S 5 AS 488/06 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Bayreuth (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AS 488/06 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Beschluss
I. Die Antragsgegnerin wird im Wege der Einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Verbindlichkeiten der Antragstellerin für Strom bei der E. i.H.v. 1.674,06 Euro darlehensweise zu übernehmen. Die Auszahlung des Darlehens hat unmittelbar an die E. zu erfolgen.

II. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

III. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin sind von der Antragsgegnerin zu einem Drittel zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes von der Antragsgegnerin die Übernahme offener Stromschulden bei ihrem Stromlieferanten.

Die Antragstellerin steht bei der Antragsgegnerin im Leistungsbezug.

Am 6.4.2006 stellte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin "Antrag auf einmalige Leistungen in besonderen Lebenslagen". Sie begehrte von der Antragsgegnerin die darlehensweise Übernahme ausstehender Stromschulden bei der E. i.H.v. 2.453,83 Euro. Sie wies darauf hin, daß ihr die E. am 22.3.2006 angedroht habe, zum 7.4.2006 den Strom abzustellen. Sie selbst sei finanziell nicht in der Lage, die Schulden zu bezahlen. I.Ü. habe sie einen 7-jährigen Sohn zuhause und erwarte in Kürze ihr zweites Kind. Die Antragstellerin legte eine Mitteilung des Inkassobeauftragten der E. vor.

Laut eines in der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin (Bl. 65) befindlichen Vermerks erfolgte am 10.4.2006 eine Rücksprache mit der Antragstellerin. Dazu wurde handschriftlich notiert: "1) Nachweise über Bemühungen wegen Ratenzahlung von E. 2) Abdeckung der Stromrückstände durch Mieteinnahmen (Blatt 13) oder durch Aussetzen der UH-Zahlungen über RA abklären =) von ARGE vorerst keine Kostenübernahme".

Am 2.6.2006 zeigte der Prozeßbevollmächtigte gegenüber der Antragsgegnerin schriftlich die Vertretung der Antragstellerin an. Er beantragte die zumindest darlehensweise Übernahme der Stromschulden. Er trug u.a. vor, ein Mitarbeiter der E. habe bei der Antragstellerin letztmalig am vorangegangenen Dienstag vorgesprochen und mitgeteilt, daß ein weiterer Zahlungsaufschub nicht gewährt und der Strom abgestellt würde. Aufgrund des Hinweises, daß ein entsprechender Antrag auf Übernahme der Kosten bei der Antragsgegnerin vorläge, sei von einer Stromsperrung noch einmal abgesehen und diese auf die folgende Woche verschoben worden. Die Antragstellerin sei aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die der Antragsgegnerin bekannt seien, nicht in der Lage, für die rückständigen Stromkosten selbst aufzukommen. Zu berücksichtigen sei, daß die Antragstellerin Ende Mai erneut Mutter geworden ist. Um die Pflege des Säuglings sicher zu stellen, sei sie daher aus verschiedenen Gründen auf Strom angewiesen. Aufgrund der Dringlichkeit der Angelegenheit werde um eine Entscheidung bis zum 6.6.2006 gebeten.

Am 9.6.2006 hat die Antragstellerin bei Gericht um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Sie bringt - ergänzend zu den Ausführungen im Verwaltungsverfahren - u.a. vor, ihr Stromversorger, die Firma E., fordere Zahlungen für rückständigen Strom i.H.v. 1.798,06 Euro (ursprünglich 2.727,83 Euro). Die Forderung beruhe überwiegend auf vor der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes gemäß SGB II erbrachten Stromlieferungen. Die Antragsgegnerin hätte ihr am 8.6.2006 telefonisch mitgeteilt, daß die beantragte Schuldenübernahme im Hinblick auf die Schuldenhöhe nicht in Betracht käme und es ihr trotz des Säuglings zuzumuten sei, ohne Strom auszukommen. Sie bräuchte aber Strom, um Milch für ihren Säugling im Kühlschrank lagern und erwärmen und die elektrische Wasserpumpe im Haus, die die Versorgung mit Wasser sicherstelle, betreiben zu können. Sie sei aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage, die rückständigen Kosten für Strom zu bezahlen. Sie sei auch nicht in Besitz von Einkunftsquellen, die ihr eine Tilgung der Stromschulden ermöglichten. Das Einkommen des Ehemannes, aus dem dieser auf Grundlage eines vollstreckbaren Titels Unterhalt für ein nichteheliches Kind leisten müsse, reiche für den Lebensunterhalt nicht aus; deshalb stehe sie ja bei der Antragsgegnerin im Leistungsbezug. Die Einkünfte aus der Vermietung einer Einliegerwohnung auf ihrem Anwesen seien an die Bank abgetreten. Sie habe einen im Sommer 2005 ausgehandelten Ratenplan mit der E. zur Begleichung der Stromschulden ab 2004 aufgrund der finanziellen Situation nicht einhalten können. Zu einer neuen Ratenzahlungsvereinbarung sei die E. aber nur bereit, wenn sie sich ihrerseits bereit erkläre, die ausstehenden Stromschulden in 10 Monatsraten à 160.- Euro und einer Endrate von 38,06 Euro zurückzuzahlen und zusätzlich den laufenden monatlichen Abschlag i.H.v. 140.- Euro zu leisten. Das könne sie aber nicht. Eine niedrigere Ratenvereinbarung akzeptiere die E. nicht. Auch ein Wechsel des Stromanbieters, um die weitere Stromversorgung sicherzustellen, sei ihr nicht möglich. Dies habe eine Rücksprache mit den Stadtwerken B. ergeben. Im Übrigen habe die Antragsgegnerin zu ihrer schlechten finanziellen Situation durch die fehlerhafte Entscheidung über ihren Antrag auf Leistungen nach dem SGB II bzw. durch die verspätete Erbringung zugesagter Leistungen beigetragen. Die Antragsgegnerin sei daher verpflichtet, zumindest darlehensweise ihre Stromschulden zu übernehmen, da dies zur Behebung einer mit der Sicherung der Unterkunft vergleichbaren Notlage gerechtfertigt sei. Diese bestünde, wenn die Belieferung eines Hauses mit Energie in Frage gestellt sei, da die Energieversorgung eines Haushalts nach den Lebensverhältnissen in Deutschland zum sozialhilferechtlichen Mindeststandard gehöre. Eine solche Situation sei bei ihr gegeben, da eine Sperrung ihres Stromanschlusses unmittelbar (zunächst Mitte Juni, nunmehr Mitte August 2006) bevorstünde. Ein Darlehen der Antragsgegnerin könne durch Eintragung einer entsprechenden Belastung auf ihr Grundstück oder durch eine entsprechende Sicherungsabtretung abgesichert werden. Die von der Antragsgegnerin geforderte Zahlungsverpflichtung i.H.v. monatlich 150.- Euro zur Absicherung eines Darlehens sei jedoch finanziell nicht zu verkraften. Eine Abtretung des von ihr beantragten Erziehungsgeldes an die Firma E. sei nicht möglich, da dadurch der gesetzliche Zweck des Erziehungsgeldes umgangen und Bestimmungen des gesetzlichen Pfändungsschutzes unterlaufen würden. I.Ü. hätte sich der für die Vollstreckung der Stromschulden zuständige Mitarbeiter der E. dahingehend geäußert, daß die Zusage einer Abtretung des beantragten Erziehungsgeldes nicht ausreichen würde, um die Sperrung des Stromanschlusses zu vermeiden. Die Antragstellerin hat zur Glaubhaftmachung ihres Antrags verschiedene Unterlagen in Kopie sowie eine Versicherung an Eides statt vorgelegt.

Die Antragstellerin beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der Einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihre Stromschulden bei der E. darlehensweise zu übernehmen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie trägt vor, die Antragstellerin hätte die Möglichkeit, den Stromanbieter zu wechseln. Es könne ihr allerdings ein Darlehen gewährt werden, wenn sie einen Zahlungsanspruch i.H.v. monatlich 150.- Euro aus dem Arbeitslosengeld II bzw., bei Wegfall der Hilfebedürftigkeit, aus dem Arbeitseinkommen oder wahlweise aus dem zustehenden Erziehungsgeld abtrete. Eine Absicherung des Darlehens durch Belastung des Grundstücks der Antragstellerin reiche nicht aus, da aufgrund der Rangfolge bei Verkauf des Grundstücks nicht mit einer Erfüllung der Forderung zu rechnen sei. Zwar sei der Antragsgegnerin bekannt, daß eine Pfändung von Erziehungs- und Kindergeld grundsätzlich nicht möglich ist. Allerdings sei ja das Kindergeld an die Bank abgetreten und es käme schließlich den Kindern zugute, wenn weiterhin Strom vorhanden sei.

Ein nach vorangegangenen Verhandlungen der Beteiligten vom Gericht am 23.6.2006 unterbreiteter Vergleichsvorschlag wurde von der Antragsgegnerin aus den oben dargestellten Gründen nicht akzeptiert.

Mit Schriftsatz vom 30.6.2006 hat die Antragstellerin vorgetragen, eine nur darlehensweise Übernahme der Stromschulden durch die Antragsgegnerin käme nicht in Betracht, da durch die Übernahme der Stromschulden bei ihr kein Wertzuwachs bewirkt werde. Da sie sich bereits in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten befände - ihr Haus drohe, zwangsversteigert zu werden -, würde durch eine Rückzahlungsverpflichtung das Ziel der Leistung, die Antragstellerin zur Selbsthilfe zu befähigen und in ihrer Eigenständigkeit zu stärken, gefährdet.

Die Antragstellerin beantragt nunmehr sinngemäß,

die Antragsgegnerin im Wege der Einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihre Stromschulden bei der E. in Form der Beihilfe zu übernehmen.

Das Gericht hat im Verfahren verschiedene Auskünfte bei der E. sowie bei den Stadtwerken B. eingeholt.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist zulässig. Insbesondere kann er auch schon vor Klageerhebung gestellt werden (§ 86b (3) Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Er ist auch teilweise begründet.

Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b (2) S. 2 SGG), sog. Regelungsanordnung. Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, daß der Antragsteller sowohl den geltend gemachten Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch die für den Erlaß einer solchen Anordnung im Gesetz vorgeschriebenen Gründe (Anordnungsgrund) ausreichend glaubhaft gemacht hat (Rohwer-Kahlmann, Sozialgerichtsbarkeit, § 86b Rn. 26). Es müssen überwiegende Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen, und Gründe vorliegen, weswegen dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner, der öffentlichen und den Interessen Dritter nicht zugemutet werden kann, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind dabei funktionell miteinander verknüpft und beeinflussen sich gegenseitig. D.h. je schwerwiegender die Nachteile sind, die dem Antragsteller drohen, wenn eine einstweilige Regelung durch das Gericht nicht angeordnet wird, desto geringere Anforderungen sind an die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu stellen (Rohwer-Kahlmann, Sozialgerichtsbarkeit, § 86b Rn. 19, 21).

1. Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, daß sie gegen die Antragsgegnerin bis zu einer Höhe von 1.674,06 Euro einen Anspruch auf darlehensweise Übernahme der bei der E. vorhandenen Stromschulden hat und ein Anordnungsgrund vorliegt. Insoweit hat der Antrag Erfolg.

a. Nach § 22 (5) S. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in der ab 1.4.2006 gültigen Fassung können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht (S. 2). Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 ist vorrangig einzusetzen (S. 3). Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden (S. 4).

aa. § 22 (5) SGB II erfaßt auch die Übernahme von Schulden für Stromlieferung. Zwar kann dies der sehr unglücklich formulierten Vorschrift nicht auf den ersten Blick entnommen werden. Es ergibt sich aber im Zusammenhang mit dem aus der Gesetzesbegründung hervorgehenden Motiv des Gesetzgebers (so auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.6.2006 - L 25 B 459/06 AS ER) bei Schaffung der Vorschrift. In der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/688, S. 14) ist zum einen von der "Übernahme von Schulden (Mietschulden und/oder Energieschulden), die für die Sicherung der Unterkunft unabweisbar sind" die Rede. Die Übernahme von Schulden wird also explizit nicht auf Schulden für Unterkunft und Heizung begrenzt. Zum anderen soll "die Regelung gewährleisten, dass das bisher in der Sozialhilfepraxis übliche Verfahren zur Übernahme von Schulden im Rahmen des SGB II möglich ist". Nach allgemeiner Auffassung ist nach § 34 (1) Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) auch eine Übernahme von offenen Stromschulden durch den Sozialhilfeträger möglich (vgl. u.a. Streichsbier in Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 34 Rn. 4 u. 6 m.w.N.; Bayerisches Landessozialgericht, Beschl. v. 7.12.2005 - L 11 B 530/05 SO ER). Diese Möglichkeit sollte somit durch die Neufassung des § 22 (5) SGB II zum 1.4.2006 auch unmittelbar auf dem Gebiet der "Grundsicherung für Arbeitsuchende" geschaffen werden. Mit der Neufassung des § 22 (5) SGB II wurde zugleich die bisherige Möglichkeit für ALG II-Empfänger, für Stromschulden den Sozialhilfeträger in Anspruch zu nehmen (vgl. § 5 (2) S. 2 SGB II a.F. i.V.m. § 34 SGB XII), beseitigt.

Der Anspruch der Antragstellerin auf Übernahme von Stromschulden besteht auch insoweit, als die Schulden bereits vor dem 1.4.2006 entstanden bzw. fällig geworden sind (siehe dazu das Schreiben der E. vom 5.7.2006 und die Mahnung vom 31.7.2006). § 22 (5) SGB II ist in der derzeit gültigen Fassung zum 1.4.2006 in Kraft getreten (vgl. Art. 5 (1) des Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24.3.2006). Des weiteren werden Leistungen nach dem SGB II erst auf Antrag erbracht (§ 37 (1) SGB II). Die Antragstellerin hat ihren Antrag auf Übernahme der Stromschulden bei der Antragsgegnerin am 6.4.2006 gestellt. Da auch der Zweck der Neufassung des § 22 (5) SGB II - einen praktikablen Verwaltungsvollzug zu schaffen, indem Leistungen (inkl. Schuldenübernahme) nunmehr aus einer Hand (des Leistungsträgers nach dem SGB II) gewährt und Doppelzuständigkeiten vermieden werden (vgl. BT-Drucks. 16/688, S. 14) - nicht dagegen spricht, daß auch vor dem 1.4.2006 entstandene Schulden durch die Regelung erfaßt werden (siehe dazu auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.6.2006 - L 25 B 459/06 AS ER), ist davon auszugehen, daß die Stromschulden der Antragstellerin im vollen Umfang unter die Regelung des § 22 (5) SGB II fallen.

bb. Die Antragstellerin verfügt nicht über vorrangig einzusetzendes Vermögen nach § 12 (2) Nr. 1 SGB II. Zwar ist der Ehemann der Antragstellerin im Besitz eines Wertpapier-Sparvertrags bei der Bank M. in H.mit einem derzeitigen Kurswert von 1.802,57 Euro. Der Sparvertrag ist allerdings mit einer Sperrfrist bis zum 31.12.2008 versehen und somit nicht verwertbar (siehe dazu § 4 (2) Fünftes Vermögensbildungsgesetz).

cc. Auch wenn die Voraussetzungen des § 22 (5) S. 2 SGB II nicht vorliegen, da der Antragstellerin keine Wohnungslosigkeit droht, ist im Rahmen des § 22 (5) S. 1 SGB II von einer Ermessensreduzierung auf Null und somit von einer Pflicht der Antragsgegnerin zur darlehensweisen Übernahme der Stromschulden auszugehen.

Die regelmäßige Versorgung eines Haushaltes mit Energie gehört nach den Lebensverhältnissen in Deutschland zum sozialhilferechtlich anerkannten Mindeststandard. Die der Antragstellerin drohende und gem. § 33 (2) der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden (AVBEltV) zulässige Sperrung der Stromzufuhr durch die E. stellt daher eine der Verlust der Unterkunft vergleichbare Notlage dar (siehe in diesem Zusammenhang Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.6.2006 - L 25 B 459/06 AS ER).

Zudem ist die Schuldenübernahme gerechtfertigt, da die Antragstellerin glaubhaft gemacht hat, daß sie nicht in der Lage ist, aus eigener Kraft die Sperrung des Stromes und damit den Eintritt der Notlage zu verhindern. Der Antragstellerin ist es aufgrund ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht möglich, die von der E. angebotene Zahlung der Stromschulden in monatlichen Raten von 160.- Euro zu leisten. Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, daß die Antragstellerin Leistungen nach dem SGB II bezieht, aber auch aus den vielfältigen Bemühungen der Antragstellerin, eine Schuldenregulierung durchzuführen, um eine Privatinsolvenz zu vermeiden. Auf telefonische Rückfrage des Gerichts hat die E. bestätigt, daß eine Vereinbarung mit niedrigeren Raten nicht in Betracht kommt. Die Antragstellerin kann der drohenden Gefahr einer Sperrung des Stromes auch nicht durch einen Wechsel des Stromanbieters entgehen (siehe dazu Landessozialgericht Hamburg, Beschl. v. 26.7.2005 - L 4 B 199/05 ER SO). So haben die Stadtwerke B. auf telefonische Nachfrage des Gerichts mitgeteilt, daß sie an den Wohnsitz der Antragstellerin selbst keinen Strom liefern. Zwar müsse der Grundversorger - das sei am Wohnort der Antragstellerin die E. - grundsätzlich jeden Kunden akzeptieren; aber auch der Grundversorger sei bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen berechtigt, die Stromzufuhr einzustellen. Es sei auch praktisch ausgeschlossen, daß ein Kunde, dem wegen Zahlungsrückständen der Strom abgesperrt wurde, einen anderen Stromlieferanten finde. Denn der angegangene Stromlieferant würde anläßlich des Wechsels Auskünfte über den potentiellen Stromkunden, z.B. beim Stromnetzbetreiber - in diesem Fall der E. - oder bei der SCHUFA, einholen und bei Kenntnis des Wechselgrundes den Stromkunden nicht akzeptieren. Zudem würde der Stromnetzbetreiber einer Stromdurchleitung nicht zustimmen, wenn er selbst aufgrund von Zahlungsrückständen die Lieferung eingestellt hat.

Zur Überzeugung des Gerichts wäre jede andere Entscheidung der Antragsgegnerin als die, die Stromschulden der Antragstellerin darlehensweise zu übernehmen, um eine Sperrung des Stromes zu vermeiden, ermessensfehlerhaft. Es ist daher im Rahmen des § 22 (5) S. 1 SGB II von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen. Dabei hat das Gericht berücksichtigt, daß die Antragstellerin ein 7-jähriges Kind und einen knapp 3 Monate alten Säugling zu versorgen hat. Hierfür wird in verschiedenster Weise Strom benötigt. Zudem wird die Wasserversorgung des Hauses durch eine elektrische Wasserpumpe sichergestellt. Auch deshalb wird Strom zwingend benötigt. Des weiteren hat das Gericht in seine Erwägungen miteinbezogen, daß die Antragstellerin erstmals bei der Antragsgegnerin die Übernahme von Stromschulden beantragt hat. Die Abschlagsraten für die laufende Stromlieferung werden von der Antragstellerin bezahlt. Sollten jedoch erneut Zahlungsrückstände hinsichtlich der Stromlieferung auflaufen, wäre über ein Begehren der Antragstellerin auf Schuldenübernahme durch die Antragsgegnerin u.U. anders zu entscheiden.

b. Aus den Ausführungen unter 1.a.cc. ergibt sich ohne weiteres, daß - soweit der Antrag Erfolg hat - auch ein Anordnungsgrund vorliegt.

2. Im Übrigen ist der Antrag abzuweisen. Die Antragstellerin hat insoweit weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

a. Eine darlehensweise Gewährung von mehr als 1.674,06 Euro bzw. der vollen Schuldensumme i.H.v. 1.798,06 Euro bei der E. ist nicht notwendig, um eine Sperrung des Stromes und somit den Eintritt der drohenden Notlage bei der Antragstellerin zu verhindern. Laut telefonischer Auskunft einer Mitarbeiterin der E. vom 14.8.2006 kommt eine Sperrung des Stromes frühestens ab einem Zahlungsrückstand von 125.- Euro in Betracht. Somit ist eine darlehensweise Übernahme von mehr als 1.674,06 Euro durch die Antragsgegnerin zur Behebung der Notlage nicht gerechtfertigt. Auch wäre insoweit kein Anordnungsgrund gegeben.

b. Soweit die Antragstellerin begehrt, die Stromschulden nicht als Darlehen, sondern als Beihilfe zu erhalten, ist dafür keine gesetzliche Grundlage vorhanden. Nach § 22 (5) S. 4 SGB II sollen Schulden als Darlehen erbracht werden. Es ist nicht ersichtlich, daß bei der Antragstellerin ein atypischer Fall vorliegt, der eine dahingehende Ermessensausübung der Antragsgegnerin gebietet, die Stromschulden als Leistung ohne Rückzahlungsverpflichtung zu erbringen. Zum einen ist die Summe von 1.674,06 Euro nicht so hoch, daß die Möglichkeit einer Rückzahlung durch die erst 28-jährige Antragstellerin und ihren 29-jährigen, erwerbstätigen Ehemann für alle Zukunft ausgeschlossen erscheint. Zum anderen trägt die Antragstellerin vor, sich laufend um einen Verkauf ihres Hauses mit Einliegerwohnung zu bemühen. Daher erscheint es durchaus möglich, daß die Antragstellerin durch den Erlös eines etwaigen Verkaufes in die Lage versetzt wird, das Darlehen zurückzuzahlen. Im Übrigen besteht im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes für eine Bewilligung der Schuldenübernahme als Beihilfe kein Anordnungsgrund.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved