S 1 U 62/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 1 U 62/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 191/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 03.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2005 verurteilt, dem Kläger auch über den 16.09.2004 hinaus eine Verletztenrente nach seinem Arbeitsunfall vom 10.02.2003 nach einer MdE von 20 v. H. zu gewähren. Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung für einen Arbeitsunfall, den der Kläger am 10.02.2003 erlitten hat.

Am Unfalltag war der Kläger als Hilfskraft in einem Gartenbauunternehmen tätig. Beim Abmontieren einer Glasscheibe verlor er die Kontrolle über das Werkstück und zog sich eine tiefe Schnittwunde an der linken Mittelhand zu. Der Kläger wurde in der I Klinik in X behandelt. J stellte unter dem 17.03.2003 folgende Diagnosen:

Schwere Riss-/Quetschverletzung an der linken Hohlhand mit vollständiger Durchtrennung der Arteria ulnaris und Teildurchtrennung des Nervus medianus.

In einem Abschlussbericht anlässlich einer Rehabilitationsmaßnahme stellte H fest, dass der Faustschluss an der linken Hand immer noch inkomplett sei. Es bestünden Anästhesien einzelner Finger bzw. Teilbereiche einzelner Finger. Die Fingerspitzen würden schmerzen. Anlässlich einer neurologischen Untersuchung wurden beim Kläger unter dem 14.07.2003 eine komplette Anästhesie des Mittelfingers links, Hypästhesien an der mittelfingerseitigen Hälfte des Ringfingers und Zeigefingers links festgestellt.

Unter dem 29.04.2004 erstellte der Sachverständige K, ein Spezialist für Handchirurgie, sein Gutachten. Er stellte folgende Gesundheitsbeeinträchtigungen als Folge des Arbeitsunfalls fest:

Narben in der linken Hohlhand Verschmächtigung des linken Unterarmes sowie der linken Hand Minderbeschwielung der linken Hand, Kraftminderung Erhebliche Minderung der Sensibilität der Fingernerven 4 bis 7 Weitere leichte Einschränkungen der Sensibilität der Finger an der linken Hand Kälteempfindlichkeit der linken Hand

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 20 %.

Eine Zusatzbegutachtung auf neurologischem Fachgebiet durch Frau M ergab unter dem 26.10.2004:

Schädigung des Nervus medianus Deutliches Minderempfinden in den Versorgungsbereichen der 4. bis 7. Interdigitalverven Erhaltene Schutzsensibilität, aber hochgradig eingeschränktes Differenzierungsvermögen.

Die MdE auf nervenärztlichem Fachgebiet betrage 10 %. Mit einer gewissen Besserung könne noch gerechnet werden.

In einer weiteren Stellungnahme bekräftigte K seine Beurteilung auch unter Berücksichtigung des nervenärztlichen Gutachtens. Die Gesamt-MdE betrage beim Kläger 20 %.

In einer beratungsärztlichen Stellungnahme, die der Orthopäde T1 fertigte, stellt dieser fest, dass der Gesamtbewertung der vorgenannten Sachverständigen nicht zu folgen sei. Die eigentliche Funktionsbeeinträchtigung bedinge nur eine MdE um 10 %. Allenfalls bis zum 16.09.2004 sei wegen des Gewöhnungseffektes von einer MdE von 20 % auszugehen. Auf der Basis dieser beratungsärztlichen Stellungnahme erging der Bescheid der Beklagten vom 03.05.2005, mit dem sie das angeschuldigte Ereignis als Arbeitsunfall anerkannte und dem Kläger eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung für den Zeitraum vom 15.05.2003 bis zum 16.09.2004 nach einer MdE um 20 % gewährte. Nach dem 16.09.2004 liege keine MdE in rentenberechtigender Höhe mehr vor, so dass für diesen Zeitraum keine Rente zu gewähren sei.

Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2005 zurückgewiesen. Bei der MdE-Bewertung zähle nur die objektiv nachweisbare Funktionseinschränkung. Nur wegen anfänglicher Anpassungsschwierigkeiten sei die MdE überhaupt für einen Zeitraum mit 20 % zu bewerten. Über den 16.09.2004 hinaus bestünde keine MdE mehr, die zum Rentenbezug berechtige.

Hiergegen richtet sich die am 03.08.2005 erhobene Klage des Klägers, mit der er begehrt, auch über den 16.09.2004 hinaus eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer MdE um 20 % zu erhalten. Er meint, dass sich an der Funktionsfähigkeit seiner linken Hand nichts geändert habe. Nach wie vor habe er große Schmerzen und er könne die Hand nicht richtig einsetzen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 03.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2005 zu verurteilen, ihm auch über den 16.09.2004 hinaus eine Verletztenrente nach seinem Arbeitsunfall vom 10.02.2003 nach einer MdE von 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie meint, die angefochtene Entscheidung sei rechtmäßig. Die verbliebenen Funktionsstörungen bedingten keine MdE, die zum Rentenbezug berechtige.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von T2. T2 ist Facharzt auf dem Gebiet der Handchirurgie. Er kommt in seinem Gutachten vom 07.01.2006 zu folgenden Ergebnissen. Beiderseits der Narbe in der Hohlhand der linken Hand sei ein deutlicher Druckschmerz auslösbar. Die Muskulatur an der Hand sei zurückgebildet. Nur am 1. Finger und am 5. Finger bestehe normale Gefühlsqualität. Am 2. Finger bestehe ein normales Gefühl radial (zum Daumen hin), am ulnaren Bereich bestehe Taubheit. Am 3. Finger bestehe radial und ulnar Taubheit. Am 4. Finger bestehe radial Taubheit und ulnar normale Sensibilität. An allen 3 Fingern beginne die Taubheit im Grundgelenksbereich. Der Faustschluss an der linken Hand sei nunmehr vollständig möglich. Als Unfallfolgen seien festzustellen:

aufgehobene Sensibilität des gesamten 3. Fingers, der ellenseitigen Seite des 2. Fingers, der speichenseitigen Seite des 4. Fingers links erhebliche Einschränkung der Greiffähigkeit der linken Hand und des Feingriffes durch Gefühlsstörungen erhebliche Kraftminderung der linken Hand gegenüber rechts Geringe Verschmächtigung des linken Unterarmes und der linken Hand Minderbeschwielung der linken Hand Reizlose Narben in der linken Hohlhand Beschwerden im Bereich der Nerven mit Kältegefühl.

Die Gefühlsstörungen der linken Hand hätten sich gegenüber der Beurteilung durch M in keiner Weise verbessert. Die Kraft sei erheblich herabgesetzt und nur zu etwa einem ¼ der Kraft der rechten Hand vorhanden. Die MdE betrage durchweg und auch über den 16.09.2004 hinaus 20 %.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakten und den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger wird durch den angefochtenen Bescheid vom 03.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2005 insoweit in seinen Rechten beschwert, als ihm die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den 16.09.2004 hinaus verweigert hat. Diese Entscheidung ist rechtswidrig. Denn auch über den 16.09.2004 hinaus besteht bei dem Kläger auf Grund seines Arbeitsunfalls vom 10.02.2003 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigender Höhe.

Gemäß § 56 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, 7. Buch (SGB VII) erhalten Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 von Hundert gemindert ist, eine Rente. Gemäß § 56 Abs. 2 SGB VII richtet sich die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeit auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Dabei werden diejenigen Bedingungen als ursächlich oder mitursächlich für den Eintritt des Erfolges gewertet, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes wegen ihrer besonderer Bedeutung zum Eintritt des Erfolges wesentlich beigetragen haben. Die wesentliche Ursächlich- oder Mitursächlichkeit einer Bedingung für den Erfolg braucht zwar nicht nachgewiesen zu sein, muss aber zumindest wahrscheinlich sein. Das ist dann der Fall, wenn bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Umstände die auf die Verursachung hindeutenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann und die gegen den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Faktoren billigerweise außer Betracht bleiben müssen.

Der Kläger erlitt am 07.02.2003 einen Arbeitsunfall. Bei der Demontage eines Fensters verlor er die Kontrolle über das Werkstück. Dadurch fiel ihm die Glasscheibe aus den Händen und verletzte seine linke Hand. Die Schnittwunde war so tief, dass die Arteria ulnaris vollständig durchtrennt wurde und der Nervus medianus teilweise verletzt wurde. Diese Verletzungen sind zwar in der I Klinik in Xl behandelt worden, sind jedoch nicht folgenlos ausgeheilt. Nach wie vor und auch über den 16.09.2004 hinaus bestehen beim Kläger an seiner linken Hand Funktionsbeeinträchtigungen, die eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 % bedingen und ihn damit zum Rentenbezug berechtigen. Dieses Ergebnis stützt die Kammer auf die bereits im Verwaltungsverfahren eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten und auf das Sachverständigengutachten, das T2 im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens erstellt hat. Bereits K stellte in seinem Gutachten vom 29.04.2004 und in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14.01.2005 Unfallfolgen beim Kläger fest, die nach seiner Einschätzung eine MdE von 20 % bedingen. Lediglich auf Grund der beratungsärztlich geäußerten Zweifel bezüglich der tatsächlich bestehenden Funktionseinschränkung ist zusätzlich ein neurologisches Sachverständigengutachten von Frau M eingeholt worden. Dieses Gutachten vom 26.10.2004 hat die beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen konkretisiert und bestätigt. Beide -von der Beklagten beauftragen Sachverständigen- kommen zu dem Ergebnis, dass beim Kläger eine MdE um 20 v. H. vorliegt.

Lediglich der beratungsärztlich tätige Orthopäde T1 folgt dieser Beurteilung nicht und geht davon aus, dass im eigentlichen Sinne nur eine Beeinträchtigung vorliege, die eine MdE von 10 % bedinge. Dies stützt der Orthopäde insbesondere darauf, dass der Faustschluss an der linken Hand des Klägers fast vollständig möglich sei.

Dass diese Beurteilung falsch ist, wird durch das im gerichtlichen Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten von T2 bestätigt. T2 ist ein ausgewiesener Sachverständiger auf dem Gebiet der Handchirurgie und auch mit den Beurteilungssystemen der gesetzlichen Unfallversicherung vertraut. In seinem Gutachten macht er deutlich, dass für die Funktionsbeeinträchtigung bzw. für die Funktionsfähigkeit einer Hand nicht allein die mechanische Beweglichkeit ausschlaggebend ist. Hier hat der Kläger in der Tat nicht so gravierende Defizite. Der Faustschluss der linken Hand ist möglich. T2 beschreibt jedoch plausibel und überzeugend die ganz erheblichen Taubheitsgefühle an drei Fingern der linken Hand des Klägers. Zusätzlich verzeichnet er eine erhebliche Schmerzsymptomatik rechts und links neben der Narbe, die von der Durchtrennung des maßgeblichen Nerven zeugt. Durch die bestehende Gefühllosigkeit an den Fingern ist die Greiffunktion der linken Hand ganz erheblich beeinträchtigt. Nicht nur in der Feinmotorik wird der Kläger hier erheblich behindert, sondern auch das bloße Zufassen wird ihm dadurch erschwert, dass er nicht fühlen kann, wie bzw. wie fest er zugreift. Dadurch wird die Schmerzsymptomatik im Bereich rechts und links der Narbe verstärkt. Dass diese Funktionsbeeinträchtigung nicht rein theoretischer Natur ist, sondern auch tatsächlich vom Kläger so gelebt werden muss, wird durch die vom Sachverständigen beschriebenen Muskelminderungen der Hand und am linken Arm sowie der deutlichen Minderbeschwielung gekennzeichnet. Auch die grobe Kraft wird vom Sachverständigen nur mit einem ¼-Anteil der rechten Hand beschrieben.

Insgesamt steht damit für die Kammer unzweifelhaft fest, dass die von Frau M angedeutete mögliche leichte Verbesserung im Bereich der Sensibilität der Finger der linken Hand des Klägers nicht eingetreten ist. Für eine veränderte Beurteilung der MdE bleibt daher überhaupt kein Raum. Nach wie vor bedingen die gesundheitlichen Folgen des Arbeitsunfalls des Klägers vom 10.02.2003 auch über den 16.09.2004 hinaus eine MdE von 20 %.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved