abs. 8 GKG.
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 197 SGG).
Gründe:
I.
Die Klägerin hat sich im Ausgangsverfahren gegen das Schreiben der Beklagten vom 12.02.2004 und ihren Widerspruchsbescheid vom 04.11.2004 gewandt.
Die Klägerin wurde in ihrer Eigenschaft als Gesellschafterin einer Vor-GmbH von der Beklagten auf Zahlung von Arbeitsentgelt aus übergegangenem Recht gemäß § 187 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in Anspruch genommen. Mit Schreiben vom 12.02.2004, dessen Betreff sie als "Zahlungsaufforderung/Erstattungsbescheid" bezeichnete, forderte die Beklagte die Klägerin zur Zahlung von 37.621,08 EUR auf. Mit Schreiben vom 17.02.2004 erhob die Klägerin Widerspruch gegen den "Bescheid". Mit weiterem Schreiben vom 08.04.2004 wies der Ehemann der Klägerin die Beklagte darauf hin, er habe mit Datum vom 17.02.2004 Widerspruch gegen den "Bescheid" vom 12.02.2004 eingelegt. Mit Schreiben vom 08.04.2004 antwortete die Beklagte der Klägerin: " ... die Agentur für Arbeit S teilt mir mit, dass dort ein Widerspruch gegen die hier bestehende Forderung nicht vorliegt. Da es sich bei der Forderung um einen gesetzlichen Anspruchsübergang nach § 187 SGB III handelt, ist ein Widerspruch auch nicht möglich. Bitte unterbreiten Sie mir einen angemessenen Zahlungsvorschlag. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass ich zur Sicherung meiner Ansprüche einen Mahnbescheid beantragen werde."
Auf Antrag der Beklagten erließ das Arbeitsgericht Herne am 04.06.2004 einen Mahnbescheid über 37.621,08 EUR gegen die Klägerin. Auf deren Widerspruch hin begründete die Beklagte ihre Klage und wies darauf hin, sie habe die übergegangenen Ansprüche am 12.02.2004 gegenüber der Klägerin geltend gemacht. Im Gütetermin vor dem Arbeitsgericht (Az.: 3 Ca 2014/04 ArbG Herne) wurde die zivilrechtliche Rechtslage erörtert und Kammertermin auf den 16.11.2004 bestimmt. Mit Widerspruchsbescheid vom 04.11.2004 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen das Schreiben vom 12.02.2004 zurück. In der Begründung heißt es auszugsweise: "Mit der Zahlungsaufforderung vom 12.02.2004 teilte das Arbeitsamt S der Widerspruchsführerin mit, dass sie in ihrer Eigenschaft als persönlich haftende Gesellschafterin zur Erstattung des gezahlten Insolvenzgeldes in Höhe von 37.621,08 EUR verpflichtet ist ... Der Widerspruch ist unzulässig. § 78 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bestimmt, dass vor Erhebung der Anfechtungsklage Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) nachzuprüfen sind. Nach § 31 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt jede Entscheidung, die die Agentur für Arbeit zur Regelung eines Einzelfalles trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Die Zahlungsaufforderung vom 12.02.2004 enthält keine Regelung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts und stellt somit keinen Verwaltungsakt dar." Im Kammertermin vom 16.11.2004, in dem die Klägerin nicht persönlich erschienen, sondern durch einen Rechtsanwalt vertreten war, wurde die mündliche Verhandlung vertagt.
Am 06.12.2004 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhoben, in der sie darauf hingewiesen hat, die Begründung des Widerspruchsbescheides verschließe sich ihr zur Gänze. Zumal zwischenzeitlich ein Mahnbescheid ergangen sei, könne sie nicht erkennen, aus welchen Gründen die Beklagte nunmehr nach fest zehn Monaten den Widerspruchsbescheid erlassen habe. Zur Vermeidung einer doppelten "Rechtsanhängigkeit" werde um eine Entscheidung über die Zulässigkeit der Klage gebeten. Das SG hat der Klägerin mitgeteilt, es beabsichtige, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise und der Sachverhalt geklärt sei. Der Gerichtsbescheid wirke wie ein Urteil und sei wie dieses mit der Berufung überprüfbar. Sie erhalte hiermit Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit Gerichtsbescheid vom 10.08.2005 hat das SG die Klage abgewiesen und der Klägerin die Gerichtskosten auferlegt. Mit Beschluss vom 28.09.2005 hat es den Streitwert auf 37.621,08 EUR festgesetzt. Die Beschwerde der Klägerin hiergegen ist erfolglos geblieben (Senat, Beschluss v. 17.01.2006, L 1 B 26/05 AL, sozialgerichtsbarkeit.de).
Mit Kostenrechnung vom 18.10.2005 hat die Kostenbeamtin die von der Klägerin zu zahlenden Gerichtskosten auf 398,00 EUR festgesetzt. Die hiergegen erhobene Erinnerung hat das SG zurückgewiesen (Beschluss v. 16.03.2006). In den Gründen heißt es, der Gebührenansatz sei sogar noch zu niedrig. Er habe sich auf 1.194,- EUR belaufen müssen. Eine Nichterhebung der Gerichtskosten nach § 21 Abs. 1 Satz 2 Gerichtskostengesetz (GKG) komme nicht in Betracht. Eine derartige Entscheidung könne nur ergehen, solange das Gericht über die Kosten nicht entschieden habe. Dies sei jedoch bereits im Gerichtsbescheid vom 10.08.2005 geschehen, indem die Gerichtskosten der Klägerin auferlegt worden seien. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach § 21 Abs. 1 Satz 2 GKG nicht vor. Der Klageantrag habe nicht auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruht. Warum die Klägerin gegen den Widerspruchsbescheid vom 04.11.2004 geklagte habe, sei nicht erkennbar. Der Widerspruchsbescheid habe die Sach- und Rechtslage zutreffend dargestellt. Mit Kostenrechnung vom 22.03.2006 hat die Kostenbeamtin der Klägerin daraufhin mitgeteilt, sie könne die Kostenrechnung vom 18.10.2005 als gegenstandslos ansehen und habe nunmehr 1.194,- EUR an Gerichtskosten zu zahlen.
Gegen den Beschluss vom 16.03.2006 richtet sich die Beschwerde der Klägerin, mit der diese unter anderem vorträgt, das Schreiben vom 12.02.2004 sei ein Verwaltungsakt gewesen, dem lediglich die Rechtsmittelbelehrung gefehlt habe. Mit ihrer Klage habe sie auf eine Klärung der Rechtslage hinwirken und eine doppelte Rechtshängigkeit des Anspruchs vermeiden wollen.
II.
Gegenstand der Beschwerde ist die das Verfahren S 4 AL 469/04 SG Gelsenkirchen betreffende Kostenrechnung gegenüber der Klägerin. Insofern ist nicht nur der Beschluss des SG vom 16.03.2006 und die vorausgegangene Kostenrechnung vom 18.10.2005, sondern auch die anschließend ergangene Kostenrechnung vom 22.03.2006 zum Gegenstand des Verfahrens geworden, ohne dass es hierzu einer erneuten Erinnerung seitens der Klägerin gegen diese Kostenrechnung bedurft hätte.
Die zulässige Beschwerde der Klägerin ist begründet. Im vorliegenden Fall sind Gerichtskosten nicht zu erheben.
Im Ansatz zutreffend ist das SG mit dem Senat (Beschluss v. 17.01.2006, a.a.O.) davon ausgegangen, dass über die Nichterhebung der Kosten auch im Erinnerungsverfahren nach § 66 Abs. 1 GKG entschieden werden kann. Entgegen seiner Auffassung steht die Vorschrift des § 21 Abs. 2 Satz 2 GKG einer Entscheidung in der Sache jedoch nicht entgegen.
Diese Bestimmung regelt, dass eine Entscheidung über die Nichterhebung der Gerichtskosten im Verwaltungsweg möglich ist, solange das Gericht keine Entscheidung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 GKG getroffen hat. Damit ist gemeint, dass der für die Überwachung des Kostenbeamten im Rahmen seiner Aufsichtspflichten zuständige Vorstand der Justizbehörde (§ 41 Abs. 1 Kostenverfügung, AV des Justizministeriums [JM] NRW v. 01.03.1976 [KostVfg], JMBl. NRW 1976, S. 61; zuletzt geändert durch AV d. JM v. 07.10.2005, JMBl. NRW 2005, S. 255), im konkreten Fall die Präsidentin des Sozialgerichts Gelsenkirchen, und die Kostenprüfungsbeamten, insbesondere der Bezirksrevisor (§ 42 Nr. 1 KostVfg), im Vorfeld einer gerichtlichen Entscheidung im Verwaltungswege zuständig sind, die Nichterhebung von Kosten anzuordnen (vgl. § 44 KostVfg). Über Beschwerden hiergegen ist auf dem Dienstaufsichtswege zu entscheiden (§ 44 Satz 3 KostVfg). Dieser Weg ist hingegen versperrt, sobald eine Entscheidung des Gerichts über den Kostenansatz vorliegt. In diesem Fall stehen dem Kostenschuldner nur noch die vom GKG vorgesehenen Rechtsmittel zur Verfügung, und das Verfahren ist einem Zugriff der Dienstaufsicht entzogen.
Demgegenüber hindert § 21 Abs. 2 Satz 2 GKG das Gericht nicht daran, im Falle einer in der Hauptsache getroffenen Kostengrundentscheidung auf die Erhebung der anschließend durch den Urkundsbeamten angesetzten Kosten zu verzichten. Im Gegenteil ist dies einer der typischen Anwendungsfälle des § 21 Abs. 1 GKG. Die Vorschrift geht gerade davon aus, dass im konkreten Fall Gerichtskosten grundsätzlich anfallen würden (insbesondere dem Kostenschuldner durch eine Kostengrundentscheidung auferlegt worden sind) und von ihrer Erhebung lediglich aufgrund einer Einzelfallentscheidung abgesehen wird. Dementsprechend kann die Entscheidung über die Nichterhebung der Gerichtskosten zwar mit der Kostengrundentscheidung verbunden, aber auch noch zeitlich nach ihr getroffen werden (Hartmann, KostG, 36. Aufl. [2006], § 21 GKG Rdnr. 56).
In der Sache selbst war von der Erhebung von 3,0 Gebühren gemäß Ziff. 7110 des Kostenverzeichnisses (KV) schon deshalb abzusehen, weil der Klageantrag auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen und rechtlichen Umstände seitens der Klägerin beruhte (§ 21 Abs. 1 Satz 3 GKG).
Die Unkenntnis rechtlicher Verhältnisse kann sich dabei auch auf die prozessuale Rechtslage beziehen. Ob sie unverschuldet ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Betreffende rechtskundig oder im konkreten Verfahren durch einen Rechtsanwalt bzw. einen anderweitigen Berufsträger vertreten gewesen ist (BFH, Beschluss v. 25.04.2006, VIII E 2/06 m.w.N.). In einem sozialgerichtlichen Klageverfahren kann die unverschuldete Unkenntnis der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse dabei auch auf einem Verwaltungshandeln beruhen. Da § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG maßgebend auf den Kläger abstellt, kommt es nicht darauf an, ob dieses Verwaltungshandeln pflicht- oder rechtswidrig gewesen ist. Entscheidend ist, ob der Kläger ohne Fahrlässigkeit, d.h. unter Beachtung der ihm zumutbaren Sorgfalt, subjektiv den Eindruck gewinnen durfte, dass im konkreten Fall die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes geboten war, obwohl es dessen objektiv nicht bedurfte.
Nach diesen Maßstäben beruht die Klageerhebung nicht auf einem vorwerfbaren Sorgfaltsverstoß seitens der Klägerin.
Unbeschadet der hier nicht zu beurteilenden Frage, ob es sich bei dem Schreiben vom 12.02.2004 entgegen der im Widerspruchsbescheid geäußerten Auffassung um einen Formalverwaltungsakt gehandelt hat (vgl. zu dieser Rechtsfigur BSG, Urteil v. 20.10.2005, B 7a AL 18/05 R, SozR 4-4300 § 119 Nr. 3), konnte dieses Schreiben auch ohne Beifügung einer entsprechenden Rechtsbehelfsbelehrung wegen der ebenso unzutreffenden wie überflüssigen Bezeichnung als "Erstattungsbescheid" jedenfalls den berechtigten Eindruck erwecken, es handele sich dabei um eine behördliche Regelung. Es kann der Klägerin daher nicht vorgeworfen werden, dass sie gegen dieses Schreiben vorsorglich Widerspruch erhoben hat, um die sonst drohende Bestandskraft eines Leistungsbescheides zu verhindern. Die bei der anwaltlich nicht vertretenen Klägerin derart berechtigterweise entstandenen und wegen der Verwendung des Wortes "Bescheid" in den im Widerspruchsverfahren verfassten Schreiben auch erkennbaren Zweifel über die Rechtsnatur des Schreibens vom 12.02.2004 hat die Beklagte in der Folgezeit nicht ausgeräumt. Nachdem sie zunächst die Existenz des Widerspruchsschreibens vom 17.02.2004 in Abrede gestellt und sogar ohne jede weitere Erläuterung ausgeführt hatte, ein Widerspruch gegen das Aufforderungsschreibens sei "unmöglich", hat sie unter dem 04.11.2004 den mit der Klage angegriffenen Widerspruchsbescheid erlassen, der sich auf eine formelhafte Wiedergabe des Gesetzestextes beschränkte, ohne die im konkreten Fall bestehende Rechtslage zu erläutern. Einer solchen Erläuterung hätte es jedoch bedurft, um der Klägerin zu verdeutlichen, dass die Beklagte nicht auf einem zweiten Wege, d.h. außerhalb des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, die Befriedigung ihrer Erstattungsforderung suchte. Das gilt umso mehr, als der Widerspruchsbescheid unter Wiederholung des Wortlauts der Zahlungsaufforderung vom 12.02.2004 das Bestehen der Erstattungsforderung im Indikativ behauptete und für die Klägerin aus den sonstigen Umständen nicht erkennbar war, inwiefern es einer solchen Verwaltungsentscheidung ausgerechnet zwei Wochen vor dem arbeitsgerichtlichen Kammertermin, auf den die Beklagte indessen in keiner Weise Bezug nahm, bedurfte. Vor diesem Hintergrund ist es der Klägerin nicht subjektiv vorzuwerfen, dass sie sozialgerichtlichen Rechtsschutz gesucht hat, um der Gefahr des Entstehens eines Vollstreckungstitels außerhalb des arbeitsgerichtlichen Verfahrens zu begegnen.
Der Vorwurf schuldhafter Unkenntnis trifft die Klägerin auch nicht deshalb, weil sie es versäumt hätte, im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht am 16.11.2004 eine Klärung der Rechtslage über ihren dortigen Prozessbevollmächtigten herbeizuführen. Dieser war, soweit ersichtlich, nur für das arbeitsgerichtliche Verfahren mandatiert. Im Übrigen besteht im arbeitsgerichtlichen Verfahren regelmäßig kein Anlass, Fragen eines parallel laufenden sozialrechtlichen Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens zu erörtern. Schließlich ist es der Klägerin nicht vorzuwerfen, dass sie innerhalb der Klagefrist keine außergerichtliche Klärung der Rechtslage mit der Beklagten gesucht hat. Hierzu besteht innerhalb der kurzen Klagefrist von nur einem Monat auch bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt keine Verpflichtung.
Bei dieser Sachlage kann der Senat es dahinstehen lassen, ob die über die einfache Gebühr nach Ziff. 7111 KV hinausgehenden 2,0 Gebühren zusätzlich nach § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG deshalb nicht zu erheben sind, weil das SG die Klägerin vor Erlass des Gerichtsbescheides nicht mit dem von ihr erkennbar erbetenen richterlichen Hinweis über seine Beurteilung der Rechtslage in Kenntnis gesetzt und ihr damit nicht die Möglichkeit der gebührensparenden Klagerücknahme eröffnet hat (vgl. zu den Anforderungen an eine Anhörungsmitteilung nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 17.09.1993, L 4 J 109/93, E-LSG SF-010 [SGG]).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 66 Abs. 8 GKG.
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 197 SGG).
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