Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 25 U 232/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 9/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 05. November 2004 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung und Entschädigung der Wirbelsäulenerkrankung der Klägerin als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Die 1951 geborene Klägerin durchlief nach ihren Angaben von September 1968 bis August 1970 eine Ausbildung zur Säuglings- und Kinderkrankenschwester im Krankenhaus M und von 1970 bis 1973 eine Ausbildung zur Physiotherapeutin in der Uklinik in H. Von Oktober 1973 bis März 1974 war sie als Krankenschwester in einer Hals-Nasen-Ohren-Klinik tätig. Von September 1974 bis Januar 1976 arbeitete sie als stellvertretende Leiterin der physiotherapeutischen Abteilung der Betriebspoliklinik der B –Werke. Von 1976 bis Januar 1991 verrichtete sie Tätigkeiten als Materialplanerin, Buchhalterin, Energetikerin und war bei Büro- und Lagerarbeiten in einem Großhandel eingesetzt. Von Januar bis Oktober 1991 übernahm sie die Aufgaben einer Schwester in einem privaten Seniorenheim. Ab 10. Oktober 1991 bis zu ihrer Erkrankung im November 1999 arbeitete sie als Betreuerin einer Klasse für körperbehinderte Kinder und Jugendliche an der T-L-Schule.
Die D Krankenkasse () erstattete am 04. Februar 2000 bei der Beklagten eine Anzeige wegen des Verdachts einer Berufskrankheit, da die Klägerin ab 05. November 1999 wegen einer Lumboischialgie links bei spinaler Stenose und Protrusion arbeitsunfähig erkrankt sei.
Im Feststellungsverfahren gab die Klägerin in dem entsprechenden Fragebogen der Beklagten an, seit 1991 durch das schwere Heben und Tragen von Senioren Schmerzen und Beschwerden in der Lenden- und Halswirbelsäule verspürt zu haben. Die Erkrankung sei auf das ständige Heben und Tragen von schwerbehinderten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen und auf die Zwangshaltung der Lendenwirbelsäule im pflegerischen Bereich zurückzuführen. Sie gab unter rechnerischer Darstellung der Belastungen an, im Schnitt 3100 kg (=62 Zentner) pro Tag gehoben zu haben. Zum Nachweis ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen legte sie eine Vielzahl von ärztlichen Unterlagen vor.
Laut CT-Befund der Lendenwirbelsäule vom 17. Mai 1999 der radiologischen Praxis Dres. H und K zeigte sich eine unauffällige Höhe des Intervertebralraumes L3/4 und L4/5 sowie ein kompressionsfreier Verlauf des Duralsackes in diesen Segmenten. Bei L5 /S1 lag eine fortgeschrittene Osteochondrose mit ausgeprägtem Vakuumphänomen der Bandscheibe sowie links eine intraforaminale Spondylose mit deutlicher knöcherner Einengung des Foramen intervertebrale links bei L5/S1 und beginnende Retrospondylose mit begleitender Protrusion der Bandscheibe vor. Auch das CT der Lendenwirbelsäule vom 30. August 1999, C, Strahlenklinik und Poliklinik des Campus V-Klinikum, wies unverändert einen rechtsseitig intraspinal vorliegenden Bandscheibenprolaps in Höhe LWK5/S1 mit Sequestration nach kaudal und Bedrängung des Duralsackes auf. Die übrigen Bandscheibenetagen stellten sich unauffällig dar. Die Klägerin legte u.a. den Heilverfahrenentlassungsbericht der P-O Klinik B G vom 24. August 2000 vor. Die Entlassungsdiagnosen lauteten: 1. chronische Lumboischialgie beiderseits bei Bandscheibenprolaps L5/S1 2. chronische Zervicobrachialgie beiderseits 3. psychovegetative Überlagerung.
Die Beklagte veranlasste eine gutachterliche Stellungnahme von Dr. med. W R, Facharzt für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin, vom 06. November 2000, der die Voraussetzung zur Anerkennung einer Berufskrankheit Nr. 2108 als fraglich ansah, da weder mehrere Bewegungselemente der LWS - wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung - betroffen seien noch ein zeitlicher Zusammenhang vorliege und die arbeitstechnischen Voraussetzungen unklar seien. Zunächst sollten die arbeitstechnischen Voraussetzungen abgeklärt werden und im Falle ihres Vorliegens sei eine Begutachtung zu empfehlen.
Die Beklagte veranlasste die Einholung eines Fragebogens zu Erkrankungen der Wirbelsäule durch das Landesschulamt vom 14. Dezember 2000, der eine Arbeitsplatzbeschreibung für Betreuer in Klassen / Schulen für Körperbehinderte beigefügt war.
Sie holte weiterhin eine Stellungnahme vom 24. Juli 2001 von der Abteilung Prävention zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen ein. In dem Bericht wurde aufgrund eines Gespräches mit der Klägerin vom 03. Mai 2001 und einer Besichtigung des Betriebes am 04. Mai 2001 festgestellt, dass die Klägerin acht Kinder im Alter zwischen sieben und siebzehn Jahren, die zwischen 24 und 49 Kilogramm wogen, betreute und hierbei rechnerisch im Durchschnitt sechs Hebevorgänge pro Tag durchgeführt wurden. Nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) sei für den Bereich Pflege als Mindestvoraussetzung erforderlich, dass Lastgewichte von mindestens 7,5 Kilogramm für Frauen bei einer beruflichen Belastungsdauer von mindestens 7 Jahren gehoben und getragen worden sein müssen, wobei pro Arbeitsschicht 50 Lastenmanipulationen bei Hebe und Tragevorgängen mit Trageentfernungen von maximal fünf Metern und / oder Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung mit einer Mindestdauer von dreißig Minuten vorgelegen haben müssen. Hierbei seien sechzehn Hebevorgänge bei Erwachsenen (75 kg Durchschnittsgewicht) und 40 Hebevorgänge beim Umgang mit Schülern bis 14 Jahren (37,5 kg Durchschnittsgewicht) erforderlich. Die belastende Tätigkeit habe mindestens in 110 Arbeitsschichten pro Jahr bei Vollzeitkräften vorliegen müssen. Abschließend wurde ausgeführt, die Klägerin habe zwar wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten ausgeübt, wobei drei der vier Mindestvoraussetzungen des MDD-Modells als gegeben angesehen würden. Selbst unter der Annahme, dass einige Schüler vom Gewicht her Erwachsenen gleichgestellt werden müssten, reiche die Anzahl der Hebevorgänge von durchschnittlich sechs pro Arbeitstag nicht aus, die Eingangsvoraussetzungen zu erfüllen. Die Klägerin habe während ihrer Tätigkeit als Betreuerin in der T-L-Schule keine gefährdende Tätigkeit im Sinne des Merkblattes zur Berufskrankheit Nr. 2108 ausgeführt.
In ihrer Stellungnahme vom 06. September 2001 führte die Gewerbeärztin U, Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit Berlin aus, eine Anerkennung als entschädigungspflichtige Berufskrankheit könne nicht erfolgen, weil weder die medizinischen Kriterien der Berufskrankheit Nr. 2108 noch eindeutig BK-relevante Belastungen als verursachend und unterhaltend mit der vom Gesetzgeber zu fordernden Sicherheit nachgewiesen worden seien.
Mit Bescheid vom 13. März 2002 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung aus Anlass der Wirbelsäulenerkrankung nach § 9 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebentes Buch (SGB VII) iVm. mit Nr. 2108 der Anlage zur BKV ab, da nach dem Ergebnis des Feststellungsverfahrens kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der versicherten Tätigkeit bestehe. Art, Form und Krankheitsverlauf ließen es nicht hinreichend wahrscheinlich erscheinen, dass die Wirbelsäulenerkrankung ursächlich durch die versicherte Tätigkeit entstanden oder richtunggebend verschlimmert worden sei.
Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin u.a. geltend, es sei völlig unrealistisch, dass die vom Gesetzgeber geforderten Belastungen bei ihrer Tätigkeit als Betreuerin nicht nachgewiesen worden seien. Sie verwies auf eine vom Senat veranlasste Studie des Arbeitsmedizinischen Dienstes vom Herbst 1999 durch Frau Dr. Gr. Bei zahlreichen Mitarbeitern seien infolge der hohen Belastung, durch Überlastung wegen permanenter Unterbesetzung, durch fehlendes sowie erkranktes Personal gehäuft Wirbelsäulen- und Bandscheibenprobleme aufgetreten.
Zur weiteren Aufklärung der Zusammenhangsfrage veranlasste die Beklagte ein fachorthopädisches Gutachten von Prof. Dr. PDr. P-Klinik W, Orthopädische Abteilung, vom 03. Februar 2003. Die Sachverständigen gelangten unter Zugrundelegung der Diagnose "chronisches lumbales Pseudoradikulär-Syndrom bei NPP L5/S1 links und konsekutivem Segmentaufbrauch L5/S1" zu dem abschließenden Ergebnis, nach gutachterlicher Erfahrung und Auswertung der einschlägigen medizinischen Fachliteratur sei die Entstehung bzw. die Exazerbation der Beschwerden seit 1999 nicht berufsbedingt, da eine stärkere berufliche Exposition zu einem multisegmentalen Bandscheibenschaden bzw. zu einem mehretagigen konsekutiven Segmentaufbrauch hätte führen müssen, der bei der Klägerin nicht vorliege. Eine berufbedingte Erkrankung sei abzulehnen und das Vorliegen einer Berufskrankheit Nr. 2108 zu verneinen. Diese Aussage werde durch den Sachverhalt unterlegt, dass Rückenbeschwerden nach Angaben der Klägerin zum Untersuchungszeitpunkt akut und mit dieser Ausprägung erst seit 1999 bestanden hätten. Auch ohne jegliche berufliche Exposition seien die Beschwerden in unverminderter Form als weiter bestehend angegeben worden. Auch dieser Sachverhalt spreche gegen eine berufsbedingte Verursachung der Lendenwirbelsäulenerkrankung.
Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13. März 2003 als unbegründet zurück. Sie führte u.a. aus, nach dem fachorthopädischen Gutachten von Prof. Dr. P / Dr. S habe ein belastungskonformes Krankheitsbild nicht nachgewiesen werden können. Obwohl an Hand der bildgebenden Diagnostik eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Segment L5/S1 bestätigt worden sei, fehlten belastungsadaptive Anpassungsreaktionen in den benachbarten Segmenten der Lendenwirbelsäule. Nur diese wären ein hinreichendes Indiz dafür, dass der monosegmentale Bandscheibenschaden im Bereich L5/S1 durch eine berufliche Belastung entstanden sein könnte. Diese Auffassung werde auch dadurch bestätigt, dass die Rückenbeschwerden nach Angaben der Klägerin bei der Untersuchung durch Dr. S akut und in dieser Ausprägung erst seit 1999 bestanden hätten und auch ohne berufliche Exposition in unverminderter und sogar sich verschlechternder Form weiter beständen.
Mit der hiergegen erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren auf Anerkennung der Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit weiter verfolgt.
Das Sozialgericht hat durch Gerichtsbescheid vom 05. November 2004 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108 seien nicht erfüllt. Das Anforderungsprofil der Beschäftigung der Klägerin als Betreuerin für körperbehinderte Schüler sei durch ihre ausführliche Arbeitsplatzschilderung, die Arbeitsplatzbeschreibung des Landesschulamtes für Betreuer in Klassen und Schulen für Körperbehinderte vom 14. Dezember 2000 und die Stellungnahme der Präventionsabteilung vom 24. Juli 2001 vermittelt worden. Danach habe die Klägerin als Betreuerin zwar eine wirbelsäulenbelastende Tätigkeit ausgeführt. Allerdings reiche die von der Abteilung Prävention festgestellte Hebebelastung für die Eingangsvoraussetzungen des MDD-Modells nicht aus. Auch die Erfüllung der medizinischen Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108 sei nicht hinreichend wahrscheinlich. Das Gericht folge insoweit der Begründung im angefochtenen Widerspruchsbescheid. Ergänzend sei anzumerken, dass ein monosegmentaler Bandscheibenschaden kein Ausschlusskriterium für das Vorliegen der Berufskrankheit Nr. 2108 darstelle, jedoch ein Indiz sei, das gegen die Erfüllung des Ursachenzusammenhanges spreche. Belastungsadaptive Reaktionen hätten nicht objektiviert werden können.
Gegen den am 16. Dezember 2004 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 12. Januar 2005 eingelegte Berufung der Klägerin. Sie trägt zur Begründung u.a. vor, das Sozialgericht habe anhand theoretischer epidemiologischer Erkenntnisse das Belastungsprofil errechnet, dem sie äußerst skeptisch gegenüber stände, da die Verhältnisse des Einzelfalles nicht hinreichend gewürdigt worden seien. Aufgrund einer Häufung von Wirbelsäulenerkrankungen der Mitarbeiter an ihrer Schule habe der Senat im Herbst 1999 eine Studie durch den Arbeitsmedizinischen Dienst veranlasst. Im Ergebnis dieser Studie sei festgestellt worden, dass die wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten an der Schule so deutlich erhöht waren, dass zusätzliche Erzieherstellen bewilligt worden seien. Die Arbeitsplatzstudie der Beklagten, die aus Anlass der Berufskrankheitenmeldung erfolgt sei, habe erst stattgefunden, als die Arbeitsbedingungen durch die vom Senat in Auftrag gegebene Studie bereits verbessert worden seien. Im Übrigen spreche das festgestellte Wirbelsäulenleiden bei L5/S1 für eine berufliche Verursachung. Die oberen Abschnitte der Wirbelsäule seien nicht betroffen. Es habe auch ein Expositionszeitraum von zehn Jahren aufgrund der übermäßigen Belastung während ihrer Tätigkeit an der T-L-Schule bestanden. Konkurrierende Ersatzursachen aus dem privaten Bereich lägen nicht vor. Bei ihr bestehe ein Schadensbild an der Wirbelsäule, welches nicht dem Schadensbild gleichaltriger Frauen in der allgemeinen Bevölkerung entspreche.
Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 05. November 2004 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. März 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2003 zu verurteilen, ihre Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf die Ausführungen des Gerichtsbescheides.
Der Senat hat die Beklagte veranlasst, eine konkrete Gefährdungsbeurteilung anhand der Berechnungen nach dem MDD-Modell vorzunehmen. In der arbeitstechnischen Stellungnahme vom 03. Juni 2005 hat die Abteilung Prävention unter Darlegung der Berechnungsmodelle für die einzelnen Zeitabschnitte festgestellt, dass die Dosiswerte in keinem der Zeitabschnitte überschritten worden seien. Soweit die Beurteilungsdosis von 3.500 Nh für Frauen nicht überschritten worden sei, seien diese Zeiträume als Expositionsjahre im MDD-Modell nicht berücksichtigt worden.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Akteninhalt verwiesen. Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten lagen dem Senat vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch nicht begründet. Ihr steht, wie das Sozialgericht zu Recht entschieden hat, ein Anspruch auf Anerkennung ihrer Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten -Verordnung ( BKV) nicht zu.
Die Voraussetzungen des hierfür allein als Rechtsgrundlage in Betracht kommenden § 9 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebentes Buch (SGB VII) in Verbindung mit der vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage zur BKV sind nicht erfüllt.
Hiernach sind bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit anzusehen, die durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung entstanden sind, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Für die Anerkennung einer Erkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 2108 muss bei der Versicherten mithin eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vorliegen, die durch das langjährige berufsbedingte Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige berufsbedingte Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung (arbeitstechnische Voraussetzungen) entstanden ist. Die Erkrankung muss den Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben, und als Konsequenz aus diesem Zwang muss die Aufgabe dieser Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein (BSG SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2). Für das Vorliegen des Tatbestandes der BK ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich.
Im vorliegenden Fall sind die arbeitstechnischen Voraussetzungen (haftungsbegründende Kausalität) für die Entstehung der Berufskrankheit Nr. 2108 nicht erfüllt. Das ergibt sich aus der Stellungnahme der Abteilung Prävention vom 03. Juni 2005, die auf Grund der Angaben der Klägerin eine Belastungsberechnung nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) vorgenommen hat. Es bestehen nach Auffassung des Senates keine durchgreifenden Bedenken gegen die Anwendung des MDD zur Prüfung der arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteile vom 18. März 2003 - B 2 U 13/02 R -, 19. August 2003 - B 2 U 1/02 R -), der sich der Senat angeschlossen hat (vgl. Urteile vom 11. November 2004 - L 3 U 1/03 - und 03. März 2005 - L 3 U 117/02 -), stellt das MDD ein zumindest derzeit geeignetes Modell dar, um die kritische Belastungsdosis eines Versicherten durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten für eine Arbeitsschicht und für das gesamte Berufsleben zu ermitteln und in Bezug zu einem Erkrankungsrisiko zu setzen. Es orientiert sich an medizinischen Erfahrungstatsachen, die sich auf die in epidemiologischen Studien über besonders belastete Berufe (Pflege, Bau, Transport) gewonnenen Werte stützen. Es knüpft an die in dem vom zuständigen Bundesministerium für Arbeit herausgegebenen Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur Berufskrankheit Nr. 2108 getroffenen Vorgaben der Langjährigkeit und der nach Geschlecht und Lebensalter differenziert bestimmten Mindestlastgewichte an. Das Herausfiltern von Hebe- und Tragetätigkeiten aus dem Tätigkeitsfeld des Betroffenen, bei welchem ein geschlechtsspezifischer Belastungsgrenzwert (Druckkraft bei L5/S1) erreicht bzw. überschritten wird, entspricht dem Grundprinzip dieser Berufskrankheit. Bei der Anwendung dieses Verfahrens konzentriert sich die individuelle Kausalitätsprüfung, soweit es sich um das Kriterium "Schädigungspotential" der äußeren Einwirkung handelt, im wesentlichen auf die nach diesem Verfahren ermittelte Gesamtbelastungsdosis, als deren Maßstab der so genannte Beurteilungsrichtwert gilt.
Nach dem MDD sind bei Männern nur Hebe- und Tragevorgänge zu berücksichtigen, die zu einer Druckkraft von 3.200 Newton (N) auf die Bandscheibe L5/S1 pro Arbeitsschicht führen. Bei Frauen beträgt dieser Richtwert 2.500 N. Diese Hebe- und Tragevorgänge werden unter Einbeziehung ihrer zeitlichen Dauer pro Arbeitstag aufaddiert. Wenn sie eine Tagesdosis von 5.500 Nh bei Männern und 3.500 Nh bei Frauen überschreiten, wird dieser Arbeitstag als wirbelsäulenbelastend angesehen und für die weitere Berechnung berücksichtigt. Bei einer Summe der Werte dieser belastenden Arbeitstage (Gesamtdosis) von über 17 MNh für Frauen wird das Vorliegen einer Einwirkung im Sinne der Berufskrankheit Nr. 2108 bejaht. Diese Werte sind keine Grenzwerte, sondern Orientierungswerte, die eine Hilfe bei der Beurteilung des medizinischen Zusammenhangs zwischen versicherter Einwirkung und Erkrankung darstellen.
Die auf Grund der dokumentierten detaillierten Angaben der Klägerin und ihrer Beschreibung der Arbeitsabläufe vorgenommene Berechnung hat ergeben, dass die Orientierungswerte in keinem Zeitabschnitt der angeschuldigten Tätigkeit von 1991 bis 1999 überschritten worden sind. Nach dem MDD sind als Mindestvoraussetzungen zu fordern, dass 50 Lastenmanipulationen mit Gewichten von mehr als 7,5 kg in 110 Arbeitsschichten im Jahr mindestens sieben Jahre lang erfolgt sein müssen. Nach den Aufzeichnungen der Klägerin sind jedoch pro Arbeitsschicht sechs bis zehn Hebevorgänge erfolgt. Es ist eine tägliche Belastungsdosis von 2062 Nh ermittelt worden, sodass die für Frauen zu fordernde Mindestbelastungsdosis von 3.500 Nh nicht erreicht worden ist.
Da bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser Berufskrankheit nicht erfüllt sind, kommt es auf das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen nicht mehr an. Allerdings sind auch diese Voraussetzungen laut fachorthopädischem Gutachten von Prof. Dr. P / Dr. S, Pklinik W, vom 03. Februar 2003 nicht gegeben. Die Gutachter sind unter Zugrundelegung der Diagnose "chronisches lumbales Pseudoradikulär-Syndrom bei NPP L5/S1 links und konsekutivem Segmentaufbrauch L5/S1" zu dem abschießenden Ergebnis gelangt, die Entstehung bzw. Exacerbation der Beschwerden seit 1999 sei nicht berufsbedingt, da eine stärkere berufliche Exposition zu einem multisegmentalen Bandscheibenschaden bzw. zu einem mehretagigen konsekutiven Segmentaufbrauch geführt hätte, der bei der Klägerin nicht vorliege. Sie verweisen darauf, dass nach Angaben der Klägerin die Beschwerden auch ohne jegliche berufliche Exposition in unverminderter Form als weiter bestehend angegeben worden seien. Auch dieser Sachverhalt spreche gegen eine berufsbedingte Verursachung der Lendenwirbelsäulenerkrankung. Der Senat schließt sich diesen Feststellungen und den hieraus gezogenen Schlussfolgerungen als nachvollziehbar, schlüssig und überzeugend an.
Bei dieser Sachlage ist eine berufliche Verursachung der Wirbelsäulenerkrankung im Sinne der Berufskrankheit Nr. 2108 als nicht überwiegend wahrscheinlich anzusehen.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung und Entschädigung der Wirbelsäulenerkrankung der Klägerin als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Die 1951 geborene Klägerin durchlief nach ihren Angaben von September 1968 bis August 1970 eine Ausbildung zur Säuglings- und Kinderkrankenschwester im Krankenhaus M und von 1970 bis 1973 eine Ausbildung zur Physiotherapeutin in der Uklinik in H. Von Oktober 1973 bis März 1974 war sie als Krankenschwester in einer Hals-Nasen-Ohren-Klinik tätig. Von September 1974 bis Januar 1976 arbeitete sie als stellvertretende Leiterin der physiotherapeutischen Abteilung der Betriebspoliklinik der B –Werke. Von 1976 bis Januar 1991 verrichtete sie Tätigkeiten als Materialplanerin, Buchhalterin, Energetikerin und war bei Büro- und Lagerarbeiten in einem Großhandel eingesetzt. Von Januar bis Oktober 1991 übernahm sie die Aufgaben einer Schwester in einem privaten Seniorenheim. Ab 10. Oktober 1991 bis zu ihrer Erkrankung im November 1999 arbeitete sie als Betreuerin einer Klasse für körperbehinderte Kinder und Jugendliche an der T-L-Schule.
Die D Krankenkasse () erstattete am 04. Februar 2000 bei der Beklagten eine Anzeige wegen des Verdachts einer Berufskrankheit, da die Klägerin ab 05. November 1999 wegen einer Lumboischialgie links bei spinaler Stenose und Protrusion arbeitsunfähig erkrankt sei.
Im Feststellungsverfahren gab die Klägerin in dem entsprechenden Fragebogen der Beklagten an, seit 1991 durch das schwere Heben und Tragen von Senioren Schmerzen und Beschwerden in der Lenden- und Halswirbelsäule verspürt zu haben. Die Erkrankung sei auf das ständige Heben und Tragen von schwerbehinderten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen und auf die Zwangshaltung der Lendenwirbelsäule im pflegerischen Bereich zurückzuführen. Sie gab unter rechnerischer Darstellung der Belastungen an, im Schnitt 3100 kg (=62 Zentner) pro Tag gehoben zu haben. Zum Nachweis ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen legte sie eine Vielzahl von ärztlichen Unterlagen vor.
Laut CT-Befund der Lendenwirbelsäule vom 17. Mai 1999 der radiologischen Praxis Dres. H und K zeigte sich eine unauffällige Höhe des Intervertebralraumes L3/4 und L4/5 sowie ein kompressionsfreier Verlauf des Duralsackes in diesen Segmenten. Bei L5 /S1 lag eine fortgeschrittene Osteochondrose mit ausgeprägtem Vakuumphänomen der Bandscheibe sowie links eine intraforaminale Spondylose mit deutlicher knöcherner Einengung des Foramen intervertebrale links bei L5/S1 und beginnende Retrospondylose mit begleitender Protrusion der Bandscheibe vor. Auch das CT der Lendenwirbelsäule vom 30. August 1999, C, Strahlenklinik und Poliklinik des Campus V-Klinikum, wies unverändert einen rechtsseitig intraspinal vorliegenden Bandscheibenprolaps in Höhe LWK5/S1 mit Sequestration nach kaudal und Bedrängung des Duralsackes auf. Die übrigen Bandscheibenetagen stellten sich unauffällig dar. Die Klägerin legte u.a. den Heilverfahrenentlassungsbericht der P-O Klinik B G vom 24. August 2000 vor. Die Entlassungsdiagnosen lauteten: 1. chronische Lumboischialgie beiderseits bei Bandscheibenprolaps L5/S1 2. chronische Zervicobrachialgie beiderseits 3. psychovegetative Überlagerung.
Die Beklagte veranlasste eine gutachterliche Stellungnahme von Dr. med. W R, Facharzt für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin, vom 06. November 2000, der die Voraussetzung zur Anerkennung einer Berufskrankheit Nr. 2108 als fraglich ansah, da weder mehrere Bewegungselemente der LWS - wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung - betroffen seien noch ein zeitlicher Zusammenhang vorliege und die arbeitstechnischen Voraussetzungen unklar seien. Zunächst sollten die arbeitstechnischen Voraussetzungen abgeklärt werden und im Falle ihres Vorliegens sei eine Begutachtung zu empfehlen.
Die Beklagte veranlasste die Einholung eines Fragebogens zu Erkrankungen der Wirbelsäule durch das Landesschulamt vom 14. Dezember 2000, der eine Arbeitsplatzbeschreibung für Betreuer in Klassen / Schulen für Körperbehinderte beigefügt war.
Sie holte weiterhin eine Stellungnahme vom 24. Juli 2001 von der Abteilung Prävention zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen ein. In dem Bericht wurde aufgrund eines Gespräches mit der Klägerin vom 03. Mai 2001 und einer Besichtigung des Betriebes am 04. Mai 2001 festgestellt, dass die Klägerin acht Kinder im Alter zwischen sieben und siebzehn Jahren, die zwischen 24 und 49 Kilogramm wogen, betreute und hierbei rechnerisch im Durchschnitt sechs Hebevorgänge pro Tag durchgeführt wurden. Nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) sei für den Bereich Pflege als Mindestvoraussetzung erforderlich, dass Lastgewichte von mindestens 7,5 Kilogramm für Frauen bei einer beruflichen Belastungsdauer von mindestens 7 Jahren gehoben und getragen worden sein müssen, wobei pro Arbeitsschicht 50 Lastenmanipulationen bei Hebe und Tragevorgängen mit Trageentfernungen von maximal fünf Metern und / oder Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung mit einer Mindestdauer von dreißig Minuten vorgelegen haben müssen. Hierbei seien sechzehn Hebevorgänge bei Erwachsenen (75 kg Durchschnittsgewicht) und 40 Hebevorgänge beim Umgang mit Schülern bis 14 Jahren (37,5 kg Durchschnittsgewicht) erforderlich. Die belastende Tätigkeit habe mindestens in 110 Arbeitsschichten pro Jahr bei Vollzeitkräften vorliegen müssen. Abschließend wurde ausgeführt, die Klägerin habe zwar wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten ausgeübt, wobei drei der vier Mindestvoraussetzungen des MDD-Modells als gegeben angesehen würden. Selbst unter der Annahme, dass einige Schüler vom Gewicht her Erwachsenen gleichgestellt werden müssten, reiche die Anzahl der Hebevorgänge von durchschnittlich sechs pro Arbeitstag nicht aus, die Eingangsvoraussetzungen zu erfüllen. Die Klägerin habe während ihrer Tätigkeit als Betreuerin in der T-L-Schule keine gefährdende Tätigkeit im Sinne des Merkblattes zur Berufskrankheit Nr. 2108 ausgeführt.
In ihrer Stellungnahme vom 06. September 2001 führte die Gewerbeärztin U, Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit Berlin aus, eine Anerkennung als entschädigungspflichtige Berufskrankheit könne nicht erfolgen, weil weder die medizinischen Kriterien der Berufskrankheit Nr. 2108 noch eindeutig BK-relevante Belastungen als verursachend und unterhaltend mit der vom Gesetzgeber zu fordernden Sicherheit nachgewiesen worden seien.
Mit Bescheid vom 13. März 2002 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung aus Anlass der Wirbelsäulenerkrankung nach § 9 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebentes Buch (SGB VII) iVm. mit Nr. 2108 der Anlage zur BKV ab, da nach dem Ergebnis des Feststellungsverfahrens kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der versicherten Tätigkeit bestehe. Art, Form und Krankheitsverlauf ließen es nicht hinreichend wahrscheinlich erscheinen, dass die Wirbelsäulenerkrankung ursächlich durch die versicherte Tätigkeit entstanden oder richtunggebend verschlimmert worden sei.
Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin u.a. geltend, es sei völlig unrealistisch, dass die vom Gesetzgeber geforderten Belastungen bei ihrer Tätigkeit als Betreuerin nicht nachgewiesen worden seien. Sie verwies auf eine vom Senat veranlasste Studie des Arbeitsmedizinischen Dienstes vom Herbst 1999 durch Frau Dr. Gr. Bei zahlreichen Mitarbeitern seien infolge der hohen Belastung, durch Überlastung wegen permanenter Unterbesetzung, durch fehlendes sowie erkranktes Personal gehäuft Wirbelsäulen- und Bandscheibenprobleme aufgetreten.
Zur weiteren Aufklärung der Zusammenhangsfrage veranlasste die Beklagte ein fachorthopädisches Gutachten von Prof. Dr. PDr. P-Klinik W, Orthopädische Abteilung, vom 03. Februar 2003. Die Sachverständigen gelangten unter Zugrundelegung der Diagnose "chronisches lumbales Pseudoradikulär-Syndrom bei NPP L5/S1 links und konsekutivem Segmentaufbrauch L5/S1" zu dem abschließenden Ergebnis, nach gutachterlicher Erfahrung und Auswertung der einschlägigen medizinischen Fachliteratur sei die Entstehung bzw. die Exazerbation der Beschwerden seit 1999 nicht berufsbedingt, da eine stärkere berufliche Exposition zu einem multisegmentalen Bandscheibenschaden bzw. zu einem mehretagigen konsekutiven Segmentaufbrauch hätte führen müssen, der bei der Klägerin nicht vorliege. Eine berufbedingte Erkrankung sei abzulehnen und das Vorliegen einer Berufskrankheit Nr. 2108 zu verneinen. Diese Aussage werde durch den Sachverhalt unterlegt, dass Rückenbeschwerden nach Angaben der Klägerin zum Untersuchungszeitpunkt akut und mit dieser Ausprägung erst seit 1999 bestanden hätten. Auch ohne jegliche berufliche Exposition seien die Beschwerden in unverminderter Form als weiter bestehend angegeben worden. Auch dieser Sachverhalt spreche gegen eine berufsbedingte Verursachung der Lendenwirbelsäulenerkrankung.
Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13. März 2003 als unbegründet zurück. Sie führte u.a. aus, nach dem fachorthopädischen Gutachten von Prof. Dr. P / Dr. S habe ein belastungskonformes Krankheitsbild nicht nachgewiesen werden können. Obwohl an Hand der bildgebenden Diagnostik eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Segment L5/S1 bestätigt worden sei, fehlten belastungsadaptive Anpassungsreaktionen in den benachbarten Segmenten der Lendenwirbelsäule. Nur diese wären ein hinreichendes Indiz dafür, dass der monosegmentale Bandscheibenschaden im Bereich L5/S1 durch eine berufliche Belastung entstanden sein könnte. Diese Auffassung werde auch dadurch bestätigt, dass die Rückenbeschwerden nach Angaben der Klägerin bei der Untersuchung durch Dr. S akut und in dieser Ausprägung erst seit 1999 bestanden hätten und auch ohne berufliche Exposition in unverminderter und sogar sich verschlechternder Form weiter beständen.
Mit der hiergegen erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren auf Anerkennung der Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit weiter verfolgt.
Das Sozialgericht hat durch Gerichtsbescheid vom 05. November 2004 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108 seien nicht erfüllt. Das Anforderungsprofil der Beschäftigung der Klägerin als Betreuerin für körperbehinderte Schüler sei durch ihre ausführliche Arbeitsplatzschilderung, die Arbeitsplatzbeschreibung des Landesschulamtes für Betreuer in Klassen und Schulen für Körperbehinderte vom 14. Dezember 2000 und die Stellungnahme der Präventionsabteilung vom 24. Juli 2001 vermittelt worden. Danach habe die Klägerin als Betreuerin zwar eine wirbelsäulenbelastende Tätigkeit ausgeführt. Allerdings reiche die von der Abteilung Prävention festgestellte Hebebelastung für die Eingangsvoraussetzungen des MDD-Modells nicht aus. Auch die Erfüllung der medizinischen Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108 sei nicht hinreichend wahrscheinlich. Das Gericht folge insoweit der Begründung im angefochtenen Widerspruchsbescheid. Ergänzend sei anzumerken, dass ein monosegmentaler Bandscheibenschaden kein Ausschlusskriterium für das Vorliegen der Berufskrankheit Nr. 2108 darstelle, jedoch ein Indiz sei, das gegen die Erfüllung des Ursachenzusammenhanges spreche. Belastungsadaptive Reaktionen hätten nicht objektiviert werden können.
Gegen den am 16. Dezember 2004 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 12. Januar 2005 eingelegte Berufung der Klägerin. Sie trägt zur Begründung u.a. vor, das Sozialgericht habe anhand theoretischer epidemiologischer Erkenntnisse das Belastungsprofil errechnet, dem sie äußerst skeptisch gegenüber stände, da die Verhältnisse des Einzelfalles nicht hinreichend gewürdigt worden seien. Aufgrund einer Häufung von Wirbelsäulenerkrankungen der Mitarbeiter an ihrer Schule habe der Senat im Herbst 1999 eine Studie durch den Arbeitsmedizinischen Dienst veranlasst. Im Ergebnis dieser Studie sei festgestellt worden, dass die wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten an der Schule so deutlich erhöht waren, dass zusätzliche Erzieherstellen bewilligt worden seien. Die Arbeitsplatzstudie der Beklagten, die aus Anlass der Berufskrankheitenmeldung erfolgt sei, habe erst stattgefunden, als die Arbeitsbedingungen durch die vom Senat in Auftrag gegebene Studie bereits verbessert worden seien. Im Übrigen spreche das festgestellte Wirbelsäulenleiden bei L5/S1 für eine berufliche Verursachung. Die oberen Abschnitte der Wirbelsäule seien nicht betroffen. Es habe auch ein Expositionszeitraum von zehn Jahren aufgrund der übermäßigen Belastung während ihrer Tätigkeit an der T-L-Schule bestanden. Konkurrierende Ersatzursachen aus dem privaten Bereich lägen nicht vor. Bei ihr bestehe ein Schadensbild an der Wirbelsäule, welches nicht dem Schadensbild gleichaltriger Frauen in der allgemeinen Bevölkerung entspreche.
Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 05. November 2004 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. März 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2003 zu verurteilen, ihre Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf die Ausführungen des Gerichtsbescheides.
Der Senat hat die Beklagte veranlasst, eine konkrete Gefährdungsbeurteilung anhand der Berechnungen nach dem MDD-Modell vorzunehmen. In der arbeitstechnischen Stellungnahme vom 03. Juni 2005 hat die Abteilung Prävention unter Darlegung der Berechnungsmodelle für die einzelnen Zeitabschnitte festgestellt, dass die Dosiswerte in keinem der Zeitabschnitte überschritten worden seien. Soweit die Beurteilungsdosis von 3.500 Nh für Frauen nicht überschritten worden sei, seien diese Zeiträume als Expositionsjahre im MDD-Modell nicht berücksichtigt worden.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Akteninhalt verwiesen. Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten lagen dem Senat vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch nicht begründet. Ihr steht, wie das Sozialgericht zu Recht entschieden hat, ein Anspruch auf Anerkennung ihrer Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten -Verordnung ( BKV) nicht zu.
Die Voraussetzungen des hierfür allein als Rechtsgrundlage in Betracht kommenden § 9 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebentes Buch (SGB VII) in Verbindung mit der vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage zur BKV sind nicht erfüllt.
Hiernach sind bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit anzusehen, die durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung entstanden sind, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Für die Anerkennung einer Erkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 2108 muss bei der Versicherten mithin eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vorliegen, die durch das langjährige berufsbedingte Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige berufsbedingte Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung (arbeitstechnische Voraussetzungen) entstanden ist. Die Erkrankung muss den Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben, und als Konsequenz aus diesem Zwang muss die Aufgabe dieser Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein (BSG SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2). Für das Vorliegen des Tatbestandes der BK ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich.
Im vorliegenden Fall sind die arbeitstechnischen Voraussetzungen (haftungsbegründende Kausalität) für die Entstehung der Berufskrankheit Nr. 2108 nicht erfüllt. Das ergibt sich aus der Stellungnahme der Abteilung Prävention vom 03. Juni 2005, die auf Grund der Angaben der Klägerin eine Belastungsberechnung nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) vorgenommen hat. Es bestehen nach Auffassung des Senates keine durchgreifenden Bedenken gegen die Anwendung des MDD zur Prüfung der arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteile vom 18. März 2003 - B 2 U 13/02 R -, 19. August 2003 - B 2 U 1/02 R -), der sich der Senat angeschlossen hat (vgl. Urteile vom 11. November 2004 - L 3 U 1/03 - und 03. März 2005 - L 3 U 117/02 -), stellt das MDD ein zumindest derzeit geeignetes Modell dar, um die kritische Belastungsdosis eines Versicherten durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten für eine Arbeitsschicht und für das gesamte Berufsleben zu ermitteln und in Bezug zu einem Erkrankungsrisiko zu setzen. Es orientiert sich an medizinischen Erfahrungstatsachen, die sich auf die in epidemiologischen Studien über besonders belastete Berufe (Pflege, Bau, Transport) gewonnenen Werte stützen. Es knüpft an die in dem vom zuständigen Bundesministerium für Arbeit herausgegebenen Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur Berufskrankheit Nr. 2108 getroffenen Vorgaben der Langjährigkeit und der nach Geschlecht und Lebensalter differenziert bestimmten Mindestlastgewichte an. Das Herausfiltern von Hebe- und Tragetätigkeiten aus dem Tätigkeitsfeld des Betroffenen, bei welchem ein geschlechtsspezifischer Belastungsgrenzwert (Druckkraft bei L5/S1) erreicht bzw. überschritten wird, entspricht dem Grundprinzip dieser Berufskrankheit. Bei der Anwendung dieses Verfahrens konzentriert sich die individuelle Kausalitätsprüfung, soweit es sich um das Kriterium "Schädigungspotential" der äußeren Einwirkung handelt, im wesentlichen auf die nach diesem Verfahren ermittelte Gesamtbelastungsdosis, als deren Maßstab der so genannte Beurteilungsrichtwert gilt.
Nach dem MDD sind bei Männern nur Hebe- und Tragevorgänge zu berücksichtigen, die zu einer Druckkraft von 3.200 Newton (N) auf die Bandscheibe L5/S1 pro Arbeitsschicht führen. Bei Frauen beträgt dieser Richtwert 2.500 N. Diese Hebe- und Tragevorgänge werden unter Einbeziehung ihrer zeitlichen Dauer pro Arbeitstag aufaddiert. Wenn sie eine Tagesdosis von 5.500 Nh bei Männern und 3.500 Nh bei Frauen überschreiten, wird dieser Arbeitstag als wirbelsäulenbelastend angesehen und für die weitere Berechnung berücksichtigt. Bei einer Summe der Werte dieser belastenden Arbeitstage (Gesamtdosis) von über 17 MNh für Frauen wird das Vorliegen einer Einwirkung im Sinne der Berufskrankheit Nr. 2108 bejaht. Diese Werte sind keine Grenzwerte, sondern Orientierungswerte, die eine Hilfe bei der Beurteilung des medizinischen Zusammenhangs zwischen versicherter Einwirkung und Erkrankung darstellen.
Die auf Grund der dokumentierten detaillierten Angaben der Klägerin und ihrer Beschreibung der Arbeitsabläufe vorgenommene Berechnung hat ergeben, dass die Orientierungswerte in keinem Zeitabschnitt der angeschuldigten Tätigkeit von 1991 bis 1999 überschritten worden sind. Nach dem MDD sind als Mindestvoraussetzungen zu fordern, dass 50 Lastenmanipulationen mit Gewichten von mehr als 7,5 kg in 110 Arbeitsschichten im Jahr mindestens sieben Jahre lang erfolgt sein müssen. Nach den Aufzeichnungen der Klägerin sind jedoch pro Arbeitsschicht sechs bis zehn Hebevorgänge erfolgt. Es ist eine tägliche Belastungsdosis von 2062 Nh ermittelt worden, sodass die für Frauen zu fordernde Mindestbelastungsdosis von 3.500 Nh nicht erreicht worden ist.
Da bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser Berufskrankheit nicht erfüllt sind, kommt es auf das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen nicht mehr an. Allerdings sind auch diese Voraussetzungen laut fachorthopädischem Gutachten von Prof. Dr. P / Dr. S, Pklinik W, vom 03. Februar 2003 nicht gegeben. Die Gutachter sind unter Zugrundelegung der Diagnose "chronisches lumbales Pseudoradikulär-Syndrom bei NPP L5/S1 links und konsekutivem Segmentaufbrauch L5/S1" zu dem abschießenden Ergebnis gelangt, die Entstehung bzw. Exacerbation der Beschwerden seit 1999 sei nicht berufsbedingt, da eine stärkere berufliche Exposition zu einem multisegmentalen Bandscheibenschaden bzw. zu einem mehretagigen konsekutiven Segmentaufbrauch geführt hätte, der bei der Klägerin nicht vorliege. Sie verweisen darauf, dass nach Angaben der Klägerin die Beschwerden auch ohne jegliche berufliche Exposition in unverminderter Form als weiter bestehend angegeben worden seien. Auch dieser Sachverhalt spreche gegen eine berufsbedingte Verursachung der Lendenwirbelsäulenerkrankung. Der Senat schließt sich diesen Feststellungen und den hieraus gezogenen Schlussfolgerungen als nachvollziehbar, schlüssig und überzeugend an.
Bei dieser Sachlage ist eine berufliche Verursachung der Wirbelsäulenerkrankung im Sinne der Berufskrankheit Nr. 2108 als nicht überwiegend wahrscheinlich anzusehen.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
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