L 22 R 599/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 27 RA 5874/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 22 R 599/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 09. November 2005 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten noch höhere Rente wegen Berufsunfähigkeit unter Berücksichtigung von Arbeitsentgelten, auch soweit dadurch die Beitragsbemessungsgrenze nach Anlage 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) überschritten wird.

Die 1945 geborene Klägerin hat im Januar 1974 den akademischen Grad einer Diplomwirtschaftlerin erworben und dementsprechend bis zum Verlassen der DDR im November 1989 leitende Tätigkeiten ausgeübt.

Auf ihren Rentenantrag vom 12. Mai 1998 hin bezieht die Klägerin von der Beklagten Rente wegen Berufsunfähigkeit seit 01. Juni 1998 (Bescheid vom 14. Mai 2001). Diesen Bescheid focht die in Schweden lebende Klägerin mit Widerspruch vom 27. August 2001 an und machte geltend, die Rente sei falsch, nämlich zu niedrig berechnet. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass für das Jahr 1987 im Sozialversicherungsausweis 72 Krankentage eingetragen seien, tatsächlich aber nur 25 Arbeitsausfalltage wegen Krankheit vorlägen. Darüber hinaus sei die Begrenzung der Entgelte auf die Beitragsbemessungsgrenze der Gesetzlichen Rentenversicherung unzulässig.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05. Juni 2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und begründete dies damit, sie habe die Berechnung der Arbeitsausfalltage nach den maßgeblichen Eintragungen im Sozialversicherungsbuch der DDR vorgenommen und die Begrenzung der Entgelte auf die Beitragsbemessungsgrenze sei im Gesetz vorgeschrieben.

Mit der am 14. September 2002 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt.

Das Sozialgericht hat dem Vortrag der Klägerin den Antrag entnommen,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 14. Mai 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05. Juni 2002 zu verurteilen, ihr eine höhere Rente unter Berücksichtigung von zusätzlichen Entgelten für das Jahr 1987 aufgrund Berücksichtigung von lediglich 25 statt 72 Arbeitsausfalltagen sowie Berücksichtigung von Entgelten ohne Beachtung der BGB für sämtliche Beitragszeiten neu zu berechnen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich zur Begründung auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden bezogen.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 09. November 2005 die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Beitragsbemessungsgrenze sei durch das Bundesverfassungsgericht höchstrichterlich bestätigt und für die Berechnung der Arbeitsausfalltage seien, solange keine Beweismittel vorlägen, die diese entkräfteten, die Eintragungen im Sozialversicherungsausweis zugrunde zu legen.

Gegen dieses der Klägerin am 21. Januar 2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 18. April 2006 eingelegte Berufung der Klägerin.

Mit der Berufung begehrt die Klägerin ausdrücklich nur noch die Berücksichtigung auch von Entgelten über der Beitragsbemessungsgrenze und begründet dies damit, mit ihrem Beitrag zur freiwilligen Zusatzversicherung FZR sei ihr gesamtes Arbeitsentgelt beitragspflichtig gewesen.

Aus dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich der Antrag,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 09. November 2005 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 14. Mai 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. Juni 2002 zu verurteilen, eine höhere Rente wegen Berufsunfähigkeit aus den Arbeitsentgelten, die die Beitragsbemessungsgrenze übersteigen, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Berichterstatters ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Zum Verfahren sind die Verwaltungsakten der Beklagten ( Sprunggelenk 555) beigezogen. Sie sind ebenso wie die Gerichtsakten Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Über sie konnte gemäß §§ 124, 155 Sozialgerichtsgesetz SGG der Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine höhere Altersrente unter Anrechnung von Arbeitsentgeltanteilen, die die Beitragsbemessungsgrenze überschreiten.

Die von der Beklagten festgestellte Höhe der Rente wegen Berufsunfähigkeit entspricht dem Gesetz.

§ 260 Satz 2 SGB VI lautet:

"Für Beitragszeiten im Beitragsgebiet und im Saarland werden die im Bundesgebiet geltenden Beitragsbemessungsgrenzen angewendet."

Mit dieser Vorschrift sollen Versicherte aus der DDR voll und gleichwertig in das Rentenversicherungssystem des vereinigten Deutschland einbezogen werden, ohne dass ihre Leistungen niedriger oder höher als die vergleichbarer Versicherter aus den alten Bundesländern sind.

Die Rechtslage verstößt weder gegen den Einigungsvertrag EV noch gegen das Grundgesetz GG.

Die Klägerin verkennt bereits, dass sie mit den von ihr tatsächlich erzielten Arbeitsverdiensten überhaupt nicht die Beitragsbemessungsgrenze erreicht. Erst durch eine wenn auch nachvollziehbare Vergünstigung des Gesetzes, nämlich die so genannte "Hochwertung" ihrer Arbeitsverdienste mit den Werten der Anlage 10 SGB VI (§ 256 a Abs. 1 Satz 1 SGB VI), wird die Beitragsbemessungsgrenze überschritten. Mithin sind ihre gesamten tatsächlich erzielten Arbeitsverdienste und damit auch die von ihr beziehungsweise ihrem Betrieb geleisteten Beiträge berücksichtigt worden. Die Vergünstigung der "Hochwertung" wird der Klägerin hierbei sachlich nur bis zur in der Rentenversicherung allgemeingültigen (vgl. Bundessozialgericht BSG , SozR 3 2600 § 256 a Nr. 5) Beitragsbemessungsgrenze gewährt.

Ausgangspunkt der Rentenberechnung ist § 63 Abs. 1 SGB VI, wonach sich die Höhe einer Rente vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen richtet. Wie das BSG bereits im Urteil vom 10. April 2003 (B 4 RA 41/02 R) ausgeführt hat, hat die Klägerin als Versicherte aus dem Beitrittsgebiet für ihre durch Bundesrecht erworbenen Beitragszeiten ursprünglich keine wirtschaftlich gleichwertige Vorleistung erbracht. Zum Ausgleich der Nachteile der andersartigen wirtschaftlichen Verhältnisse und Strukturen der Alterssicherung (und angesichts des Staatsbankrotts) der DDR werden bei der Bewertung dieser durch Bundesrecht erworbenen (gleichgestellten) Beitragszeiten die in der DDR erzielten Arbeitsverdienste dieser Versicherten, um überhaupt eine Vergleichbarkeit mit denjenigen in den alten Bundesländern herstellen zu können, zuvor in zwei Schritten angehoben. Die Anhebung erfolgt einmal durch die Umwertung der Entgelte von Mark auf DM im Verhältnis 1: 1; auch bereits insoweit wurden Versicherte aus dem Beitrittsgebiet begünstigt, weil andere auf Mark lautende Forderungen und Verbindlichkeiten der ehemaligen DDR grundsätzlich nur im Verhältnis 2: 1 (oder in einem noch niedrigerem Verhältnis) umgestellt wurden. Weder Art. 10 Abs. 5 des Vertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. Mai 1990 Staatsvertrag (BGBl. II 1990, 537) noch der EV haben festgelegt, dass in der DDR und in deren Währung erlangte Verdienste bei der Bewertung einer fiktiven Vorleistung für ein bundesrechtliches Recht auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit dem Nominalwert 1: 1 berücksichtigt werden mussten. Mit der Überführung durch das SGB VI ist damit weit über das in diesen Verträgen Gewährleistete hinausgegangen worden, als es die "DDR" Verdienste im Nennwert wie fiktive Arbeitsverdienste in DM behandelte. Hierin lag bereits eine Aufwertung um wenigstens 100 v. H. Darüber hinaus wurden die aufgewerteten Arbeitsverdienste durch Vervielfältigung mit den Werten der Anlage 10 zum SGB VI durchschnittlich um mehr als das Zweifache angehoben, um das gegenüber dem bundesdeutschen Lohnniveau geringere Lohnniveau der DDR "auszugleichen". Die Versicherten aus dem Beitrittsgebiet werden also so gestellt, als ob sie ihr Erwerbsleben in der Bundesrepublik Deutschland verbracht und die auf- und hochgewerteten Arbeitsverdienste tatsächlich in der Bundesrepublik Deutschland erzielt und durch Beiträge (bis zur allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze) versichert hätten. Dass der Ermittlung der Entgeltpunkte als "versichert" zugrunde gelegte Arbeitsentgelt wird somit gemessen an der Wirtschaftskraft der DDR auf etwa das Vierfache des Ausgangswertes angehoben. Erst durch diese doppelte Begünstigung können sich rechnerisch DM-Beträge als Arbeitsverdienste oberhalb der allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze ergeben (so BSG im Urteil vom 10. April 2003).

Die Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze verletzt ausgehend davon nicht Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, also das Eigentum.

Der Bestandsgarantie dieser Vorschrift unterfallen, soweit es sich um öffentlich-rechtliche Ansprüche und Anwartschaften handelt, nur diejenigen Rechtspositionen, die gegenüber einem Träger der auf dem GG beruhenden Staatsgewalt begründet wurden. Gegenstand der Eigentumsgarantie sind damit nur die vom Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland begründeten Rechte (vgl. Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 71, 60, 80; 53, 164, 166). Für die in der DDR begründeten Ansprüche und Anwartschaften gilt nichts anderes. Bis zum Beitritt genossen sie nicht den Schutz von Art. 14 Abs. 1 GG. Mit dem Beitritt und der Anerkennung durch den EV gelangten sie jedoch wie jede andere vermögenswerte Rechtsposition in den Schutzbereich dieses Grundrechts. Dabei kommt der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz ihnen aber nur in der Form zu, die sie aufgrund der Regelungen des EV erhalten haben (Urteile des BVerfG vom 28. April 1999 - 1 BvL 32/95 und 1 BvL 2105/95).

Es fehlt jedoch an einer Vorschrift, die der Klägerin die Berücksichtigung ihrer gesamten "hochgewerteten" Arbeitsverdienste garantiert. Anlage I zum EV Kap. VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 1 ordnet die Anwendung des Rentenreformgesetzes 1992 vom 18. Dezember 1989 und damit des SGB VI als Art. 1 dieses Gesetzes ab 01. Januar 1992 an. Vorschriften darüber, wie die Berechnung der Rente nach dem SGB VI im Einzelnen bezogen auf die Besonderheiten im Beitrittsgebiet zu erfolgen hat, enthält der EV nicht. Aus der vorbehaltslosen Übernahme der Berechnungsvorschriften des SGB VI im EV folgt vielmehr, dass die allgemeinen Grundsätze der Berechnung, wozu die allgemeine Beitragsbemessungsgrenze gehört, gelten sollen. Deswegen hat das BVerfG in den oben genannten Entscheidungen klargestellt, dass eine Berücksichtigung von versicherten Arbeitsentgelten oder Arbeitseinkommen nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze keinen Eingriff in Eigentum darstellt. Es hat wörtlich ausgeführt:

Unter diesem Gesichtspunkt begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass der Gesetzgeber die in der Deutschen Demokratischen Republik erworbenen Ansprüche und Anwartschaften durch eine einheitliche, ausschließlich aus der gesetzlichen Rentenversicherung stammende Versorgungsleistung unter Verzicht auf Zusatzleistungen, die der betrieblichen Altersversorgung oder der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes in Westdeutschland gleichen, ersetzt hat. Dasselbe gilt für die weitere Absenkung des Sicherungsniveaus dadurch, dass die versicherten Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen nur bis zur Beitragsbemessungs-grenze berücksichtigt werden. Beide Schritte wahren den Bezug zur persönlichen Arbeitsleistung und erhalten den Renten grundsätzlich ihre existenzsichernde Funktion. Die Überführung als Ganzes dient einem wichtigen Gemeinwohlbelang, in dem mit der Rechtsangleichung im Rentenrecht zugleich die Finanzierbarkeit der Sozialversicherung insgesamt erhalten bleibt. Die Erstreckung der Beitragsbemessungsgrenze auf die überführten Leistungen ist durch die Entscheidung zugunsten der verfassungsrechtlich zulässigen Eingliederung in die Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland vorgeprägt und könnte nicht entfallen, ohne dass das Rentensystem gesprengt würde.

Angesichts dieser Entscheidung des BVerfG ist es verfassungsrechtlich unter dem Blickwinkel des Eigentumsschutzes des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG entgegen der Ansicht des Klägers gerade nicht geboten, aus Arbeitsentgeltanteilen, die sich überhaupt erst nach der so genannten "Hochwertung" ergeben, eine zusätzliche Leistung oder Rente zu gewähren.

Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG scheidet ebenfalls aus, weil es keine Personengruppe gibt, deren tatsächlich erzielter oder "hochgewerteter" Arbeitsverdienst oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze für die Rentenberechnung in der gesetzlichen Rentenversicherung herangezogen wird beziehungsweise denen daraus eine zusätzliche Leistung oder Rente gewährt wird.

Auf die von der Klägerin als maßgeblich angesehene Differenzierung zwischen Berechtigten, deren Arbeitsverdienst in der Sozialpflichtversicherung und der FZR einerseits und der Sozialpflichtversicherung, der FZR und der AVtI andererseits versichert waren, kommt es nicht an. Wie das BVerfG in den oben genannten Urteilen, aber auch schon im Beschluss vom 07. Juli 1993 1 BvR 620/93 ausgeführt hat, ist die so genannte Systementscheidung des Gesetzgebers, nämlich grundsätzlich alle in der DDR erworbenen Versorgungsansprüche einerlei, ob aus der FZR oder aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen mit oder ohne eigene Beitragsleistung, in die gesetzliche Rentenversicherung zu überführen und durch eine einzige Rente nach dem SGB VI zu ersetzen, nicht verfassungswidrig; insbesondere stellt dies keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz dar.

Die Berufung muss daher erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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