L 11 B 318/06 AS ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 14 AS 196/06 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 318/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 31.03.2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt K. , B. , wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Höhe der von der Antragsgegnerin (Ag) zu übernehmenden Aufwendungen der Antragstellerin (ASt) für Unterkunft und Heizung.

Die 1953 geborene ASt bezieht seit dem 11.07.2005 von der Ag Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie bewohnt ein Eigenheim mit einer Wohnfläche von 101,28 m². Die durchschnittlichen monatlichen Aufwendungen für die Finanzierung und Unterhaltung des Eigenheimes setzen sich aus Darlehenszinsen in Höhe von 400,00 EUR, Grundsteuer, Abfallentsorgungsgebühren, Straßenreinigungsgebühren in Höhe von 31,56 EUR und Abschlagszahlungen für Wasser und Abwasser in Höhe von 13,00 EUR bzw. 11,00 EUR monatlich zusammen. Der monatliche Abschlagsbetrag für Gas beläuft sich auf 109,00 EUR.

Bis zum 27.07.2005 bewilligte die Ag Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von monatlich 778,50 EUR. Mit Bescheid vom 18.07.2005 setzte sie diese Leistungen für den Zeitraum vom 11.07.2005 bis 31.01.2006 auf monatlich 893,13 EUR fest, unter Berücksichtigung von Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 548,13 EUR. Dieser Bescheid enthält den Hinweis, dass ab dem 01.02.2006 nur noch Unterkunftskosten in Höhe von 280,00 EUR und Heizkosten in Höhe von 45,00 EUR als angemessen berücksichtigt werden können.

Da die ASt ab dem 02.11.2005 Einkommen erzielte, hob die Ag den Bewilligungsbescheid vom 18.07.2005 mit Wirkung vom 01.11.2005 teilweise auf und forderte die Erstattung der überbezahlten Beträge.

Mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 23.01.2006 bewilligte die Ag der ASt für den Zeitraum vom 01.02.2006 bis 31.07.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von monatlich 670,00 EUR, wobei sie - wie angekündigt - die Aufwendungen für Unterkunft in Höhe von 280,00 EUR und für Heizung in Höhe von 45,00 EUR für angemessen anerkannte.

Den Widerspruch der ASt wies die Ag mit Widerspruchsbescheid vom 08.02.2006 zurück. Die hiergegen erhobene Klage ist beim Sozialgericht Bayreuth (SG) unter dem Az. S 14 AS 171/06 anhängig.

Am 22.02.2006 beantragte die ASt beim SG, die Ag im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig ab dem 01.02.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes unter Berücksichtigung von Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Gesamthöhe von 548,13 EUR monatlich zu gewähren. Die Angemessenheitsgrenze sei willkürlich gewählt. Das von ihr bewohnte Reihenhaus sei geschütztes Vermögen gemäß § 12 Abs 3 Nr 4 SGB II. Die zur Erhaltung erforderlichen Aufwendungen stünden ihr i.S. einer Altersvorsorge zu. Hinzu kämen Raten auf den finanzierten Kaufpreisteil mit derzeit ca. 500 EUR monatlich. Diese Aufwendungen seien keineswegs überzogen.

Das SG verpflichtete mit Beschluss vom 31.03.2006 die Ag, der ASt vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung von Aufwendungen für Heizung in Höhe von 90,83 EUR sowie des befristeten Zuschlages nach Bezug von Arbeitslosengeld zu zahlen. Im Übrigen lehnte es den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ab.

Hiergegen hat die ASt Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht erhoben, mit der sie über die im Beschluss zugesprochenen 90,83 EUR monatlich und den befristeten Zuschlag hinaus Aufwendungen für Unterkunft und Heizung von insgesamt 548,23 EUR erhalten will.

Die Ag tritt dem Antrag entgegen. Sie weist zudem darauf hin, dass durch die kurzfristige Aufnahme einer Beschäftigung durch die ASt sich der in § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II genannte Zeitraum von längstens sechs Monaten nicht erneut berechne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig. Das SG hat ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG).

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, denn der ASt fehlt es bereits an einem Anordnungsanspruch für das hier vorliegende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes.

Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.

Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69/74, vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166/179 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4. Aufl. RdNr 643).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den die ASt ihr Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat die ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung -ZPO-; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8.Aufl, § 86b RdNr 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des ASt zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO und vom 22.11.2002 aaO).

Der ASt fehlt es bereits an einem Anordnungsgrund, weil die von ihr begehrte Entscheidung für den hier streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum nicht (mehr) eilbedürftig ist. Streitgegenständlich ist hier der Zeitraum vom 01.02.2006 bis 31.07.2006, für den die Ag Leistungen nach dem SGB II bewilligt hat (§ 41 Abs 1 Satz 4 SGB II). Dieser durch die Antragstellung in Gang gesetzte und durch § 41 Abs 1 Satz 4 SGB II bestimmte Bewilligungszeitraum wird durch das Einlegen von Rechtsbehelfen bzw. durch das Ersuchen um einstweiligen Rechtsschutz weder unterbrochen noch zeitlich geändert. Er ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auch im Rahmen der Gewährung des einstweiligen Rechtsschutzes zu berücksichtigen. Soweit das SG gleichwohl in der einstweiligen Anordnung eine Verpflichtung der Ag zur Leistung "bis zur Entscheidung in der Hauptsache" angeordnet hat, ist dieser Teil der Entscheidung vom Beschwerdeverfahren nicht erfasst, weil die Ag ihrerseits keine Beschwerde erhoben hat. Gleichwohl erstreckt sich - und hierauf ist auch im Beschwerdeverfahren abzustellen - das Rechtsschutzbegehren der ASt im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur auf den vorgenannten Zeitraum und nicht auf einen etwa folgenden Bewilligungszeitraum ab dem 01.08.2006.

Die ASt will mithin im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes Leistungen für die Vergangenheit erstreiten. Eine Entscheidung über vergangene Bewilligungszeiträume ist grundsätzlich nicht eilbedürftig, weil mit Leistungen für die Vergangenheit nicht der gegenwärtige Bedarf zu decken ist. Die ASt ist deshalb in zumutbarer Weise für die geltend gemachten Forderungen im o.a. Zeitraum auf das beim SG anhängige Hauptsacheverfahren zu verweisen. Es ist weder aus den Akten ersichtlich noch von der ASt glaubhaft gemacht, dass in ihrem Falle ausnahmsweise anders zu entscheiden wäre. Das gilt insbesondere deshalb, weil die Ag in ihrem Schreiben vom 22.05.2006 mitgeteilt hat, sie gewähre die vom SG festgesetzten Leistungen vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache und zwar unter Berücksichtigung eines befristeten Zuschlages i.S. des § 24 SGB II.

Im Übrigen weist der Senat ergänzend darauf hin, dass er der Auffassung des SG zu den Unterkunftskosten für eigengenutztes Eigenheim sowie zur Frage der Angemessenheit in den wesentlichen Punkten beitritt. Das gilt insbesondere auch dahingehend, dass § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II lediglich eine Ausnahme von der generellen Verpflichtung, nach Maßgabe des § 12 Abs 1 und 2 SGB II grundsätzlich jeden verwertbaren Vermögensgegenstand zur Sicherung des Lebensunterhaltes einzusetzen, normiert und keine Vorschrift dahingehend beinhaltet, dass im Rahmen des § 22 Abs 1 SGB II das Wohnen im Eigenheim unter allen Umständen sichergestellt werden müsse.

Nach alledem hat die Beschwerde der ASt keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist abzulehnen, weil die Beschwerde, wie sich aus den obenstehenden Ausführungen ergibt, zu keinem Zeitpunkt Aussicht auf Erfolg hatte (§ 73a SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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