L 10 LW 4379/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 10 LW 3018/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 LW 4379/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 30. August 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der am 1953 geborene Kläger ist Landwirt. Er beantragte am 15.01.2003 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und übergab mit Wirkung vom 01.01.2003 die in seinem Miteigentum befindlichen Grundstücke (3 ha 19 Ar) befristet bis 31.12.2003 und die bisher von ihm gepachteten Flächen (14 ha 65 Ar) ohne Befristung an seine Ehefrau.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 24.03.2003 und Widerspruchsbescheid vom 22.09.2003 ab, da der Kläger nicht erwerbsgemindert sei bzw. - so die Begründung im Widerspruchsbescheid nach der Rückübertragung des Unternehmens von der Ehefrau auf den Kläger im April 2003 - das landwirtschaftliche Unternehmen nicht abgegeben sei.

Zugrunde lagen von der Beklagten beigezogene ärztliche Befundberichte sowie das Gutachten des Chirurgen Dr. K. vom 06.03.2003. Dieser diagnostizierte eine Madelung’sche Lipomatose, Zustand nach mehrfacher operativer Behandlung, eine initiale Coxarthrose beiderseits, ein Zustand nach abgelaufenem Morbus Scheuermann, ein Streckdefizit beider Ellenbogengelenke, leichte Sichel-Spreizfußdeformität, Hallux valgus-Fehlstellung rechts, beginnende Krallenzehen und eine reticuläre Varicosis. Aufgrund des Zustandes nach mehrfacher operativer Behandlung der Madelung’schen Lipomatose könnten Arbeiten über Kopf und vermehrter Rumpfbeuge nicht mehr durchgeführt werden, ebenso wenig Tätigkeiten die mit dem Heben und Tragen schwerer Lasten oder einem ständigen Heben der Arme nach vorne und zur Seite verbunden seien. Die übrigen Gesundheitsstörungen bedingten keine weitergehende Beeinträchtigung des Leistungsvermögens. Der Kläger könne noch mindestens sechs Stunden mittelschwere Tätigkeiten ausüben.

Dagegen hat der Kläger am 20.10.2003 Klage zum Sozialgericht Mannheim erhoben und u. a. vorgebracht, er habe auch deshalb einen Anspruch auf volle Erwerbsminderungsrente, weil seine Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen gemindert sei und ihm die Beklagte keine konkrete Verweisungstätigkeit nennen könne.

Das Sozialgericht hat den behandelnden Chirurgen Prof. Dr. Dr. D. unter dem 02.03.2004 schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört und das Gutachten des Orthopäden und Chirurgen Dr. F. vom 24.06.2004 eingeholt. Sowohl Prof. Dr. Dr. D. als auch Dr. F. haben die Ausübung zumindest leichter Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich für zumutbar gehalten. Mit Gerichtsbescheid vom 30.08.2004 hat das Sozialgericht die Klage hierauf gestützt abgewiesen.

Gegen den am 06.09.2004 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 28.09.2004 Berufung eingelegt und ergänzend vorgebracht, sein Leistungsvermögen sei aufgrund der vorhandenen Behinderungen auf ein Maß von unter drei Stunden täglich herabgesunken. Er hat das Gutachten des Facharztes für Chirurgie und Plastische Chirurgie Dr. G. vom 28.06.2005 vorgelegt (Reduktion der allgemeinen Leistungsfähigkeit und Arbeitsfähigkeit um 50 v. H.).

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 30. August 2004 und den Bescheid vom 24. März 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsminderung ab 01.02.2006 zu gewähren, hilfsweise von Amts wegen ein orthopädisches Sachverständigengutachten gemäß Schriftsatz vom 3. August 2005 einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Ausführungen im Gerichtsbescheid für zutreffend und das Gutachten des Dr. G. nicht für überzeugend.

Während des Berufungsverfahrens haben der Kläger und seine Ehefrau das Unternehmen mit Vertrag vom 30.01.2006 für die Zeit vom 01.02.2006 bis 30.11.2017 an den gemeinsamen Sohn verpachtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Landwirte haben nach § 13 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert nach § 43 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) sind, sie in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbminderung mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge zur landwirtschaftlichen Alterskasse gezahlt haben, sie vor Eintritt der Erwerbsminderung die Wartezeit von fünf Jahren erfüllt haben und das Unternehmen der Landwirtschaft abgegeben ist. Sie haben nach § 13 Abs. 1 Satz 2 ALG Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert nach § 43 SGB VI sind und die sonstigen Voraussetzungen nach Satz 1 erfüllt sind. Voll erwerbsgemindert ist nach § 13 Abs. 1 Satz 3 ALG nicht, wer Landwirt nach § 1 Abs. 3 ALG ist. Die näheren Voraussetzungen der Abgabe des Unternehmens der Landwirtschaft regelt § 21 ALG.

Voll erwerbsgemindert sind gem. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingung des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Der Kläger ist in seiner beruflichen Leistungsfähigkeit insbesondere durch den Zustand nach mehrfacher operativer Behandlung der Madelung’schen Lipomatose bzw. Deformierungen des Stammes und des Schultergürtels infolge einer ausgeprägten Lipomatose beeinträchtigt.

Der Kläger kann nach Überzeugung des Senats auch ab 01.02.2006 (Abgabe des Unternehmens) trotzdem mindestens sechs Stunden täglich leichte Tätigkeiten im Stehen, Gehen und Sitzen ohne Über-Kopf-Arbeiten, vermehrte Rumpfbeuge sowie ohne Tätigkeiten mit ständigem Heben der Arme nach vorne und zur Seite durchführen. Außerdem ist häufiges Bücken, Arbeiten auf Leitern und das Heben und Tragen von Lasten über zehn Kilogramm, in Ausnahmefällen über 15 Kilogramm, nicht zumutbar. Dies ergibt sich für den Senat aus dem Gutachten des Dr. F. vom 24.06.2004 sowie der sachverständigen Zeugenaussage von Prof. Dr. Dr. D. vom 02.03.2004 und aus den Ausführungen des Dr. K. im Gutachten vom 06.03.2003.

Gegen das vom Kläger vorgelegte Gutachten von Dr. G. vom 28.06.2005 ist einzuwenden, dass dieser nur ganz allgemein von einer Reduktion der allgemeinen Leistungsfähigkeit und der Arbeitsfähigkeit um 50 % spricht. Ein Bezug zur Qualität dieser Arbeit (schwer - mittelschwer - leicht) wird nicht hergestellt, qualitative Einschränkungen werden nicht in Erwägung gezogen. Im Rahmen der Befunderhebung ist eine passive Bewegungsführung unterblieben. Es ist nicht erkennbar, dass Dr. G. die Angaben des Klägers und die aktiven Bewegungsmaße einer kritischen Prüfung unterzogen hätte, wie dies aber für ein Gutachten zu fordern ist. Damit kann der Beurteilung von Dr. G. nicht gefolgt werden.

Eine weitere Sachaufklärung hält der Senat angesichts der vorliegenden Gutachten nicht für erforderlich. Der diesbezüglich vom Kläger hilfsweise gestellte Antrag wird abgelehnt. Bereits das Sozialgericht hat das erforderliche orthopädische Gutachten eingeholt. Damit ist der Sachverhalt geklärt. Soweit der Kläger rügt, die Gutachter - insbesondere Dr. F. - hätten bei ihrer Leistungsbeurteilung die Grunderkrankung selbst nicht berücksichtigt, ist darauf hinzuweisen, dass für die Leistungsbeurteilung allein die Auswirkungen vorhandener Gesundheitsstörungen, nicht eventuelle künftige Beeinträchtigungen maßgebend sind.

Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist in den Fällen sogenannter breiter Verweisbarkeit regelmäßig nicht erforderlich (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 50). Denn nach der Rechtsprechung des BSG steht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine so große Anzahl von Tätigkeitsarten zur Verfügung, dass das Vorhandensein einer geeigneten Verweisungstätigkeit offensichtlich ist (BSG a. a. O.).

Ausnahmsweise ist jedoch auch für einen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbaren Versicherten mit vollschichtigen Leistungsvermögen für leichte Arbeiten die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist (BSG a. a. O.). In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sind bestimmte Fälle anerkannt (z. B. Einarmigkeit, vgl. BSG a. a. O. m. w. N.), zu denen der vorliegende Fall aber nicht gehört. Vielmehr braucht eine Verweisungstätigkeit erst benannt zu werden, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über fünf Kilogramm ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG a. a. O.; SozR 2200 § 1246 Nr. 90). Denn ein Teil dieser Einschränkungen stimmt bereits mit den Tätigkeitsmerkmalen einer körperlich leichten Arbeit überein; dies gilt insbesondere für die geminderte Fähigkeit, Lasten zu bewältigen. Nicht anders liegt der Fall des Klägers. Auch bei ihm wird den qualitativen Einschränkungen im Wesentlichen bereits dadurch Rechnung getragen, das ihm nur noch leichte Arbeiten zugemutet werden. Nichts anderes folgt aus der Tatsache, das nach dem Gutachten von Dr. F. der Kläger Über-Kopf-Arbeiten, vermehrte Rumpfbeuge sowie Tätigkeiten mit ständigem Heben der Arme nach vorne und zur Seite sowie auf Leitern nicht mehr durchführen kann.

Die vom Kläger behaupteten häufigen Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgrund notwendiger Operationen sind nicht zu erwarten. Zwar ist ein Fortschreiten der Erkrankung nicht auszuschließen. Seit Herbst 2000 ist es jedoch zu keiner feststellbaren Verschlechterung gekommen. Die letzte Operation war im Mai 2000.

Für die Frage der Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit kommt es nicht darauf an, ob ein leidensgerechter Arbeitsplatz vermittelt werden kann. Denn nach § 43 Abs. 3 zweiter Halbsatz SGB VI ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Das Risiko der Vermittlung eines geeigneten Arbeitsplatzes geht nicht zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern ist von der Arbeitslosenversicherung zu tragen.

Bei dieser Sach- und Rechtslage ist die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen nach § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
Saved