L 17 R 572/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 31 RJ 2143/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 17 R 572/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. April 2005 wird zurückgewiesen.

Tatbestand:

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Klägerin ist am 1957 in der Türkei geboren. 1968 gelangte sie in die Bundesrepublik Deutschland. Sie hat keinen Beruf erlernt und war zuletzt bis März 2002 als ungelernte Arbeiterin in einem Metallbetrieb beschäftigt.

Am 8. März 2002 stellte sie einen Rentenantrag und machte geltend, sie könne wegen Depressionen, Halswirbelsäulensyndroms, Asthma bronchiale und chronisch venöser Insuffizienz seit 2001 keine Arbeit mehr verrichten.

Dazu lagen ein Entlassungsbericht des U – Krankenhauses vom 22. März 2001 und Atteste des Facharztes für Orthopädie Dr. M vom 06. Dezember 2001, des Arztes für Neurologie und Psychiatrie K vom 17. Januar 2002 und der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. B vom 04. März 2002 vor.

Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den Facharzt für Innere Medizin Dr. R. In seinem Gutachten vom 23. April 2002 kam er zu dem Schluss, die Klägerin könne täglich 6 Stunden und mehr leichte bis mittelschwere Arbeiten verrichten. Sie könne überwiegend im Sitzen und zeitweise im Stehen oder Gehen arbeiten. Zu vermeiden seien Zwangshaltungen, häufiges Bücken, Überkopfarbeit, Klettern oder Steigen, Nässe, Kälte, Zugluft, Arbeiten mit erhöhter Verletzungsgefahr und Alkoholgefährdung.

Darauf lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 24. Mai 2002 ab. Sie führte aus, die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei durch folgende Krankheiten oder Behinderung beeinträchtigt: chronisch-obstruktive Lungenerkrankung bei Nikotinabhängigkeitssyndrom, angegebene Alkoholkrankheit in Teilremission, Halswirbelsäulensyndrom – leichtgradig, Lendenwirbelsäulensyndrom mit Belastungslumbalgien, keine Wurzelreizsymptomatik, Zustand nach Anpassungsstörung und depressiven Verstimmungen, rezidivierende Kopfschmerzen.

Damit könne die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch Tätigkeiten im Umfang von mindestens 6 Stunden täglich verrichten.

Der Widerspruch, mit dem die Klägerin auf die Meinung ihrer behandelnden Ärzte verwies, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14. August 2002 zurückgewiesen.

Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben (eingegangen am 16. September 2002) und vorgetragen, bei ihr lägen kumulierende gesundheitliche Beeinträchtigungen vor, die die Einschätzung der Beklagten nicht stützten. Insbesondere liege auch kein "Zustand nach Depression und Anpassungsstörung" vor, sondern diese Zustände seien chronifiziert.

Dazu hat sie Atteste des Arztes für Neurologie und Psychiatrie K vom 11. November 2002, von dem Orthopäden Dr. M vom 21. November 2002 und von der Allgemeinmedizinerin Dr. B vom 03. Dezember 2002 eingereicht.

Das Sozialgericht hat Befundberichte dieser Ärzte eingeholt, und zwar von Dr. M vom 25. Februar 2003, von dem Neurologen K vom 25. März 2003 und von Dr. B vom 14. April 2003.

Sodann hat es den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt, das dieser am 23. Oktober 2003 erstellte. Er stellte auf seinem Fachgebiet die Diagnose anhaltende ängstliche Depression bei histrionischer Persönlichkeitsstörung. Er kam zu dem Schluss, dass die Klägerin noch körperlich leichte Arbeiten in größeren geschlossenen Räumen oder im Freien mit Witterungsschutz ohne Einfluss von Kälte, Feuchtigkeit, Zugluft oder Staub verrichten könne. Die Arbeitshaltung solle zwischen Gehen, Stehen und Sitzen wechseln, überwiegend sitzende Tätigkeit mit Gelegenheit zu entlastendem Aufstehen sei jedoch möglich. Ausgeschlossen seien Arbeiten mit einseitiger körperlicher Belastung, Arbeiten im festgelegten Arbeitsrhythmus, Arbeiten unter Zeitdruck, Arbeiten in Wechsel- oder Nachtschicht und Arbeiten auf Leitern und Gerüsten. Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten seien eingeschränkt möglich. Die Fingergeschicklichkeit sei erhalten. Arbeiten an laufenden Maschinen seien möglich. Mit diesen Einschränkungen könne die Klägerin noch mindestens 8 Stunden täglich arbeiten.

Die Klägerin ist diesem Gutachten entgegengetreten und hat insbesondere auf einen Bericht des sozialpsychiatrischen Dienstes des Bezirksamtes Friedrichshain - Kreuzberg vom 22. Juli 2004 verwiesen.

Sodann ist auf Antrag der Klägerin nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG – ein Gutachten von dem Facharzt für Orthopädie J eingeholt worden. Er stellte auf seinem Fachgebiet leichte Fehlhaltung der Wirbelsäule mit geringgradigen Funktionseinschränkungen im Bereich der Halswirbelsäule sowie muskuläre Reizzustände und Belastungsinsuffizienz im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule, chronisch – rezidivierender Nacken – Kopfschmerz fest. Daraus ergäben sich keine über das Gutachten von Dr. L hinausgehenden Leistungseinschränkungen (Gutachten vom 1. Februar 2005).

Darauf hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 27. April 2005 abgewiesen. Es hat sich für die Beurteilung des Leistungsvermögens auf die Gutachten von Dr. L und dem Orthopäden J gestützt.

Gegen das der Klägerin am 2. Juni 2005 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 20. Juni 2005 eingegangene Berufung. Sie trägt vor, das Sozialgericht habe die Meinung ihrer behandelnden Ärzte nicht ausreichend berücksichtigt. Es habe außerdem nicht beachtet, dass der begutachtende Orthopäde und der begutachtende Neurologe und Psychiater die Behandlungsmöglichkeiten unterschiedlich gewertet hätten. Es sei auch unberücksichtigt geblieben, dass eine Kumulation von Beschwerden vorliege.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. April 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. August 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr seit dem 1. März 2002 eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Akten des Sozialgerichts Berlin – S 31 RJ 2143/02 – und die Akten der Beklagten – – haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

Nach § 153 Abs. 4 SGG kann das Landessozialgericht, außer wenn das Sozialgericht einen Gerichtsbescheid erlassen hat, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen liegen vor.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das angefochtene Urteil vom 27. April 2005 ist rechtmäßig.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI in der seit dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung.

Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzen 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Die Klägerin ist nicht voll erwerbsgemindert, sie ist noch nicht einmal teilweise erwerbsgemindert. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden erwerbstätig zu sein.

Die Klägerin kann jedoch noch täglich 6 Stunden arbeiten. Der Senat folgt bei der Beurteilung des Leistungsvermögens den Feststellungen des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. Er hat die Klägerin untersucht und die medizinischen Unterlagen, insbesondere auch die Atteste der behandelnden Ärzte ausgewertet. Er verfügt über eine langjährige gutachterliche Erfahrung und hat deshalb auch ausreichend Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Rentenantragstellern. Den Ausführungen der behandelnden Ärzte kommt dagegen geringeres Gewicht zu. Diese können zwar in der Regel auf eine längere Beobachtung zurückgreifen, ihre Aufgabe ist aber eine andere als die von gerichtlichen Gutachtern. Behandelnde Ärzte sollen in erster Linie ihren Patienten helfen, dadurch wird auch Blinkwinkel geprägt. Dagegen werden gerichtliche Sachverständige eingesetzt, um Fachkenntnisse, die den Richtern fehlen, in das Verfahren einzubringen. Gerichtsgutachter sind zu Objektivität verpflichtet. Im Übrigen entspricht die Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen auch im Wesentlichen derjenigen, die Dr. R bereits im Verwaltungsverfahren getroffen hat und derjenigen des Orthopäden J.

Danach kann die Klägerin noch mindestens 6 Stunden täglich leichte Arbeiten verrichten. Die qualitativen Einschränkungen, die Dr. L darstellt, sind nicht derart, dass die Klägerin nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten kann. Sie kann grundsätzlich zureichen, abnehmen, transportieren, reinigen, Maschinen bedienen, kleben, sortieren, verpacken und Teile zusammensetzen (vgl. BSG, Großer Senat, Beschluss vom 19. Dezember 1996, SozR 3 – 2600 § 44 Nr. 8), soweit die Anforderungen nicht über leichte Arbeiten hinaus gehen.

Der Einwand der Klägerin, die Kumulation ihrer Leiden sei nicht ausreichend berücksichtigt, greift nicht durch. Aus der Leistungsbeurteilung von Dr. Le ist ersichtlich, dass er auch die orthopädischen und internistischen Leiden bei der Leistungseinschätzung berücksichtigt hat. Er führt bei den genannten Leistungseinschränkungen in der Regel auf, auf welchem Leiden diese beruhen. So ist der Einfluss von Kälte, Feuchtigkeit und Zugluft wegen des Wirbelsäulensyndroms ausgeschlossen. Der Einfluss von Staub verbietet sich, weil die Klägerin an einer asthmoiden Bronchitis leidet. Einseitige körperliche Belastungen sind wegen des Wirbelsäulensyndroms nicht möglich. Der festgelegte Arbeitsrhythmus ist wiederum wegen der psychomotorischen Unruhe ausgeschlossen. Arbeiten unter Zeitdruck könnten die depressiv ängstliche Symptomatik verstärken. Das Heben und Tragen ist wegen des Wirbelsäulensyndroms eingeschränkt. Arbeiten in Wechsel- oder Nachtschicht sind wegen des seelischen Leidens nicht möglich. An Arbeit auf Leitern und Gerüsten ist die Klägerin wegen ihrer Adipositas und des Wirbelsäulensyndroms gehindert. Es kann danach keine Rede davon sein, dass die Kumulation der Leiden nicht berücksichtigt worden ist.

Danach steht der Klägerin kein Rentenanspruch zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil ein Grund zur Zulassung nach § 160 Abs. 2 SGG nicht ersichtlich ist.
Rechtskraft
Aus
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