Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 22 RJ 1558/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 17 RJ 3/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. November 2002 und der Bescheid der Beklagten vom 6. September 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2001 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung seit dem 1. Oktober 2003 zu gewähren. Die Beklagte hat der Klägerin ¾ der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Die am 1948 geborene Klägerin hat nach ihren Angaben keinen Beruf erlernt und keine betriebliche Ausbildung durchlaufen. Von 1970 bis 1977 war sie als Pflegekraft beim in S beschäftigt und arbeitete sodann bis 1978 als Hauswart. Nach der Geburt ihrer Kinder und einer anschließenden Arbeitspause nahm sie die letztgenannte Tätigkeit, bei der sie unter anderem Treppenaufgänge gereinigt, Rasen gemäht und Schnee beseitigt hatte, 1982 wieder auf und übte sie bis 1999 aus.
Vom 28. Januar bis 25. Februar 1998 nahm die Klägerin, nachdem sie im September 1997 einen Bandscheibenvorfall erlitten hatte, an einer Rehabilitationsmaßnahme teil, aus der sie nach dem Entlassungsbericht vom 11. März 1998 als arbeitsunfähig für eine Tätigkeit als Reinigungskraft, aber mit einem vollschichtigen Leistungsvermögen für körperlich leichte Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten und ohne Zwangshaltungen entlassen wurde.
Im April 1998 stellte die Klägerin einen Rentenantrag. Nachdem Gutachten, die vom Arzt für Innere Medizin Dr. R (vom 04. Juni 1999) und vom Arzt für Psychiatrie und Neurolgie B (vom 11. August 1999) erstellt wurden, ein vollschichtiges Leistungsvermögen für zumindest körperlich leichte Arbeiten – mit weiteren qualitativen Einschränkungen – ergeben hatten, lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 25. März 1999 und Widerspruchsbescheid vom 15. September 1999 ab.
Im März 2000 stellte die Klägerin einen weiteren Rentenantrag und machte zu dessen Begründung geltend, sie halte sich seit dem 09. Dezember 1997 wegen orthopädischer Beschwerden, Kraftlosigkeit in den Armen und Schmerzen für berufs- bzw. erwerbsunfähig. Auf Veranlassung der Beklagten erfolgte am 09. August 2000 eine Begutachtung durch die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. B. Diese stellte die Diagnosen
LWS – Syndrom bei Spondylolisthesis L 4/5, HWS – Syndrom, Hochdruck, Asthma bronchiale, seelische Leiden
und gelangte zu der Beurteilung, der Klägerin seien leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes überwiegend im Sitzen oder im Wechsel der Haltungsarten vollschichtig zumutbar. Gefährdung trete durch Wechsel- und Nachtschicht sowie mit besonderem Zeitdruck verbundenen Arbeiten ein. Atemwegsgefährdenden Stoffen dürfe die Klägerin nicht ausgesetzt werden.
Mit Bescheid vom 06. September 2000 wurde auch dieser Rentenantrag abgelehnt. Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte Befundberichte vom Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B vom 03. November 2000 und dem Arzt für Innere Medizin Dr. H vom 19. Dezember 2000 ein und ließ die Klägerin von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie W untersuchen. Im Gutachten vom 23. März 2001 stellte die Ärztin die Diagnosen
somatoforme Störung mit histrionischer Begleitsymptomatik,
chronisches HWS- und LWS–Syndrom mit chronischer radikulärer Reiz- und leichter sensibler Ausfallssymptomatik, vorwiegend C6 links bei nachgewiesen deutlichen Wirbelsäulenveränderungen
und gelangte zum Ergebnis, die Klägerin könne noch körperlich leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen für sechs Stunden und mehr verrichten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2001 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch zurück. Die Klägerin sei weder erwerbs- noch berufsunfähig. Nach den durchgeführten medizinischen Ermittlungen sei sie noch in der Lage, vollschichtig leichte Arbeiten mit zusätzlichen Einschränkungen zu verrichten. Aufgrund ihrer letzten Tätigkeit könne sie zumutbar auf leidensgerechte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden.
Dagegen hat die Klägerin am 07. Juli 2001 Klage erhoben und zu deren Begründung unter Überreichung ärztlicher Unterlagen geltend gemacht, sie leide an Kraftlosigkeit und Schmerzen im linken Arm, unter starken Depressionen mit Schlafstörungen, Angstzuständen und an einem Erschöpfungssyndrom. Der Verdacht auf ein Fibromyalgiesyndrom sei geäußert worden. Sie könne auch leichte körperliche Arbeiten nicht mehr vollschichtig verrichten. Wegen fehlender Fingergeschicklichkeit und Wechselschichtfähigkeit sowie der übrigen Beschwerden liege eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. eine schwere spezifische Leistungseinschränkung vor.
Das Sozialgericht hat Befundberichte eingeholt vom Internisten und Rheumatologen Dr. H vom 08. November 2001, vom Neurochirurgen Dr. Bvom 11. November 2001, von der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. O vom 13. November 2001, von den Ärzten für Orthopädie Dr. M u. a. vom 20. November 2001 sowie vom Arzt für Innere Medizin Dr. S vom 09. November 2001, denen weitere medizinische unterlagen beigefügt waren. Das Sozialgericht hat sodann den Arzt für Neurologie und Psychiatrie – physikalische Therapie – Dr. B zum Sachverständigen ernannt. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 26. Februar 2002 (richtig wohl 26. Juni 2002) die Diagnosen
degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit Spondylolisthesis mit deutlichen Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule und länger anhaltenden Nervenwurzelreizerscheinungen lumbal ohne neurologische Ausfallerscheinungen,
degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule mit Funktionseinschränkungen und rezidivierenden muskulären Reizerscheinungen und Spannungskopfschmerzen bei Bandscheibenvorfall C6/C7,
Karpaltunnel–Syndrom beidseits mit Zustand nach operativer Dekompression rechts 2002,
Anpassungsstörung mit vorwiegender Beeinträchtigung von anderen Gefühlen und somatoforme Störung bei depressiv–hysterischer Persönlichkeitsstruktur,
Asthma bronchiale und arterielle Hypertonie,
rezidivierende Schulterbeschwerden bei Zustand nach Schulteroperation links 1994,
generalisierte Osteoporose
und gelangte zu dem Ergebnis, die Klägerin könne täglich noch leichte körperliche Frauenarbeiten in geschlossenen Räumen unter Ausschluss von Hitze, Kälte, Feuchtigkeit und Zugluft im Wechsel der drei Haltungsarten oder überwiegend im Sitzen verrichten. Einseitige körperliche Belastungen, insbesondere der Wirbelsäule und der Beine sowie der Arme seien zu vermeiden. Gleiches gelte für Arbeiten unter Zeitdruck wie Akkord- und Fließbandtätigkeiten. Arbeiten an laufenden Maschinen seien nicht zumutbar, das Heben und Tragen von Lasten solle auf 5 kg beschränkt werden. Wechselschichten unter Ausschluss von Nachtschichten seien der Klägerin zumutbar, nicht jedoch das Arbeiten auf Leitern und Gerüsten. Arbeiten, die eine Fingergeschicklichkeit voraussetzten, seien aufgrund des beidseitigen Kompressionssyndroms der Handnerven nicht zumutbar. An die Belastbarkeit der Wirbelsäule, der Arme und der Beine könnten keine Anforderungen gestellt werden. Geistige Arbeiten könne die Klägerin ihrem Ausbildungsstand entsprechend verrichten. Die festgestellten Leiden wirkten sich nicht auf das Sehvermögen, das Reaktionsvermögen und die Kontaktfähigkeit aus. Die Auffassungsgabe, die Entschluss- und Verantwortungsfähigkeit seien in Bezug auf einfache Arbeiten nicht reduziert, ebenso wenig Lern- und Merkfähigkeit sowie das Gedächtnis. Die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit sei nicht herabgesetzt. Die Klägerin könne auch ohne Begleitung viermal täglich Wegstrecken von mehr als 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand zu Fuß zurücklegen und zweimal täglich öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzen. Das verbliebene Leistungsvermögen reiche noch für die volle übliche Arbeitszeit von acht Stunden täglich aus. Die üblichen Pausen seien ausreichend.
Zu diesem Gutachten hat die Klägerin geltend gemacht, im Hinblick auf das festgestellte Schmerzempfinden sei ihre Wegefähigkeit aufgehoben. Sie leide in U- und S–Bahnen sowie in Aufzügen unter Platzangst und könne allenfalls noch den Bus benutzen. Dazu hat die Klägerin ein Attest der orthopädischen Gemeinschaftspraxis Dr. M vom 30. Oktober 2002 eingereicht, in dem es heißt, aus orthopädischer Sicht liege bei der Klägerin eine erhebliche Minderung der Erwerbsfähigkeit vor.
Mit Urteil vom 15. November 2002 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung der Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, bisheriger Beruf der Klägerin sei der einer Hauswartin. Diesen könne sie zwar aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben, sie sei gleichwohl weder erwerbs- noch berufsunfähig, weil sie mit dem ihr verbliebenen Leistungsvermögen eine Tätigkeit als Pförtnerin vollwertig verrichten könne. Hinsichtlich der Beurteilung des Gesundheitszustandes der Klägerin ist das Sozialgericht den Ausführungen des Sachverständigen Dr. B gefolgt. Es habe keine Verlassung bestanden, weitere Gutachten von Amts wegen einzuholen, denn die von Dr. B erhobenen Diagnosen und das daraus resultierende Leistungsvermögen der Klägerin stimme im Wesentlichen mit den Feststellungen der Gutachter im Verwaltungsverfahren überein. Die im Attest der behandelnden Orthopäden vom 30. Oktober 2002 genannten Diagnosen seien bereits im Rahmen der gutachterlichen Untersuchungen berücksichtigt worden.
Gegen das ihr am 08. Januar 2003 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit der am 04. Februar 2003 eingelegten Berufung. Zu deren Begründung macht sie geltend, der Zustand ihrer Hände habe sich verschlechtert. Im Vordergrund der Beschwerden stehe aber weiterhin ein Ganzkörperschmerz mit Angstattacken und Dysthymie. Da sie ohne ständige Begleitung U- und S–Bahnen nicht mehr benutzen und auch ein Kraftfahrzeug wegen ihrer Angstzustände nicht mehr führen könne, fehle es an einer Wegefähigkeit. Zudem habe Dr. B im Unterschied zur behandelnden Fachärztin zu Unrecht keine chronische Schmerzerkrankung diagnostiziert. Der Auffassung des behandelnden Arztes Dr. H, sie sei aus neurologisch–psychiatrischer (psychosomatischer) Sicht erwerbsunfähig, müsse gefolgt werden. Jedenfalls könne sie infolge der chronischen Schmerzerkrankungen keine Wechselschichtarbeiten mehr verrichten, so dass eine Pförtnertätigkeit bereits aus diesem Grunde ausscheide. Weiterhin hat sich die Klägerin auf ein Gutachten des Orthopäden Dr. S vom 05. September 2003 berufen, das in einem Verfahren noch dem SGB IX eingeholt worden ist, und in dem eine Gehfähigkeit von 415 Meter in 25 Minuten beschrieben wird.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. November 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 06. September 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2001 abzuändern und diese zu verurteilen, ihr seit 01. Oktober 2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat einen Operationsbericht der Charité (Operationsdatum 25. Februar 2002) sowie Befundberichte vom Arzt für Neurochirurgie Dr. B vom 22. August 2003, vom Arzt für Innere Medizin Dr. S vom 19. April 2004, von der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. O vom 21. April 2004 sowie von den Ärzten für Orthopädie Dr. M u. a. vom 13. Mai 2004, eingeholt. Nach Angaben von Dr. B leidet die Klägerin seit dem Beginn der Behandlung im Mai 1998 an einer Halswirbel- und Lendenwirbelsäulenblockierung ohne manifeste Ausfälle sowie einer rezidivierenden Kapaltunnel–Symptomatik beidseits. Seit 1998 sei keine wesentliche Änderung der Befunde eingetreten. Zudem hat der Senat ein orthopädisches Fachgutachten vom Chefarzt einer Klinik für Orthopädie Prof. Dr. S eingeholt. In seinem Gutachten vom 04. Februar 2005 hat der Sachverständige angegeben, auf orthopädischen Fachgebiet leide die Klägerin an einer erheblichen Minderung der Trag- und Bewegungsfunktion des Rumpfes auf der Basis von ausgeprägten Verschleißerscheinungen sowie einem Wirbelgleiten L4/5 mit Neigung zu Rückenmark- und Nervenwurzelirritationen, einer schmerzhaften Bewegungsbeeinträchtigung beider Schultergelenke aufgrund eines chronisch – entzündlichen Reizzustandes der Schultergürtelmuskulatur, Verschleißerscheinungen am rechten Kniegelenk (die Minisci und das Kniescheibengleitlager betreffend) sowie einer ausgeprägten Fußfehlform im Sinne eines Senk–Spreiz, Knickfußes mit Fehlstellung der Großzehen in der Grundgelenken und Ballenbildung (linksseitig mit Neigung zu entzündlichen Reizzuständen). Diese Erkrankungen wirkten sich aus orthopädischer Sicht auf das Leistungsvermögen der Klägerin in der Gestalt aus, dass sie Tätigkeiten von wirtschaftlichem Wert aufgrund der erheblich verminderten Belastbarkeit der Wirbelsäule nicht mehr verrichten könne. Auch für halbschichtige Tätigkeiten könne ein vernünftiges Arbeitsplatzprofil nicht erstellt werden. Es fehle bereits an der Wegefähigkeit. Die Klägerin sei nicht mehr in der Lage, viermal täglich Arbeitswege von mehr als 500 m Länge zurückzulegen. Zudem könne die Klägerin aufgrund der Wirbelsäulenbeschwerden keine Tätigkeiten im Gehen und Stehen mehr ausüben. Eine rein sitzende Tätigkeit könne jedoch ebenfalls nicht empfohlen werden, da diese die Beschwerdesymptomatik der Lendenwirbelsäule steigern würde. Auch durch einen Wechsel der Körperhaltungen könne die Situation nicht günstig beeinflusst werden. Gegenüber früheren Untersuchungen hätten nunmehr neurologische Ausfallerscheinungen deutlich verifiziert werden können. Im Vergleich zur Begutachtung durch Dr. B habe sich die Situation deutlich verschlechtert. Es sei gerechtfertigt, von einem aufgehobenen Leistungsvermögen seit der Untersuchung durch Dr. S am 05. September 2003 auszugehen. Bereits in dessen Gutachten seien die für das Leistungsvermögen relevanten Einschränkungen beschrieben worden. Eine begründete Aussicht, dass die Leistungsminderung ganz oder teilweise behebbar sei, bestehe nicht. Ein weiteres Gutachten zur Bestimmung des Leistungsvermögens der Klägerin hat der Gutachter nicht für erforderlich gehalten.
Nachdem die Beklagte den gutachterlichen Feststellungen mit Stellungnahmen ihres arbeitsmedizinischen Dienstes vom 21. Februar und 27. April 2005 (vom Chirurgen und Internisten Dr. S) entgegengetreten ist, hat der Senat den Sachverständigen Prof. Dr. S zu einer ergänzenden Stellungnahme zu den Einwendungen der Beklagten aufgefordert. Unter dem 17. August 2005 hat der Sachverständige mitgeteilt, aufgrund des Vorbringens der Beklagten sehe er sich nicht veranlasst, seine Beurteilung zu ändern. Dem ist die Beklagte durch zwei weitere Stellungnahmen von Dr. S vom 06. September und 06. Oktober 2005 erneut entgegengetreten.
Die die Klägerin betreffenden Rentenakten der Beklagten sowie die Prozessakten des Sozialgerichts Berlin zum Aktenzeichen S 22 RJ 1558/01 haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und teilweise begründet. Die Klägerin hat vom 01. Oktober 2003 an Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch 6. Buch – SGB VI – in der seit dem 01. Januar 2001 geltenden Fassung.
Der Senat war nicht gehindert, über eine derartige Rente zu entscheiden, obwohl die Beklagte nicht ausdrücklich mittels einer entsprechenden Verwaltungsentscheidung eine Rente wegen voller- oder teilweiser Erwerbsminderung abgelehnt hat. Die - aufgrund eines noch unter der alten Rechtslage gestellten und beschiedenen Antrags - auf Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit gerichtete Klage erstreckt sich nach der Rechtsänderung zum 01. Januar 2001 auch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach neuem Recht. Mit einer solchen Klage kann zulässiger Weise auch dann eine Rente wegen Erwerbsminderung begehrt werden, wenn über die Leistungsvoraussetzungen nach neuem Recht keine Verwaltungsentscheidung der Behörde ergangen ist. Denn mit der Ablehnung einer Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit sind auch die Voraussetzungen für eine Leistung nach § 43 SGB VI neuer Fassung verneint worden (vgl. Bundessozialgericht – BSG – Urteil vom 17. Februar 2005 Az.: B 13 RJ 31/04 R).
Nach § 43 Abs. 2 SGB VI in der seit dem 01. Januar 2001 geltenden Fassung haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Diese Voraussetzungen werden von der Klägerin vollumfänglich erfüllt. Sie hat die allgemeine Wartezeit zurückgelegt und nach dem von der Beklagten zu den Gerichtsakten gereichten Versicherungsverlauf liegen auch für einen 2003 eingetretenen Versicherungsfall ausreichend zeitnahe Beiträge vor, weil im maßgeblichen Fünfjahreszeitraum unter anderem die Zeit vom 01. Januar 2000 bis 31. Dezember 2002 durchgehend mit - 3 Jahren - Pflichtbeiträgen belegt ist.
Nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Senats konnte auch der Nachweis erbracht werden, dass die Klägerin seit dem 05. September 2003 (Untersuchung durch den Arzt Dr. S im Verfahren S 40 SB 2464/02) voll erwerbsgemindert ist. Unter Zugrundelegung dieses Versicherungsfalls steht ihr damit eine Rente vom 01. Oktober 2003 an zu (vgl. § 99 Abs. 1 SGB VI).
Der Senat folgt der Einschätzung des Leistungsvermögens der Klägerin durch Prof. Dr. S in seinem Gutachten vom 04. Februar 2005. Der Sachverständige hat nach eigener Untersuchung und unter Berücksichtigung sämtlicher aktenkundiger Vorbefunde die Erkrankungen der Klägerin sowie deren Auswirkungen auf das Leistungsvermögen für den Senat nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei beschrieben. Danach leidet die Klägerin an einer erheblichen Minderung der Trag- und Bewegungsfunktion des Rumpfes aufgrund von Aufbrauchserscheinungen der Bandscheiben und der die Wirbelkörper verbindenden Gelenke im Bereich der gesamten Hals- und Brustwirbelsäule sowie im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule. Aufgrund dieser Diagnose ist er zu der Einschätzung gelangt, die Klägerin könne keine Tätigkeiten von wirtschaftlichem Wert mehr verrichten. Diese sachverständige Beurteilung des Leistungsvermögens ist für den Senat gut nachvollziehbar, denn es ist einleuchtend, dass bei den diagnostizierten erheblichen Aufbrauchserscheinungen der Hals- und Lendenwirbelsäule – in beiden Bewegungssegmenten mit Neigung zu Irritationen des Rückmarkes bzw. der Nervenwurzeln –Tätigkeiten im Gehen und Stehen nicht zumutbar sind und auch eine rein sitzende Arbeit aufgrund der Situation der Lendenwirbelsäule nicht in Betracht kommt, weil sie ebenfalls zu einer Verschlechterung der Beschwerdesymptomatik führen würde. Liegen bereits aus diesem Grunde die Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente vor, konnte offen bleiben, ob die Klägerin krankheitsbedingt auch nicht in der Lage ist, die üblichen Wege zur Arbeitsstelle (vgl. BSG SozR 3 – 2200 § 1247 Nr. 10) zurückzulegen.
Die gegen die Leistungsbeurteilung durch Prof. Dr. S von der Beklagten vorgebrachten Einwendungen vermögen nicht zu überzeugen. Soweit die Beklagte darauf hinweist, Schmerzen seien als subjektive Empfindungen nur schwer objektivierbar und dürften daher nicht hauptsächlicher Grund für eine Berentung sein, wenn nicht aufgrund einer körperlichen Untersuchung und sonstiger Anhaltspunkte (Tagesstruktur, Schmerzmittelgebrauch) Nachweise für einen hohen Leidensdruck vorlägen, ist ihr entgegenzuhalten, dass der Sachverständige die Klägerin auch ausgiebig körperlich untersucht und Vorbefunde sowie ein aus Anlass der Begutachtung erstelltes radiologisches Zusatzgutachten mit berücksichtigt hat. Seine Meinungsbildung zum Leistungsvermögen beruht somit nicht ausschließlich auf den Angaben der Klägerin, sondern auf einer Gesamtbewertung der bildgebenden Diagnostik, ausführlichen körperlichen Untersuchung und sämtlicher Vorbefunde. Deshalb überzeugt auch der Einwand der Beklagten, die vom Sachverständigen erhobenen Messbefunde belegten lediglich eine mittelgradige Funktionsbeeinträchtigung, nicht. Denn eine überzeugende sachverständige Leistungseinschätzung hat stets unter Berücksichtigung sämtlicher möglicher Beurteilungskriterien zu erfolgen. Ebenso wie die bildgebende Diagnostik allein sagen auch einzelne Messbefunde regelmäßig wenig über das verbliebene Restleistungsvermögen aus. Zutreffend weist der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 17. August 2005 deshalb auch darauf hin, dass durch das alleinige Ermitteln von Winkelgraden die Belastbarkeit des Bewegungsapparates nicht hinreichend gewürdigt werden kann.
Wenig überzeugend ist auch der Einwand der Beklagten, die Vorgutachter und insbesondere Dr. B hätten noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen festgestellt. Vom Sachverständigen Prof. Dr. S ist nämlich dargelegt worden, dass sich die Situation im Vergleich zur Begutachtung durch den Neurologen und Psychiater Dr. B im März 2002 deutlich verschlechtert hat. Auf frühere Untersuchungsergebnisse kann deshalb nur noch eingeschränkt zurückgegriffen werden.
Auch im Übrigen sind keine Gründe ersichtlich, dem sorgfältig begründeten Sachverständigengutachten von Prof. Dr. S nicht zu folgen. Dies gilt auch hinsichtlich seiner Einschätzung des Eintritts des Leistungsfalls.
Der Senat sah sich nicht gedrängt, weitere medizinische Ermittlungen durchzuführen. Der Sachverständige Prof. Dr. S hat nicht angeregt, ein weiteres Gutachten zur Bestimmung des Leistungsvermögens der Klägerin einzuholen. Soweit die Beklagte einwendet, wegen der Schmerzproblematik sei eine nervenärztliche Begutachtung vorrangig, ist ihr entgegenzuhalten, dass von dem erfahrenen Gerichtsgutachter Prof. Dr. S auch neurologische Befunde erhoben worden sind (vgl. seine ergänzende Stellungnahme vom 17. August 2005). Die Notwendigkeit einer psychiatrischen Unersuchung vermag auch der Senat nicht zu sehen, denn wenn die Beschwerden der Klägerin bereits durch orthopädisch–neurologische Diagnosen erklärbar sind, ist eine ergänzende psychiatrische Begutachtung überflüssig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz – SGG –.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Die am 1948 geborene Klägerin hat nach ihren Angaben keinen Beruf erlernt und keine betriebliche Ausbildung durchlaufen. Von 1970 bis 1977 war sie als Pflegekraft beim in S beschäftigt und arbeitete sodann bis 1978 als Hauswart. Nach der Geburt ihrer Kinder und einer anschließenden Arbeitspause nahm sie die letztgenannte Tätigkeit, bei der sie unter anderem Treppenaufgänge gereinigt, Rasen gemäht und Schnee beseitigt hatte, 1982 wieder auf und übte sie bis 1999 aus.
Vom 28. Januar bis 25. Februar 1998 nahm die Klägerin, nachdem sie im September 1997 einen Bandscheibenvorfall erlitten hatte, an einer Rehabilitationsmaßnahme teil, aus der sie nach dem Entlassungsbericht vom 11. März 1998 als arbeitsunfähig für eine Tätigkeit als Reinigungskraft, aber mit einem vollschichtigen Leistungsvermögen für körperlich leichte Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten und ohne Zwangshaltungen entlassen wurde.
Im April 1998 stellte die Klägerin einen Rentenantrag. Nachdem Gutachten, die vom Arzt für Innere Medizin Dr. R (vom 04. Juni 1999) und vom Arzt für Psychiatrie und Neurolgie B (vom 11. August 1999) erstellt wurden, ein vollschichtiges Leistungsvermögen für zumindest körperlich leichte Arbeiten – mit weiteren qualitativen Einschränkungen – ergeben hatten, lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 25. März 1999 und Widerspruchsbescheid vom 15. September 1999 ab.
Im März 2000 stellte die Klägerin einen weiteren Rentenantrag und machte zu dessen Begründung geltend, sie halte sich seit dem 09. Dezember 1997 wegen orthopädischer Beschwerden, Kraftlosigkeit in den Armen und Schmerzen für berufs- bzw. erwerbsunfähig. Auf Veranlassung der Beklagten erfolgte am 09. August 2000 eine Begutachtung durch die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. B. Diese stellte die Diagnosen
LWS – Syndrom bei Spondylolisthesis L 4/5, HWS – Syndrom, Hochdruck, Asthma bronchiale, seelische Leiden
und gelangte zu der Beurteilung, der Klägerin seien leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes überwiegend im Sitzen oder im Wechsel der Haltungsarten vollschichtig zumutbar. Gefährdung trete durch Wechsel- und Nachtschicht sowie mit besonderem Zeitdruck verbundenen Arbeiten ein. Atemwegsgefährdenden Stoffen dürfe die Klägerin nicht ausgesetzt werden.
Mit Bescheid vom 06. September 2000 wurde auch dieser Rentenantrag abgelehnt. Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte Befundberichte vom Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B vom 03. November 2000 und dem Arzt für Innere Medizin Dr. H vom 19. Dezember 2000 ein und ließ die Klägerin von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie W untersuchen. Im Gutachten vom 23. März 2001 stellte die Ärztin die Diagnosen
somatoforme Störung mit histrionischer Begleitsymptomatik,
chronisches HWS- und LWS–Syndrom mit chronischer radikulärer Reiz- und leichter sensibler Ausfallssymptomatik, vorwiegend C6 links bei nachgewiesen deutlichen Wirbelsäulenveränderungen
und gelangte zum Ergebnis, die Klägerin könne noch körperlich leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen für sechs Stunden und mehr verrichten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2001 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch zurück. Die Klägerin sei weder erwerbs- noch berufsunfähig. Nach den durchgeführten medizinischen Ermittlungen sei sie noch in der Lage, vollschichtig leichte Arbeiten mit zusätzlichen Einschränkungen zu verrichten. Aufgrund ihrer letzten Tätigkeit könne sie zumutbar auf leidensgerechte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden.
Dagegen hat die Klägerin am 07. Juli 2001 Klage erhoben und zu deren Begründung unter Überreichung ärztlicher Unterlagen geltend gemacht, sie leide an Kraftlosigkeit und Schmerzen im linken Arm, unter starken Depressionen mit Schlafstörungen, Angstzuständen und an einem Erschöpfungssyndrom. Der Verdacht auf ein Fibromyalgiesyndrom sei geäußert worden. Sie könne auch leichte körperliche Arbeiten nicht mehr vollschichtig verrichten. Wegen fehlender Fingergeschicklichkeit und Wechselschichtfähigkeit sowie der übrigen Beschwerden liege eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. eine schwere spezifische Leistungseinschränkung vor.
Das Sozialgericht hat Befundberichte eingeholt vom Internisten und Rheumatologen Dr. H vom 08. November 2001, vom Neurochirurgen Dr. Bvom 11. November 2001, von der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. O vom 13. November 2001, von den Ärzten für Orthopädie Dr. M u. a. vom 20. November 2001 sowie vom Arzt für Innere Medizin Dr. S vom 09. November 2001, denen weitere medizinische unterlagen beigefügt waren. Das Sozialgericht hat sodann den Arzt für Neurologie und Psychiatrie – physikalische Therapie – Dr. B zum Sachverständigen ernannt. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 26. Februar 2002 (richtig wohl 26. Juni 2002) die Diagnosen
degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit Spondylolisthesis mit deutlichen Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule und länger anhaltenden Nervenwurzelreizerscheinungen lumbal ohne neurologische Ausfallerscheinungen,
degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule mit Funktionseinschränkungen und rezidivierenden muskulären Reizerscheinungen und Spannungskopfschmerzen bei Bandscheibenvorfall C6/C7,
Karpaltunnel–Syndrom beidseits mit Zustand nach operativer Dekompression rechts 2002,
Anpassungsstörung mit vorwiegender Beeinträchtigung von anderen Gefühlen und somatoforme Störung bei depressiv–hysterischer Persönlichkeitsstruktur,
Asthma bronchiale und arterielle Hypertonie,
rezidivierende Schulterbeschwerden bei Zustand nach Schulteroperation links 1994,
generalisierte Osteoporose
und gelangte zu dem Ergebnis, die Klägerin könne täglich noch leichte körperliche Frauenarbeiten in geschlossenen Räumen unter Ausschluss von Hitze, Kälte, Feuchtigkeit und Zugluft im Wechsel der drei Haltungsarten oder überwiegend im Sitzen verrichten. Einseitige körperliche Belastungen, insbesondere der Wirbelsäule und der Beine sowie der Arme seien zu vermeiden. Gleiches gelte für Arbeiten unter Zeitdruck wie Akkord- und Fließbandtätigkeiten. Arbeiten an laufenden Maschinen seien nicht zumutbar, das Heben und Tragen von Lasten solle auf 5 kg beschränkt werden. Wechselschichten unter Ausschluss von Nachtschichten seien der Klägerin zumutbar, nicht jedoch das Arbeiten auf Leitern und Gerüsten. Arbeiten, die eine Fingergeschicklichkeit voraussetzten, seien aufgrund des beidseitigen Kompressionssyndroms der Handnerven nicht zumutbar. An die Belastbarkeit der Wirbelsäule, der Arme und der Beine könnten keine Anforderungen gestellt werden. Geistige Arbeiten könne die Klägerin ihrem Ausbildungsstand entsprechend verrichten. Die festgestellten Leiden wirkten sich nicht auf das Sehvermögen, das Reaktionsvermögen und die Kontaktfähigkeit aus. Die Auffassungsgabe, die Entschluss- und Verantwortungsfähigkeit seien in Bezug auf einfache Arbeiten nicht reduziert, ebenso wenig Lern- und Merkfähigkeit sowie das Gedächtnis. Die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit sei nicht herabgesetzt. Die Klägerin könne auch ohne Begleitung viermal täglich Wegstrecken von mehr als 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand zu Fuß zurücklegen und zweimal täglich öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzen. Das verbliebene Leistungsvermögen reiche noch für die volle übliche Arbeitszeit von acht Stunden täglich aus. Die üblichen Pausen seien ausreichend.
Zu diesem Gutachten hat die Klägerin geltend gemacht, im Hinblick auf das festgestellte Schmerzempfinden sei ihre Wegefähigkeit aufgehoben. Sie leide in U- und S–Bahnen sowie in Aufzügen unter Platzangst und könne allenfalls noch den Bus benutzen. Dazu hat die Klägerin ein Attest der orthopädischen Gemeinschaftspraxis Dr. M vom 30. Oktober 2002 eingereicht, in dem es heißt, aus orthopädischer Sicht liege bei der Klägerin eine erhebliche Minderung der Erwerbsfähigkeit vor.
Mit Urteil vom 15. November 2002 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung der Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, bisheriger Beruf der Klägerin sei der einer Hauswartin. Diesen könne sie zwar aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben, sie sei gleichwohl weder erwerbs- noch berufsunfähig, weil sie mit dem ihr verbliebenen Leistungsvermögen eine Tätigkeit als Pförtnerin vollwertig verrichten könne. Hinsichtlich der Beurteilung des Gesundheitszustandes der Klägerin ist das Sozialgericht den Ausführungen des Sachverständigen Dr. B gefolgt. Es habe keine Verlassung bestanden, weitere Gutachten von Amts wegen einzuholen, denn die von Dr. B erhobenen Diagnosen und das daraus resultierende Leistungsvermögen der Klägerin stimme im Wesentlichen mit den Feststellungen der Gutachter im Verwaltungsverfahren überein. Die im Attest der behandelnden Orthopäden vom 30. Oktober 2002 genannten Diagnosen seien bereits im Rahmen der gutachterlichen Untersuchungen berücksichtigt worden.
Gegen das ihr am 08. Januar 2003 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit der am 04. Februar 2003 eingelegten Berufung. Zu deren Begründung macht sie geltend, der Zustand ihrer Hände habe sich verschlechtert. Im Vordergrund der Beschwerden stehe aber weiterhin ein Ganzkörperschmerz mit Angstattacken und Dysthymie. Da sie ohne ständige Begleitung U- und S–Bahnen nicht mehr benutzen und auch ein Kraftfahrzeug wegen ihrer Angstzustände nicht mehr führen könne, fehle es an einer Wegefähigkeit. Zudem habe Dr. B im Unterschied zur behandelnden Fachärztin zu Unrecht keine chronische Schmerzerkrankung diagnostiziert. Der Auffassung des behandelnden Arztes Dr. H, sie sei aus neurologisch–psychiatrischer (psychosomatischer) Sicht erwerbsunfähig, müsse gefolgt werden. Jedenfalls könne sie infolge der chronischen Schmerzerkrankungen keine Wechselschichtarbeiten mehr verrichten, so dass eine Pförtnertätigkeit bereits aus diesem Grunde ausscheide. Weiterhin hat sich die Klägerin auf ein Gutachten des Orthopäden Dr. S vom 05. September 2003 berufen, das in einem Verfahren noch dem SGB IX eingeholt worden ist, und in dem eine Gehfähigkeit von 415 Meter in 25 Minuten beschrieben wird.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. November 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 06. September 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2001 abzuändern und diese zu verurteilen, ihr seit 01. Oktober 2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat einen Operationsbericht der Charité (Operationsdatum 25. Februar 2002) sowie Befundberichte vom Arzt für Neurochirurgie Dr. B vom 22. August 2003, vom Arzt für Innere Medizin Dr. S vom 19. April 2004, von der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. O vom 21. April 2004 sowie von den Ärzten für Orthopädie Dr. M u. a. vom 13. Mai 2004, eingeholt. Nach Angaben von Dr. B leidet die Klägerin seit dem Beginn der Behandlung im Mai 1998 an einer Halswirbel- und Lendenwirbelsäulenblockierung ohne manifeste Ausfälle sowie einer rezidivierenden Kapaltunnel–Symptomatik beidseits. Seit 1998 sei keine wesentliche Änderung der Befunde eingetreten. Zudem hat der Senat ein orthopädisches Fachgutachten vom Chefarzt einer Klinik für Orthopädie Prof. Dr. S eingeholt. In seinem Gutachten vom 04. Februar 2005 hat der Sachverständige angegeben, auf orthopädischen Fachgebiet leide die Klägerin an einer erheblichen Minderung der Trag- und Bewegungsfunktion des Rumpfes auf der Basis von ausgeprägten Verschleißerscheinungen sowie einem Wirbelgleiten L4/5 mit Neigung zu Rückenmark- und Nervenwurzelirritationen, einer schmerzhaften Bewegungsbeeinträchtigung beider Schultergelenke aufgrund eines chronisch – entzündlichen Reizzustandes der Schultergürtelmuskulatur, Verschleißerscheinungen am rechten Kniegelenk (die Minisci und das Kniescheibengleitlager betreffend) sowie einer ausgeprägten Fußfehlform im Sinne eines Senk–Spreiz, Knickfußes mit Fehlstellung der Großzehen in der Grundgelenken und Ballenbildung (linksseitig mit Neigung zu entzündlichen Reizzuständen). Diese Erkrankungen wirkten sich aus orthopädischer Sicht auf das Leistungsvermögen der Klägerin in der Gestalt aus, dass sie Tätigkeiten von wirtschaftlichem Wert aufgrund der erheblich verminderten Belastbarkeit der Wirbelsäule nicht mehr verrichten könne. Auch für halbschichtige Tätigkeiten könne ein vernünftiges Arbeitsplatzprofil nicht erstellt werden. Es fehle bereits an der Wegefähigkeit. Die Klägerin sei nicht mehr in der Lage, viermal täglich Arbeitswege von mehr als 500 m Länge zurückzulegen. Zudem könne die Klägerin aufgrund der Wirbelsäulenbeschwerden keine Tätigkeiten im Gehen und Stehen mehr ausüben. Eine rein sitzende Tätigkeit könne jedoch ebenfalls nicht empfohlen werden, da diese die Beschwerdesymptomatik der Lendenwirbelsäule steigern würde. Auch durch einen Wechsel der Körperhaltungen könne die Situation nicht günstig beeinflusst werden. Gegenüber früheren Untersuchungen hätten nunmehr neurologische Ausfallerscheinungen deutlich verifiziert werden können. Im Vergleich zur Begutachtung durch Dr. B habe sich die Situation deutlich verschlechtert. Es sei gerechtfertigt, von einem aufgehobenen Leistungsvermögen seit der Untersuchung durch Dr. S am 05. September 2003 auszugehen. Bereits in dessen Gutachten seien die für das Leistungsvermögen relevanten Einschränkungen beschrieben worden. Eine begründete Aussicht, dass die Leistungsminderung ganz oder teilweise behebbar sei, bestehe nicht. Ein weiteres Gutachten zur Bestimmung des Leistungsvermögens der Klägerin hat der Gutachter nicht für erforderlich gehalten.
Nachdem die Beklagte den gutachterlichen Feststellungen mit Stellungnahmen ihres arbeitsmedizinischen Dienstes vom 21. Februar und 27. April 2005 (vom Chirurgen und Internisten Dr. S) entgegengetreten ist, hat der Senat den Sachverständigen Prof. Dr. S zu einer ergänzenden Stellungnahme zu den Einwendungen der Beklagten aufgefordert. Unter dem 17. August 2005 hat der Sachverständige mitgeteilt, aufgrund des Vorbringens der Beklagten sehe er sich nicht veranlasst, seine Beurteilung zu ändern. Dem ist die Beklagte durch zwei weitere Stellungnahmen von Dr. S vom 06. September und 06. Oktober 2005 erneut entgegengetreten.
Die die Klägerin betreffenden Rentenakten der Beklagten sowie die Prozessakten des Sozialgerichts Berlin zum Aktenzeichen S 22 RJ 1558/01 haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und teilweise begründet. Die Klägerin hat vom 01. Oktober 2003 an Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch 6. Buch – SGB VI – in der seit dem 01. Januar 2001 geltenden Fassung.
Der Senat war nicht gehindert, über eine derartige Rente zu entscheiden, obwohl die Beklagte nicht ausdrücklich mittels einer entsprechenden Verwaltungsentscheidung eine Rente wegen voller- oder teilweiser Erwerbsminderung abgelehnt hat. Die - aufgrund eines noch unter der alten Rechtslage gestellten und beschiedenen Antrags - auf Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit gerichtete Klage erstreckt sich nach der Rechtsänderung zum 01. Januar 2001 auch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach neuem Recht. Mit einer solchen Klage kann zulässiger Weise auch dann eine Rente wegen Erwerbsminderung begehrt werden, wenn über die Leistungsvoraussetzungen nach neuem Recht keine Verwaltungsentscheidung der Behörde ergangen ist. Denn mit der Ablehnung einer Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit sind auch die Voraussetzungen für eine Leistung nach § 43 SGB VI neuer Fassung verneint worden (vgl. Bundessozialgericht – BSG – Urteil vom 17. Februar 2005 Az.: B 13 RJ 31/04 R).
Nach § 43 Abs. 2 SGB VI in der seit dem 01. Januar 2001 geltenden Fassung haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Diese Voraussetzungen werden von der Klägerin vollumfänglich erfüllt. Sie hat die allgemeine Wartezeit zurückgelegt und nach dem von der Beklagten zu den Gerichtsakten gereichten Versicherungsverlauf liegen auch für einen 2003 eingetretenen Versicherungsfall ausreichend zeitnahe Beiträge vor, weil im maßgeblichen Fünfjahreszeitraum unter anderem die Zeit vom 01. Januar 2000 bis 31. Dezember 2002 durchgehend mit - 3 Jahren - Pflichtbeiträgen belegt ist.
Nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Senats konnte auch der Nachweis erbracht werden, dass die Klägerin seit dem 05. September 2003 (Untersuchung durch den Arzt Dr. S im Verfahren S 40 SB 2464/02) voll erwerbsgemindert ist. Unter Zugrundelegung dieses Versicherungsfalls steht ihr damit eine Rente vom 01. Oktober 2003 an zu (vgl. § 99 Abs. 1 SGB VI).
Der Senat folgt der Einschätzung des Leistungsvermögens der Klägerin durch Prof. Dr. S in seinem Gutachten vom 04. Februar 2005. Der Sachverständige hat nach eigener Untersuchung und unter Berücksichtigung sämtlicher aktenkundiger Vorbefunde die Erkrankungen der Klägerin sowie deren Auswirkungen auf das Leistungsvermögen für den Senat nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei beschrieben. Danach leidet die Klägerin an einer erheblichen Minderung der Trag- und Bewegungsfunktion des Rumpfes aufgrund von Aufbrauchserscheinungen der Bandscheiben und der die Wirbelkörper verbindenden Gelenke im Bereich der gesamten Hals- und Brustwirbelsäule sowie im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule. Aufgrund dieser Diagnose ist er zu der Einschätzung gelangt, die Klägerin könne keine Tätigkeiten von wirtschaftlichem Wert mehr verrichten. Diese sachverständige Beurteilung des Leistungsvermögens ist für den Senat gut nachvollziehbar, denn es ist einleuchtend, dass bei den diagnostizierten erheblichen Aufbrauchserscheinungen der Hals- und Lendenwirbelsäule – in beiden Bewegungssegmenten mit Neigung zu Irritationen des Rückmarkes bzw. der Nervenwurzeln –Tätigkeiten im Gehen und Stehen nicht zumutbar sind und auch eine rein sitzende Arbeit aufgrund der Situation der Lendenwirbelsäule nicht in Betracht kommt, weil sie ebenfalls zu einer Verschlechterung der Beschwerdesymptomatik führen würde. Liegen bereits aus diesem Grunde die Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente vor, konnte offen bleiben, ob die Klägerin krankheitsbedingt auch nicht in der Lage ist, die üblichen Wege zur Arbeitsstelle (vgl. BSG SozR 3 – 2200 § 1247 Nr. 10) zurückzulegen.
Die gegen die Leistungsbeurteilung durch Prof. Dr. S von der Beklagten vorgebrachten Einwendungen vermögen nicht zu überzeugen. Soweit die Beklagte darauf hinweist, Schmerzen seien als subjektive Empfindungen nur schwer objektivierbar und dürften daher nicht hauptsächlicher Grund für eine Berentung sein, wenn nicht aufgrund einer körperlichen Untersuchung und sonstiger Anhaltspunkte (Tagesstruktur, Schmerzmittelgebrauch) Nachweise für einen hohen Leidensdruck vorlägen, ist ihr entgegenzuhalten, dass der Sachverständige die Klägerin auch ausgiebig körperlich untersucht und Vorbefunde sowie ein aus Anlass der Begutachtung erstelltes radiologisches Zusatzgutachten mit berücksichtigt hat. Seine Meinungsbildung zum Leistungsvermögen beruht somit nicht ausschließlich auf den Angaben der Klägerin, sondern auf einer Gesamtbewertung der bildgebenden Diagnostik, ausführlichen körperlichen Untersuchung und sämtlicher Vorbefunde. Deshalb überzeugt auch der Einwand der Beklagten, die vom Sachverständigen erhobenen Messbefunde belegten lediglich eine mittelgradige Funktionsbeeinträchtigung, nicht. Denn eine überzeugende sachverständige Leistungseinschätzung hat stets unter Berücksichtigung sämtlicher möglicher Beurteilungskriterien zu erfolgen. Ebenso wie die bildgebende Diagnostik allein sagen auch einzelne Messbefunde regelmäßig wenig über das verbliebene Restleistungsvermögen aus. Zutreffend weist der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 17. August 2005 deshalb auch darauf hin, dass durch das alleinige Ermitteln von Winkelgraden die Belastbarkeit des Bewegungsapparates nicht hinreichend gewürdigt werden kann.
Wenig überzeugend ist auch der Einwand der Beklagten, die Vorgutachter und insbesondere Dr. B hätten noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen festgestellt. Vom Sachverständigen Prof. Dr. S ist nämlich dargelegt worden, dass sich die Situation im Vergleich zur Begutachtung durch den Neurologen und Psychiater Dr. B im März 2002 deutlich verschlechtert hat. Auf frühere Untersuchungsergebnisse kann deshalb nur noch eingeschränkt zurückgegriffen werden.
Auch im Übrigen sind keine Gründe ersichtlich, dem sorgfältig begründeten Sachverständigengutachten von Prof. Dr. S nicht zu folgen. Dies gilt auch hinsichtlich seiner Einschätzung des Eintritts des Leistungsfalls.
Der Senat sah sich nicht gedrängt, weitere medizinische Ermittlungen durchzuführen. Der Sachverständige Prof. Dr. S hat nicht angeregt, ein weiteres Gutachten zur Bestimmung des Leistungsvermögens der Klägerin einzuholen. Soweit die Beklagte einwendet, wegen der Schmerzproblematik sei eine nervenärztliche Begutachtung vorrangig, ist ihr entgegenzuhalten, dass von dem erfahrenen Gerichtsgutachter Prof. Dr. S auch neurologische Befunde erhoben worden sind (vgl. seine ergänzende Stellungnahme vom 17. August 2005). Die Notwendigkeit einer psychiatrischen Unersuchung vermag auch der Senat nicht zu sehen, denn wenn die Beschwerden der Klägerin bereits durch orthopädisch–neurologische Diagnosen erklärbar sind, ist eine ergänzende psychiatrische Begutachtung überflüssig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz – SGG –.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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