L 13 VJ 10/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 45 VJ 138/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 VJ 10/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. November 2002 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Versorgung nach dem Bundesseuchengesetz(BSeuchG) /Infektionsschutzgesetz (IfSG) wegen gesundheitlicher Folgen einer Tuberkulose-Schutzimpfung mit einem BCG(Bacille Calmette Guerin)-Impfstoff.

Der 1974 geborene Kläger wurde am 31. August 1979 gegen Tuberkulose mit dem Impfstoff B, Chargen-Nr. 78907 geimpft. Bei ihm wurde im Juli/ August 1980 ein Diabetes mellitus diagnostiziert. Mit Bescheid vom 13. Juni 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. November 2000 erkannte das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin dem Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 70 wegen folgender Funktionsbeeinträchtigungen zu: a. Insulinpflichtige Zuckerkrankheit mit Insulinpumpenversorgung, Retinopathia diabetica b. Seelisches Leiden c. Priapismus

Der Kläger beantragte am 18. Dezember 2000 Versorgungsleistungen nach dem BSeuchG wegen des Diabetes mellitus, den er auf die Impfung zurückführte.

Der Beklagte holte einen Befundbericht des Kinderarztes Dr. P ein, bei dem der Kläger von Dezember 1974 bis Juni 1980 in Behandlung war, und zog einen Arztbrief des Städtischen Krankenhauses L vom 15. September 1980 über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 17. Juli bis zum 15. August 1980 bei. Die vom Beklagten gehörte Medizinalrätin Dr. R führte in einer Stellungnahme vom 25. Juni 2005 aus, in der medizinischen Fachliteratur seien keine Fälle bekannt, die eine BCG-Impfung als Ursache für einen insulinpflichtigen Diabetes mellitus anschuldigen würden. Auch wenn man einen Autoimmunmechanismus durch die BCG-Impfung bejahen würde, sei es ausgeschlossen, dass dieser erst nach einer Latenzzeit von 11 Monaten zu einer Zerstörung der Inselzellen im Pankreas geführt haben sollte.

Dem folgend lehnte der Beklagte den Anspruch des Klägers auf Beschädigtenversorgung nach dem IfSG durch Bescheid vom 12. Juli 2001 ab.

Mit seinem Widerspruch hiergegen machte der Kläger geltend, es sei nicht geprüft worden, ob die Chargen-Nummer unter eine Rückrufaktion, Fehlproduktion etc. falle. Abgesehen davon würde gerade die signifikante Häufung von Diabetes nach Impfungen mit einer cirka einjährigen Latenzzeit zu Verdachtsmomenten führen, die weitere Ermittlungen erforderlich machen würden.

Durch Widerspruchsbescheid vom 8. Oktober 2001 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Es fehle an dem erforderlichen Nachweis, dass es im Anschluss an die durchgeführte Impfung innerhalb der Inkubationszeit zu einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung gekommen sei. Nach dem Befundbericht von Dr. Pseien in dem Zeitraum bis zum 30. Juni 1980 keine Hinweise auf Stoffwechselstörungen festgestellt worden. Auch in der im Bericht des Städtischen Krankenhauses Leverkusen aufgeführten Anamnese würden Auffälligkeiten bzw. Krankheitserscheinungen nach der Impfung nicht erwähnt. Allein die Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhanges reiche für eine Anerkennung nach dem BSeuchG nicht aus.

Die dagegen vor dem Sozialgericht Berlin erhobene Klage hat das Sozialgericht durch Urteil vom 28. November 2002 abgewiesen. Der Kläger habe nicht den geringsten Hinweis darauf gegeben, dass entgegen den Ausführungen von Dr. R in der ärztlichen Wissenschaft ein Zusammenhang zwischen Impfung und Diabetes bejaht werde. Da ein Zusammenhang nahezu ausgeschlossen sei, hätten auch keine weiteren medizinischen Ermittlungen durchgeführt zu werden brauchen.

Mit seiner Berufung vom 24. Februar 2003 gegen das ihm am 24. Januar 2003 zugestellte Urteil rügt der Kläger eine unzureichende Sachaufklärung. Eine Privatperson habe nicht die Möglichkeiten, sich entsprechend Informationen zu beschaffen, mit Hilfe derer eine Verunreinigung der Impfcharge nachgewiesen werden könne.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. November 2002 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 2001 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm ab Dezember 2000 Versorgung wegen eines Impfschadens nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 40 v. H. zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die seit dem 24. November 1977 geltenden Impfempfehlungen des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen beigezogen, eine ergänzende Auskunft von Dr. Peingeholt, Rückfrage bei den Staatsanwaltschaften des Landgerichts D und des Landgerichts K sowie beim Amtsapotheker der Stadt D gehalten. Das P-E-I hat mitgeteilt, dass aufgrund der Systematik der Chargennummern ausgeschlossen werden könne, dass es sich bei dem BCG-Impfstoff um ein in Deutschland zugelassenes Präparat gehandelt habe. Das Schweizerische Heilmittelinstitut hat angegeben, dass Impfstoff, der von der Behörde 1978/79 freigegeben worden sei, mit Nummern um 13-tausend versehen gewesen sei.

Des Weiteren hat der Senat ein Gutachten nach Aktenlage von Prof. Dr. H vom 15. März 2006 eingeholt. Danach sind die Hinweise von Dr. R, dass eine Latenzzeit von elf Monaten eine immunologische Zerstörung der Inselzellen ausschließe, nach den Ergebnissen der BABYDIAB-Studie nicht korrekt. Die Studie habe gezeigt, dass das Autoimmungeschehen oft schon in den ersten Lebensjahren beginne, der Ausbruch der Erkrankung aber noch Jahre auf sich warten lasse. Eine signifikante Beeinflussung durch eine BCG-Impfung sei lediglich in einer Studie gefunden worden, in der die Patienten überwiegend in den ersten drei Monaten eine Impfung erhalten hätten. Eine Beeinflussung der Diabeteshäufigkeit durch eine BCG-Impfung habe sich dabei nicht ergeben, sondern es seien lediglich Unterschiede in der Latenzzeit festgestellt worden. Diese Ergebnisse seien aber auf den Fall des Klägers nicht übertragbar, da er zu einem späteren Zeitpunkt geimpft worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akten des Sozialgerichts) und der Versorgungsakten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist unbegründet.

Der Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden die Gewährung von Entschädigungsleistungen zu Recht abgelehnt. Die Gewährung von Entschädigungsleistungen richtet sich nach § 51 Abs. 1 BSeuchG/§ 60 IfSG. Da das IfSG am 1. Januar 2001 bei zeitgleichem Außerkrafttreten des BSeuchG ohne Übergangsvorschrift (s Art 5 Abs. 1 Nr. 1 Gesetz zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften vom 20. Juli 2000, BGBl I, 1045) in Kraft getreten ist, ist im Hinblick auf den Entschädigungsanspruch bis zum Inkrafttreten des IfSG das BSeuchG weiterhin anzuwenden; hier also für Dezember 2000. Für die Zeit danach sind der Entscheidung die allerdings insoweit im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorschriften des IfSG zu Grunde zu legen. Nach § 51 Abs. 1 BSeuchG erhält u.a., wer durch eine Impfung, die 3. von einer zuständigen Behörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen worden ist, einen Impfschaden erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen des Impfschadens auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes. § 60 Abs. 1 Nr. 1 IfSG stimmt damit im Wesentlichen überein. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Die Impfung des Klägers entsprach der öffentlichen Empfehlung, da die seit dem 24. November 1977 geltende Impfempfehlung des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen keine Einschränkung dahingehend enthielt, dass nur zugelassene Impfstoffe verwendet werden dürften. Der Kläger erfüllte auch die sonstigen Voraussetzungen der Empfehlung, da er nach Angaben des behandelnden Arztes tuberkulin-negativ getestet worden war. Für die Impfopferversorgung müssen die schädigende Einwirkung (Impfung), die gesundheitliche Schädigung in Form einer unüb¬lichen Impfreaktion und die Schädigungsfolge (ein Dauerleiden) nach allgemeinen Rechts¬grundsätzen nachgewiesen und nicht nur wahrscheinlich sein (BSG, Urteil vom 19. März 1986, Az.: 9 a RVi 2/84, SozR 3850 § 51 Nr. 9). Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und der (Primär-) Schädigung sowie zwischen dieser und den Schädigungsfolgen genügt es, wenn die Kausalität wahrscheinlich ist (§ 61 Satz 1 IFSG). Wahrscheinlich in diesem Sinne ist die Kausalität dann, wenn wenigstens mehr für als gegen sie spricht, wenn die für den Zusammenhang sprechenden Umstände mindestens deut¬lich überwiegen (BSG, a. a. O., m.w.N.).

Der Kläger hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keinen Impfschaden erlitten. Ein Impfschaden ist nach § 52 Abs. 1 S. 1 BSeuchG bzw. § 2 Nr. 11 IFSG die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinaus gehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung. Welche Impfreaktion als Impfschaden anzusehen ist, lässt sich im Allgemeinen den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädi¬gungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) in ihrer jeweils geltenden Fassung entnehmen. Die AHP geben den der herrschenden medizinischen Lehrmeinung entsprechenden aktuellen Kenntnis- und Wissensstand wieder, u. a. auch über die Auswirkungen und Ursachen von Gesundheitsstörungen nach Impfungen. Die als medizinische Sachverständige tätigen Gutachter und die Versorgungsverwaltungen sind an die in den AHP enthaltenen Erkenntnisse für die Begutachtung bzw. Entscheidungen über Anträge auf Versorgung gebunden (BSG, Urteil vom 27. August 1998, Az. B 9 VJ 2/97 R, USK 98120, m.w.N.). Zwar beruhen die AHP weder auf dem Gesetz noch auf einer Ver¬ordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften, so dass sie keinerlei Normqualität haben. Dennoch wirken sie in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit und haben deshalb normähnlichen Charakter und sind im Interesse einer gleichmäßigen Rechts¬anwendung wie untergesetzliche Normen heranzuziehen (ständige Rechtsprechung, BSG, a.a.O., m.w.N).

Die AHP haben in ihrer jeweils geltenden Fassung seit 1973 (Nr. 57 Ziffer 10) niemals einen Diabetes mellitus als Impfschaden nach BCG-Impfung aufgeführt. Etwas anderes folgt auch nicht aus den allgemeinen Ausführungen in Nr. 120 S. 246 der AHP zur Entstehungsweise des Diabetes mellitus. Danach können bei entsprechender genetischer Disposition Umwelteinflüsse, wie z.B. Infekte, toxische Substanzen einen Autoimmunprozess auslösen, der zur Entwicklung eines insulinabhängigen Diabetes mellitus führen kann. Insoweit ist die Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs zwischen der Impfung und dem Entstehen des Diabetes mellitus jedoch durch das Gutachten von Prof. Dr. H vom 15. März 2006 zur Überzeugung des Senats widerlegt worden. Danach ist ein kausaler Zusammenhang zwischen einer BCG-Impfung und der Beeinflussung eines genetisch prädisponierten Diabetes nur theoretisch denkbar. Damit ist eine Wahrscheinlichkeit gerade nicht gegeben. Abgesehen davon gibt es dem Gutachten zufolge keine Erkenntnisse dahingehend, dass Diabetes durch eine BCG-Impfung häufiger auftritt. Da der Gutachter die von ihm vertretene Auffassung mit entsprechenden Studien belegt hat, hat der Senat keine Veranlassung, dem Gutachten nicht zu folgen.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Ziffern 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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