L 11 RJ 4160/03

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 2 RJ 2200/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 RJ 4160/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 18. Juni 2003 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte einen Rentenbescheid, mit dem sie die bereits früher bewilligte Rente neu festgesetzt hat, teilweise und den sich hieraus ergebenden Rückforderungsbescheid ganz zurücknehmen muss.

Der 1936 geborene Kläger war zwischen 1975 und 1991 in erster Ehe verheiratet. Nach dem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Köln vom 03.12.1991 wurden im Rahmen des durchgeführten Versorgungsausgleichs von seinem Rentenkonto auf das Konto seiner ersten Ehefrau Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 202,90 DM, bezogen auf den 31.03.1990, übertragen. Im Rahmen der Scheidung der zweiten Ehe des Klägers wurden ausweislich des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts Siegburg vom 27.08.1996 von dem Versicherungskonto seiner zweiten Ehefrau auf sein Konto Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 48,34 DM, bezogen auf den 31.01.1996, übertragen.

Mit Schreiben vom 31.10.1996 informierte die früher für den Kläger zuständige Landesversicherungsanstalt R. den Kläger über die Auswirkungen des durchgeführten zweiten Versorgungsausgleichs.

In der Verwaltungsakte befindet sich eine an den Kläger gerichtete Rentenauskunft vom 22.02.1999, in der es heißt, dass seine Rente unter Berücksichtigung des rechtskräftig durchgeführten Versorgungsausgleichs berechnet worden sei. Sie würde, wenn der bis zum 30.06.1999 maßgebende aktuelle Rentenwert zugrunde gelegt werde, monatlich 1.126,24 DM betragen.

Am 26.11.1998 stellte der Kläger einen Antrag auf Altersrente, worauf ihm die Beklagte mit Bescheid vom 19.07.1999 Altersrente für langjährig Versicherte ab 01.10.1999 in Höhe von monatlich 1.635,13 DM bewilligte. Unter der Überschrift "Auswirkungen des Versorgungsausgleichs" enthält der 15 Seiten umfassende Bescheid unter anderem den Hinweis, dass für die erste Ehe Rentenanwartschaften übertragen worden seien. Die übertragene Rentenanwartschaft sei festgestellt auf monatlich 295,00 DM. Die Entgeltpunkte hierfür würden sich auf 7,6843 Punkte belaufen. Die zweite Ehe wird nicht erwähnt.

In der Folge stellte die Beklagte fest, dass die Rente des Klägers falsch berechnet worden war. Beide Versorgungsausgleiche waren zugunsten des Klägers durchgeführt worden. Die Beklagte hörte den Kläger hierzu an und teilte ihm mit, dass vorgesehen sei, überzahlte Rente in Höhe von 3.734,50 DM zurückzufordern.

Mit Bescheid vom 31.03.2000 berechnete die Beklagte die Rente des Klägers unter Hinweis auf bisher falsch durchgeführten Übertragungen aus den Versorgungsausgleichen ab Beginn neu. Sie wurde nunmehr auf 1.101,63 DM festgesetzt. Der Bescheid vom 19.07.1999 wurde gemäß § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zurückgenommen.

Mit Bescheid vom 08.05.2000 forderte die Beklagte vom Kläger die sich in der Zeit vom 01.10.1999 bis 31.03.2000 ergebende Überzahlung der Rente in Höhe von 3.734,50 DM zurück.

Am 11.09.2000 beantragte der Kläger die Rücknahme des Bescheides vom 31.03.2000, soweit die Altersrente für die Zeit vom 01.10.1999 bis 30.04.2000 neu festgesetzt worden sei, und die Rücknahme des Bescheids vom 08.05.2000. Er teilte mit, er habe sich für ein Jahr in Nordamerika aufgehalten. Nach der Rückkehr nach Deutschland habe er die Bescheide vom 31.03.2000 und 08.05.2000 vorgefunden. Er vertrat die Ansicht, dass für die Zeit vor dem 01.05.2000 der Verwaltungsakt vom 19.07.1999 nicht hätte geändert werden dürfen. Er habe auf seine Richtigkeit vertraut und die Gelder verbraucht.

Mit Bescheid vom 20.11.2000 lehnte die Beklagte den Antrag auf Änderung der Bescheide vom 31.03.2000 und 08.05.2000 ab. Zur Begründung führte sie aus, gemäß § 45 SGB X sei die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt für die Vergangenheit möglich, sofern sich der Versicherte auf Vertrauen nicht berufen könne. Auf Vertrauen könne sich der Versicherte nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gekannt oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe. Grobe Fahrlässigkeit liege vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt habe. Mit Schreiben vom 22.02.1999 habe der Kläger eine Rentenauskunft mit der zu erwartenden Höhe der Altersrente und des weiteren bezüglich der durchgeführten Versorgungsausgleiche jeweils eine Mitteilung über den Bonus/Malus durch die LVA R. erhalten. Mit Bescheid vom 19.07.1999 sei dann anstelle der Differenz zwischen Bonus und Malus nur ein Bonus berücksichtigt worden, wodurch die Rente um ca. 600 DM brutto zu hoch berechnet worden sei. Aufgrund der Rentenauskunft sowie der Mitteilungen über die durchgeführten Versorgungsausgleiche hätte der Kläger erkennen müssen, dass die Altersrente zu hoch berechnet worden sei. Ein Vertrauensschutz bestehe somit nicht.

Seinen hiergegen erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, dass es nicht zutreffe, dass er die Rechtswidrigkeit des Rentenbescheids infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe. Die Rechtswidrigkeit des Rentenbescheids habe sich nicht ohne weiteres aus dessen Inhalt, insbesondere nicht aus dem in ihm aufgeführten Zahlenwerk ergeben. Die Rentenauskunft vom 22.02.1999 liege ihm nicht vor. Darüber hinaus sei ihm erstmals ein Rentenbescheid übersandt worden. Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids hätten sich ihm nicht aufdrängen müssen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.09.2001 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger habe infolge grober Fahrlässigkeit die Rechtswidrigkeit des fehlerhaften Bescheides vom 19.07.1999 nicht erkannt. Durch die Ehescheidungsurteile sei ihm bekannt gewesen, dass von seinem Versicherungskonto einmal Rentenanwartschaften ab- und einmal zugingen. Wenn im Rentenbescheid kein Abzug von Versorgungsanwartschaften enthalten gewesen sei, hätte ihn dies stutzig machen müssen. Ein von einer Ehescheidung Betroffener sei sich über die sich aufgrund der durchgeführten Versorgungsausgleiche ergebenden Auswirkungen bei seiner zu erwartenden Rente sehr wohl bewusst, zumal ihm diese nur wenige Monate vor Erteilung seines Rentenbescheides mit einer Rentenauskunft nochmals mitgeteilt worden seien. Bei einer "normal" ausgeprägten persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit wäre es dem Kläger ohne besondere Anstrengungen möglich gewesen, von dem Fehler zu seinen Gunsten Kenntnis zu nehmen.

Hiergegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG). Zur Begründung trug er vor, dass von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit im Hinblick auf die Rechtswidrigkeit des fehlerhaften Bescheides keine Rede sein könne. Er sei zuletzt als Fernfahrer tätig gewesen und mit Rentensachen nicht vertraut. Insbesondere sei er nicht in der Lage gewesen, einen komplizierten Rentenbescheid einschließlich des Rechenwerks auf Fehler zu überprüfen. Die Rentenauskunft vom 22.02.1999 könne er nicht vorlegen. Er könne sich nicht daran erinnern, eine solche Auskunft erhalten zu haben.

Die Beklagte wandte dagegen ein, es sei davon auszugehen, dass die Rentenauskunft nicht von Amts wegen erfolgt sei. Ihr habe ein Vorgang zugrunde gelegen. Dies ergebe sich daraus, dass Blatt 17 der Verwaltungsakten auf Blatt 8 verweise. Leider sei Blatt 8 nicht mehr aktenkundig. Aus Blatt 9 sei zu entnehmen, dass der fehlende Vorgang zuständigkeitshalber von der LVA R. an die Beklagte übersandt worden sei.

Der Kläger nahm hierzu dahingehend Stellung, dass er sich nicht erinnern könne, eine Rentenauskunft beantragt zu haben.

Mit Urteil vom 18.06.2003, dem Klägerbevollmächtigten per EB zugestellt am 16.09.2003, wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es aus, der Kläger könne sich auf schutzwürdiges Vertrauen im Hinblick auf den Bestand des Bescheides vom 19.07.1999 nicht berufen, soweit die für ihn negativen Auswirkungen des ersten Versorgungsausgleichs bei der Berechnung der Rente irrtümlich außer Betracht geblieben seien. Zwar habe er in keiner Weise dazu beigetragen, dass ihm zu viel Rente bewilligt worden sei, er habe die Rechtswidrigkeit des Bescheides aber zumindest in Folge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt. Sein Einwand, er sei außerstande gewesen einen komplizierten Rentenbescheid einschließlich des Rechenwerks auf Fehler zu überprüfen, "verschlage". Wohl sei einzuräumen, dass der Rentenbescheid vom 19.07.1999 sehr umfangreich und mit einer Fülle von Detailinformationen gespickt sei, deren Bedeutung sich dem Durchschnittsleser, solange er sich nicht intensiv damit auseinander setze, nur schwer erschließen würde. Der Bescheid enthalte aber an verschiedenen Stellen verständliche Hinweise auf die Auswirkungen des Versorgungsausgleiches, die zum einen nicht zu übersehen und zum anderen auch nicht misszuverstehen seien. Aus ihnen gehe eindeutig hervor, dass die Ehescheidungen sich, was die Auswirkungen auf die Rente angingen, für den Kläger "gelohnt" hätten. Dies könne auch der oberflächlichste Leser nicht übersehen. Aus den Entscheidungen der Amtsgerichte Köln und Siegburg habe der Kläger auch gewusst, dass im Rahmen des Versorgungsausgleichs nach der ersten Ehe Rentenanwartschaften in bedeutender Höhe von seinem Konto auf die geschiedene Ehefrau übertragen worden seien, während im Rahmen des Versorgungsausgleichs nach der zweiten Ehe sehr viel niedrigere Rentenanwartschaften von der geschiedenen Ehefrau auf ihn übertragen worden seien, sodass sich für ihn auf keinen Fall ein positiver Saldo ergeben könnte. Die Beklagte habe bei der Entscheidung, ob der Rentenbescheid auch für die Vergangenheit zurück genommen werde, ursprünglich erkennbar kein Ermessen ausgeübt. Sie habe dieses Versäumnis aber zulässigerweise im Verfahren gemäß § 44 SGB X nachgeholt. Eine Aufhebung der Entscheidung komme deshalb nicht in Betracht.

Hiergegen hat der Kläger am 16.10.2003 Berufung eingelegt. Ihm sei keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Auch das SG sei nicht davon ausgegangen, dass sich aus dem Bescheid selbst die Rechtswidrigkeit ergebe. Es habe insoweit auf einen Vergleich mit den Entscheidungen der Amtsgerichte Köln und Siegburg verwiesen. Die Rechtswidrigkeit müsse sich ohne weitere Nachforschungen jedoch aus dem Bescheid selbst ergeben. Dies sei hier nicht der Fall. Er sei nicht verpflichtet gewesen, die ca. 8 Jahre alte Entscheidung des Familiengerichts Köln anlässlich des Erhalts des Rentenbescheids nochmals durchzulesen. Im übrigen dürfe offenkundig sein, dass der Normalbürger nicht ohne weiteres erkennen könne, wie sich die Entscheidung des Familiengerichts über den Versorgungsausgleich auf die Höhe der Rente auswirke. Die Beklagte habe die unterlassene Ermessensausübung auch nicht nachgeholt. Sie habe nicht berücksichtigt, dass seine Rente relativ gering sei und er sie zu seinem Lebensunterhalt verbraucht habe. Außerdem hätte die Beklagte berücksichtigen müssen, dass es sich ausschließlich um einen von ihr verursachten Fehler gehandelt habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 18. Juni 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 20. November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. September 2001 zu verpflichten, den Bescheid vom 31. März 2000 insoweit zurückzunehmen, als die Rente für die Zeit vom 1. Oktober 1999 bis 30. April 2000 neu festgesetzt und eine Überzahlung in Höhe von 3.734,50 DM festgestellt worden sei und den Bescheid vom 8. Mai 2000 ganz zurückzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.

Der Senat hat bei der LVA R. nachgeforscht, ob dort noch ein Aktenvorgang über den Kläger vorliege. Dies wurde verneint.

Im übrigen hat der Senat auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 10.07.2003 - III ZR 155/02 - NJW 2003, 3049 ff. hingewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten auf die erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen.

Die Rechtsgrundlagen für die Rücknahme von Bescheiden gemäß §§ 44 und 45 SGB X sind im angefochtenen Urteil des SG zutreffend dargelegt. Hierauf nimmt der Senat nach § 153 Abs. 2 SGG zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.

Richtigerweise hat das SG auch angenommen, dass der Kläger zumindest grob fahrlässig die Fehlerhaftigkeit des bewilligenden Rentenbescheides nicht erkannt hat.

Auch insoweit wird auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, die sich der Senat zu Eigen macht, Bezug genommen. Ergänzend ist auszuführen, dass dem auch nicht die Entscheidung des BGH (NJW 2003, 3049) entgegensteht. Im vorliegenden Fall geht es nämlich darum, dass dem Kläger aufgrund der vorangegangenen zwei Scheidungsverfahren klar sein musste, dass er insgesamt, also per Saldo, aus dem Versorgungsausgleich nicht profitiert hatte. Der bewilligende Rentenbescheid ging jedoch, auch für den Kläger erkennbar, davon aus, dass er insgesamt durch Entscheidungen im Versorgungsausgleich profitiert hätte. Diesen Fehler hätte der Kläger bei Anspannung der ihm zumutbaren Sorgfalt feststellen müssen.

Dahingestellt bleiben kann somit, ob der Kläger eine Rentenauskunft beantragt hat und den Bescheid der Beklagten vom 22.02.1999 erhalten hat.

Die Frage, ob die Beklagte im Bescheid vom 31.03.2000 ermessensfehlerhaft entschieden hat, braucht im vorliegenden Verfahren nicht geprüft zu werden, da es sich streitgegenständlich um ein Verfahren nach § 44 SGB X handelt und in einem solchen Verfahren lediglich die materielle Richtigkeit des bestandskräftigen Bescheides zu überprüfen ist. § 44 begründet nämlich keinen Anspruch auf Wiedereinräumung nach materiellem Recht nicht zustehender Rechtspositionen, die unter Verstoß gegen vertrauensschützende Vorschriften bindend entzogen worden sind (vgl. Wiesner in: von Wulffen Sozialgesetzbuch X 4. Auflage Rd.-Ziff. 2 zu § 44).

Die Berufung des Klägers konnte deshalb keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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