L 17 P 4/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 32 P 507/02 -75
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 17 P 4/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Oktober 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Beitragspflicht zur Pflegeversicherung.

Die 1936 geborene Klägerin stellte am 01. Januar 1995 einen Rentenantrag. Zu dieser Zeit war sie bei der Beklagten krankenversichert. Seit dem 01. November 1998 bezieht sie Rente und ist in der Pflegeversicherung der Rentner versichert. Sie steht unter Betreuung für den Bereich "Wahrnehmung der Vermögens- und Wohnungsangelegenheiten". Der Betreuer ist dem Verfahren ausdrücklich nicht beigetreten und hat gebeten, die Korrespondenz mit der Klägerin zu führen. In einem im Betreuungsverfahren eingeholten Gutachten kam der Arzt für Neurologie und Psychiatrie R zu dem Ergebnis, dass die Klägerin als partiell geschäftsunfähig in Angelegenheiten zu betrachten sei, in denen sie infolge ihrer krankheitsbedingten paranoiden Beeinträchtigungsvorstellung nicht in der Lage sei, sich von sachgerechten Erwägungen leiten zu lassen.

Die Beklagte erließ in ihrer Eigenschaft als Pflegekasse am 06. Dezember 1999 zwei Beitragsbescheide. Mit dem ersten wurden Beiträge in Höhe von 897,24 DM für die Zeit vom 01. Januar 1995 bis 30. September 1998 gefordert, mit dem zweiten 24,60 DM für Oktober 1998. Der Widerspruch gegen diese und frühere Beitragsbescheide wurde mit Widerspruchbescheid vom 09. März 2000 zurückgewiesen (zugegangen nach Angabe der Klägerin am 11. März 2000).

Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben (eingegangen am 11. April 2000) und vorgetragen, sie habe im streitigen Zeitraum kein Einkommen bezogen. Es sei verfassungswidrig, unter diesen Umständen von ihr Beiträge zu verlangen.

Die Klage, die auf Aufhebung der Beitragsbescheide und auf Feststellung gerichtet war, dass eine Versicherungspflicht in der Zeit vom 01. Januar 1995 bis 31. Oktober 1998 nicht bestanden habe, hat das Sozialgericht mit Urteil vom 24. Oktober 2003 abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Klage sei zulässig. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Klägerin geschäftsfähig sei, da für den für das Betreiben des vorliegenden Verfahrens einschlägigen Aufgabenkreis (Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten) ein Betreuer bestellt worden sei. Der Betreuer sei ordnungsgemäß über den Termin zur mündlichen Verhandlung in Kenntnis gesetzt worden, so dass auch ohne sein Erscheinen habe verhandelt und entschieden werden können.

Die Klage sei jedoch nicht begründet. Die Beklagte habe zu Recht für den streitigen Zeitraum Beiträge zur Pflegeversicherung gefordert. Die Klägerin sei als Rentenantragstellerin gemäß § 189 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch SGB V Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen (sog. Formalmitgliedschaft). Dem folgend sei sie gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch – SGB XI – auch in der sozialen Pflegeversicherung versichert gewesen.

Nach § 57 Abs. 4 Satz 2 SGB XI fänden für die Beitragsbemessung der in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Rentenantragsteller die §§ 238 a, 239 und 240 SGB V entsprechende Anwendung. Gemäß § 239 SGB V, der § 240 SGB V (nochmals) für entsprechend anwendbar erkläre, werde bei Rentenantragstellern die Beitragsbemessung für die Zelt der Rentenantragstellung bis zum Beginn der Rente durch die Satzung geregelt. § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V bestimme, dass als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag mindestens der 90ste Teil der monatlichen Bezugsgröße gelte. Damit sei auch für die formal versicherten Rentenantragsteller eine Beitragserhebung nach Mindestbeiträgen bestimmt, die gänzlich unabhängig davon sei, ob und in welcher Höhe tatsächlich Einnahmen erzielt würden. Die Mindestgrenzen dürften nach den ausdrücklichen gesetzlichen Vorgaben nicht unterschritten werden. Die Vorschrift sei bereits mehrfach unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten überprüft und für nicht verfassungswidrig befunden worden (Hinweis auf BSG, Urteil vom 07. November 1991, SozR 3-2500 § 240 Nr. 6 und BVerfG, Urteil vom 22. Mai 2001 1 BvL 4/96 , SozR 3-2500 § 240 Nr. 39).

Dem Urteil war eine Belehrung beigefügt, nach der der Klägerin die Berufung nicht zusteht, weil sie vom Sozialgericht nicht zugelassen worden ist. Gegen das dem Betreuer am 08. Januar 2004 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit der am 09. Februar 2004 (Montag) eingegangenen Nichtzulassungsbeschwerde. Der Senat hat durch Beschluss vom 07. Juli 2004 festgestellt, dass die Berufung keiner Zulassung bedurfte, und führt das Verfahren als Berufungsverfahren fort.

Die Klägerin trägt zur Begründung vor, ihre Rente sei so niedrig, dass sie keine rückständigen Beiträge bezahlen könne. Sie habe noch verschiedene Reparaturen in ihrer Wohnung durchführen zu lassen. Die Beitragserhebung sei unrechtmäßig, weil künstlich ein Einkommen zugrunde gelegt worden sei, das sie nicht bezogen habe. Jeder Mensch habe ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben. Dazu gehöre, dass er nicht mit Forderungen überzogen werde, die ihm kein menschenwürdiges Leben mehr gestatteten. Dies müsse bereits im Erkenntnisverfahren berücksichtigt werden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Oktober 2003 und die Bescheide der Beklagten vom 06. Dezember 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09. März 2000 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Die Akten des Sozialgerichts Berlin – S 32 P 507/02 -76 -75 – und die Akten der Beklagten haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist prozessfähig. Nach § 202 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - in Verbindung mit § 52 der Zivilprozessordnung ZPO ist eine Person prozessfähig, soweit sie sich durch Verträge verpflichten kann, also geschäftsfähig ist. Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin, soweit es den vorliegenden Prozess betrifft, partiell geschäftsunfähig (vgl. § 104 Nr. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches BGB ) ist. Zwar hat Dr. R in seinem für das Betreuungsverfahren erstellten Gutachten festgestellt, dass partielle Geschäftsunfähigkeit vorliegt, es gibt aber keinen Anhaltspunkt dafür, dass hier eine solche Situation gegeben ist. Die Klägerin verfolgt ihr Anliegen zielgerichtet und drückt es allgemein verständlich aus. Allein das Beharren auf einer rechtsirrigen Auffassung ist kein genügender Anhalt für Geschäftsunfähigkeit.

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das angefochtene Urteil vom 24. Oktober 2003 ist zutreffend. Die angefochtenen Bescheide vom 06. Dezember 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09. März 2000 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Das Sozialgericht hat ausführlich und zutreffend die Rechtsgrundlagen dargelegt, auf denen die Beitragserhebung beruht. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen darauf gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug.

Die verfassungsrechtlichen Bedenken an den Rechtsgrundlagen der Beitragserhebung teilt der Senat nicht. Die Klägerin trägt zwar zutreffend vor, dass der Staat dafür Sorge zu tragen hat, dass das Existenzminimum gesichert ist. Aus diesem aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot hergeleiteten Grundsatz ist aber nicht zu schließen, dass der Staat den Bürger vor Forderungen schützen muss. Er muss ihm lediglich das belassen bzw. zur Verfügung stellen, was zu einem menschenwürdigen Leben notwendig ist. Es bleibt aber der Gestaltung des Gesetzgebers überlassen, ob die Sicherung bei der Entstehung von Forderungen oder, wie es vorliegend der Fall ist, bei der Durchsetzung von Forderungen erfolgt. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber hier den zweiten Weg gewählt hat und den Bürger durch Pfändungsfreigrenzen und Grenzen bei Aufrechnung und Verrechnung (§§ 51, 52 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch - SGB I ) schützt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil ein Grund zur Zulassung nach § 160 Abs. 2 SGG nicht ersichtlich ist.
Rechtskraft
Aus
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