L 12 RA 14/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 29 RA 6511/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 12 RA 14/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. August 2003 sowie der Bescheid der Beklagten vom 11. April 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2001 aufgehoben. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Rücknahme eines Rentenbescheides und die Rückforderung einer überzahlten Rente.

Der 1956 geborene Kläger war seit 1985 mit der 1961 geborenen und 1994 verstorbenen K K (im Folgenden: Versicherte) verheiratet. Er hat drei 1982, 1984 und 1986 geborene Kinder. Am 18. Januar 1995 beantragte er die Gewährung einer Hinterbliebenenrente und gab an, aus einer Beschäftigung als Sachbearbeiter bei der D AG laufend Arbeitsentgelt zu beziehen. Der Arbeitgeber bestätigte ein Bruttoeinkommen von 65.122,58 DM für das Jahr 1993 und 4.818,95 DM für Dezember 1994. Durch Rentenbescheid vom 13. April 1995 gewährte die Beklagte große Witwerrente ab 31. Dezember 1994 mit einer Nachzahlung für die Zeit vom 31. Dezember 1994 bis 31. Mai 1995 in Höhe von 3.748,47 DM und 0,68 DM monatlich ab 1. Juni 1995. Für die Zeit ab 1. April 1995 sei die große Witwerrente, die sich rechnerisch in Höhe von monatlich 799,14 DM ergebe, um 798,41 DM anzurechnendes Einkommen zu mindern. Hinsichtlich eines Rentenzuschlags und/oder Übergangszuschlags aufgrund einer Vergleichsberechnung werde noch weitere Mitteilung ergehen.

Die Beklagte stellte die große Witwerrente mit Rentenbescheid vom 11. Juli 1995 neu fest, weil für die Versicherte die Zeit vom 1. April 1987 bis 31. Dezember 1994 zusätzlich als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung anfalle. Ab 1. September 1995 ergebe sich nunmehr ein Zahlbetrag von 26,50 DM, für die Zeit vom 31. Dezember 1994 bis 31. August 1995 eine Nachzahlung von 80,54 DM. Durch Rentenbescheid vom 11. September 1995 stellte die Beklagte erneut die große Witwerrente neu fest. Sie errechnete ab 1. November 1995 einen laufenden Zahlbetrag in Höhe von 26,44 DM und für die Zeit vom 31. Dezember 1994 bis 31. Oktober 1995 eine Überzahlung von 0,72 DM. Mit Bescheid vom 12. August 1996 lehnte sie die Gewährung eines Renten-/Übergangszuschlags nach §§ 319 a, b des Sozialgesetzbuchs, Sechstes Buch (SGB VI) ab, weil der nach den Vorschriften des SGB VI ermittelte und bereits gezahlte Monatsbetrag der Rente den Betrag überschreite, der sich als Rente nach den Vorschriften des Übergangsrechts für das Beitrittsgebiet ergebe. Der Kläger erhob Widerspruch und machte geltend, dass der Betrag der Rente nach der Einkommensanrechnung bisher ständig unter dem der Vergleichsberechnung nach Art. 2 des Rentenüberleitungsgesetzes (RÜG) gelegen habe. Durch Bescheid vom 7. August 1997 lehnte die Beklagte erneut die Zahlung eines Renten-/ Übergangszuschlages nach §§ 319 a, b SGB VI ab. Ein Anspruch auf Witwerrente nach Art. 2 § 11 RÜG bestehe nicht, weil die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt seien. Dagegen legte der Kläger Widerspruch mit dem Hinweis ein, eine Übergangshinterbliebenenrente nach Art. 2 § 13 RÜG beantragt zu haben. Mit Rentenbescheid vom 12. August 1997 berechnete die Beklagte die große Witwerrente mit Wirkung ab dem 1. Juli 1997 neu. Als anzurechnendes Einkommen sei nunmehr das Arbeitsentgelt für 1996 zu berücksichtigen, das in Höhe von 24.655,00 DM während 5 Kalendermonaten erzielt worden sei. Festgestellt wurde ein monatlicher Zahlbetrag der Rente in Höhe von 311,19 DM. Den Widerspruch gegen die Ablehnung eines Übergangszuschlags wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 1998 zurück. Die dagegen erhobene Klage nahm der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 8. Juli 1999 zurück.

Bereits am 31. März 1998 hatte sich der Kläger an die Beklagte gewandt und eine Überprüfung der Einkommensanrechnung beantragt. Er wies darauf hin, dass er ab dem 18. Februar 1998 nur noch Krankengeld erhalte. Durch Rentenbescheid vom 24. April 1998 stellte die Beklagte die große Witwerrente ab dem 18. Februar 1998 neu fest und berechnete wegen Änderung des anzurechnenden Einkommens einen monatlichen Zahlbetrag von 596,88 DM. Anschließend stellte sie durch Rentenbescheid vom 21. August 1998 die große Witwerrente mit Wirkung ab dem 1. Juli 1998 neu fest und errechnete einen monatlichen Zahlbetrag von 150,64 DM sowie eine Überzahlung von 1.338,72 DM für die Zeit vom 1. Juli 1998 bis 30. September 1998, da der Krankengeldbezug im Mai 1998 wieder geendet hatte. Die Überzahlung wurde zurückgezahlt bzw. verrechnet.

Mit Schreiben vom 28. Mai 1999 forderte die Beklagte den Kläger auf, für Rentenbezugszeiten ab 1. Juli 1999 sein Einkommen für das Jahr 1998 durch eine Bescheinigung seines Arbeitgebers nachzuweisen. Der Arbeitgeber bescheinigte ein Einkommen von 8.777,- DM für die Zeit vom 1. Januar 1998 bis 17. Februar 1998 und von 42.597,- DM für die Zeit vom 1. Juni 1998 bis 31. Dezember 1998. Durch Rentenbescheid vom 11. Mai 2000 stellte die Beklagte die Witwerrente mit Wirkung ab dem 1. Juli 2000 neu fest und errechnete einen monatlichen Zahlbetrag von 44,56 DM. Dem Widerspruch des Klägers, mit dem dieser die Anrechnung eines zu hohen Einkommens rügte, half die Beklagte ab und berechnete den Zahlbetrag neu auf 50,58 DM. Der Kläger erklärte den Widerspruch für erledigt und beantragte am 5. Juli 2000 eine Korrektur der Einkommensanrechnung rückwirkend ab 1. Juli 1997. Da er am 1. April 1996 der Altersversorgung "Abteilung B der Bahnversicherungsanstalt" beigetreten sei, für die allein der Arbeitgeber Beiträge einzahle, sei sein rentenversicherungspflichtiger Bruttoverdienst höher als der steuerpflichtige Bruttoverdienst. Der Kläger gab für das Jahr 1996 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 67.485,- DM an. Durch Rentenbescheid vom 4. Oktober 2000 berechnete die Beklagte die große Witwerrente ab 1. Juli 1999 mit einem aktuellen Zahlbetrag von 95,14 DM neu. Sie wies darauf hin, dass sich für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 31. Oktober 2000 eine Überzahlung von 1.306,83 DM ergebe, die von dem Kläger zu erstatten sei. Der Rentenbescheid vom 22. Juni 2000 werde nach § 48 des Sozialgesetzbuchs, Zehntes Buch (SGB X) mit Wirkung ab dem 1. Juli 1997 aufgehoben.

Der Kläger erhob am 1. November 2000 Widerspruch und machte geltend, dass die Witwerrente ab 1. Juli 1997 durch Bescheid vom 12. August 1997 in monatlicher Höhe von 311,19 DM rechtsverbindlich festgestellt sei. Später (am 12. Dezember 2000) führte er aus, bei nochmaliger Prüfung des Bescheides erkenne er nunmehr, dass die Beklagte bei der Einkommensanrechnung fehlerhaft für 1996 nur das in fünf Monaten erzielte Arbeitsentgelt berücksichtigt habe. Die Beklagte hörte ihn mit Schreiben vom 12. März 2001 zu ihrer Absicht an, den Bescheid vom 12. August 1997 mit Wirkung vom 1. Juli 1997 gemäß § 45 SGB X aufzuheben und die in der Zeit vom 1. Juli 1997 bis 17. Februar 1998 entstandene Überzahlung in Höhe von 1.306,83 DM gemäß § 50 SGB X zurückzufordern. Sie habe nicht erkennen können, dass im Jahre 1996 noch weitere Einkünfte als die gemeldeten erzielt worden seien. Manuelle Ermittlungen würden den Arbeits- und Kostenrahmen übersteigen, weswegen die Bescheide entsprechende Hinweise über Mitwirkungs- und Mitteilungspflichten enthalten würden. Hingegen habe dem Kläger die Fehlerhaftigkeit des Bescheides auffallen müssen. Der Kläger entgegnete am 21. März 2001, dass die eingetretene Überzahlung ihre Ursache in einem Fehlverhalten der Beklagten habe, welche die Meldungen seines Arbeitgebers nicht überprüft und so eine Nachfrage versäumt habe. Er selbst sei krank gewesen und habe die Rente für den Lebensunterhalt verbraucht. Durch Rentenbescheid vom 11. April 2001 stellte die Beklagte die große Witwerrente mit Wirkung ab 1. Juli 1997 neu fest, berechnete einen aktuellen Zahlbetrag von monatlich 95,14 DM und für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 17. Februar 1998 eine Überzahlung von 1.306,83 DM, die zu erstatten sei. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 8. Oktober 2001 zurück. Die Rechtswidrigkeit des Rentenbescheides sei erkennbar gewesen. Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X seien erfüllt. Besondere Umstände, welche im Wege des Ermessens das Absehen von der Rückforderung rechtfertigen könnten, seien nicht vorhanden. Es sprächen keine Gründe, insbesondere keine wirtschaftlicher Natur, für einen Verzicht auf den Erstattungsanspruch.

Dagegen richtet sich die am 7. November 2001 erhobene Klage, die das Sozialgericht durch Urteil vom 14. August 2003 abgewiesen hat. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass § 45 SGB X Rechtsgrundlage der Rücknahmeentscheidung sei. Der Rentenbescheid vom 12. August 1997 sei hinsichtlich der Anrechnung des 1996 erzielten Einkommens rechtswidrig, weil der Arbeitgeber nur einen Teil des im Jahre 1996 erzielten Einkommens gemeldet habe. Der Kläger sei bösgläubig gewesen, da er bei Lektüre des Bescheides ohne weiteres habe erkennen können, dass das dort angegebene Jahreseinkommen zu gering war. Er könne sich auch nicht darauf berufen, dass er den Bescheid nicht gelesen habe. Mit dem Hinweis auf seine Erkrankung bei Erhalt des Bescheides könne er nicht gehört werden. Eine Geschäftsunfähigkeit sei nicht ersichtlich, zumal der Kläger noch am 17. August 1997 einen ausführlich begründeten Widerspruch eingelegt habe. Die Erhöhung der Rente von 189,55 DM auf 311,19 DM habe dem Kläger auffallen müssen. Die Beklagte habe den Bescheid während offener Frist zurückgenommen und auch die vorgeschriebene Anhörung durchgeführt. Die Ermessensausübung sei nicht zu beanstanden. Besondere Umstände, welche dem Erlass eines Rücknahmebescheides entgegengestanden hätten, seien nicht ersichtlich. Der Kläger habe keine wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Der Beklagten sei kein Verschulden vorzuwerfen. Der Arbeitgeber sei gesetzlich zur Meldung verpflichtet gewesen, die Beklagte habe von den gemeldeten Daten ohne eigene Sachprüfung ausgehen dürfen. Es sei einfacher für den Bescheidempfänger, die Richtigkeit der übermittelten Daten zu überprüfen, als für die Beklagte.

Gegen das ihm am 17. Januar 2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 13. Februar 2004 erhobene Berufung des Klägers. Die Beklagte arbeite grob nachlässig, was sich daran zeige, dass der Bescheid vom 12. August 1997 nur das Einkommen von 5 Monaten des Vorjahres, der vom 11. Mai 2000 das von 9 Monaten und der vom 10. Mai 2001 nur das von 2 Monaten berücksichtigt habe. Dies habe schon bei oberflächlicher Prüfung auffallen müssen. Die Beklagte wälze ihre Verantwortung auf die Rentenbezieher ab. Wie er – der Kläger - den Bescheid vom 12. August 1997 überprüft habe, sei ihm nicht mehr genau erinnerlich. Sein Gesundheitszustand habe sich im Sommer 1997 zunehmend verschlechtert, am 19. August 1997 sei eine Myokarditis (Herzmuskelentzündung) festgestellt worden. Erst ab März 1998 habe er nach Arbeitsunfähigkeit seine Berufstätigkeit langsam im Rahmen des Hamburger Modells wieder aufnehmen können. Er habe auf die Rechtskraft des Bescheides vertraut und die überzahlte Rente für den laufenden Lebensunterhalt verbraucht.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. August 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. April 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 2001 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend. Eine den Willen ausschließende Erkrankung habe nicht vorgelegen.

Der Senat hat bei der Krankenkasse des Klägers und seinem behandelnden Arzt Dr. H Auskünfte eingeholt. Danach war der Kläger vom 19. August 1997 bis 31. Mai 1998 wegen Myokarditis arbeitsunfähig.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die die Versicherte betreffende Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtwidrig.

Als Rechtsgrundlage für die Rücknahme des Rentenbescheides vom 12. August 1997 kommt allein § 45 SGB X in Betracht. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift darf ein rechtwidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtswidrigen Vorteil begründet oder bestätigt hat, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder Vergangenheit zurückgenommen werden.

Der Bescheid vom 12. August 1997 war von Anfang an rechtswidrig, da das Einkommen des Klägers fehlerhaft angerechnet worden war. Nach § 97 SGB VI ist Einkommen, das mit einer Witwerrente zusammentrifft, hierauf anzurechnen. Zu berücksichtigen ist Erwerbseinkommen (§ 18 a Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuchs, Viertes Buch [SGB IV]), insbesondere erzieltes Arbeitsentgelt (§ 18 a Abs. 2 SGB IV). Das maßgebliche monatliche Einkommen (§ 18 b Abs. 1 SGB IV) wird aus dem im letzten Kalenderjahr erzielten Einkommen ermittelt, das durch die Zahl der Kalendermonate geteilt wird, in denen es erzielt worden ist (§ 18 b Abs. 2 SGB IV). Dabei ist einmalig gezahltes Arbeitsentgelt dem Entgeltabrechnungszeitraum hinzuzurechnen, in dem es gezahlt worden ist (§ 18 b Abs. 2 Satz 2 SGB IV alter Fassung iVm § 23 a Abs. 1 SGB IV alter Fassung), und eine Kürzung von 35 vom Hundert vorzunehmen (§ 18 b Abs. 5 Nr. 1 SGB IV). Änderungen sind ab dem Zeitpunkt der nächsten Rentenanpassung zu berücksichtigen, es sei denn, das Einkommen vermindert sich voraussichtlich um wenigstens 10 vom Hundert und der Berechtigte stellt einen entsprechenden Antrag (§ 18 d SGB IV). Bei der ab 1. Juli 1997 vorzunehmenden Neuberechung des anzurechnenden Einkommens war danach auf das vom Kläger im Jahre 1996 erzielte Arbeitseinkommen (einschließlich einmalig gezahlten Arbeitsentgelts) abzustellen. Die Beklagte hatte zunächst nur das in der Zeit von Januar bis Mai 1996 von dem Kläger erzielte Arbeitsentgelt von 24.655,- DM berücksichtigt, woraus sich (nach Kürzung um 35 vom Hundert) ein monatlicher Betrag von 3.205,15 DM ergab. Tatsächlich hatte der Kläger während des gesamten Jahres 1996 aber Arbeitsentgelt in Höhe von 67.720,- DM (einschließlich Einmalzahlungen) bezogen, so dass (nach Kürzung um 35 vom Hundert) richtig ein monatlicher Betrag von 3.668,17 DM gewesen wäre. Anzurechnen auf die Witwerrente sind 40 vom Hundert dieses Einkommens, soweit es ein Vielfaches des aktuellen Rentenwertes übersteigt, das sich nach der Rentenart und der Zahl der Kinder bestimmt (§ 97 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI und § 97 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Wegen seiner drei damals noch nicht 18 Jahre alten Kinder galt für den Kläger ein Vielfaches von 43,2, das multipliziert mit dem ab 1. Juli 1997 geltenden aktuellen Rentenwertes (Ost) von 40,51 DM zu einem (Frei-) Betrag von 1.750,04 DM führte. Da das Einkommen des Klägers um 1.918,13 DM höher war, waren 40 vom Hundert des den Freibetrag übersteigenden Betrags (=767,25 DM) von der sich rechnerisch ergebenden Witwerrente von 917,55 DM abzuziehen, so dass 150,30 DM verblieben, aus denen noch Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu entrichten waren. Die von der Beklagten vorgenommene Berechnung der Überzahlung ist demnach nicht zu beanstanden.

Die Beklagte hat den Bescheid vom 12. August 1997 am 12. April 2001 mit Wirkung ab dem 1. Juli 1997 zurückgenommen. Es handelt sich demnach um eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit, die nach § 45 Abs. 4 SGB X nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 möglich ist. Die Rücknahme setzt also voraus, dass der Kläger sich deswegen nicht auf Vertrauen berufen kann, weil (1.) er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, oder (2.) der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder (3.) er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, oder (4.) Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach den Alternativen (1.) oder (4.) sind offensichtlich nicht erfüllt.

Aber auch eine Rücknahme nach den Alternativen (2.) oder (3.) kommt nicht in Betracht. Zwar hat die Beklagte die formalen Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 SGB X eingehalten. Die nach § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X dafür geltende 10-Jahres-Frist ist gewahrt, da der Rentenbescheid vom 12. August 1997 durch Bescheid vom 11. April 2001 zurückgenommen wurde. Die Beklagte hat auch innerhalb der 1-Jahres-Frist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X gehandelt. Nach der genannten Vorschrift muss die Rücknahme eines Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit innerhalb eines Jahres erfolgen, nachdem die Behörde Kenntnis der Tatsachen erlangt hat, welche die Rücknahme rechtfertigen. Bei einer auf § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 SGB X gestützten Rücknahme liegt die Kenntnis der für eine Rücknahme erheblichen Tatsachen regelmäßig nicht vor Abschluss der gemäß § 24 Abs. 1 SGB X vorgeschriebenen Anhörung vor, weil die Anhörung nötig ist, um Erkenntnisse über subjektive Voraussetzungen (Vorsatz bzw. Kenntnis oder grobe Fahrlässigkeit) zu erhalten, die für die Möglichkeit einer Rücknahme erheblich sind (Bundessozialgericht [BSG], Urt. v. 8. Februar 1996 – 13 RJ 35/94 - = SozR 3-1300 § 45 Nr. 27). Der Kläger ist erstmals durch Rentenbescheid vom 4. Oktober 2000 darauf hingewiesen worden, vom 1. Juli 1997 bis 17. Februar 1998 überzahlte Leistungen in Höhe von 1.306,83 DM erhalten zu haben, und wurde mit Schreiben vom 12. März 2001 ausdrücklich zu der beabsichtigten Rücknahme des Rentenbescheides angehört. Seine Rückäußerungen gingen am 1. November 2000, 14. Dezember 2000 und 21. März 2001 bei der Beklagten ein, so dass die Jahresfrist bei Erlass des Bescheides vom 11. April 2001 unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt schon verstrichen sein konnte.

Es kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen auch im Übrigen erfüllt sind. Eine Bösgläubigkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X, wie sie die Beklagte dem Kläger vorwirft, liegt nach Auffassung des Senats indessen nicht vor. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X ermöglicht eine Rücknahme, wenn der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keine falschen Angaben gemacht. Als er im Juli 2000 bei der Beklagten beantragte, die Rente rückwirkend ab Juli 1997 neu zu berechnen, hat er zur Höhe des von ihm im Jahre 1996 erzielten Arbeitsentgeltes wahrheitsgemäß vorgetragen. Das dem Rentenbescheid vom 12. August 1997 zugrunde gelegte Einkommen beruht auf einem maschinellen Datenzugang, nicht auf einer Angabe des Klägers. Die Beklagte wirft dem Kläger im Kern vor, dass er die von ihr in dem zurückgenommenen Bescheid verarbeitete Meldung nicht korrigiert hat. In Bezug auf das Unterlassen einer (Korrektur-)Mitteilung kann der Kläger aber schon deswegen weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt haben, weil er keine Veranlassung hatte, von sich aus tätig zu werden und der Beklagten über sein Erwerbseinkommen zu berichten. Der Rentenbescheid vom 12. August 1997 weist auf Seite 4 – ebenso wie der vorherige Rentenbescheid vom 11. September 1995 auf Seite 3 - ausdrücklich darauf hin, dass sich die Meldung von Veränderungen bei Einkommen aus einer in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübten rentenversicherungs¬pflichtigen Tätigkeit oder Beschäftigung erübrige. Dieser Hinweis hat sich auch nicht erledigt, die Beklagte hat sich – für das Jahr 1996 - nie anderweitig mit einer direkten Nachfrage an den Kläger gewandt. Es musste sich ihm auch nicht aufdrängen, dass eine offenbar unrichtige und deswegen zu korrigierende Meldung vorlag. Denn für sich genommen war das Einkommen zutreffend gemeldet, da die Meldung sich auf 5 Monate bezog und nicht etwa den Betrag von 24.655,- DM als Einkommen des gesamten Jahres auswies. Danach kann dem Kläger nicht vorgehalten werden, dass er vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche oder in wesentlicher Hinsicht unvollständige Angaben gemacht hat.

Eine Rücknahme nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X setzt die Kenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes oder die auf grober Fahrlässigkeit beruhende Unkenntnis voraus. Die Beklagte stützt sich in ihrem Rücknahmebescheid der Sache nach auch auf diese Voraussetzung, sie hat jedoch nicht weiter ausgeführt, warum der Kläger nach ihrer Auffassung die Rechtswidrigkeit des Rentenbescheides vom 12. August 1997 kannte oder nur infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Ihr Hinweis, dass der Kläger selbst bei Beantragung der Neuberechnung Angaben über das Einkommen des gesamten Jahres gemacht hat, belegt noch nicht die Kenntnis der Rechtswidrigkeit, weil die Anrechnung auf der Grundlage eines monatlich festzustellenden Einkommens erfolgt. Allein aus dem Rentenbescheid ergab sich die Unrichtigkeit nicht, weil die dort zu findende Feststellung, dass der Kläger innerhalb von 5 Monaten Einkommen in Höhe von 24.655,- DM erzielt hatte, der Sache nach zutreffend war. Die Möglichkeit des Erkennens der Rechtswidrigkeit setzte das Wissen voraus, dass erst die auf das gesamte Jahr bezogene Berechnung auch Einmalzahlungen umfassen und so zu einem höheren auf den Monat umzulegenden Einkommen führen würde. Diese Zusammenhänge erschlossen sich aber nicht schon aus der Lektüre des Rentenbescheides, so dass nicht ersichtlich ist, woher der Kläger das entsprechende Wissen bezogen haben sollte. Es handelt sich insoweit nicht um einfache, ganz nahe liegende Zusammenhänge, die der Kläger außer Acht gelassen hat (vgl. zur entsprechenden Definition der groben Fahrlässigkeit Steinwedel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB X Rdnr. 39 mit weiteren Nachweisen). Allerdings hätte die – erhebliche – Erhöhung des Zahlbetrages der Rente auf 311,19 DM Anlass sein können, die Rechtmäßigkeit der Berechnung in Frage zu stellen, da keine korrespondierende Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse ersichtlich war. Insoweit könnte grobe Fahrlässigkeit vorliegen, weil der Kläger nicht weiter nachfragte. Fraglich ist dabei allerdings, ob der Kläger trotz seiner Erkrankung in der Lage gewesen ist, die Rechtswidrigkeit des Rentenbescheides zu erkennen.

Jedenfalls ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig, weil die Beklagte das ihr eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat. § 45 Abs. 4 SGB X regelt nicht eigenständig die Rücknahme eines Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit, sondern konkretisiert § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X, wonach ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden darf, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Die Rücknahme eines Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit setzt demnach stets eine Ermessensentscheidung voraus (BSG, Urt. v. 9. September 1998 - B 13 RJ 41/97 R -; Steinwedel (a.a.O.), § 45 SGB X Rdnr. 51). Das Vorliegen der für eine Rücknahme notwendigen Voraussetzungen führt nur dann ohne Rücksicht auf die angestellten Ermessenserwägungen zur Rechtmäßigkeit einer Rücknahmeentscheidung, wenn ein Fall einer Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. Bei einer Rücknahme für die Vergangenheit kann davon nach der Rechtsprechung der für das Sozialversicherungsrecht zuständigen Senate des BSG ausschließlich bei betrügerischer Leistungserschleichung die Rede sein (vgl. BSG, Urt. v. 9. September 1998 - B 13 RJ 41/97 R - mit weiteren Nachweisen). Derartige Umstände macht die Beklagte selbst nicht geltend und können auch vom erkennenden Senat nicht festgestellt werden, zumal es der Kläger selbst war, der eine nochmalige Überprüfung der Rentenleistungen begehrte. Dass er diesen Antrag auch gestellt hätte, wenn ihm bewusst gewesen wäre, rechtswidrig überhöhte Leistungen erhalten zu haben, erscheint fern liegend.

Die Beklagte hat ihren Ermessenserwägungen einen in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung wesentlich unzutreffenden Sachverhalt zu Grunde gelegt. Sie ist jedenfalls auch davon ausgegangen, dass der Kläger falsche Angaben gemacht habe. Indessen hatten die Rentenbescheide ihn von jeder Verpflichtung zur Meldung in Bezug auf sein rentenversicherungspflichtigen Einkommens ausdrücklich freigestellt. Zu erwägen ist dabei, ob in dieser der Arbeitserleichterung dienenden Handhabung nicht eine Übernahme der Verantwortung für die Richtigkeit der nach § 18 e SGB IV vom Arbeitgeber abzugebenden und von anderen Sozialversicherungsträgern weiterzuleitenden Meldungen zu sehen wäre, was zur Folge hätte, dass sich die Beklagte die unvollständig berücksichtigten Meldungen als - bei der Ermessensausübung zu beachtendes - Mitverschulden für den Eintritt der Überzahlungen entgegenhalten lassen müsste. Es liegt sogar nahe, dass der Arbeitgeber auch die Entgelte für die Monate Juni bis Dezember 1996 gemeldet, die Beklagte diese Meldungen aber aufgrund fehlerhafter eigener Bearbeitung oder der eines anderen Versicherungsträgers nicht berücksichtigt hatte. Sie ist den Gründen der fehlerhaft erfolgten maschinellen Meldungen nicht weiter nachgegangen, offenbar weil sie meinte, dass sie dem Kläger Mitteilungspflichten auferlegt hatte. Ihrer Ermessensentscheidung liegt daher ein in wesentlicher Beziehung unrichtiger Sachverhalt zugrunde. Die angefochtenen Bescheide können deshalb keinen Bestand haben. Demgemäß waren das Urteil des Sozialgerichts sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufzuheben. Der Senat brauchte der Beklagten auch nicht Gelegenheit zu geben, während des Berufungsverfahrens eine (erneute) Ermessensentscheidung zu treffen, da mit dieser nicht die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X eingehalten wäre.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG unter Berücksichtigung des Ergebnisses in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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