L 7 AS 160/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AS 193/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 160/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 6. Juni 2006 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin nach dem 30.06.2005 Leistungen für die Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe zustehen.

Die Klägerin bewohnt mit ihrem Ehemann eine ca. 80 qm große Wohnung in O. mit einem monatlichen Mietzins von insgesamt 667,00 EUR (480,00 EUR Grundmiete, 30,00 EUR Garagen-/Stellplatzmiete, 157,00 EUR Betriebskostenvorauszahlung). Mit Bescheid vom 17.12.2004 gewährte die Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 01.01. bis 31.05.2005 unter Zugrundelegung der tatsächlichen Unterkunftskosten abzüglich der Garagenmiete und der Kosten für die Warmwasserzubereitung monatliche Leistungen in Höhe von 844,35 EUR. Der Bescheid enthält folgenden Hinweis: "Ihre monatliche Gesamtmiete ist mit 624,98 Euro unangemessen hoch. Angemessen ist eine Gesamtmiete von 390,00 Euro. Ich fordere Sie deshalb auf, Ihre monatlichen Mietkosten bis 30.06. 2005 zu reduzieren. Andernfalls werden ab 01.07.05 die Kosten für Unterkunft auf den angemessenen Wert reduziert". Mit Änderungsbescheiden vom 01.03. und 09.05.2005 wurden in Folge des Wegfalls des Einkommens des Ehemannes die Leistungen für diesen Zeitraum zunächst auf 1.464,85 EUR und wegen einer Änderung hinsichtlich der Krankenversicherung auf 1.324,98 EUR festgesetzt.

Auf den Fortzahlungsantrag der Klägerin vom 03.05.2005 hin, dem eine Auflistung ihrer "Anmeldungen für Wohnungen" beilag, bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 09.05.2005 für den Monat Juni 2005 1.324,98 EUR, für die Zeit vom 01.07. bis 30.11.2005 monatliche Leistungen von 1.090,00 EUR. Ab Juli sind Unterkunftskosten in Höhe von 390,00 EUR berücksichtigt.

Mit ihrem Widerspruch vom 12.05.2005 machte die Klägerin geltend, sie bemühe sich seit Januar 2005 darum, eine passende Wohnung zu finden. Sie habe sich zum Jahresende bei verschiedenen Wohnbaugesellschaften angemeldet. Im Übrigen habe sie die derzeitige Wohnung mit einem Berechtigungsschein des Landratsamtes R. bekommen. Mit Widerspruchsbescheid vom 20.06. 2005 wurde der Widerspruch mit der Begründung zurückgewiesen, einem Zweipersonenhaushalt sei eine Wohnfläche bis zu 60 qm zuzubilligen. Bei einem anzuerkennenden Quadratmeterpreis von 4,60 EUR zuzüglich 66,00 EUR Nebenkosten und 48,00 EUR Heizkosten errechne sich ein Höchstbetrag angemessener Unterkunftskosten von 390,00 EUR. Die Klägerin habe nicht ausreichend belegt, sich seit Januar 2005 intensiv um eine günstigere Wohnung bemüht zu haben. Die Anmeldung bei verschiedenen Wohnbaugesellschaften sei erst am 17.03.2005 erfolgt. Die Klägerin habe keine Belege vorgelegt, dass sie sich darüber hinaus bei privaten Vermietern um eine günstigere Wohnung bemüht habe.

Mit ihrer am 12.07.2005 zum Sozialgericht Regensburg (SG) erho-benen Klage machte die Klägerin geltend, die tatsächlichen Unterkunftskosten müssten fortgezahlt werden, weil sie alle Bemühungen unternommen habe, eine angemessene Wohnung zu finden, sie sei auch weiterhin auf Wohnungssuche.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 06.06.2006 den Bescheid vom 09.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06. 2005 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin und ihrem Ehemann für die Zeit vom 01.07.2005 bis 31.05.2006 Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung der tatsächli-chen Unterkunftskosten für die Unterkunft in O. zu gewähren. Zur Begründung hat es unter Hinweis auf einen Beschluss des Senats vom 27.02.06 (L 7 B 451/05 AS ER) im Wesentlichen ausgeführt, unabhängig von der Frage, ob die Klägerin sich ausreichend um einen angemessenen Wohnraum bemüht habe, sei die Sechs-Monats-Frist des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II mangels hinreichender Aufklärung durch die Beklagte nicht wirksam in Lauf gesetzt worden.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 14.06.2006 zugestellte Urteil am 06.07.2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend, sie sei nach wie vor der Auffassung, dass der Hinweis auf die unangemessen teueren Unterkunft- und Heizkosten sowie die Aufforderung zur Senkung der Mietkosten im Bescheid vom 17.12.2004 ausreichend gewesen sei, um die Sechsmonatsfrist in Lauf zu setzen. Aufgrund dieses Hinweises habe die Klägerin sich bei diversen Wohnbaugenossenschaft angemeldet. Zudem habe diese auch den örtlichen Wohnungsmarkt durch Durchsicht von Zeitungsinseraten beobachtet. Sie habe somit von Anfang an gewusst, auf welche Weise eine Senkung der Unterkunft- und Heizkosten zu erfolgen hatte (durch Umzug in eine günstigere Wohnung). Somit liege ihrerseits hinsichtlich dieses Punktes keine Pflichtverletzung vor. Da sich die Klägerin bei Wohnbaugenossenschaften nur für Wohnungen mit ca. 80 qm angemeldet habe, die deshalb in etwa genau so viel kosten, wie die jetzt bewohnte Wohnung, musste ihr bewusst sein, dass dies nicht ausreichend sein könne, um den Anforderungen zur Senkung der Mietkosten auf ein angemessenes Maß gerecht zu werden. Niemand könne davon ausgehen, dass die tatsächlichen Mietkosten über den Sechsmonatszeitraum hinaus gewährt würden, wenn man sich nicht um einen günstigeren Wohnraum (die Obergrenze sei im Bescheid vom 17.12.2004 mit 390 EUR für zwei Personen genannt) bemühe. Es könne nicht sein, dass sie bis ins kleinste Detail mitzuteilen habe, wie die Senkung der Unterkunftskosten bzw. mit welcher Intensität diese zu erfolgen habe.

Die Beklagte beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 6. Juni 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie hat sich zur Berufung der Beklagten nicht geäußert.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, denn die Klägerin be-gehrt Geldleistungen von mehr als 500 EUR (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Das Rechtsmittel ist sachlich aber nicht begründet, weil das SG zutreffend entschieden hat, dass der Klägerin und ihrem Ehemann ein Anspruch auf die tatsächlichen Unterkunftskosten auch für die Zeit nach dem 30.06.2005 zusteht.

Der Anspruch der Klägerin ergibt sich aus § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Nach dieser Vorschrift haben die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende Hilfebedürftigen im Sinne des § 9 SGB II - die Klägerin und ihr Ehemann zählen zu diesem Personenkreis - auch die den angemessenen Umfang übersteigenden Unterkunftskosten so lange zu zahlen, wie es dem Hilfebedürftigen bzw. der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Die Unterkunftskosten für die Wohnung in B. waren für einen Zweipersonenhaushalt mit ca. 520 EUR unangemessen hoch, das wird von der Klägerin auch nicht bestritten.

Die Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II lagen für den streitigen Zeitraum vor.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Klägerin und ihrem Ehemann ein Umzug unmöglich oder unzumutbar war; denn sie kann sich für den streitigen Zeitraum auf die Sechs-Monatsfrist berufen. Diese Frist war am 30.06.2005 nicht bereits abgelaufen, weil die Beklagte mangels hinreichender Aufklärung der Klägerin die Frist nicht in Lauf gesetzt hat; denn die Beklagte hat die Klägerin nicht hinreichend darüber aufgeklärt, in welcher Weise und in welcher Intensität sie nach einer billigeren Unterkunft suchen musste und welche Nachweise sie dafür zu erbringen hatte. Zwar müssen für die Suche nach einer angemessenen Wohnung alle Möglichkeiten unter Zuhilfenahme aller erreichbaren Hilfen oder Hilfsmittel in Anspruch genommen werden (so Berlit in LPK-SGB II, § 22, RdNr 47). Entsprechend den zur Sozialhilfe ent-wickelten Grundsätzen, auf die ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1516, Begründung zu § 22 Abs. 1) zurückgegriffen werden kann, hätte die Klägerin an sich substantiiert darlegen müssen, dass eine andere bedarfsgerechte, kostengünstigere Unterkunft im Bedarfszeitraum auf dem örtlichen Wohnungsmarkt nicht vorhanden bzw. trotz ernsthafter und intensiver Bemühungen nicht auffindbar oder eine vorhandene Unterkunft nicht zugänglich war (so Bundesverwaltungsgericht - BVerwG - in BVerwGE 101, 194). Möglicherweise genügen die vorgetragenen Bemühungen der Klägerin zwar nicht diesen Anforderungen an eine ernsthafte und intensive Wohnungssuche. Dies ist aber deshalb unschädlich, weil die Klägerin auf diese Obliegenheit nicht hingewiesen wurde.

Die Ausgestaltung der Obliegenheiten des Sozialrechts zeigen, dass dem Leistungsberechtigten eine Obliegenheitsverletzung mit nachteiligen Auswirkungen auf seinen Leistungsanspruch nur vorgeworfen werden kann, wenn er in Kenntnis der konkreten Verhaltensanforderungen gegen diese verstößt (siehe dazu BSG, Urteil vom 25.05.2005 - B 11a/11 AL 81/04 R zur unverschuldeten Unkenntnis von der Obliegenheit zur frühzeitigen Meldung nach § 37 b SGB III). Die Beklagte hat die Klägerin im Bescheid vom 26.10.2004 nur aufgefordert, die Kosten auf den angemessenen Wert zu reduzieren. Sie wurde nicht darauf hingewiesen, dass sie ihre Bemühungen um eine billigere Wohnung nachzuweisen habe. Die Klägerin wurde auch nicht darüber informiert, in welcher Weise und mit welcher Intensität die Wohnungssuche zu erfolgen hatte. Im Hinblick auf die Folgen hätten die Beklagte z.B. durch ein Merkblatt näher konkretisieren müssen, welche Anforderungen an die Wohnungssuche und an die entsprechenden Nachweise gestellt werden. Ein anderes Ergebnis wäre im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wegen der gravierenden Rechtsfolgen verfassungsrechtlich bedenklich.

Der Einwand der Beklagten gegen die Rechtsprechung des Senats, in § 22 Abs. 1 SGB II sei keine entsprechende Belehrungspflicht normiert, überzeugt nicht; denn dass eine Behörde den Bürger ü-ber mögliche negative Auswirkungen einer Obliegenheitsverletzung belehren muss, ist eine Verpflichtung, der diese auch ohne gesetzliche Verpflichtung nachkommen muss. So ist eine Behörde nach dem von der Rechtsprechung entwickelten Institut des sozi-alrechtlichen Herstellungsanspruchs zu einer sog. Spontanberatung verpflichtet, auch wenn eine Beratungspflicht im Gesetz nicht vorgeschrieben ist.

Durch die Kürzung der Kosten der Unterkunft auf die nach Ansicht der Beklagten angemessenen Kosten sinken die Mittel, die der Klägerin und ihrem Ehemann zur Verfügung standen, unter das vom Gesetzgeber für erforderlich gehaltene "soziokulturelle" Existenzminimum.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wurde zugelassen, weil dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Rechtskraft
Aus
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