Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AL 3571/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AL 475/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 16. Dezember 2004 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin erhebt Anspruch auf Insolvenzgeld (Insg); streitig ist die Rechtzeitigkeit des Antrags.
Die 1949 geborene Klägerin war seit November 1999 als Disponentin bei St.-Transporte (Inhaber R. St.) in L. beschäftigt. Der Arbeitgeber geriet im Jahr 2002 in Zahlungsschwierigkeiten. Ab April 2002 wurde das Gehalt mit Verspätung überwiesen, zuletzt für Juni 2002 erst am 12. September 2002 (netto EUR 904,42). Nicht mehr ausbezahlt wurde das Gehalt für Juli und August 2002. Zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mündlich zum 31. August 2002. Hiergegen wandte sich die Klägerin nicht. Sie meldete sich am 22. August 2002 beim damaligen Arbeitsamt O. (ArbA) mit Wirkung zum 1. September 2002 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Die vom Arbeitgeber am 5. September 2002 ausgestellte und von der Klägerin vorgelegte Arbeitsbescheinigung enthielt den Eintrag, das Entgelt von Juni bis August 2002 sei wegen "Firmenauflösung" nicht gezahlt worden. Durch Bescheid vom 18. September 2002 wurde Arbeitslosengeld bewilligt (anfänglicher wöchentlicher Leistungssatz EUR 170,24); die Klägerin bezog diese Leistung bis zum 31. Januar 2003, dem Tag vor einer neuen Arbeitsaufnahme.
Nachdem die Klägerin - wie erwähnt - am 12. September 2002 einen dem Juni 2002 zugeordneten Nettobetrag von EUR 904,42 überwiesen erhalten hatte, Arbeitgeber St. ihr im Laufe des Herbstes versichert habe, mit noch einzutreibenden Außenständen die offenen Gehaltsforderungen begleichen zu können und sie auch gelegentlich seine Transportfahrzeuge habe fahren sehen, sah die Klägerin zunächst von der Geltendmachung der hier streitigen Leistung ab. Erst Ende Januar 2003 habe sie erfahren, dass St. zahlungsunfähig sei. Daraufhin erhob sie am 4. Februar 2003 zum Arbeitsgericht Freiburg - Kammern Offenburg - Klage auf Feststellung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses sowie Zahlung der Vergütung seit 1. Juli 2002. Das Arbeitsgericht stellte durch Versäumnisurteil vom 10. März 2003 fest, zwischen den Parteien bestehe ein Arbeitsverhältnis. Der dortige Beklagte (St.) wurde verurteilt, das von Juli 2002 bis Januar 2003 rückständige Arbeitsentgelt (Juli 2002 EUR 866,74 netto, August 2002 EUR 1054,83 netto, ab September EUR 1445,80 brutto abzüglich des der Klägerin zugeflossenen Arbeitslosengeldes) zu zahlen.
Am 13. Februar 2003 beantragte die Klägerin beim ArbA Insg. Ausweislich der Abrechnungen wurden für Juli 2002 netto EUR 866,74 und für August 2002 netto EUR 1054,83 gefordert. Auf Nachfrage erklärte die Klägerin, sie habe im Herbst 2002 darauf vertraut, dass St. noch zahlen werde; erst im Mai 2003 habe er mitgeteilt, dass er in den nächsten Wochen Insolvenz beantragen werde. Durch Bescheid vom 25. Juni 2003 lehnte das ArbA den Antrag ab. Die zweimonatige Frist nach dem Insolvenzereignis, der Betriebseinstellung zum 1. September 2002 sei überschritten. Die Klägerin habe sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung ihrer Ansprüche bemüht, sondern sich mit telefonischen Mahnungen gegenüber St. und dessen Vertröstungen zufrieden gegeben. Mit dem Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie habe von einer Insolvenz oder Möglichkeit eines Insolvenzantrages nichts gewusst. St. habe erklärt, er werde voraussichtlich Oktober 2002 in der Lage sein, zumindest ratenweise die Vergütung zu bezahlen. Das ArbA wies (mit Schreiben vom 29. August 2003) darauf hin, bei einer ersten schriftlichen Kontaktaufnahme mit St. vom 14. November 2002 sei die zweimonatige Frist bereits verstrichen gewesen. Die Klägerin äußerte sich nicht mehr. Es erging der zurückweisende Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 2003.
Mit der Klage zum Sozialgericht Freiburg ist die Klägerin bei ihrem bisherigen Vorbringen verblieben. Sie hat darauf hingewiesen, neben der Einzelfirma des Rainer St. existiere noch eine St. GmbH, die sich seit dem 13. Mai 2002 im Insolvenzverfahren befinde. Dies erkläre auch, weshalb weiterhin Transportfahrzeuge gesehen worden seien. Es habe insoweit allgemein Verwechslungen gegeben. Demgemäß habe auch der in der Arbeitsbescheinigung vom 5. September 2002 angegebene Grund "Firmenauflösung" nicht als zutreffend betrachtet werden müssen. Immerhin hätte die Einzelfirma auf die GmbH übergegangen sein können. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Schuldloses Versäumen der Antragsfrist setze voraus, dass man sich mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht habe und nicht aus anderen Gründen schuldhaft von der Insolvenz nichts gewusst habe. In der Arbeitsbescheinigung sei eindeutig von "Firmenauflösung" die Rede gewesen. Durch Gerichtsbescheid vom 16. Dezember 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen dargelegt, eine Unkenntnis der Insolvenz komme dem Antragsteller nur dann zugute, wenn die entsprechenden Tatsachen verheimlicht worden wären. Hier aber sei in der Arbeitsbescheinigung die Betriebsauflösung offen angegeben gewesen.
Gegen den am 10. Januar 2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 7. Februar 2005 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie macht geltend, das Sozialgericht überspanne die Anforderungen. Die Angabe in der Arbeitsbescheinigung könne allein nicht maßgeblich sein, nachdem es die dargelegten Überschneidungen mit der St. GmbH gegeben habe. Man habe es mit einem offenbar weiterlaufenden Betrieb zu tun gehabt. Der Inhaber habe immer wieder erklärt, er könne die restlichen Gehälter noch nachzahlen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 16. Dezember 2004 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 25. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Oktober 2003 zu verurteilen, ihr für Juli 2002 Insolvenz- geld in Höhe von EUR 866,74 und für August 2002 in Höhe von EUR 1054,83 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie entgegnet, die Beobachtungen in Zusammenhang mit der St. GmbH könnten nicht entkräften, dass eindeutig von einer Betriebseinstellung Ende August 2002 die Rede gewesen sei. Im Merkblatt über Arbeitslosengeld werde auch darüber informiert, unter welchen Voraussetzungen die Zahlung von Insg in Betracht kommen könne. Die Forderung, innerhalb von zwei Monaten die Ansprüche abzuklären - ggf. durch Rückfrage bei der Beklagten - , sei nicht überzogen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Das Gericht hat außer den Akten über Insg auch die Leistungsakten über Arbeitslosengeld (Stammnr.) sowie die Akten des Arbeitsgerichts Freiburg beigezogen. Auf deren Inhalt wird ebenso wie auf denjenigen der Klage- und Berufungsakten zur weiteren Darstellung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die Beklagte hat in den streitgegenständlichen Bescheiden des ArbA den Antrag auf Insg zu Recht als verspätet abgelehnt.
Gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei (1.) Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers, (2.) Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder (3.) vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Insolvenzereignis), für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Die Leistung ist (vgl. § 324 Abs. 3 Satz 1) innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen. Hat der Arbeitnehmer die Frist aus Gründen versäumt, die er nicht zu vertreten hat, so wird Insolvenzgeld geleistet, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt wird (Satz 2). Der Arbeitnehmer hat die Versäumung der Frist zu vertreten, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat (Satz 3). Es kommt auf die fahrlässige Unkenntnis vom Insolvenzereignis an, wobei leichte Fahrlässigkeit genügt (so zur früheren gleichlautenden Vorschrift des § 141e Abs. 1 Satz 3 des Arbeitsförderungsgesetzes - Konkursausfallsgeld - Bundessozialgericht - BSG - BSGE 55, 284, 286 = SozR 4100 § 141e Nr. 5; BSG, Urteil vom 30. April 1996 - 10 RAr 8/94 - AuB 1997, 57, 58). Die Regelungen des § 324 Abs. 3 SGB III entsprechen dem Gemeinschaftsrecht (vgl. hierzu Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - SozR 4-4300 § 324 Nr. 1). Die Frist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist nicht weniger günstig als bei gleichartigen innerstaatlichen Anträgen (Grundsatz der Gleichwertigkeit) und sie ist vor allem im Hinblick auf den Ausnahmetatbestand des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III nicht so ausgestattet, dass sie die Ausübung der von der Gemeinschaftsrechtsordnung eingeräumten Rechte praktisch unmöglich macht (Grundsatz der Effektivität).
Maßgebendes Insolvenzereignis kann hier - was auch von der Klägerin so gesehen wird - nur eine vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit zum 31. August 2002 sein, so dass die zweimonatige Frist - von der Klägerin nicht gewahrt - am 31. Oktober 2002 abgelaufen ist. Eine solche Beendigung liegt vor, wenn keine dem Betriebszweck dienenden Arbeiten (hierzu gehören nicht mehr die der Auflösung, der reinen Abwicklung oder der Erhaltung von Betriebsmitteln dienenden Arbeiten) mehr geleistet werden (vgl. BSG SozR 4100 § 141b Nrn 18 und 19). Dieser Tatbestand war unwidersprochen mit der Beendigung der Tätigkeit der Einzelfirma St., des alleinigen Arbeitgebers der Klägerin erfüllt. Deshalb kommt es - objektiv - nicht darauf an, wie von der Klägerin in Erfahrung gebracht, dass ein ehemaliger Mitarbeiter von St. ein neues Unternehmen gegründet habe, in welchem St. angestellt gewesen sei.
Zum genannten Zeitpunkt ist auch ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht gekommen. Diesbezüglich muss nicht letzte Klarheit bestehen und exakt ermittelt werden, ob eine den Kosten des Verfahrens entsprechende Masse nicht vorhanden ist; es genügt, wenn alle äußeren Tatsachen und insofern der Anschein für die Masseunzulänglichkeit sprechen (BSG, Urteil vom 4. März 1999 - B 11/10 AL 3/98 R - DBlR Nr. 4524 AFG /§ 141e). Hierfür reicht die Tatsache der Nichtzahlung für drei Monate in Verbindung mit der Erklärung in der Arbeitsbescheinigung aus.
Der Senat teilt die Auffassung der Beklagten und des Sozialgerichts, dass es auch für den Verhalt von Fahrlässigkeit wesentlich auf die der Klägerin ausgestellte Arbeitsbescheinigung vom 5. September 2002 ankommt, die den unmissverständlichen Eintrag enthielt, das Entgelt von Juni bis August 2002 sei wegen "Firmenauflösung" nicht gezahlt worden. Damit war bekundet, dass offensichtliche Zahlungsschwierigkeiten des Arbeitgebers zeitgleich mit der - zunächst hingenommenen - mündlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zur vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit geführt hatten. Eine diesen Tatbestand entkräftende oder widerlegende Information ist der Klägerin weder mündlich noch schriftlich erteilt worden.
Unter diesen Umständen kann weder der Kenntnis von der Existenz einer weiteren Firma St. Transporte GmbH noch die Beobachtung, Fahrzeuge des Arbeitgebers seien noch weiterhin gesichtet worden, das Verhalten der Klägerin entschuldigen. Es ist nicht verständlich, angesichts des Ausfalls des Entgelts für mehrere Monate aus solchen - zumal kaum beweisbaren - Indizien eine Unrichtigkeit der klaren Angabe in der Arbeitsbescheinigung herleiten zu wollen. Insoweit hätte es der Klägerin, wie die Beklagte zutreffend einwendet, gerade in der hierdurch entstandenen Unklarheit oblegen, sich näher zu erkundigen, anstatt sich eine durch nichts wirklich bestätigte Meinung zurechtzulegen.
Auch aus der Abschlagzahlung von EUR 904,42 für Juni 2002, gutgeschrieben am 12. September 2002 vermag die Klägerin nichts Günstigeres herzuleiten. Es ist dies die einzige Zahlung des Arbeitgebers etwa zweieinhalb Monate nach Fälligkeit geblieben. Weitere Zahlungen sind nicht erfolgt. Die Versprechungen des Arbeitgebers St. sind offenkundig vage und unbestimmt geblieben. Konkrete Indizien dafür, dass dieser nochmals zahlungsfähig werden könnte, waren nicht vorhanden. Dies hätte, wie das Sozialgericht zutreffend dargelegt hat, die Klägerin veranlassen müssen, jedenfalls vorsorglich Antrag auf Insg zu stellen. Schließlich weist die Beklagte zu Recht darauf hin, das bei der Arbeitslosmeldung Anfang September ausgehändigte Merkblatt für Arbeitslose enthalte den Hinweis, der Antrag auf Insg sei grundsätzlich innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis (hier der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit) zu stellen. Auch dies war bei Kenntnis der Einstellung der Betriebstätigkeit ein deutlicher Hinweis darauf, dass allein vage Vertröstungen seitens des Arbeitgebers oder eine nochmalige Nachzahlung für einen zurückliegenden Monat für sich nicht von der Beachtung der Frist entbinden konnten
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin erhebt Anspruch auf Insolvenzgeld (Insg); streitig ist die Rechtzeitigkeit des Antrags.
Die 1949 geborene Klägerin war seit November 1999 als Disponentin bei St.-Transporte (Inhaber R. St.) in L. beschäftigt. Der Arbeitgeber geriet im Jahr 2002 in Zahlungsschwierigkeiten. Ab April 2002 wurde das Gehalt mit Verspätung überwiesen, zuletzt für Juni 2002 erst am 12. September 2002 (netto EUR 904,42). Nicht mehr ausbezahlt wurde das Gehalt für Juli und August 2002. Zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mündlich zum 31. August 2002. Hiergegen wandte sich die Klägerin nicht. Sie meldete sich am 22. August 2002 beim damaligen Arbeitsamt O. (ArbA) mit Wirkung zum 1. September 2002 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Die vom Arbeitgeber am 5. September 2002 ausgestellte und von der Klägerin vorgelegte Arbeitsbescheinigung enthielt den Eintrag, das Entgelt von Juni bis August 2002 sei wegen "Firmenauflösung" nicht gezahlt worden. Durch Bescheid vom 18. September 2002 wurde Arbeitslosengeld bewilligt (anfänglicher wöchentlicher Leistungssatz EUR 170,24); die Klägerin bezog diese Leistung bis zum 31. Januar 2003, dem Tag vor einer neuen Arbeitsaufnahme.
Nachdem die Klägerin - wie erwähnt - am 12. September 2002 einen dem Juni 2002 zugeordneten Nettobetrag von EUR 904,42 überwiesen erhalten hatte, Arbeitgeber St. ihr im Laufe des Herbstes versichert habe, mit noch einzutreibenden Außenständen die offenen Gehaltsforderungen begleichen zu können und sie auch gelegentlich seine Transportfahrzeuge habe fahren sehen, sah die Klägerin zunächst von der Geltendmachung der hier streitigen Leistung ab. Erst Ende Januar 2003 habe sie erfahren, dass St. zahlungsunfähig sei. Daraufhin erhob sie am 4. Februar 2003 zum Arbeitsgericht Freiburg - Kammern Offenburg - Klage auf Feststellung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses sowie Zahlung der Vergütung seit 1. Juli 2002. Das Arbeitsgericht stellte durch Versäumnisurteil vom 10. März 2003 fest, zwischen den Parteien bestehe ein Arbeitsverhältnis. Der dortige Beklagte (St.) wurde verurteilt, das von Juli 2002 bis Januar 2003 rückständige Arbeitsentgelt (Juli 2002 EUR 866,74 netto, August 2002 EUR 1054,83 netto, ab September EUR 1445,80 brutto abzüglich des der Klägerin zugeflossenen Arbeitslosengeldes) zu zahlen.
Am 13. Februar 2003 beantragte die Klägerin beim ArbA Insg. Ausweislich der Abrechnungen wurden für Juli 2002 netto EUR 866,74 und für August 2002 netto EUR 1054,83 gefordert. Auf Nachfrage erklärte die Klägerin, sie habe im Herbst 2002 darauf vertraut, dass St. noch zahlen werde; erst im Mai 2003 habe er mitgeteilt, dass er in den nächsten Wochen Insolvenz beantragen werde. Durch Bescheid vom 25. Juni 2003 lehnte das ArbA den Antrag ab. Die zweimonatige Frist nach dem Insolvenzereignis, der Betriebseinstellung zum 1. September 2002 sei überschritten. Die Klägerin habe sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung ihrer Ansprüche bemüht, sondern sich mit telefonischen Mahnungen gegenüber St. und dessen Vertröstungen zufrieden gegeben. Mit dem Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie habe von einer Insolvenz oder Möglichkeit eines Insolvenzantrages nichts gewusst. St. habe erklärt, er werde voraussichtlich Oktober 2002 in der Lage sein, zumindest ratenweise die Vergütung zu bezahlen. Das ArbA wies (mit Schreiben vom 29. August 2003) darauf hin, bei einer ersten schriftlichen Kontaktaufnahme mit St. vom 14. November 2002 sei die zweimonatige Frist bereits verstrichen gewesen. Die Klägerin äußerte sich nicht mehr. Es erging der zurückweisende Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 2003.
Mit der Klage zum Sozialgericht Freiburg ist die Klägerin bei ihrem bisherigen Vorbringen verblieben. Sie hat darauf hingewiesen, neben der Einzelfirma des Rainer St. existiere noch eine St. GmbH, die sich seit dem 13. Mai 2002 im Insolvenzverfahren befinde. Dies erkläre auch, weshalb weiterhin Transportfahrzeuge gesehen worden seien. Es habe insoweit allgemein Verwechslungen gegeben. Demgemäß habe auch der in der Arbeitsbescheinigung vom 5. September 2002 angegebene Grund "Firmenauflösung" nicht als zutreffend betrachtet werden müssen. Immerhin hätte die Einzelfirma auf die GmbH übergegangen sein können. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Schuldloses Versäumen der Antragsfrist setze voraus, dass man sich mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht habe und nicht aus anderen Gründen schuldhaft von der Insolvenz nichts gewusst habe. In der Arbeitsbescheinigung sei eindeutig von "Firmenauflösung" die Rede gewesen. Durch Gerichtsbescheid vom 16. Dezember 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen dargelegt, eine Unkenntnis der Insolvenz komme dem Antragsteller nur dann zugute, wenn die entsprechenden Tatsachen verheimlicht worden wären. Hier aber sei in der Arbeitsbescheinigung die Betriebsauflösung offen angegeben gewesen.
Gegen den am 10. Januar 2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 7. Februar 2005 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie macht geltend, das Sozialgericht überspanne die Anforderungen. Die Angabe in der Arbeitsbescheinigung könne allein nicht maßgeblich sein, nachdem es die dargelegten Überschneidungen mit der St. GmbH gegeben habe. Man habe es mit einem offenbar weiterlaufenden Betrieb zu tun gehabt. Der Inhaber habe immer wieder erklärt, er könne die restlichen Gehälter noch nachzahlen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 16. Dezember 2004 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 25. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Oktober 2003 zu verurteilen, ihr für Juli 2002 Insolvenz- geld in Höhe von EUR 866,74 und für August 2002 in Höhe von EUR 1054,83 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie entgegnet, die Beobachtungen in Zusammenhang mit der St. GmbH könnten nicht entkräften, dass eindeutig von einer Betriebseinstellung Ende August 2002 die Rede gewesen sei. Im Merkblatt über Arbeitslosengeld werde auch darüber informiert, unter welchen Voraussetzungen die Zahlung von Insg in Betracht kommen könne. Die Forderung, innerhalb von zwei Monaten die Ansprüche abzuklären - ggf. durch Rückfrage bei der Beklagten - , sei nicht überzogen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Das Gericht hat außer den Akten über Insg auch die Leistungsakten über Arbeitslosengeld (Stammnr.) sowie die Akten des Arbeitsgerichts Freiburg beigezogen. Auf deren Inhalt wird ebenso wie auf denjenigen der Klage- und Berufungsakten zur weiteren Darstellung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die Beklagte hat in den streitgegenständlichen Bescheiden des ArbA den Antrag auf Insg zu Recht als verspätet abgelehnt.
Gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei (1.) Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers, (2.) Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder (3.) vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Insolvenzereignis), für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Die Leistung ist (vgl. § 324 Abs. 3 Satz 1) innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen. Hat der Arbeitnehmer die Frist aus Gründen versäumt, die er nicht zu vertreten hat, so wird Insolvenzgeld geleistet, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt wird (Satz 2). Der Arbeitnehmer hat die Versäumung der Frist zu vertreten, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat (Satz 3). Es kommt auf die fahrlässige Unkenntnis vom Insolvenzereignis an, wobei leichte Fahrlässigkeit genügt (so zur früheren gleichlautenden Vorschrift des § 141e Abs. 1 Satz 3 des Arbeitsförderungsgesetzes - Konkursausfallsgeld - Bundessozialgericht - BSG - BSGE 55, 284, 286 = SozR 4100 § 141e Nr. 5; BSG, Urteil vom 30. April 1996 - 10 RAr 8/94 - AuB 1997, 57, 58). Die Regelungen des § 324 Abs. 3 SGB III entsprechen dem Gemeinschaftsrecht (vgl. hierzu Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - SozR 4-4300 § 324 Nr. 1). Die Frist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist nicht weniger günstig als bei gleichartigen innerstaatlichen Anträgen (Grundsatz der Gleichwertigkeit) und sie ist vor allem im Hinblick auf den Ausnahmetatbestand des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III nicht so ausgestattet, dass sie die Ausübung der von der Gemeinschaftsrechtsordnung eingeräumten Rechte praktisch unmöglich macht (Grundsatz der Effektivität).
Maßgebendes Insolvenzereignis kann hier - was auch von der Klägerin so gesehen wird - nur eine vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit zum 31. August 2002 sein, so dass die zweimonatige Frist - von der Klägerin nicht gewahrt - am 31. Oktober 2002 abgelaufen ist. Eine solche Beendigung liegt vor, wenn keine dem Betriebszweck dienenden Arbeiten (hierzu gehören nicht mehr die der Auflösung, der reinen Abwicklung oder der Erhaltung von Betriebsmitteln dienenden Arbeiten) mehr geleistet werden (vgl. BSG SozR 4100 § 141b Nrn 18 und 19). Dieser Tatbestand war unwidersprochen mit der Beendigung der Tätigkeit der Einzelfirma St., des alleinigen Arbeitgebers der Klägerin erfüllt. Deshalb kommt es - objektiv - nicht darauf an, wie von der Klägerin in Erfahrung gebracht, dass ein ehemaliger Mitarbeiter von St. ein neues Unternehmen gegründet habe, in welchem St. angestellt gewesen sei.
Zum genannten Zeitpunkt ist auch ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht gekommen. Diesbezüglich muss nicht letzte Klarheit bestehen und exakt ermittelt werden, ob eine den Kosten des Verfahrens entsprechende Masse nicht vorhanden ist; es genügt, wenn alle äußeren Tatsachen und insofern der Anschein für die Masseunzulänglichkeit sprechen (BSG, Urteil vom 4. März 1999 - B 11/10 AL 3/98 R - DBlR Nr. 4524 AFG /§ 141e). Hierfür reicht die Tatsache der Nichtzahlung für drei Monate in Verbindung mit der Erklärung in der Arbeitsbescheinigung aus.
Der Senat teilt die Auffassung der Beklagten und des Sozialgerichts, dass es auch für den Verhalt von Fahrlässigkeit wesentlich auf die der Klägerin ausgestellte Arbeitsbescheinigung vom 5. September 2002 ankommt, die den unmissverständlichen Eintrag enthielt, das Entgelt von Juni bis August 2002 sei wegen "Firmenauflösung" nicht gezahlt worden. Damit war bekundet, dass offensichtliche Zahlungsschwierigkeiten des Arbeitgebers zeitgleich mit der - zunächst hingenommenen - mündlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zur vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit geführt hatten. Eine diesen Tatbestand entkräftende oder widerlegende Information ist der Klägerin weder mündlich noch schriftlich erteilt worden.
Unter diesen Umständen kann weder der Kenntnis von der Existenz einer weiteren Firma St. Transporte GmbH noch die Beobachtung, Fahrzeuge des Arbeitgebers seien noch weiterhin gesichtet worden, das Verhalten der Klägerin entschuldigen. Es ist nicht verständlich, angesichts des Ausfalls des Entgelts für mehrere Monate aus solchen - zumal kaum beweisbaren - Indizien eine Unrichtigkeit der klaren Angabe in der Arbeitsbescheinigung herleiten zu wollen. Insoweit hätte es der Klägerin, wie die Beklagte zutreffend einwendet, gerade in der hierdurch entstandenen Unklarheit oblegen, sich näher zu erkundigen, anstatt sich eine durch nichts wirklich bestätigte Meinung zurechtzulegen.
Auch aus der Abschlagzahlung von EUR 904,42 für Juni 2002, gutgeschrieben am 12. September 2002 vermag die Klägerin nichts Günstigeres herzuleiten. Es ist dies die einzige Zahlung des Arbeitgebers etwa zweieinhalb Monate nach Fälligkeit geblieben. Weitere Zahlungen sind nicht erfolgt. Die Versprechungen des Arbeitgebers St. sind offenkundig vage und unbestimmt geblieben. Konkrete Indizien dafür, dass dieser nochmals zahlungsfähig werden könnte, waren nicht vorhanden. Dies hätte, wie das Sozialgericht zutreffend dargelegt hat, die Klägerin veranlassen müssen, jedenfalls vorsorglich Antrag auf Insg zu stellen. Schließlich weist die Beklagte zu Recht darauf hin, das bei der Arbeitslosmeldung Anfang September ausgehändigte Merkblatt für Arbeitslose enthalte den Hinweis, der Antrag auf Insg sei grundsätzlich innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis (hier der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit) zu stellen. Auch dies war bei Kenntnis der Einstellung der Betriebstätigkeit ein deutlicher Hinweis darauf, dass allein vage Vertröstungen seitens des Arbeitgebers oder eine nochmalige Nachzahlung für einen zurückliegenden Monat für sich nicht von der Beachtung der Frist entbinden konnten
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
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