S 40 U 409/04

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
40
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 40 U 409/04
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der im Jahre 1946 geborene Kläger wendet sich gegen die Entziehung einer Rente auf unbestimmte Zeit aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Beteiligten streiten insbesondere darüber, ob es sich bei der beim Kläger festgestellten Harnblasen-krebserkrankung um eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1301 der Berufskrankheiten-verordnung (BKV) handelt.

Der Kläger ist gelernter Friseur und war in diesem Beruf nach Abschluss seiner Ausbildung etwa fünf Jahre beschäftigt. Nach eigenen Angaben gehörte zu seiner Tätigkeit als Friseur in den ersten zwei Jahren auch das Färben von Haaren, welches er ungefähr alle zwei Tage für ca. zwanzig Minuten durchgeführt habe. Dabei wurde das Haarfärbemittel per Hand mit einem Pinsel aufgetragen; Handschuhe wurden hierbei nicht benutzt. Später wechselte der Kläger zu einem Friseursalon ausschließlich für Herren, wo er keine Haarfärbungen mehr vornahm. Im Jahr 1965 gab er seine Tätigkeit als Friseur auf.

Danach war der Kläger bis in das Jahr 2001 ausschließlich als Kraftfahrer für verschiedene Unternehmen tätig, wo er für unterschiedlich lange Zeiträume verschiedene, zum Teil gesundheitsgefährdende Stoffe transportierte. Für die Tätigkeit des Klägers als Kraftfahrer ist die Beklagte die zuständige Berufsgenossenschaft.

Der Kläger ist Raucher. Sein Tabakkonsum beträgt nach verschiedenen eigenen Angaben jedenfalls seit 35 Jahren 20 bis 40 Zigaretten pro Tag.

Im Februar 1998 wurde bei dem Kläger ein papilläres Urothelkarzinom der Harnblase (Blasentumor) im Stadium pT 1 G 2 festgestellt, welches am 20.02.1998 im Allgemeinen Krankenhaus H. durch transurethrale Resektion entfernt wurde. Am 18.03.1998 wurde eine Nachresektion der Harnblase vorgenommen. Seitdem befindet sich der Kläger in fachurologischer Tumornachsorge. In einem Bericht des Facharztes für Urologie, Herrn B., vom 09.01.2002 heißt es, das Urothelkarzinom der Harnblase sei seit Diagnosestellung ohne Rezidiv, das heißt ein gleichartiger Tumor ist am selben Ort nicht wieder aufgetreten. Der Kläger leidet seit Ende der neunziger Jahre allerdings in regelmäßigen Abständen unter Blasenentzündungen.

Mit Schreiben vom 16.04.1998 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Anerkennung der Krebserkrankung als BK sowie die Gewährung von Entschädigungsleistungen.

Die Beklagte führte daraufhin verschiedene Ermittlungen insbesondere zu der beruflichen Exposition des Klägers gegenüber – für die Entstehung einer solchen Erkrankung – gefährdenden Stoffen, insbesondere zu den so genannten aromatischen Aminen, durch.

Nach einer Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten (TAD) vom 12.11.1998, ermittelte der TAD nach Rücksprache mit dem Kläger bei dessen ehemaligen Arbeitgebern eine gefährdende Exposition bei seiner Tätigkeit als Kraftfahrer in den Zeiträumen 22.07.1970 bis 12.09.1970, 01.02.1971 bis 19.05.1971 sowie 08.11.1971 bis 09.03.1972 für Transporte von Bitumen und Schweröl. Diese Stoffe wurden zum Teil heiß verladen, so dass der Kläger den Dämpfen dieser Produkte ausgesetzt war. In den Zeiträumen 05.10.1970 bis 20.11.1970 sowie 20.05.1971 bis 13.11.1971 transportierte der Kläger sodann Asphalte, die seinerzeit als Bindemittel Teere enthielten. Bei diesen Tätigkeiten sei von einer Expositionszeit gegenüber aromatischen Aminen von insgesamt 16 Monaten auszugehen. Die genaue Expositionsintensität könne allerdings nicht (mehr) ermittelt werden. In den Jahren 1983 bis 1994, so die Stellungnahme des TAD weiter, habe der Kläger dann für verschieden lange Zeiträume Transporte von Vergaser-kraftstoffen und Heizöl durchgeführt. Vergaserkraftstoffe und Heizöl enthielten als krebserzeugende Komponente Benzol. Ein Zusammenhang zwischen Benzol-einwirkungen und Krebserkrankungen im Bereich der Harnblase sei jedoch nicht wahrscheinlich. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Stellungnahme des TAD wird Bezug genommen auf den Bericht des TAD vom 12.11.1998 (Bl. 150 der Verwaltungsakte der Beklagten).

Auf Veranlassung der Beklagten erstellte der Facharzt für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin, Prof. Dr. S., am 12.11.1999 und am 13.10.2000 ein arbeitsmedizinisches Sachverständigengutachten über die Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der diagnostizierten Krebserkrankung beim Kläger und seiner beruflichen Tätigkeit.

Hierbei kam Prof. S. im Wesentlichen zu dem Ergebnis, dass mit Wahrscheinlichkeit ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der beruflichen Tätigkeit des Klägers als Kraftfahrer bestehe. Der Kläger sei – gemessen an den Feststellungen des TAD – im Rahmen seiner Tätigkeit grundsätzlich sechzehn Monate gegenüber karzinogenen aromatischen Aminen exponiert gewesen. Zwar könne die Expositionsintensität nicht festgestellt werden. Jedoch könnte selbst bei Einhaltung der maßgeblichen Richtwerte das exposititonsbedingte Entstehen einer bösartigen Krankheit nicht ausgeschlossen werden. Im Übrigen werde im Falle des Klägers gemäß § 9 Absatz 3 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch (SGB VII), vermutet, dass die festgestellte Erkrankung auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen sei, da Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festzustellen seien.

Auf der Grundlage dieses Gutachtens erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 25.07.2001 die Harnblasenkrebserkrankung des Klägers als BK im Sinne der Nr. 1301 der Anlage zur BKV an. Als BKen sind unter dieser Nummer "Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine" bezeichnet. Gleichzeitig wurde dem Kläger eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit rückwirkend ab dem 18.05.1998 in Höhe von 50 vom Hundert sowie rückwirkend ab dem 21.02.2000 in Höhe von 20 vom Hundert gewährt.

Im Juli 2002 erfolgte eine gutachterliche Nachuntersuchung des Klägers durch den Arzt für Innere Medizin, Arbeitsmedizin und Sozialmedizin, Prof. Dr. Dr. K ... Der Gutachter kam dabei im Wesentlichen zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Harnblasenkrebserkrankung des Klägers nicht um eine BK im Sinne der Nr. 1301 der Anlage zur BKV handle, da ein Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit des Klägers und der Erkrankung nicht wahrscheinlich sei. Die mit 16 Monaten relativ gering einzuschätzende Expositionszeit gegenüber allenfalls geringen Mengen an aromatischen Aminen sei aus medizinisch- toxikologischer Sicht mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage gewesen, das Harnblasenkarzinom hervorzurufen. Eine Häufung dieser Tumorarten bei ähnlichen Berufsbildern wie dem des Klägers als Kraftfahrer sei zudem nicht bekannt. Auch die im Rahmen der Tätigkeit des Klägers als Friseur beim Umgang mit Haarfärbemitteln grundsätzlich in Betracht kommende Expositionszeit gegenüber aromatischen Aminen sei zu kurz, um die diagnostizierte Erkrankung verursacht zu haben. Im Übrigen gehöre das Zigarettenrauchen zu den wesentlichen Ursachen eines Harnblasenkarzinoms. So hätten Zigarettenraucher durch die im Rauch enthaltenen aromatischen Amine ein zwei- bis sechsfach erhöhtes Erkrankungsrisiko in Bezug auf eine solche Erkrankung.

Auf der Grundlage dieser gutachterlichen Untersuchung des Klägers nahm die Beklagte mit Bescheid vom 09.01.2003 ihren Ausgangsbescheid vom 25.07.2001 zurück und stellte die Rentenzahlung mit Wirkung für die Zukunft ein. Als Begründung für diese Entscheidung führte die Beklagte aus, dass nach den Ausführungen von Prof. K. ein Zusammenhang zwischen der Blasenkrebserkrankung und der beruflichen Exposition gegenüber aromatischen Aminen nicht mit der in der gesetzlichen Unfallversicherung erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sei. Der Ausgangsbescheid vom 25.07.2001 sei daher rechtswidrig und könne somit gemäß § 45 SGB, Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), zurückgenommen werden.

Gegen diese Entscheidung legte der Kläger mit Schriftsatz vom 20.01.2003 Widerspruch ein.

Auf Veranlassung der Beklagten erstellte der Facharzt für Pharmakologie und Toxikologie, Umweltmedizin, Prof. Dr. B1, im Widerspruchsverfahren ein weiteres Sachverständigengutachten über die Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der beruflichen Tätigkeit des Klägers als Kraftfahrer und der Harnblasenkrebserkrankung. Prof. B1 kommt dabei im Wesentlichen zu dem gleichen Ergebnis wie Prof. K ... Unter Zugrundelegung der relativ kurzen beruflichen Expositionszeit einerseits, und bei Berücksichtigung des langjährigen Nikotinkonsums des Klägers andererseits, sei die geltend gemachte Krebserkrankung "ganz überwiegend wahrscheinlich" auf das Rauchverhalten des Klägers zurückzuführen. Durch Widerspruchsbescheid vom 20.08.2004 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch des Klägers zurück.

Mit seiner am 20.09.2004 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren auf Aufhebung des Rücknahmebescheids weiter. Der Kläger ist der Ansicht, dass die Rücknahme des ursprünglichen (Bewilligungs-) Bescheides vom 25.07.2001 schon deshalb nicht in Betracht komme, weil dieser Bescheid nicht rechtswidrig gewesen sei. Der Bescheid sei weder gegen bestehende Vorschriften erlassen noch sei das Recht auf den zu entscheidende Sachverhalt unrichtig angewendet worden. Der Nikotinabusus des Klägers sei bereits im Zeitpunkt der damaligen Entscheidungsfindung bei der Beklagten bekannt gewesen. Wenn diese bei ihrer Rücknahmeentscheidung nunmehr vordergründig auf den Zigarettenkonsum des Klägers abstelle, handle es sich daher lediglich um die neue Beurteilung ein- und desselben Sachverhalts, die nicht geeignet sei, "die bereits festgestellte BK entfallen zu lassen". Im Übrigen werde in den Gutachten von Prof. K. und Prof. B1 nicht ausgeschlossen, dass die berufliche Tätigkeit zu der diagnostizierten Krebserkrankung geführt habe.

Im Übrigen hat der Kläger vorgetragen, dass nicht ausreichend diejenigen Zeiten seiner beruflichen Tätigkeit berücksichtigt worden seien, in denen er krebserregende Vergaserkraftstoffe transportiert habe.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 09.01.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung ihres Antrages nimmt die Beklagte Bezug auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und den Inhalt ihrer Verwaltungsakte. Ergänzend weist die Beklagte darauf hin, dass Vergaserkraftstoffe als krebserzeugende Bestandteile zwar Benzol enthielten; dessen krebserzeugende Wirkung greife jedoch nicht die Harnblase, sondern das blutbildende und lymphatische System eines Menschen an.

Nach Beiziehung der Verwaltungsakten der Beklagten hat das Gerichts den Facharzt für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin Dr. P. beauftragt, ein schriftliches Sachverständigengutachten nach Aktenlage zu der Frage zu erstellen, ob die Harnblasenkrebserkrankung beim Kläger mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die berufliche Exposition verursacht wurde.

Dr. P. kommt in seinem schriftlichen Gutachten vom 25.04.2005 zu dem Ergebnis, dass dies nicht wahrscheinlich sei. Bei der geltend gemachten Erkrankung handle es sich nicht um eine BK im Sinne der Nr. 1301 der Anlage zur BKV, da diese Erkrankung nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die berufliche und damit versicherte Tätigkeit des Klägers zurückzuführen sei. Zwar sei grundsätzlich von einer beruflichen Exposition gegenüber krebserzeugenden aromatischen Aminen auszugehen. Diese sei indes mit sechzehn Monaten relativ kurz gewesen. Zudem sei die genaue Expositionsintensität nach wie vor ungeklärt. Bei der Berufsgruppe der Dachdecker, die in jedem Falle einer höheren Expositionsintensität gegenüber vergleichbaren Substanzen ausgesetzt sei, trete ein erhöhtes Erkrankungsrisiko in Bezug auf ein Harnblasenkarzinom allerdings erst nach langjähriger Tätigkeit auf. Demgegenüber stehe fest, dass der Kläger jedenfalls seit 35 Jahren 30 bis 40 Zigaretten pro Tag rauche. Inhalativer Tabakkonsum gelte nach wissenschaftlichen Erkenntnissen als Hauptursache für die Entstehung eines Harnblasenkarzinoms. Bereits bei einem deutlich niedrigeren Wert von 30 Jahren und 20 Zigaretten pro Tag steige das Erkrankungsrisiko um etwa das dreifache. Bei dieser Konstellation könne nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die berufliche Exposition gegenüber aromatischen Aminen zumindest wesentlich teilursächlich für das diagnostizierte Harnblasenkarzinom sei.

In einem Termin am 31.03.2006 hat das Gericht das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten ausführlich erörtert. In diesem Termin haben die Beteiligten ihr Einverständnis zu einer schriftlichen Entscheidung erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Erörterung und Entscheidungsfindung der Kammer.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gemäß § 124 Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil über die Klage des Klägers entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis zu dieser Verfahrensweise erklärt haben.

Die Klage ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

Der Rücknahmebescheid der Beklagten vom 09.01.2003 in Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 20.08.2004 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Gemäß § 45 Absatz 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 dieser Vorschrift ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. Diesen Anforderungen wird die in dem hiesigen Rechtsstreit angefochtene Rücknahmeentscheidung der Beklagten gerecht. Bei dem durch die Beklagte zurückgenommenen (Bewilligungs-) Bescheid vom 25.07.2001 handelt es sich um einen rechtswidrigen, begünstigenden Verwaltungsakt im Sinne von § 45 Absatz 1 SGB X. Die Beklagte hat bei der Rücknahme dieses Verwaltungsaktes die Einschränkungen des § 45 Absätze 2 bis 4 SGB X beachtet. Auch unter Ermessensgesichtspunkten kann die Rücknahmeentscheidung der Beklagten nicht beanstandet werden.

1. Der zurückgenommene Bescheid der Beklagten vom 25.07.2001 stellt einen begünstigenden Verwaltungsakt im Sinne von § 45 Absatz 1 SGB X dar. Durch die hierdurch ausgesprochene Anerkennung der Harnblasenkrebserkrankung des Klägers als BK und die hierauf gestützte Bewilligung einer Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit hat dieser Verwaltungsakt zu Gunsten des Klägers einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet.

Der zurückgenommene Bescheid der Beklagten vom 25.07.2001 ist – entgegen der Auffassung des Klägers – zudem als rechtswidrig im Sinne von § 45 Absatz 1 SGB X anzusehen. Für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit im Sinne von § 45 Absatz 1 SGB X ist maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes abzustellen. Entscheidend ist, ob die fragliche Entscheidung – so wie sie getroffen wurde – aus damaliger Sicht (rechtmäßig) hätte ergehen dürfen, hier: ob dem Kläger unter Anerkennung des bei ihm diagnostizierten Harnblasenkarzinoms als BK eine Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach den gesetzlichen Vorgaben hätte bewilligt werden dürfen. Dies ist nach Ansicht der Kammer nicht der Fall.

Der Kläger hatte seinerzeit (und hat auch heute) keinen Anspruch gegen die Beklagte, ihm unter Anerkennung des Harnblasenkarzinoms als BK Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Es kann nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass es sich bei der bei dem Kläger diagnostizierten Harnblasenkrebserkrankung um eine BK handelt.

Nach § 26 SGB VII gewährt der Träger der Unfallversicherung – die dort näher bezeichneten – Leistungen unter anderem bei Vorliegen einer BK. Nach § 9 Absatz 1 SGB VII sind BKen Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung als BKen bezeichnet hat, und die Versicherte in Folge einer versicherten Tätigkeit erleiden.

Die Erkrankung des Klägers ist hier zwar in der Anlage zur BKV durch die Bundesregierung als BK bezeichnet worden. Insoweit handelt es sich bei dem diagnostizierten Harnblasenkarzinom um eine Krebserkrankung der Harnwege durch aromatische Amine gemäß Nr. 1301 der Anlage zur BKV. Jedoch hat der Kläger diese Erkrankung nicht mit der im Unfallversicherungsrecht insoweit erforderlichen Wahrscheinlichkeit in Folge einer versicherten Tätigkeit, hier insbesondere seinem Tätigwerden als Kraftfahrer für verschiedene Transportunternehmen, erlitten.

Bei der Frage, ob eine Erkrankung in Folge einer bestimmten versicherten Tätigkeit entstanden ist, geht es um die Bestimmung der sog. haftungsausfüllenden Kausalität. Diese ist nach der im Unfallversicherungsrecht geltenden Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung im Falle einer BK nur dann gegeben, wenn festgestellt werden kann, dass die geltend gemachte Erkrankung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich oder teilursächlich auf die versicherte Tätigkeit des Betroffenen zurückzuführen ist. Dies kann hier nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme aus Sicht der Kammer nicht festgestellt werden.

Eine Erkrankung ist nur dann mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf eine bestimmte Tätigkeit ursächlich zurückzuführen, wenn mehr für als gegen die Annahme eines entsprechenden Ursachenzusammenhangs spricht, und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderweitigen, das heißt nicht in der versicherten Tätigkeit liegenden, Verursachung ausscheiden (vgl. BSGE 12, S. 242 ff., 246; E 32, S. 203 ff., 209). Dieser Maßstab gilt dabei – anders als im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts – im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung nicht nur bei erstmaliger Entscheidung über die Frage, ob es sich bei einer Krankheit um eine BK im unfallversicherungsrechtlichen Sinne handelt, sondern in gleicher Weise auch dann, wenn – wie hier – nach vormaliger positiver Entscheidung über diese Frage im Rahmen eines Rücknahmeverfahrens erneut über den fraglichen Ursachenzusammenhang zu entscheiden ist (vgl. hierzu ausführlich Bundessozialgericht, Urteil vom 02.11.1999, Az.: B 2 U 47/98).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Beklagte bei ihrer in diesem Rechtsstreit angefochtenen Rücknahmeentscheidung zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei dem zurückgenommenen Bescheid vom 25.07.2001 um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt im Sinne von § 45 Absatz 1 SGB X handelt. Nach Überzeugung der Kammer, die sich dabei insbesondere auf die Feststellungen und Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Dr. P. stützt, ist anzunehmen, dass die Harnblasenkrebserkrankung des Klägers nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Folge seiner beruflichen und damit versicherten Tätigkeit ist.

Angesichts dessen, dass der Kläger nach eigenen Angaben und dem Ergebnis der Ermittlungen der Beklagten bei seiner beruflichen Tätigkeit als Kraftfahrer für einen Zeitraum von etwa 16 Monaten gegenüber aromatischen Aminen exponiert war, ein erhöhtes Risiko hinsichtlich einer Krebserkrankung der Harnblase allerdings erst nach erheblich längerer Expositionsdauer wissenschaftlich zu belegen ist, spricht aus Sicht der Kammer bereits grundsätzlich wenig für einen entsprechenden Ursachenzusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit und diagnostizierter Erkrankung.

Hieran ändert es nichts, dass die genaue Expositionsintensität im Nachhinein nicht mehr gänzlich aufgeklärt werden konnte. Zum einen geht dieser Umstand nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast, der auch im sozialgerichtlichen Verfahren gilt (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 8. Aufl. 2005, § 103 Rz. 19a, sowie § 118 Rz. 6 jeweils m. w. N.), zu Lasten des Klägers. Zum anderen haben sowohl Dr. P. als auch der im Widerspruchsverfahren eingeschaltete Gutachter Prof. B1 übereinstimmend und schlüssig dargelegt, dass es bei der Berufsgruppe der Dachdecker einer ca. 20jährigen Expositionsdauer bedarf, um ein nachweislich erhöhtes Krankheitsrisiko für ein Harnblasenkarzinom feststellen zu können. Dachdecker gehen bei ihrer beruflichen Tätigkeit ständig mit Teerprodukten um, so dass sie einer wesentlich höheren Expositionsintensität gegenüber krebserzeugenden aromatischen Aminen ausgesetzt sind als es der Kläger war. Vor diesem Hintergrund war die beruflich bedingte Expositionszeit gegenüber krebserzeugenden aromatischen Aminen beim Kläger nach Auffassung der Kammer – auch unter zusätzlicher Berücksichtigung eines über einen Zeitraum von zwei Jahren gelegentlich stattgefundenen Kontaktes zu Haarfärbemitteln –nicht geeignet, die geltend gemachte Erkrankung mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit hervorzurufen.

Unabhängig davon, dass somit bereits grundsätzlich wenig für einen hinreichend wahrscheinlichen Ursachenzusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit des Klägers und der Harnblasenkrebserkrankung spricht, scheitert die Annahme des Ursachenzusammenhangs auch daran, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderweitigen, das heißt nicht in der versicherten Tätigkeit liegenden, Verursachung der Erkrankung, nicht ausgeschlossen werden können.

Aus Sicht der Kammer spricht in Übereinstimmung mit den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen von Dr. P., Prof. B1 und Prof. K. insoweit vieles dafür, dass der langjährige Tabakkonsum des Klägers wesentlich ursächlich für das diagnostizierte Harnblasenkarzinom ist. Die Kammer vermag demgegenüber nicht der Einschätzung von Prof. S. zu folgen, der den Tabakkonsum des Klägers bei seiner Begutachtung gänzlich außer Betracht gelassen hat.

Der inhalative Konsum von Tabak gilt nach den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen als Hauptursache für die Entstehung eines Harnblasenkarzinoms. Bereits bei einem Konsum von jeweils einer Schachtel bzw. 20 Zigaretten pro Tag über einen Zeitraum von 30 Jahren erhöht sich das Erkrankungsrisiko für Harnblasenkrebs bei Männern um etwa das dreifache. Bei dem Kläger lag das durch sein Rauchverhalten bedingte Erkrankungsrisiko sogar noch über diesem Wert. Laut eigenen Angaben hat der Kläger wenigstens über einen Zeitraum von 35 Jahren 20 bis 40 Zigaretten pro Tag geraucht.

Bei einer solchen Erhöhung des Krankheitsrisikos aus Gründen, die außerhalb der versicherten Tätigkeit liegen, einerseits, und gegenüber einer relativ kurzen beruflichen Expositionszeit andererseits, kann nach Ansicht der Kammer nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass diese Krebserkrankung beim Kläger auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen ist.

2. Entgegen den Ausführungen von Prof. S. kann die Annahme eines Ursachenzusammenhangs auch nicht auf die Vermutung des § 9 Absatz 3 SGB VII gestützt werden. Nach § 9 Absatz 3 SGB VII wird bei einem Versicherten, der in Folge der besonderen Bedingungen seiner versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der BKV genannten BK ausgesetzt war, dann vermutet, dass die Erkrankung kausal auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen ist, wenn Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden können. Letzteres ist wegen des (von Prof. S. nicht berücksichtigten) Tabakkonsums gerade nicht der Fall.

An der auf die Begutachtung von Dr. P. gestützten Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts durch die Kammer vermag auch der Einwand des Klägers nichts zu ändern, Dr. P. habe die Zeiten, in denen der Kläger Vergaserkraftstoffe transportiert habe, nicht hinreichend berücksichtigt. Zwar enthalten Vergaserkraftstoffe den cancerogenen Stoff Benzol. Nach den Ausführungen des TAD, denen sich die Kammer anschließt, ist Zielorgan der krebserzeugenden Wirkung von Benzol aber nicht die (hier betroffene) Harnblase sondern das blutbildende und lymphatische System des Menschen. Dessen ungeachtet fällt eine Erkrankung durch Benzol nicht unter die hier im Raume stehende BK der Nr. 1301 der Anlage zur BKV sondern unter die dortige Nr. 1303 und ist insoweit nicht Klagegegenstand.

3. Den rechtswidrigen begünstigenden Bescheid vom 25.07.2001 durfte die Beklagte nach § 45 Absatz 1 SGB X unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 dieser Vorschrift zurücknehmen. Diese Einschränkungen hat die Beklagte bei ihrer in diesem Rechtsstreit angefochtenen Rücknahmeentscheidung beachtet.

Die Beklagte hat insbesondere die bei der Rücknahme eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung zu beachtende Zwei- Jahres- Frist des § 45 Absatz 3 Satz 1 SGB X eingehalten. Da die Rücknahme nur mit Wirkung für die Zukunft erfolgt ist, bedurfte es einer Einhaltung der Ein- Jahres- Frist des § 45 Absatz 4 Satz 1 SGB X hingegen nicht.

Die Rücknahmeentscheidung der Beklagten ist auch nicht unter Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes zu beanstanden. Der Kläger kann sich nicht auf Vertrauen berufen, da die Beklagte hier vorrangig die Versichertengemeinschaft vor einer rechtswidrigen Leistungsgewährung bewahren muss und ihr auch kein grobes eigenes Verschulden vorzuwerfen ist.

Gemäß § 45 Absatz 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat, und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist.

Das Vertrauen ist gemäß § 45 Absatz 2 Satz 2 SGB X in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Ist dies nicht der Fall, ist im Falle einer Rücknahme für die Zukunft in der Regel das öffentliche Rücknahmeinteresse höher zu bewerten als der Vertrauensschutz des Betroffenen. Bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung besteht daher regelmäßig ein öffentliches Interesse an der Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes für die Zukunft, das höher einzuschätzen ist, als das Interesse des Einzelnen, weil die dauerhafte Gewährung einer unrechtmäßigen Verletztenrente die Versicherten-gemeinschaft insoweit erheblich belastet (Bereiter-Hahn/Mehrtens Gesetzliche Unfallversicherung – Handkommentar zu § 45 Rz. 5).

Nach diesen Grundsätzen überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse an einer Rücknahme des Bescheides vom 25.07.2001 gegenüber dem Vertrauen des Klägers in den Bestand dieses Bescheides. Da an den Kläger ab Rücknahme des Bescheides keine Leistungen mehr erbracht wurden und auch nicht ersichtlich ist, dass der Kläger im Vertrauen auf eine fortdauernde Leistungserbringung irgendeine Vermögensdisposition getroffen hat, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte, liegen die Voraussetzungen für die Annahme eines besonderen Vertrauens des Klägers gemäß § 45 Absatz 2 Satz 2 SGB X nicht vor.

Die Beklagte hat sich bei der ursprünglichen Entscheidung auf ein medizinisches Gutachten gestützt, dass sich nach nochmaliger medizinischer Überprüfung als unzutreffend herausgestellt hatte. Dies stellt insoweit keinen groben Fehler der Beklagten dar, weil erst die weitere medizinische Prüfung die ursprüngliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes ergeben hat. Ein solcher Fall wird gerade durch die (strengen) Rücknahmeregelungen des § 45 SGB X erfasst. Damit geht das öffentliche Interesse an der Rücknahme des Bescheides aus den genannten Gründen vor.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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