L 1 R 588/05 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 4 RA 4621/01-1
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 R 588/05 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
L 1 R 350/06 ER, L 1 B 147/06 R ER
1. Die Rechtsstreitigkeiten L 1 R 588/05 ER, L 1 B 147/06 R ER und L 1 R 350/06 ER werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. 2. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller vom 1. Juni 2005 an bis zum rechtskräftigen Abschluss des beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg geführten Berufungsverfahrens L 1 RA 9/04 die ihm mit Bescheid vom 9. August 2001 dem Grunde nach festgestellte Witwerrente vorläufig ohne Anrechnung von Einkommen zu zahlen. 3. Die Antragsgegnerin trägt 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Gründe:

I.

Der Antragsteller ist der Witwer der am 21. Dezember 1998 verstorbenen Dr. U. O. (im Folgenden Versicherte). Mit Bescheid vom 9. August 2001 gewährte die Beklagte dem Kläger große Witwerrente. Diese werde ab dem 1. April 1999 nicht gezahlt, da der Kläger der gesetzlichen Verpflichtung, die Höhe seines Einkommens unverzüglich mitzuteilen, nicht nachgekommen sei. Die Rente habe daher nur für das Sterbevierteljahr bewilligt werden können. Widerspruch und Klage des Antragstellers hiergegen blieben ohne Erfolg (Wider-spruchsbescheid der Antragsgegnerin vom 23. November 2001; Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. November 2003). Gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin hat der Antrag-steller Berufung eingelegt, die unter dem Aktenzeichen L 1 RA 9/04 beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg anhängig ist.

Mit Antrag vom 11. Mai 2005 und wiederholend vom 2. Januar 2006 und vom 17. Februar 2006 hat der Antragsteller in Form einer "Express-Leistungsklage" unter anderem beantragt, ihm einstweilen die mit dem angefochtenen Bescheid dem Grunde nach festgestellte Witwerrente zu zahlen. Er hat sinngemäß geltend gemacht, keinerlei Einkommen zu beziehen. Er sei ohne festen Wohnsitz und habe zeitweise Sozialhilfe bezogen. Im Laufe des Verfahrens hat er Bescheide über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag aus den Jahren 2004 und 2005 des Finanzamtes M.-Mitte vorgelegt, wonach er über keinerlei Einkünfte in den Jahren 2004 und 2005 verfügt hat.

Die Antragsgegnerin ist nach wie vor der Auffassung, dass es Anhaltspunkte dafür gebe, dass der Antragsteller Einkommen aus einer Tätigkeit (sei es in L., sei es in B.) in den Jahren 1997 bis 2005 erzielt habe. Ein Anerkenntnis in der Hauptsache komme daher nicht in Betracht.

Einer vergleichsweisen Regelung (Vorschlag des Gerichts vom 16. Juni 2006) hat die Antragsgegnerin, nicht jedoch der Antragsteller zugestimmt.

II.

Der Senat hat die Anträge, die teilweise nach Verweisung durch das Sozialgericht Mainz bei ihm anhängig geworden sind, zur gemeinsamen Entscheidung verbunden, da diese Ansprüche miteinander in Zusammenhang stehen (§ 113 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Den Anträgen des Antragstellers war nach der gebotenen Auslegung (§ 123 SGG) zu entnehmen, dass der Antragsteller bis zur endgültigen Klärung seiner Witwerrentenansprüche die vorläufige Zahlung der mit Bescheid vom 9. August 2001 dem Grunde nach bereits festgestellten Rente begehrt.

Dieses Begehren stellt sich als zulässig und begründet dar.

Vorliegend kommt, da es ersichtlich um die Regelung eines vorläufigen Rechtszustandes geht, nur eine Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Durchgreifende Bedenken gegen die Statthaftigkeit und Zulässigkeit eines solchen Antrages bestehen vor-liegend nicht. Er stellt sich auch als begründet dar, da die summarische Prüfung ergibt, dass Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen und die Notwendigkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung vom Antragsteller glaubhaft gemacht worden ist (vgl. zum Erlass einer Regelungsanordnung in Fällen fehlender Mitwirkung nach § 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch Landessozialgericht Baden-Würtemberg Beschluss vom 12. Januar 2006 – L 7 AS 5532/05 ER-B – unter Hinweis auf Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. November 2005 – L 29 B 1212/05 AS ER – jeweils zitiert nach Juris).

Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf große Witwerrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat und sie das 45. Lebensjahr vollendet haben (§ 46 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 Sozial-gesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI]). Das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach ist zwischen den Beteiligten unumstritten. Streitig ist allein, ob auf die dem Grunde nach festgestellte Rente wegen Todes Einkommen des Antragstellers anzurechnen ist (§ 97 SGB VI) und die Beklagte wegen fehlender Mitwirkung des Antragstellers berechtigt war, die Leistung zu versagen, weil der Antragsteller entsprechende Angaben zu seinem Einkommen nicht gemacht hat.

Der Senat ist zu der Überzeugung gelangt, dass nach summarischer Prüfung der geltend gemachte Witwerrentenanspruch zumindest seit dem Zeitpunkt der Stellung des ersten Antrages am 11. Mai 2005 in vollem Umfange besteht und der Antragsteller kein Einkommen erzielt, das einer Zahlung dieser Ansprüche entgegensteht. Dabei hat der Senat insbesondere das aktenkundig gewordene Auftreten des Klägers bei verschiedenen Gerichten und Beratungs-stellen berücksichtigt. Hiernach erscheint ausgeschlossen, dass der Antragsteller derzeit einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgeht. Es ergibt sich vielmehr der Eindruck, dass er – trotz teilweise fordernden Auftretens – hilflos ist und seine persönlichen Angelegenheiten nicht angemessen zu regeln vermag. Sowohl beim Diakonischen Werk in M., über das der Antragsteller seine Post abwickelt, als auch beim Träger der Grundsicherung ist aktenkundig der Eindruck entstanden, dass der Antragsteller vollkommen mittellos ist und über einen festen Wohnsitz nicht mehr verfügt. Dementsprechend besteht kein Grund, ernsthaft an der Richtigkeit der vorgelegten Steuerbescheinigungen zu zweifeln. Unabhängig davon, ob sich die Versagungsentscheidung aus der Vergangenheit als rechtmäßig darstellt und ob in den Jahren zwischen 1999 und 2004, für das ein Einkommensteuerbescheid vorliegt, Einkommen tatsächlich erzielt worden ist, besteht jedenfalls derzeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf Zahlung der dem Grunde nach festgestellten großen Witwerrente.

Damit liegt auch die Eilbedürftigkeit der vorliegenden Regelung auf der Hand. Da der Senat davon ausgeht, dass dem Antragsteller keinerlei Einnahmen aus Erwerbstätigkeit zur Verfügung stehen und er andere staatliche Leistungen derzeit offenbar nicht erhält, steht vorliegend die Sicherung seines Existenzminimums in Rede. Eine einstweilige Regelung bis zur endgültigen Klärung der Angelegenheit innerhalb des anhängigen Berufungsverfahrens erschien daher geboten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass sich der Antragsteller trotz Bestellung eines besonderen Vertreters nicht in der Lage gesehen hat, ein dem tenorierten Beschluss entsprechendes Vergleichsangebot der Antragsgegnerin anzunehmen.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved