L 10 R 4514/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 395/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 4514/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 26. September 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Verpflichtung der Beklagten als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme eine von dem Kläger in der ehemaligen DDR zurückgelegte Beschäftigungszeit als Zeit der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem festzustellen.

Dem am 1942 geborenen Kläger wurde mit Urkunde vom 1. Juli 1970 von der Ingenieurschule für Maschinenbau B. das Recht verliehen, die Berufsbezeichnung Ingenieur zu führen. Nach eigenen Angaben war er vom 31. Dezember 1966 bis 28. Juli 1988 als VWL-Konstrukteur im VEB Reglerwerk D. , als wissenschaftlich-technischer Mitarbeiter im VEB Rationalisierung Luft- und Kältetechnik M. und als Entwicklungsingenieur beschäftigt. Danach siedelte er in die Bundesrepublik Deutschland über. Eine Versorgungszusage hat er nicht erhalten.

Am 1. Februar 2000 beantragte der Kläger die Feststellung der Beschäftigungszeit als Zeit der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG), was die Beklagte mit Bescheid vom 28. Mai 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2003 und der Begründung ablehnte, der Kläger sei weder in ein Versorgungssystem einbezogen gewesen noch habe er Anspruch auf eine Versorgungszusage gehabt und im Juni 1990 auch keine Beschäftigung im Beitrittsgebiet ausgeübt.

Das hiergegen angerufene Sozialgericht Konstanz (S 6 RA 886/03) wies die Klage mit Urteil vom 11. Februar 2004 ab. Im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (L 13 RA 1180/04) verpflichtete sich die Beklagte vergleichsweise, aufgrund der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 8. Juni 2004, B 4 RA 56/03 R erneut über die Feststellung zu entscheiden.

Mit Bescheid vom 2. September 2004 und Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2005 lehnte die Beklagte die Feststellung erneut ab, da die Voraussetzungen weiterhin nicht vorlägen und die Entscheidung des BSG vom 8. Juni 2004 die "Stichtagsregelung" (30. Juni 1990) bestätigt habe.

Die Klage, die der Kläger hiergegen am 22. Februar 2005 erhoben hat (S 6 R 395/05), hat das Sozialgericht Konstanz mit Gerichtsbescheid vom 26. September 2005 abgewiesen, der dem Kläger am 5. Oktober 2005 zugestellt worden ist.

Der Kläger hat am 28. Oktober 2005 Berufung eingelegt und zur Begründung darauf verwiesen, dass ihm ein (fiktiver) Anspruch auf eine Versorgungszusage zugestanden habe. Nach seiner Ausreise aus der DDR sei es ihm naturgemäß nicht möglich gewesen sei, die Zusatzversorgung bis zum "Stichtag" fortzuführen. Dass seine Versorgungsansprüche wegen der Ausreise aufgrund Regelungen der DDR erloschen seien, verstoße gegen Art. 14 und Art. 3 des Grundgesetzes (GG), zumal in der DDR Akademikern kein ihrer Tätigkeit und Qualifikation angemessener Lohn bezahlt worden und sie auf eine spätere zusätzliche Rente vertröstet worden seien. Er werde wegen seiner Flucht aus der DDR willkürlich benachteiligt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 26. September 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 2. September 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zeit vom 31. Dezember 1966 bis 28. Juli 1988 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts in beiden gerichtlichen Verfahren Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung, ist unbegründet. Im Ergebnis und in der Begründung zutreffend hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, weil das AAÜG auf den Kläger nicht anwendbar ist.

Rechtsgrundlage der vom Kläger begehrten Verpflichtung der Beklagten auf Feststellung der streitigen Beschäftigungszeit in der DDR als Pflichtbeitragszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung ist § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (AAÜG). Diese Regelung kommt hier jedoch deshalb nicht zur Anwendung, weil das AAÜG auf den Kläger nicht anwendbar ist.

Zwar wurde für Angehörige der technischen Intelligenz durch Verordnung der Regierung der DDR vom 17.8.1950 (GBl. I, S. 844) über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben über den Rahmen der Sozialpflichtversicherung hinaus eine Versorgungsversicherung eingeführt. Näheres über den erfassten Personenkreis und die Voraussetzungen für eine Einbeziehung regelte die zweite Durchführungsbestimmung zu dieser Verordnung vom 24.5.1951 (GBl. I, S. 487). Nach § 1 Abs. 1 der zweiten Durchführungsbestimmung galten auch Ingenieure als Angehörige der technischen Intelligenz. Nach § 2 wurde die vorgesehene zusätzliche Altersversorgung gewährt, wenn sich der Begünstigte im Zeitpunkt des Eintritt des Versicherungsfalles in einem Anstellungsverhältnis zu einem volkseigenen oder ihm gleichgestellten Betrieb befand.

Damit hatte der Kläger - seine Angaben als wahr unterstellt - während, aber auch nur während seiner Tätigkeit im streitigen Zeitraum eine Anwartschaft auf eine zusätzliche Altersversorgung nach diesem Zusatzversorgungssystem. Dies genügt für eine Anwendung des AAÜG und damit eine Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der streitigen Beschäftigungszeit zu einem solchen Versorgungssystem gehörend nicht.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt dieses Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die auf Grund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 10. April 2002, B 4 RA 34/01 R, in SozR 3-8570 § 1 Nr. 3; Urteil vom 8. Juni 2004, 4 RA 56/03 R) der Fall, wenn am 1. August 1991 (Inkrafttreten des AAÜG) durch eine verbindliche Einzelfallregelung (Versorgungszusage, Einzelfallentscheidung, Einzelvertrag) eine Versorgungsanwartschaft zuerkannt oder zuerkannt und rechtswidrig zurückgenommen worden war. Eine solche Einzelfallregelung liegt hier nicht vor.

Das BSG hat darüber hinaus in verfassungskonformer Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG entschieden (BSG, Urteil vom 9. April 2002, B 4 RA 31/01 R, in SozR 3-8570 § 1 Nr. 2; Urteil vom 31. Juli 2002, B 4 RA 21/02 R, in SozR 3-8570 § 1 Nr. 9; Urteil vom 8. Juni 2004, 4 RA 56/03 R), dass auch alle diejenigen eine Versorgungsanwartschaft "erworben" hatten, denen eine solche Anwartschaft auf eine Versorgung durch Einzelfallregelung am 30. Juni 1990 hätte zuerkannt werden müssen. Dies war bei denjenigen der Fall, die am 30. Juni 1990 nach den Regeln des jeweiligen Versorgungssystems in die Versorgung einzubeziehen waren und denen eine Zusage auf Versorgung hätte erteilt werden müssen. Hintergrund des Stichtages 30. Juni 1990 ist die Tatsache, dass nach dem Recht der DDR und des Einigungsvertrages die Zusatzversorgungssysteme mit Wirkung vom 30. Juni 1990 geschlossen waren und damit Neueinbeziehungen nicht mehr erfolgen konnten (BSG Urteil vom 9. April 2002, B 4 RA 3/02, in SozR 3-8570 § 1 Nr. 7).

Auch dies trifft auf den Kläger nicht zu. Denn er war zum Stichtag 30. Juni 1990 nicht mehr im Beitrittsgebiet beschäftigt und erfüllte damit nicht mehr die in § 2 der zweiten Durchführungsbestimmung aufgestellte Voraussetzung einer Anstellung in einem volkseigenen oder ihm gleichgestellten Betrieb.

Zwar gilt nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG ein Verlust einer Anwartschaft als nicht eingetreten, soweit die Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust solcher Anwartschaften bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorsahen. Eine derartige Regelung enthielt § 2 der zweiten Durchführungsbestimmung, weil durch die Aufgabe der Tätigkeit im volkseigenen oder gleichgestellten Betrieb die bis dahin bestehende Anwartschaft verloren ging (BSG, Urteil vom 9. April 2002, B 4 RA 3/02, in SozR 3-8570 § 1 Nr. 7; Urteil vom 10. April 2002, a.a.O.). Allerdings knüpft § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG - anders als § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG in der verfassungskonformen Auslegung - ausdrücklich und ausschließlich an eine formale Rechtsposition in der ehemaligen DDR an (BSG, Urteil vom 9. April 2002, B 4 RA 3/02, in SozR 3-8570 § 1 Nr. 7; Urteil vom 10. April 2002, a.a.O.). Erforderlich wäre daher, dass in der DDR zu irgend einem Zeitpunkt einmal eine durch Einzelfallregelung konkretisierte Aussicht des Klägers bestand, im Versorgungsfall Leistungen zu erhalten, diese aber auf Grund der Regelungen in der zweiten Durchführungsbestimmung vor dem 1. Juli 1990 wieder entfallen war (BSG, Urteil vom 10. April 2002, a.a.O.). Wie bereits erwähnt, lag eine solche Einzelfallregelung zu Gunsten des Klägers gerade nicht vor.

Eine vergleichbare ausdehnende Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG wie bei Satz 1 der Bestimmung ist nicht möglich. Denn die erwähnte verfassungskonforme Ausdehnung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG beruht gerade auf einem Vergleich mit Satz 2 der Bestimmung und einer darin - ohne verfassungskonforme Auslegung - liegenden Unvereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG (s. im Einzelnen BSG Urteil vom 9. April 2002, a.a.O.). Im Ergebnis dient die erwähnte verfassungskonforme Ausdehnung des Satzes 1 dazu, willkürhaftes Unterlassen von nach den Regeln der Versorgungssysteme erforderlichen Einbeziehungen auszugleichen. Wird aber wegen eines Vergleiches zwischen den beiden Sätzen des § 1 Abs. 1 AAÜG eine Ausdehnung des Satzes 1 aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderlich, trifft Gleiches auf Satz 2 logischerweise nicht zu.

Nur klarstellend verweist der Senat darauf, dass sich auch aus dem Urteil des BSG vom 8. Juni 2004, 4 RA 56/03 R, das dem Vergleich vor dem Landessozialgericht zugrunde lag, keine hier bedeutsamen Veränderungen der Rechtsprechung des BSG ergeben.

Einen Verstoß gegen Art. 14 GG vermag der Senat nicht zu erkennen, dies schon deswegen, weil der Kläger - wie bereits ausgeführt - gerade keine derartige Anwartschaft erworben hatte. Bereits mit dem Ende seiner Beschäftigung in der DDR erfüllte er nicht mehr die dargelegten Voraussetzungen für eine Einbeziehung in das in Rede stehende Zusatzversorgungssystem. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Kläger seine damalige Aussicht auf Leistungen aus dem Zusatzversorgungssystem durch Flucht aus der DDR verloren hat oder - wie im Fall des Klägers des vom BSG am 8. Juni 2004 a.a.O. entschiedenen Fall - arbeitslos geworden ist.

Einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG sieht der Senat gleichfalls nicht, nachdem auch das BSG im Urteil vom 9. April 2002, B 4 RA 3/02, in SozR 3-8570 § 1 Nr. 7 und erneut im Urteil vom 8. Juni 2004, 4 RA 56/03 R (unter Bezugnahme auf frühere Rechtsprechung), eine Gleichstellung weiterer Personengruppen als nicht verfassungsrechtlich geboten angesehen und auch das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen Art. 3 GG verneint hat (Nichtannahmebeschluss vom 26. Oktober 2005, 1 BvR 1921/04 u. a.). In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass der Kläger die Möglichkeit der Einbeziehung in das Versorgungssystem insbesondere nicht (unmittelbar) wegen seiner "Republikflucht" verlor. Dies war nur der Grund für die Beendigung der Beschäftigung. Damit wird der Kläger nicht anders behandelt, als andere Personen, die - aus welchen Gründen auch immer - ihre Beschäftigung in einem volkseigenen oder gleichgestellten Betrieb vor dem Stichtag aufgaben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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