S 11 AS 17/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AS 17/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Absenkung von Arbeitslosengeldes II (Alg II) infolge des Abbruchs einer Eingliederungsmaßnahme.

Die am 00.00.1985 geborene Klägerin steht seit dem 01.01.2005 im laufenden Leistungsbezug. Mit Bescheid vom 08.12.2005 verfügte die Beklagten den Wegfall der "Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 20 SGB II)" für die Zeit vom 01.01.2006 bis zum 31.03.2006, da die Klägerin durch eigenes Verhalten Anlass zum Abbruch einer am 01.06.2005 begonnenen Eingliederungsmaßnahme beim W e.V. B gegeben habe. Aufgrund häufiger Arbeitsunfähigkeiten während der Maßnahme und unentschuldigtem Fernbleiben seit dem 28.10.2005 stehe der Abbruch der Maßnahme bevor und ein erfogreicher Abschluss sei nicht mehr möglich; ein wichtiger Grund für das Verhalten der Klägerin sei nicht ersichtlich.

Die Klägerin legte am 22.12.2005 Widerspruch ein und führte aus, zum Abbruch der Maßnahme hätten allein ihre Fehlzeiten wegen Arbeitsunfähigkeit geführt. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 17.01.2006 zurück (wobei sie klarstellte, dass der Klägerin die Leistungen der Unterkunft und Heizung verbleiben sollten). Sie führte aus, die Klägerin habe sich durch Eingliederungsvereinbarung vom 12.05.2005 verpflichtet, an der Maßnahme beim W e.V. teilzunehmen. Nach dessen Angaben lägen erhebliche Zeiten der Arbeitsunfähigkeit vor, außerdem habe die Klägerin seit dem 25.10.2005 und davor bereits an 8 Tagen unentschuldigt gefehlt.

Hiergegen richtet sich die am 13.02.2006 erhobene Klage.

Die Klägerin wiederholt ihr Vorbringen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08.12.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2006 zu verurteilen, ihr auch für die Zeit vom 01.01.2006 bis zum 31.03.2006 Arbeitslosengeld II ohne Absenkung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie führt aus, der Abbruch der Maßnahme sei nicht wesentlich durch die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit bedingt gewesen. Da es sich um eine sog. gleitende Maßnahme gehandelt habe, hätte die Klägerin die wegen Arbeitsunfähigkeit versäumten Zeiten später nachholen können. Vielmehr sei das sonstige Verhalten der Klägerin ursächlich für den Abbruch gewesen. Eine hinreichende Rechtsfolgenbelehrung sei in der Eingliederungsvereinbarung enthalten, im Übrigen habe der W e.V. die Klägerin wegen unentschuldigten Fehlens auch mehrfach abgemahnt.

Das Gericht hat im Termin zur mündlichen Verhandlung die Sozialpädagogin Frau T-E als Zeugin vernommen. Hinsichtlich der Zeugenvernehmung wird auf die Anlage zum Sitzungsprotokoll verwiesen. Hinsichtlich der wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind nicht rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beklagte durfte den Alg II-Anspruch der Klägers auf die Leistungen der Unterkunft und Heizung absenken.

Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 2. Alt, Abs. 5 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) wird das Alg II auf die Leistungen der Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) beschränkt, wenn der unter 25-jährige erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz Belehrung über die Rechtsfolgen Anlass für den Abbruch einer zumutbaren Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit gegeben hat. Dies gilt nicht, wenn der Hilfebedürftige einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist, § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II.

Die Klägerin hat an der am 01.06.2005 begonnenen und ursprünglich für eine Dauer von 8 Monaten geplanten Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht bis zum Ende teilgenommen. Die Maßnahme war auch zumutbar i.S.d. § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Die Zumutbarkeit einer Maßnahme richtet sich nach § 10 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 und 2 SGB II. Es mag sein, dass sich - wie das Gericht der Aussage der Zeugin entnimmt - im Laufe der Maßnahme Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass die Klägerin (angesichts ihrer Haltung gegenüber der Berufsgruppe, die die Zeugin als "helfende Berufe" bezeichnet hat) für eine ganze Reihe derjenigen Tätigkeiten ungeeignet ist, auf die die Maßnahme sie vorbereiten sollte. Auch eine generelle Ungeeignetheit der Maßnahme (wie sie im vorliegenden Fall im Übrigen keineswegs erwiesen ist) führt indes nicht zur Unzumutbarkeit im Sinne von insbesondere § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB II (zur Intensität einer Beeinträchtigung, die einen wichtigen Grund im Sinne dieser Vorschrift begründet, Rixen, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 10, Rn. 112 und 119 ff).

Die Klägerin hat Anlass zum Abbruch der Maßnahme gegeben. Dies setzt voraus, dass der Hilfebedürftige sich subjektiv vorwerfbar verhält und den aufgrund dieses Verhaltens drohenden Ausschluss von der weiteren Teilnahme vorhersehen kann (vgl. Niesel, in: Niesel, SGB III, 3. Aufl., 2005, § 144, Rn. 76 zum parallelen Sperrzeittatbestand im Arbeitsförderungsrecht). Alleinursächlichkeit dieses subjektiv vorwerfbaren Verhaltens ist nach Auffassung der Kammer nicht erforderlich, vielmehr genügt es, wenn das vorwerfbare Verhalten sich bei wertender Betrachtung als eine wesentliche Mitursache für den Abbruch der Maßnahme erweist.

Das Gericht verkennt vor diesem Hintergrund nicht, dass die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit kein subjektiv vorwerfbares Verhalten in diesem Sinne sind (vgl. Rixen, a.a.O., § 31, Rn. 21). Es sieht den Anlass zum Abbruch der Maßnahme indes im Wesentlichen nicht in diesen speziellen Fehlzeiten, sondern im Gesamtverhalten der Klägerin, wie es sich aus der Aussage der Zeugin Frau T-E sowie dem von ihr zu den Akten gereichten Schreibens des W e.V. (Herrn Q) vom 07.10.2005 ergibt. Hiernach lagen neben den Fehlzeiten wegen Arbeitsunfähigkeit auch weitere unentschuldigte Fehltage vor. Weiterhin ist die Klägerin häufig mit erheblichen Verspätungen (von bis zu 90 Minuten) zur Maßnahme erschienen. Jeglichen Versuchen der Maßnahmeleitung, die Gründe für Fehlen und Verspätungen zu klären und an einer Lösung der zugrundeliegenden Problem zu arbeiten, hat sich die Klägerin verweigert. Dass einzelne Verspätungen, Fehltage und sonstiges "Verweigerungsverhalten" der Klägerin für sich betrachtet möglicherweise nicht geeignet waren, einen Anlass zum Abbruch zu bieten, ist angesichts dieses Gesamteindrucks, den das Gericht vom Verhalten der Klägerin gewonnen hat, unbeachtlich.

Insbesondere ergibt sich aus der Zeugenaussage sowie dem Schreiben des Herrn Q, dass die Maßnahme nicht etwa - wie die Klägerin offenbar meint - bereits allein aufgrund der außergewöhnlich hohen Fehlzeiten abgebrochen worden ist. Vielmehr stellt sich der Gang der Ereignisse so dar, dass insbesondere die gegen Ende der Maßnahme zunehmenden unentschuldigten Fehlzeiten den Ausschlag für einen Abbruch gegeben haben. Angesichts dessen fällt eine Mitursächlichkeit der Arbeitsunfähigkeitszeiten nicht mehr wesentlich ins Gewicht. Darüber hinaus liegt nach Auffassung der Kammer eine (Mit-) Ursache des Abbruchs der Maßnahme auch darin, dass die Klägerin sich den Versuchen einer Klärung der Gründe für die Arbeitsunfähigkeit konsequent entzogen hat. Dies gilt umso mehr, als eine Verlängerung der gleitenden Maßnahme der Sache nach möglich war.

Ein wichtiger Grund (§ 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II) für das Verhalten der Klägerin ist nicht ersichtlich. Es mag sein, dass es in der Vergangenheit für einzelne Verstöße gegen die Eingliederungsvereinbarung im Einzelfall einen wichtigen Grund gegeben hat. Es ergibt sich indes bereits aus dem Wortlaut von § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II, dass der Hilfebedürftige dies nachzuweisen hat, woran es hier fehlt. Im Übrigen obliegt es der Klägerin, angesichts einer im Einzelfall bestehenden Unvereinbarkeit zwischen ihren - möglicherweise berücksichtigungsfähigen - Belangen und dem Interesse der Allgemeinheit an einer ordnungsgemäßen und erfolgreichen Durchführung der Maßnahme, den wichtigen Grund für ihr jeweiliges Verhalten nicht nur nachzuweisen, sondern auch in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit der Beklagten bzw. dem Leitungsteam der Maßnahme an einer Lösung zu arbeiten (zu einer entsprechenden Obliegenheit im Arbeitsförderungsrecht etwa Niesel, a.a.O., Rn. 89, Stichwort "Betriebsklima"). Dass die Klägerin dies offenbar nicht getan hat, wiegt umso schwerer, als die Zeugin verschiedentlich Hilfe hierbei angeboten hat. Im Übrigen hat die Zeugin auf das Gericht bei der Vernehmung den Eindruck gemacht, dass sie in der Lage ist, die erforderlichen Gespräche sachlich zu führen und kompetent Hilfe zu leisten.

Beginn und Dauer der Absenkung ergeben sich aus § 31 Abs. 6 Satz 1 und 2 SGB II.

Die erforderlichen Belehrungen über die verschiedenen Rechtsfolgen sind ordnungsgemäß erfolgt. Der Klägerin ist in der Eingliederungsvereinbarung zeitnah (noch nicht einmal drei Wochen vor Antritt der Maßnahme) über die in § 31 SGB II vorgesehenen Rechtsfolgen belehrt worden. Das Gericht verkennt hierbei nicht, dass diese Rechtsfolgenbelehrung, die im Wesentlichen den Gesetzestext paraphrasiert und sich über anderthalb Druckseiten erstreckt, für manche Hilfebedürftigen schwer verständlich sein dürfte. Allerdings kann die Komplexität der Rechtsfolgen aus § 31 SGB II nicht dazu führen, dass der Leistungsträger konkret und mit anschaulichen Beispielen über jede nur mögliche Art eines sanktionierten Verhaltens sowie seine Auswirkungen zu belehren hat. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus einem ausdrücklichen und durch Unterstreichung hervorgehobenen Hinweis in Ziffer 2 b der Eingliederungsvereinbarung jedenfalls, dass die Klägerin bei Verstoß gegen die Vereinbarung (deren wesentlicher Inhalt wiederum in der Teilnahme an der Maßnahme lag) mit einer Sanktion zu rechnen hatte, deren näheren Inhalt sie der beigefügten Belehrung entnehmen konnte. Angesichts dieser detaillierten anfänglichen Rechtsfolgenbelehrung erachtet es die Kammer als unschädlich, dass die vom W e.V. erteilten Abmahnungsschreiben (zum Erfordernis einer Abmahnung bei drohendem Ausschluss von einer Maßnahme Bayerisches LSG, Urteil vom 18.03.2004, L 11 AL 247/02) die Folgen weiterer Versäumnisse unzutreffend als "Sperrzeit" beschreiben oder aber nicht näher bezeichnen. Für die Klägerin war jedenfalls aus den Abmahnungen ersichtlich, dass und weswegen ihr Verbleib in der Maßnahme konkret gefährdet war. Hieraus konnte sie den Schluss ziehen, dass ein Verstoß gegen die Eingliederungsvereinbarung (deren wesentlicher Inhalt die Teilnahme an der Maßnahme war) drohte und dass aufgrund dessen die im Anhang zur Eingliederungsvereinbarung bezeichneten Sanktionen zu erwarten waren. Gleichzeitig wurde der Klägerin auf diese Weise hinreichend Gelegenheit dazu eingeräumt, ihr Verhalten den Erfordernissen der Maßnahme anzupassen und somit eine Sanktion zu vermeiden.

Da Frage nach einer vorzeitigen Beendigung der Absenkung im Wege einer einschränkenden Auslegung von § 31 Abs. 5 und 6 SGB II (hierzu etwa Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 31, Rn. 76; Breitkreuz/Wolff-Dellen, SGb 2006, S. 209, 212) stellt sich bereits deswegen nicht, weil das hierfür erforderliche "Einlenken" der Klägerin nicht feststellbar ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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