S 12 KR 163/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 KR 163/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Bescheid vom 1. Juli 2004 in Gestalt des Bescheides vom 12. November 2004 und des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2005 wird abgeändert. Es wird festgestellt, dass für die Zeit vom 1. Juli 2004 - 30. September 2004 der monatliche Beitrag zur Krankenversicherung 73,02 EUR anstelle von 77,54 EUR beträgt.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
III. Die Berufung wird zugelassen.
IV. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt für den Zeitraum vom 01.07. bis 30.09.2004 die Feststellung eines niedrigeren Krankenversicherungsbeitrages durch weitere Anwendung des vor dem 01.07.2003 geltenden Beitragssatzes für die Berechnung des Beitrages aus ihrer gesetzlichen Rente.

Die am 1937 geborene Klägerin ist seit 01.02.2003 als freiwilliges Mitglied bei der Beklagten versichert. Die Mitgliedschaft endete zum 30.09.2004 durch Sonderkündigung. Einziges Einkommen der Klägerin, das für die Beitragsberechnung herangezogen wird, ist eine Altersrente, die von der Deutschen Rentenversicherung Schwaben gezahlt wird. Sie beträgt seit 01.07.2003 566,05 EUR. Der Krankenversicherungsbeitrag betrug daher ab 01.07.2003 63,40 EUR bei einem ermäßigten Beitragssatz von 11,2 %. Durch Beitragssatzerhöhung auf 11,6 % erhöhte sich auch der Beitrag ab 01.10.2003 auf 65,66 EUR. Zum 01.01.2004 erfolgte aufgrund Gesetzesänderung die Beitragsberechnung nach dem allgemeinen Beitragssatz in Höhe von 12,9 %, sodass sich ein Krankenversicherungsbeitrag von 73,02 EUR ergab. Zum 01.07.2004 nahm die Beklagte eine Beitragssatzanpassung vor und erhöhte den allgemeinen Beitragssatz auf 13,7 %. Mit Bescheid vom 01.07.2004 stellte sie daher den Krankenversicherungsbeitrag für die Zeit ab 01.07.2004 mit 77,54 EUR fest. Eine Rechtsmittelbelehrung enthielt der Bescheid nicht. Die Klägerin entrichtete in der Folgezeit weiterhin nur einen Krankenversicherungsbeitrag von 73,02 EUR. Die Beklagte erinnerte daher am 26.10.2004 an die rückständigen Beiträge für Juli bis September 2004 in Höhe von 13,56 EUR und setzte diesen Betrag auch förmlich mit Bescheid vom 12.11.2004 fest.

Der Ehemann der Klägerin legte gegen den Bescheid vom 12.11.2004 am 18.11.2004 Widerspruch ein. Die Beklagte legte dies als Widerspruch gegen die Beitragserhöhung zum 01.07.2004 aus und wies den Widerspruch mit Bescheid vom 28.04.2005 zurück.

Am 25.05.2005 hat die Klägerin zum Sozialgericht Augsburg Klage erhoben. Zur Begründung bezieht sie sich auf § 247 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), wonach Beitragssatzveränderungen jeweils vom ersten Tag des dritten auf die Veränderung folgenden Kalendermonats an gelten.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 01.07.2004 und 12.11.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2005 zu verurteilen, den Beitrag zur Krankenversiche- rung für die Zeit vom 01.07.2004 bis 30.09.2004 auf 73,02 EUR festzustellen.

Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,

die Klage abzuweisen und die Sprungrevision zuzulassen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das angerufene Gericht ist gemäß §§ 57 Abs. 1, 51 Abs. 1, 8 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur Entscheidung des Rechtsstreits örtlich und sachlich zuständig. Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, auch was den Bescheid vom 01.07.2004 betrifft. Die Klägerin hatte sinngemäß bei ihrem Widerspruch gegen den Bescheid vom 12.11.2004 auch Widerspruch gegen die Beitragsfestsetzung vom 01.07.2004 erhoben. Die Beklagte hat, auch wenn sie dies im Tenor des Widerspruchsbescheides nicht ausdrücklich erwähnt, auch über den mangels Rechtsmittelbelehrung noch fristgemäßen Widerspruch gegen den Bescheid vom 01.07.2004 mit entschieden. Dies ergibt sich aus ihrem Schreiben vom 14.02.2005 an die Klägerin, wo auf einen Widerspruch gegen die Beitragssatzanpassung zum 01.07.2004 und den Beitragsbescheid vom 01.07.2004 Bezug genommen wird. Das Vorverfahren (§ 78 SGG) ist daher ordnungsgemäß durchgeführt.

Die Klage ist auch begründet. Daher war der Bescheid vom 12.11.2004 insgesamt und der Bescheid vom 01.07.2004 insoweit aufzuheben, als statt eines monatlichen Krankenversicherungsbeitrages von 73,02 EUR ein Beitrag von 77,54 EUR festgesetzt ist.

Der Beitrag zur Krankenversicherung bestimmt sich bei freiwillig Versicherten nach § 240 SGB V in Verbindung mit der Satzung der Beklagten (§§ 9, 10). Die Beitragshöhe ergibt sich aus dem zur Beitragsberechnung heranzuziehenden Einkommen und dem Beitragssatz.

Hinsichtlich des Beitragssatzes bei Renten der gesetzlichen Rentenversicherung verweist § 240 Abs. 2 Satz 3 SGB V auf eine entsprechende Anwendung des § 247 Abs. 1 SGB V. Dieser lautet: "Bei Versicherungspflichtigen gilt für die Bemessung der Beiträge aus Renten der gesetzlichen Rentenversicherung der allgemeine Beitragssatz ihrer Krankenkasse. Beitragssatzveränderungen gelten jeweils vom ersten Tag des dritten auf die Veränderung folgenden Kalendermonats an ..."

Da die Klägerin nach eigenen Angaben, die von der Beklagten nicht infrage gestellt wurden, ausschließlich ein Einkommen aus Rente der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht, war entsprechend der Verweisung und dem Wortlaut des § 247 Abs. 1 Satz 2 SGB V für die Zeit vom 01.07. bis 30.09.2004 weiterhin der vor dem 01.07.2004 geltende allgemeine Beitragssatz anzuwenden. Damit beträgt der Krankenversicherungsbeitrag 73,02 EUR und nicht 77,54 EUR.

Nach Auffassung der Beklagten ist § 247 Abs. 1 Satz 2 SGB V nicht auf freiwillig Versicherte anzuwenden. Der Gesetzgeber habe die Vorlaufzeit von drei Monaten nur für Pflichtversicherte, nicht aber für freiwillig Versicherte gelten lassen wollen. Dazu beruft sich die Beklagte auf ein Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit und soziale Sicherung (BMGS) vom 12.11.2003. Darin wird hinsichtlich der 3-monatigen Vorlaufzeit zur Weitergabe von Beitragssatzänderungen bei Renten und Versorgungsbezügen die Auffassung vertreten, dass sich die verzögerte Anwendung von Beitragssätzen nicht auf freiwillig versicherte Rentner beziehe.

Diese Auffassung steht jedoch im Widerspruch zum Wortlaut des Gesetzes. § 240 Abs. 2 Satz 3 SGB V verweist ausdrücklich auf § 247 Abs. 1 SGB V insgesamt und nicht nur auf dessen Satz 1. Soweit die Beklagte vorgebracht hat, § 247 SGB V sei deshalb nicht auf die Klägerin anwendbar, weil es sich um eine Regelung für Pflichtversicherte handele, ist dies schlicht absurd, denn § 240 SGB V verweist ausdrücklich auf die entsprechende Anwendung dieser für Pflichtversicherte geltenden Regelung für die freiwillig Versicherten. Das BMGS argumentiert, dass die verzögerte Anwendung von Beitragszeiten nicht auf freiwillig versicherte Rentner angewendet werden sollen und sich dies für die Versorgungsbezüge schon aus der Überlegung ergebe, dass die Regelung über den jeweils für ein Kalenderjahr anzuwendenden Beitragssatz vom 1. Juli des Vorjahres den Zahlstellen der Versorgungsbezüge die Berechnung und Abführung der Beiträge für Pflichtversicherte erleichtern sollte, bei freiwillig Versicherten die Zahlstellen aber bislang keine entsprechenden Aufgaben zu erfüllen hatten. Diese Überlegung erscheint zwar nachvollziehbar. Tatsache ist jedoch, dass der Gesetzgeber nicht nur eine Verweisung auf § 247 Abs. 1 Satz 1 SGB V sondern auch auf dessen Satz 2 vorgenommen hat. Und damit ist die verzögerte Vorlaufzeit auch auf freiwillig Versicherte anzuwenden. Zur Überzeugung des Gerichts liegt hier auch nicht eine vom Gesetzgeber übersehene Lücke vor, die vom Gericht auszufüllen wäre. Denn zeitgleich mit der Einfügung des § 247 Abs. 1 Satz 2 SGB V zum 01.01.2004 wurde auch § 106 Abs. 2 SGB VI geändert, der den Zuschuss der Rentenversicherung zum Krankenversicherungsbeitrag bei freiwillig versicherten Rentnern regelt. Mit dem 2. Gesetz zur Änderung des SGB VI und anderer Gesetze vom 27.12.2003 (BGBl I 3013) wurde § 106 Abs. 2 SGB VI völlig neu gefasst. Er lautet nun: "Für Rentenbezieher, die freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, wird der monatliche Zuschuss in Höhe des halben Beitrags geleistet, der sich aus der Anwendung des allgemeinen Beitragssatzes ihrer Krankenkasse auf den Zahlbetrag der Rente ergibt. § 247 Abs. 1 des Fünften Buches ist entsprechend anzuwenden." Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 15/1830, S. 9) handelt es sich um eine Folgeänderung zu Änderungen des SGB V. Die Regelung stelle sicher, dass der Beitragszuschuss für freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherte Rentner genauso zeitnah festgestellt werden könne, wie für pflichtversicherte Rentner. Die Rentenversicherungsträger nehmen daher eine Veränderung des Beitragszuschusses bei Veränderung des allgemeinen Beitragssatzes erst nach 3-monatiger Vorlaufzeit vor (Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, § 106 SGB VI Ziff. 3a; KassKomm § 106 SGB VI, Rdz 14; Verbandskommentar § 106 SGB VI Rdz 11). Der Beitragszuschuss ist seinem Zweck nach von der Höhe des Krankenversicherungsbeitrages abhängig, sodass eine korrespondierende Regelung und kein Auseinanderfallen der Anwendung des neuen Beitragssatzes bei Kranken- und Rentenversicherung anzustreben ist. Wenn der Gesetzgeber aber in seiner Begründung zu § 106 SGB VI ausdrücklich sicherstellen wollte, dass der Beitragszuschuss für freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherte Rentner genauso zeitnah festgestellt werden kann, wie für pflichtversicherte Rentner, wenn er also eine Gleichbehandlung dieser beiden versicherten Gruppen sicherstellen wollte, dann ist die Interpretation des BMGS zur Anwendbarkeit des § 247 Abs. 1 Satz 2 SGB V auf freiwillig Versicherte nicht zutreffend.

Das Gericht sah keinen Anlass, vom Wortlaut der §§ 240 Abs. 2 Satz 3, 247 Abs. 1 Satz 2 SGB V abweichend die Beitragssatzänderung bei der freiwillig versicherten Klägerin, die ausschließlich als Einkommen eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht, bereits zum Zeitpunkt der Beitragssatzänderung am 01.07.2004 eintreten zu lassen, anstatt am 01.10.2004, d. h. dem ersten Tag des dritten auf die Veränderung folgenden Kalendermonats.

Der Klage war daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Berufung und Sprungrevision waren zuzulassen. Trotz des geringen Streitwerts handelt es sich um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung, da die Krankenkassen unter Berufung auf die Rechtsauslegung des BMGS § 247 Abs. 1 Satz 2 SGB V entgegen der ausdrücklichen Bezugnahme in § 240 Abs. 2 Satz 3 SGB V nicht auf freiwillig versicherte Rentenbezieher anwenden.
Rechtskraft
Aus
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