L 11 B 175/06 SO ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 SO 7/06 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 175/06 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 07.02.2006 wird aufgehoben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Bewilligung von Kosten für einen Schulbegleiter im Rahmen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Der 1999 geborene Antragsteller (Ast) leidet an einer schweren globalen Entwicklungsstörung. Für seine Unterbringung in der Tagesstätte für Geistig- und Mehrfachbehinderte des Vereins Lebenshilfe für Behinderte im Landkreis M. e.V. in E. übernahm der Antragsgegner (Ag) mit Bescheid vom 26.06.2002 ab dem 04.11.2002 die Kosten.

Am 03.05.2005 beantragte der Ast beim Beigeladenen die Übernahme der Kosten eines Schulbegleiters zum Besuch der schulvorbereitenden Einrichtung in der R.-Schule in E ...

Der Beigeladene unterrichtete den Ag am 23.05.2005 telefonisch darüber, dass ein Antrag auf Übernahme der Kosten eines Schulbegleiters bei ihm vorliege, woraufhin der Ag (telefonisch) erklärte, er sei nicht zuständig, da es sich bei einer schulvorbereitenden Einrichtung um keine Einrichtung der Eingliederungshilfe handle.

Erst mit Schreiben vom 02.06.2005 übersandte der Beigeladene den Ag den Antrag auf Übernahme der Kosten zusammen mit einer Stellungnahme der R.-Schule, E. , wonach eine Schulbegleitung des Ast als persönliche Assistenz mit einem Umfang von 15 Wochenstunden notwendig sei. Beigefügt war ein Bericht des Klinikums für Kinderneurologie und Sozialpädiatrie - Kinderzentrum M. GmbH mit der Bitte um Entscheidung in eigener Zuständigkeit, da es sich bei der beantragten Kostenübernahme um eine Maßnahme in einer teilstationären Einrichtung handle. Der Beigeladene wies darauf hin, dass gemäß § 14 Abs 1 Satz 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) der Ag vorläufig entscheiden möge.

Im weiteren Verlauf vertraten der Beigeladene und der Ag verschiedene Meinungen zur jeweiligen Zuständigkeit.

Der Ast beantragte daraufhin am 19.01.2006 beim Sozialgericht Würzburg (SG), den Ag im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu verpflichten, die Kosten für einen Schulbegleiter ab 01.01.2006 in der schulvorbereitenden Einrichtung in der R.-Schule in E. zu übernehmen, hilfsweise den Beigeladenen zur Kostenübernahme zu verpflichten.

Ag und Beigeladener traten dem Antrag entgegen.

Mit Beschluss vom 07.02.2006 verpflichtete das SG den Beigeladenen im Wege der einstweiligen Anordnung, über den 31.12.2005 hinaus die Kosten für den Schulbegleiter des Ast in der schulvorbereitenden Einrichtung der R.-Schule in E. vorläufig zu übernehmen. Im Übrigen wies es den Antrag ab. Der Verpflichtungsanspruch ergebe sich in jedem Fall aus § 43 Abs 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I).

Hiergegen hat der Beigeladene Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht erhoben, in der er geltend macht, seine Verurteilung könne im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nicht erfolgen.

Im Übrigen habe zwar aufgrund des Antrags der Eltern des Ast vom 03.05.2005 seine Zuständigkeit gemäß § 14 Abs 2 SGB IX bestanden. Diese Zuständigkeit sei aber zeitlich befristet und zwischenzeitlich erloschen.

Im Übrigen habe er einen Folgeantrag vom 08.12.2005 fristgemäß an den Ag weitergeleitet.

Der Ag tritt der Beschwerde entgegen. Die Zuständigkeit des Beigeladenen bestehe fort. Auf einen etwaigen "Folgeantrag" komme es nach § 14 SGB IX nicht an.

Der Ast hat sich im Beschwerdeverfahren nicht mehr geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Beigeladenen ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Das SG hat ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG).

Die Beschwerde ist auch begründet, weil es für die Verpflichtung auf Kostenübernahme durch den Beigeladenen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren keine Rechtsgrundlage gibt.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass der im sozialgerichtlichen Verfahren beigeladene Träger von Sozialhilfeleistungen mangels Rechtsgrundlage nicht anstelle des Beklagten oder Ag zur Leistung verurteilt oder verpflichtet werden kann. Als Rechtsgrundlage käme lediglich § 75 Abs 5 SGG in Betracht. Der Beigeladene als örtlicher Träger der Sozialhilfe fällt aber nicht in den Anwendungsbereich des § 75 Abs 5 SGG, der als Ausnahmevorschrift hier auch nicht entsprechend anwendbar ist. Die Frage, ob - bei Zuständigkeit der Sozialgerichte für die Entscheidung über Sozialhilfesachen ab dem 01.01.2005 - auch eine denkbare Verurteilung des Sozialhilfeträgers in analoger Anwendung des § 75 Abs 5 SGG in Betracht kommt, hat das BSG in seiner Entscheidung vom 26.10.2004 Az: B 7 AL 16/04 R offen gelassen. Der Senat ist aber der Auffassung, dass § 75 Abs 5 SGG nicht analog anwendbar ist (vgl dazu bereits Urteil vom 18.05.2006 Az: L 11 AS 117/05 mit Hinweis auf Binder, SGG, § 75 RdNr 14; Häning, SGG, § 75 RdNr 45; Leitherer in Meyer-Ladewig-Keller-Leitherer, SGG, 8.Aufl 2005, § 75 RdNr 18). Das ergibt sich zum einen bereits aus dem Ausnahmecharakter der Vorschrift (vgl dazu auch BayLSG vom 20.10.2005 Az: L 4 Kr 181/02). Richtig ist - insoweit tritt der Senat den Überlegungen des Schleswig-Holsteinischen LSG im Beschluss vom 09.11.2005 (Az: L 9 B 268/05 SO ER) bei -, dass es nach der Übernahme der Zuständigkeiten der Sozialgerichtsbarkeit für Streitigkeiten nach dem SGB II und dem SGB XII sinnvoll wäre, die im Gesetz aufgeführte Möglichkeit der Verpflichtung des Beigeladenen auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes auf den Sozialhilfeträger zu erstrecken. Dem entgegen hat der Gesetzgeber aber durch das Siebte Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (7. SGG ÄndG) vom 09.12.2004 (BGBl I Seite 3302) eine Vielzahl von Vorschriften des SGG im Hinblick auf die Übernahme der Zuständigkeiten für das SGB XII geändert, nicht aber § 75 Abs 5 SGG. Weder der Begründung zum Gesetzentwurf zum 7. SGG ÄndG noch den sonstigen Materialien kann eine planwidrige Regelungslücke entnommen werden, die eine analoge Heranziehung der Vorschrift in der vorliegenden Fallgestaltung angezeigt erscheinen ließe. Der Beigeladene gehört als Sozialhilfeträger auch nicht zum Kreis derer, die der Gesetzgeber beim Erlass des § 75 Abs 5 SGG im Auge hatte, so dass die Frage, ob § 75 Abs 5 SGG ansich einer analogen Anwendung zugänglich ist, sich hier nicht entscheidungserheblich stellt. Diese Auffassung wird gestützt durch das SGB II-Fortentwicklungsgesetz, das in seinem Art 8 eine entsprechende Änderung in § 75 Abs 2, 5 SGG ab 01.08.2006 vorsieht.

Die hier angefochtene Entscheidung des SG war deshalb aufzuheben.

Der Antrag des Ast auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat zum jetzigen Zeitpunkt keinen Erfolg mehr.

Rechtsgrundlage für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.

Hiernach ist eine Regelungsanordnung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem Ast ohne eine solche Anordnung schwere oder unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so Bundesverfassungsgericht - BVerfG - vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69, 74; vom 19.10.1977 BVerfGE 46, 166/179 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4.Aufl, RdNr 643).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Ast sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hat der Ast hierzu glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Sätze 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Aufl, § 86b RdNr 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei Prüfung der Sach- und Rechtslage in vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist bzw. wäre. Wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Falle ist ggfs. anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Ast zu entscheiden (BVerfG vom 12.05.2005 aaO und vom 22.11.2002 aaO).

Am Ende des Schuljahres 2005/2006 ist eine Verpflichtung des Beigeladenen nicht möglich (siehe oben). Für eine über den 31.07.2006 hinausgehende Kostenverpflichtung fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes und eines Anordnungsanspruches. Für die Frage der Glaubhaftmachung der Eilbedürftigkeit und des Anordnungsanspruches ist entscheidungserheblich auf den Zeitpunkt der Entscheidung - im Beschwerdeverfahren auf die Entscheidung des Beschwerdegerichts - abzustellen.

Der Senat neigt der Auffassung zu, dass sich die Zuständigkeit des Beigeladenen gemäß § 14 SGB IX zumindest über den gesamten Zeitraum des Schuljahres 2005/2006 erstreckt hat. Für diesen Zeitraum dürften Leistungen für den Ast bereits erbracht worden sein.

Für das kommende Schuljahr wird zu klären sein, ob der Ast überhaupt und ggf. in welchem Umfang einen Schulbegleiter benötigt. Der Senat geht davon aus, dass bis zum Beginn des neuen Schuljahres auch eine Entscheidung zwischen dem Ag und dem Beigeladenen getroffen werden kann, wer letztendlich - nach knapp einem Jahr - die Leistungen zu übernehmen hat. Insoweit ist der Ast - für den zukünftigen Bewilligungszeitraum - zumutbarer Weise hierauf zu verweisen. Voraussetzung für eine Verpflichtung zur Kostenübernahme für das neue Schuljahr ist mithin, dass sich der Ast vorab an den Leistungsträger wendet.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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