L 1 RA 32/01

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 18 RA 1460/97 W00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 RA 32/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Berücksichtigung weiterer rentenrechtlicher Zeiten bei der Rentenberechnung.

Die 1978 geborene Klägerin ist die Tochter und Alleinerbin des im geborenen VersichertenHK(Versicherter). Nach den vorgelegten Unterlagen legte der Versicherte im Sommersemester 1953 die Universitätsabschlussprüfung der Philosophischen Fakultät der Universität Jena in der Fachrichtung Germanistik ab und erhielt das entsprechende Zeugnis am 27. Juli 1953. Vom 1. September 1953 bis 31. August 1955 war er an derselben Universität planmäßiger Aspirant. Vom 1. September 1955 bis 31. August 1960 arbeitete er als Lektor für die deutsche Sprache und Literatur an der Universität Budapest. Bezüglich dieser Tätigkeit existiert eine Bescheinigung der Universität Jena – Prorektorat für die wissenschaftliche Aspirantur – vom 23. August 1955. Darin heißt es: "Der Staatssekretär für Hochschulwesen teilte uns mit Schreiben vom 15.8.1955 mit, dass der Aspirant H Kan die Universität Budapest als Lektor für deutsche Sprache und Literatur delegiert ist. Seine Tätigkeit wird voraussichtlich 2 Jahre dauern " Hinsichtlich der Zeit vom 1. September 1956 bis 31. August 1960 vollzog sich diese Auslandstätigkeit im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses an der Universität Jena. Vom 1. September 1960 bis 31. Januar 1962 war der Versicherte ausweislich einer Bescheinigung der Humboldt-Universität zu Berlin vom 18. Juli 1994 dort als wissenschaftlicher Aspirant tätig.

Die Beklagte gewährte dem Versicherten durch Bescheid vom 15. November 1995 ab 1. August 1994 Regelaltersrente. In dem Bescheid lehnte sie u. a. die Zeiten vom 28. Juli 1953 bis 31. August 1956 und vom 1. September 1960 bis 31. Dezember 1962 als rentenrechtliche Zeiten ab. Die Zeit vom 28. Juli 1953 bis 31. August 1955 könne nicht als Anrechnungszeit anerkennt werden, weil sie nach Ablegung der Abschlussprüfung zurückgelegt worden sei. Dasselbe gelte hinsichtlich der Zeit vom 1. September 1960 bis 31. Dezember 1962. Letztere sei auch nicht als Beitragszeit anzuerkennen. Gleiches gelte für die Zeit vom 1. September 1955 bis 31. August 1956. Insoweit sei der Verlust der Beitragsunterlagen bzw. die Beitragszahlung nicht nachgewiesen.

Mit dem Widerspruch machte der Versicherte u. a. geltend, er habe vom 1. September 1953 bis 31. August 1955 ein Zweitstudium der Hungarologie absolviert. Dies sei ihm als Voraussetzung und Bedingung für die Lektorentätigkeit in Budapest auferlegt worden. Diese Tätigkeit habe er bereits am 1. September 1955 aufgenommen. Das zuständige Bundesarchiv in Koblenz sei nicht in der Lage gewesen, ihm aus den Akten des ehemaligen Staatssekretariats für das Hoch- und Fachschulwesen die entsprechenden Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Die Zeit vom 1. September 1960 bis 31. Dezember 1962 habe der Vorbereitung auf die (1978 abgeschlossene) Promotion gedient.

Im Laufe des Widerspruchsverfahrens erließ die Beklagte im Hinblick auf einen nicht mehr streitbefangenen Zeitraum den Neufeststellungsbescheid vom 9. Dezember 1996.

Durch Widerspruchsbescheid vom 5. März 1997 wies die Beklagte den Widerspruch des Versicherten zurück. Eine Beitragszeit vom 1. September 1955 bis 31. August 1956 sei nicht glaubhaft gemacht. Zeiten der planmäßigen wissenschaftlichen Aspirantur seien nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) weder Beitragszeiten noch Anrechnungszeiten.

Im Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) Berlin versicherte der Versicherte eidesstattlich, dass auch für die Zeit vom 1. September 1955 bis 31. August 1956 Sozialversicherungsbeiträge in der DDR abgeführt worden seien. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung teilte mit, in ihrem Archiv befänden sich keine Unterlagen, die Auskunft über den Auslandsaufenthalt des Versicherten vom 1. September 1955 bis 31. August 1956 geben könnten. Grundsätzlich sei bei einer Delegierung über das Staatssekretariat für Hoch- und Fachschulwesen keine Gehaltsfortzahlung möglich gewesen. Das Staatssekretariat habe ausschließlich Stipendien gezahlt, die aus Mitteln des Staatshaushaltes finanziert worden und steuer- und sozialversicherungsfrei gewesen seien.

Hinsichtlich der Zeit vom 1. September 1953 bis 31. August 1955 erklärte der Versicherte, das Studium der Hungarologie sei nicht durch einen förmlichen Abschluss beendet worden. Seinem Professor sei lediglich ein Abschlussbericht abverlangt worden. Einen akademischen Titel habe er insofern zunächst nicht erlangt.

Durch Urteil vom 25. Juni 2001 wies das SG die auf rentensteigernde Berücksichtigung der Zeit vom 1. September 1953 bis 31. August 1955 als Anrechnungszeit, der Zeit vom 1. September 1955 bis 31. August 1956 als glaubhaft gemachte Beitragszeit und der Zeit vom 1. September 1960 bis 31. Dezember 1962 als Beitragszeit, hilfsweise als Anrechnungszeit gerichtete Klage (bei Klagerücknahme im Übrigen) im Wesentlichen aus den Gründen des Widerspruchsbescheides ab.

Mit der Berufung hat der Versicherte daran festgehalten, dass er in Budapest von Anfang an eine regulär entlohnte Beschäftigung ausgeübt habe und nicht Stipendiat gewesen sei. Er habe ein Lektorengehalt nach der Hochschullehrer-Verordnung bezogen, und zwar in der streitigen Zeit über das Staatssekretariat. Für die Zeit vom 1. September 1953 bis 31. August 1955 liege eine Anrechnungszeit (Hochschulausbildung) vor, weil dieser Studienabschnitt mit einer – wenn auch rudimentären (formlosen) – Prüfung geendet und ihn zur Aufnahme der Lektorentätigkeit in Budapest befähigt habe. Ein förmlicher Hochschulabschluss wie ein Hochschuldiplom oder ein Hochschulexamen könnten nicht gefordert werden. Ausreichend sei, dass der Student eine einem Hochschulstudium gleichgestellte Leistung erfolgreich in dem Sinne abschließe, dass ihm regelmäßig der Weg in einen seiner bisherigen Ausbildung entsprechenden Beruf eröffnet sei. Die Zeit der Aspirantur vom 1. September 1960 bis 31. Dezember 1962 müsse aufgrund fachlicher Erfordernisse mit der Zeit der weiteren Aspirantur von 1973 bis 1976 zusammen bewertet werden, der dann die Promotion gefolgt sei.

Die Klägerin hat das Verfahren nach dem am 20. 2002 verstorbenen Versicherten als Rechtsnachfolgerin fortgesetzt.

Sie beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. Juni 2001 aufzuheben sowie den Bescheid vom 15. November 1995 in der Fassung des Bescheides vom 9. Dezember 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. März 1997 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, bei der Berechnung der Rente des Versicherten die Zeit vom 1. September 1953 bis 31. August 1955 als Anrechnungszeit, die Zeit vom 1. September 1955 bis 31. August 1956 als glaubhafte gemachte Beitragszeit und die Zeit vom 1. September 1960 bis 31. Dezember 1962 als Beitragszeit, hilfsweise als Anrechnungszeit zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat eine weitere Anfrage an das Bundesministerium für Bildung und Forschung gerichtet. Auf das Antwortschreiben vom 13. November 2003 wird Bezug genommen. Der ungarische Versicherungsträger hat mitgeteilt, dass der Versicherte über keine Versicherungszeit in Ungarn verfüge.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akte des SG – S 18 RA 1460/97 W00 –) und der Akten der Beklagten () verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Berücksichtigung der streitigen Zeiten bei der Berechnung der Altersrente des Versicherten.

1. Die Zeit vom 1. September 1953 bis 31. August 1955 ist keine Anrechnungszeit, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Buchst. b Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der maßgeblichen zur Zeit des Versicherungsfalls gültigen Fassung nicht erfüllt sind. Nach dieser Vorschrift sind Anrechnungszeiten Zeiten, in denen Versicherte nach dem vollendeten 16. Lebensjahr u. a. eine Hochschule besucht und abgeschlossen haben (jedoch höchstens bis zu sieben Jahren). Nach ständiger Rechtsprechung ist dieser Anrechnungszeittatbestand nur erfüllt, wenn ein immatrikulierter Student an einer Hochschule durch Teilnahme an den universitäts-spezifischen Lehrveranstaltungen sich die Inhalte seines Studienfaches aneignet und dieses Studium durch das vorgeschriebene oder übliche Examen oder – soweit ein solches weder vorgeschrieben noch üblich ist – durch eine gleichgestellte Leistung erfolgreich in dem Sinne abschließt, dass ihm regelmäßig der Weg in einen seiner bisherigen Ausbildung entsprechenden Beruf eröffnet ist (BSG-Urteil vom 24. Oktober 1996 in SozR 3-2600 § 248 Nr. 1 S. 8).

Diese Voraussetzungen erfüllte der Versicherte schon deshalb nicht, weil er nicht immatrikulierter Student war. Denn er studierte die ungarische Sprache nicht in dieser Eigenschaft sondern im Rahmen einer planmäßigen Aspirantur. Im Übrigen hat er dieses Studium nicht durch das vorgeschriebene oder übliche Examen abgeschlossen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass für das ordentliche Studium der Hungarologie ein Examensabschluss vorgeschrieben oder zumindest üblich war. Der Versicherte hat sich einem solchen nach seinen eigenen Angaben nicht unterzogen. Darauf, dass dies im Rahmen der Aspirantur nicht erforderlich war, kommt es nicht an. Schließlich fehlt es an den Voraussetzungen einer Anrechnungszeit auch deshalb, weil der Kläger Hungarologie erst nach dem ersten Abschluss seiner Hochschulausbildung studierte und grundsätzlich nur eine einzige erfolgreich abgeschlossene Hochschulausbildung als Anrechnungszeit berücksichtigt werden kann (vgl. BSG-Urteil vom 27. November 1991 in SozR 3-2200 § 1259 Nr. 9 S. 35 mit weiteren Nachweisen). Ein Zweitstudium käme ausnahmsweise als Anrechnungszeit allein dann in Betracht, wenn es zur Ausübung eines bestimmten Berufs zweier abgeschlossener Studiengänge bedürfte (so KassKomm-Niesel § 58 SGB VI Rz. 79; offen gelassen im BSG-Urteil vom 4. April 1979 in SozR 2200 § 1259 Nr. 38). Das war hier nicht der Fall. Die Tätigkeit als Lektor für deutsche Sprache und Literatur an einer ungarischen Universität ist kein eigenständiger Beruf.

2. Die Zeit vom 1. September 1955 bis 31. August 1956 ist als gleichgestellte Beitragszeit im Beitrittsgebiet (§ 248 Abs. 3 Satz 1 SGB VI) nicht glaubhaft gemacht, d. h. überwiegend wahrscheinlich (§ 23 Abs. 1 SGB X), weil der Versicherte nicht glaubhaft gemacht hat, dass er im Beitrittsgebiet in der streitigen Zeit ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt erzielt hat und von diesem entsprechende Beiträge gezahlt worden sind (vgl. § 286 b Satz 1 SGB VI). Zu Recht hat das SG die eidesstattliche Versicherung des Versicherten, dass auch für die streitige Zeit in der DDR Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden seien, nicht genügen lassen. Denn es verhält sich nicht nur so, dass weder der Sozialversicherungsausweis insoweit einen Eintrag enthält, noch sonst diese Zeit als beitragspflichtige Beschäftigungszeit bestätigt werden konnte. Vielmehr sprechen die Angaben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gegen eine beitragspflichtige Beschäftigungszeit. Danach trat das Staatssekretariat für Hoch- und Fachschulwesen nicht als Arbeitgeber der von ihm ins Ausland delegierten Aspiranten auf sondern zahlte ausschließlich Stipendien. Nur im Falle der Gehaltsfortzahlung bzw. -zahlung durch die Heimatuniversität – wenn sich also die Auslandstätigkeit im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses mit der Heimatuniversität vollzog – konnten Gehaltszahlungen vom Staatssekretariat erstattet werden. Dies setzte aber – wie gesagt – ein Beschäftigungsverhältnis mit der Universität voraus, woran es im vorliegenden Fall für die streitige Zeit fehlte. Nach allem ist nicht auszuschließen, dass der Versicherte im Rahmen der Delegierung durch das Staatssekretariat ein – möglicherweise an der Vergütung eines wissenschaftlichen Assistenten orientiertes – Stipendium erhielt und die Auslandstätigkeit erst, nachdem sich abzeichnete, dass sie die zunächst vorgesehene Dauer von zwei Jahren deutlich überschreiten werde, auf eine andere Grundlage gestellt wurde.

3. Die Zeit der wissenschaftlichen Aspirantur vom 1. September 1960 bis 31. Januar 1962 – für eine längere Dauer fehlt jeder Nachweis – ist weder als Beitragszeit noch als Anrechnungszeit zu berücksichtigen. Dass solche Zeiten, sofern sie sich nicht im Einzelfall im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses vollziehen, keine Beitragszeiten sind, folgt aus § 248 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB VI. Danach sind Beitragszeiten im Beitrittsgebiet nicht Zeiten der Schul-, Fach- oder Hochschulsausbildung. Zeiten der wissenschaftlichen Aspirantur, für die ein Stipendium gezahlt worden ist, sind Hochschulzeiten im Sinne dieser Vorschrift (BSG-Urteil vom 24. Oktober 1996 in SozR 3-2600 § 248 Nr. 1). Nach der vorliegenden Bescheinigung der Humboldt-Universität vom 18. Juli 1994 ist in der streitigen Zeit ein Stipendium gezahlt worden, kein Gehalt.

Dass die Zeit vom 1. September 1960 bis 31. Januar 1962 auch nicht als Anrechnungszeit berücksichtigungsfähig ist, folgt ohne weiteres aus den Ausführungen zu 1. Darauf wird verwiesen. Auf den Umstand, dass die Aspiranturzeiten von 1960 bis 1962 und von 1973 bis 1976 als Einheit zu begreifen sein könnten, die (beide) durch Promotion abgeschlossen worden sind, kommt es nicht an.

Die Kostenentscheidung nach § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved