Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 69 U 80/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 35/04 -16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Februar 2004 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Streitig ist die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Berufskrankheit (BK) Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) – bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule – im Wege des Überprüfungsverfahrens.
Der 1950 in Polen geborene und dort bis 1981 lebende Kläger wurde nach seinen Angaben von 1964 bis 1967 in Polen zum Bäcker und im Anschluss daran bis 1970 zum Konditor ausgebil-det. Nach der Ableistung des Wehrdienstes von 1971 bis 1973 und einer Beschäftigung im Zolldienst von 1973 bis 1975 arbeitete er ab September 1975 als Bäcker und Konditor und leg-te außerdem die Meisterprüfung ab. Von Juni 1981 an war er dann in der Bundesrepublik bei der Firma OR (heute OT) als Bäcker und Konditor tätig. Am 26. Juli 2000 stellte der Kläger unter Bezugnahme auf ein Attest des Orthopäden Dr. Gvom 18. Juli 2000 formlos einen Antrag auf Anerkennung einer Berufskrankheit. Aus einer weiteren ärztlichen Bescheinigung von Dr. G vom 28. August 2000 ergab sich die Diagnose einer Bandscheibenprotrusion im Bereich der LWS, erhebliche Osteochondrose bei L5/S1 mit Vakuumphänomen, ausgeprägte Spondylarthrose der unteren LWS sowie beginnende Einen-gung L5/S1. Dr. Gäußerte den Verdacht des Vorliegens der BK Nr. 2108. Am 17. Oktober 2000 erstattete er dann auch eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit. Am 16. Novem-ber 2000 meldete die AOK Berlin einen Erstattungsanspruch an, da angenommen werde, dass der Kläger an einer Berufskrankheit erkrankt sei. Dieser sei seit dem 22. August 2000 wegen einer Lumboischialgie arbeitsunfähig krank und beziehe seit dem 03. Oktober 2000 Kranken-geld. Dem Schreiben war ein Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers seit 1991 beigefügt.
Zur Ermittlung des Sachverhalts holte die Beklagte weitere Auskünfte des Klägers ein, der unter anderem angab, seit 1993 Rückenbeschwerden zu haben. In Stellungnahmen des Techni-schen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten vom 07. Februar, 2. und 17. April 2001 wurde festgestellt, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108 und auch 2109 nicht vorlägen. Unter Zugrundelegung der Zeit der belastenden Tätigkeit vom Sep-tember 1975 bis Juni 1981 ergebe sich nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) eine Gesamtbelastungsdosis von 9,85 MNh. Der TAD der Beigeladenen kam in seiner Stellung-nahme vom 15. Dezember 2000 ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die arbeitstechnischen Vor-aussetzungen der BK Nr. 2108 und 2109 nicht vorlägen. Die Tagesbelastungsdosis während der Tätigkeit in dem Mitgliedsbetrieb von Juni 1981 bis Dezember 2000 liege nach dem MDD mit 2650 Nh unterhalb des Richtwertes von 5500 Nh. Nachdem der Gewerbearzt Dr. S in seiner Stellungnahme vom 06. Juni 2001 die Anerkennung der BK Nr. 2108 mangels Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht empfehlen konnte, lehnte die Beklagte mit bindendem Bescheid vom 21. Juni 2001 Entschädigungsleis-tungen wegen der BK Nr. 2108 ab. Eine Anerkennung komme nicht in Betracht, weil die ar-beitstechnischen Voraussetzungen nach dem MDD nicht erfüllt seien.
Am 09. Juli 2001 ging ein Attest des Orthopäden Dr. G vom 26. Juni 2001 ein, in dem er gel-tend machte, der Berechnung der arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Zeit der Beschäf-tigung in Polen könne nicht gefolgt werden. Der Kläger habe in Polen eine wesentlich höhere Arbeitsleistung erbracht, da dort mechanische Hilfsmittel in einer Bäckerei die Ausnahme ge-wesen seien. Es sei deshalb davon auszugehen, dass er die erforderliche Tagesdosis in Nh er-bracht habe. Aus einem Vermerk vom 07. August 2001 ergibt sich, dass die Beklagte eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) nicht in Betracht zog, da der Arzt kein Beteiligter des Verfahrens sei und neue Anhaltspunkte sich aus seinem Schreiben nicht ergäben.
Am 22. Oktober 2002 stellte der Kläger einen Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 21. Juni 2001 gemäß § 44 SGB X und nahm zur Begründung Bezug auf das der Beklagten vorlie-gende Attest von Dr. G. Mit Bescheid vom 11. November 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2003 lehnte die Beklagte die Rücknahme des bindend gewordenen Bescheides vom 21. Juni 2001 ab. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2108 seien nicht nachgewiesen. Aus welchem Grund Dr. Gdie Berücksichtigung der beruflichen Tätigkeit ab 1961 fordere, sei nicht erklärlich, da der Kläger erst im September 1964 die berufliche Tätigkeit als Bäckerlehr-ling begonnen habe.
Mit der dagegen bei dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger geltend ge-macht, die Beschreibung der typischen Tätigkeit eines Bäckers in einer handwerklichen Bäcke-rei müsse noch mit den üblichen Tragegewichten den polnischen Gegebenheiten angepasst werden. Die Beklagte sei also verpflichtet, entsprechende sachverständige Ermittlungen bei dem polnischen Sozialversicherungsträger für die Unfallversicherung vorzunehmen. Weiter hat der Kläger mitgeteilt, dass er im Februar 1996 innerbetrieblich aufgrund zunehmender Haut- und Respirationsbeschwerden in die Kommissionierung umgesetzt worden sei.
Zur Ermittlung des Sachverhalts hat das Sozialgericht ein Vorerkrankungsverzeichnis des Klä-gers seit 1981 und einen Befundbericht des Orthopäden DrG vom 25. Juni 2003 eingeholt. Dann hat es ein Gutachten des Orthopäden Dr. Everanlasst, der am 05. Oktober 2003 zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der Kläger unter anderem an einem rezidivierenden LSW-Syndrom mit belastungsabhängigen Lumbalgien auf dem Boden einer deutlichen Bandschei-benvorwölbung bei deutlichen degenerativen Veränderungen leide. Eine Tätigkeit als Bäcker sei dem Kläger wegen des LWS- und auch des HWS-Syndroms nicht mehr zumutbar. Die Ge-sundheitsstörungen an der Wirbelsäule seien jedoch nicht auf die berufliche Tätigkeit als Bä-cker zurückzuführen. Dem Ergebnis der Begutachtung hat sich der Kläger unter Bezugnahme auf ein weiteres Attest von Dr. Gvom 27. Oktober 2003 nicht anzuschließen vermocht.
Durch Urteil vom 20. Februar 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Be-gründung ausgeführt, der Bescheid vom 21. Juni 2001 sei rechtmäßig gewesen, denn bei dem Kläger liege keine BK Nr. 2108 vor. Es habe bereits nicht festgestellt werden können, dass die von dem Kläger verrichtete Tätigkeit als Bäcker die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die begehrte Berufskrankheit erfülle. Dies ergebe sich aus den Stellungnahmen des TAD der Beklagten und der Beigeladenen. Es seien die schriftlichen Angaben des Klägers gegenüber der Beklagten über die von ihm verrichteten Hebe- und Tragevorgänge berücksichtigt worden. Die Erhebungen hinsichtlich des Zeitraumes ab Juni 1981 werde von dem Kläger hinsichtlich der zugrunde gelegten Hebe- und Tragevorgänge auch nicht weiter angegriffen, so dass sich seine Kritik im Wesentlichen auf die Anwendung des MDD beziehe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich die Kammer anschließe, stelle das MDD zur Ermittlung der arbeitstechnischen Voraussetzungen für die BK Nr. 2108 nach dem derzeitigen Stand der me-dizinischen Erkenntnisse eine hinreichend bestimmte Grundlage dar, die eine rechtmäßige Rechtsanwendung gewährleiste. Selbst für den Fall, dass der TAD der Beklagten bei der Er-mittlung der arbeitstechnischen Voraussetzungen hinsichtlich der Tätigkeit des Klägers als Bäcker in Polen von unzutreffenden Expositionen ausgegangen sei, komme eine Anerkennung der BK Nr. 2108 nicht in Betracht, da die medizinischen Voraussetzungen nicht vorlägen. Der Versicherungsfall, der mit Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit aufgrund der Arbeitsunfähig-keit ab dem 22. August 2000 eingetreten sei, wäre nämlich unter Zugrundelegung des Vorbrin-gens des Klägers erst etwa 19 Jahre nach dem Ende einer beruflichen Belastung im Sinne der BK Nr. 2108 eingetreten. Ein so erheblicher zeitlicher Abstand zwischen dem Ende einer rele-vanten Exposition und dem Eintritt des Versicherungsfalls sei mit einer beruflichen Verursa-chung nicht zu vereinbaren. Es könne deshalb dahinstehen, ob das bei dem Kläger im Bereich der Lendenwirbelsäule bestehende Schadensbild einem Belastungsschaden entspreche, wie er durch langjähriges Heben oder Tragen hervorgerufen werde.
Gegen das am 28. April 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27. Mai 2004 Berufung ein-gelegt, mit der er geltend macht, der TAD habe die arbeitstechnischen Voraussetzungen in der Zeit von 1971 bis 1981 als erfüllt angesehen, nicht jedoch für die Zeit ab Juni 1981, obwohl er auch ab diesem Zeitpunkt mindestens 25 bis 30 mal Mehlsäcke mit einem Gewicht von bis zu 50 kg über eine Distanz von bis zu einem Meter gehoben und getragen, und außerdem auch nur zum Teil gefüllte Mehlsäcke getragen habe. Auch die medizinischen Voraussetzungen lägen vor. Dr. E stimme mit der Beurteilung von Dr. G insoweit überein, als bei ihm ein isolierter Verschleiß der letzten Bandscheibe bei sonst altersgemäßen degenerativen Veränderungen vor-liege. Dr. Ehabe weder eine relevante konkurrierende Ursache benannt, um die berufsbedingten Belastungen ursächlich auszuschließen, noch habe er eine wesentliche Mitursächlichkeit der beruflichen Schädigung diskutiert.
Am 13. August 2004 hat der TAD der Beklagten eine Neuberechnung der arbeitstechnischen Voraussetzungen nach dem MDD vorgenommen, die allein auf den Angaben des Klägers be-ruhen. Danach ergebe sich für die Zeit vom 01. Januar 1964 bis 31. Dezember 1970 eine Ge-samtbelastungsdosis von 7,29 MNh, für die Zeit vom 01. September 1975 bis 01. Juni 1981 von 8,93 MNh und vom 01. Juni 1981 bis zum 31. Dezember 2000 von 0,00 MNh. Damit betrage die Lebensbelastungsdosis 16,22 MNh. Mit Schreiben vom 19. Oktober 2004 hat der TAD seine Berechnung erklärt. Der Kläger ver-tritt die Auffassung, dass dieser Dosiswert noch innerhalb der Grenzen liege, die eine Berufs-krankheit nicht ausschließe.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Februar 2004 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. November 2002 in Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 23. Januar 2003 zu verurteilen, den Bescheid vom 21. Juni 2001 zurückzunehmen und ihm wegen der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage zur BKV Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. zu ge-währen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladene beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte macht geltend, die Berechnung der Tagesbelastungsdosis durch den TAD sei allein aufgrund der Angaben des Klägers im Sinne einer "worst-case-Betrachtung" erfolgt, da sie für die als gefährdend angeschuldigten Tätigkeiten nicht zuständig sei. Die zuständige Bei-geladene habe für die Tätigkeit bei der Firma OR bzw. T eine Tagesbelastungsdosis von 2650 Nh festgestellt, dies seien weniger als 50% des Richtwerts von 5500 Nh. Bei dieser Sachlage erübrige sich eine medizinische Beurteilung der Wirbelsäulenschädigung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts-akte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
II.
Der Senat konnte nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozial-gerichtsgesetz (SGG) entscheiden, denn er hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.
Der Kläger hat, wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat, keinen Anspruch auf Rück-nahme des Bescheides vom 21. Juni 2001.
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar ge-worden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erwiesen hat, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, denn die von der Beklagten mit Bescheid vom 21. Juni 2001 getroffene Entscheidung, dem Kläger keinen Entschädigungsleistungen wegen der BK Nr. 2108 zu gewähren, war rechtmäßig. Die Beklagte hat weder das Recht unrichtig ange-wandt noch war sie von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erwiesen hat.
Als Anspruchsgrundlage für die Gewährung einer Verletztenrente kommen §§ 56 Abs. 1, 9 Abs. 1 Sozialgesetzbuch VII (SGB VII) in Verbindung mit Nr. 2108 der Anlage zur BKV in Betracht. Hiernach sind bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in ex-tremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, als BK anzusehen.
Für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als BK nach Nr. 2108 muss bei dem Kläger mithin eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vorlie-gen, die durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tä-tigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung entstanden ist. Die Erkrankung muss den Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben, und als Konsequenz aus diesem Zwang muss die Aufgabe der Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein (BSG SozR 3-5670 An-lage 1 Nr. 2108 Nr. 2).
Das Vorliegen des Tatbestandes der BK setzt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (haftungsbegründen-de Kausalität) und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) voraus. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätig-keit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der we-sentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit – nicht allerdings die bloße Möglichkeit – ausreicht (BSG SozR 3-2200 § 551 RVO Nr. 16 m.w.N.) Ein Zusammenhang ist wahrscheinlich, wenn bei Abwägung aller Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Überzeu-gung des Gerichts gegründet werden kann.
Danach besteht kein Anspruch auf Entschädigungsleistungen wegen der BK Nr. 2108.
Nach dem MDD, das nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG SozR 4- 2700 § 9 Nr. 1) zumindest derzeit ein geeignetes Modell ist, um die kritische Belastungsdosis eines Versicherten durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten für eine Arbeits-schicht und für das Berufsleben zu ermitteln und in Beziehung zu einem Erkrankungsrisiko zu setzen, sind bei Männern nur Hebe- und Tragevorgänge zu berücksichtigen, die zu einer Druckkraft von 3200 Newton (N) auf die Bandscheibe L5/S1 führen. Diese Hebe- und Trage-vorgänge werden unter Einbeziehung ihrer zeitlichen Dauer pro Arbeitstag aufaddiert und, wenn sie eine Tagesdosis von 5500 Nh überschreiten, wird dieser Arbeitstag als wirbelsäulen-belastend angesehen und für die weitere Berechnung berücksichtigt. Bei einer Summe der Werte dieser belastenden Arbeitstage (Gesamtdosis) von über 25 MNh wird das Vorliegen ei-ner Einwirkung i.S. der BK Nr. 2108 bejaht. Diese Werte sind keine Grenzwerte, sondern Ori-entierungswerte, die eine Hilfe bei der Beurteilung des medizinischen Zusammenhangs zwi-schen der Einwirkung und Erkrankung darstellen. Dass bei dem Kläger von dem TAD der Beklagten nur eine Gesamtbelastungsdosis von 16,22 MNh ermittelt wurde, schließt die Anerkennung einer BK Nr. 2108 aber noch nicht aus. Zwar unterschreitet dieser Wert den Orientierungswert von 25 MNh deutlich, er liegt jedoch über dem Mittelwert von 12,5 MNh, bei dessen Überschreitung medizinische Ermittlungen, wie sie vorliegend durch Einholung eines Sachverständigengutachtens vorgenommen worden sind, geboten erscheinen. Nach der Rechtsprechung des Senats (u.a. Urteil vom 9. Juni 2005, Az.: L 3 U 113/02) kann bei einer Unterschreitung des Orientierungswerts von 25 MNh nach dem MDD die Anerkennung einer BK Nr. 2108 nur dann in Betracht gezogen werden, wenn einer-seits die Hälfte der nach dem MDD erforderlichen Gesamtdosis, also 12,5 MNh, übertroffen wurde und andererseits die Ermittlungen zum Krankheitsbild und zum medizinischen Kausal-zusammenhang eindeutig zu dem Ergebnis geführt haben, dass eine berufliche Verursachung der bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule hinreichend wahrscheinlich ist.
Diese Voraussetzung ist hier jedoch nicht gegeben. Vielmehr sind auch die medizinischen Voraussetzungen für das Vorliegen der BK Nr. 2108 nicht als erfüllt anzusehen. Nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die bei dem Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen im Bereich der LWS im Sinne der erstmaligen Entstehung oder zumindest im Sinne einer wesentlichen Verschlimmerung eines bestehenden Leidens ursächlich auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen sind. Dies ergibt sich aus dem überzeugenden Gutachten des Orthopäden Dr. Evom 5. Oktober 2003. Nach seinen Feststellungen leidet der Kläger im Bereich der Wirbelsäule an einem HWS-Syndrom mit belastungsabhängigen Nacken-Schulterschmerzen und Verspannungen auf dem Boden deutlicher degenerativer Veränderungen, einem BWS-Syndrom mit belastungsabhängi-gen Dorsalgien sowie einem rezidivierenden LWS-Syndrom mit belastungsabhängigen Lum-balgien auf dem Boden einer deutlichen Bandscheibenvorwölbung bei deutlichen degenerati-ven Veränderungen. Gegen einen Kausalzusammenhang der Erkrankung der LWS mit der be-ruflichen Tätigkeit des Klägers spricht nach den Ausführungen von Dr. Eentscheidend, dass bei ihm kein dem Alter vorauseilender Verschleißzustand vorliegt und das Schadensbild der Wir-belsäule nicht von cranial nach caudal zunehmend ausgebildet ist. Im Bereich der HWS ist in der Etage C 5/6 eine deutliche Höhenminderung des Bandscheiben-raumes röntgenologisch festgestellt worden. Es fanden sich Veränderungen in Form von Rand-kantenanbauten. Aufgrund von Verplumpungen der Processi unicinati vermutet der Gutachter Einengungen der Nervenaustrittslöcher. Im unteren Drittel der BWS von D 8 bis D 11 zeigten sich erhebliche linksseitig schnabelför-mig veränderte und rechtsseitig mäßige degenerative Veränderungen. In den genannten Etagen waren die Höhenminderungen nur sehr gering. Im Bereich der LWS zeigten sich nur minimale Ansatzverkalkungen des vorderen Längsban-des zwischen L 2 und L 4. Lediglich im letzten Bewegungssegment L 5/S 1 war eine deutliche Höhenminderung des Zwischenwirbelraumes mit mäßigen degenerativen Randzackenbildun-gen und entsprechenden Einengungen der Nervenwurzelaustrittslöcher festzustellen. Die CT-Untersuchung ergab auf dieser Etage eine deutliche mediale Bandscheibenvorwölbung mit Alteration der nervösen Strukturen sowie deutliche degenerative Veränderungen der kleinen Wirbelgelenke in allen drei Etagen. Der Auffassung des Sachverständigen, das für einen beruf-lich bedingten Überlastungsschaden zu fordernde Verteilungsmuster eines von oben nach unten zunehmenden Schadens sei bei dem Kläger nicht nachgewiesen, stimmt der Senat angesichts des erhobenen Befundes zu. Dabei ist der Umstand, dass bei dem Kläger ein isolierter Band-scheibenschaden an der LWS vorliegt, nur ein Argument bei der Beurteilung des Kausalzu-sammenhangs. Unter Berücksichtigung des Schadensbildes an der gesamten Wirbelsäule, bei der die HWS und BWS sich als stärker geschädigt erweisen und die Schäden an allen Ab-schnitten der Wirbelsäule als dem Alter noch nicht bzw. im Bereich der HWS dem alterstypi-schen Maß kaum vorauseilend zu beurteilen sind, hält es der Senat für nachvollziehbar, dass der Schaden an der LWS nicht wahrscheinlich auf die Tätigkeit des Klägers als Bäcker und Konditor zurückzuführen ist. Hinzu kommt, worauf das Sozialgericht bereits hingewiesen hat, dass der Versicherungsfall mit Aufgabe der belastenden Tätigkeit am 22. August 2000 einge-treten ist, also etwa 19 Jahre nach Aufgabe der belastenden Tätigkeit. Ein so langer Zeitraum zwischen dem Ende der beruflichen Exposition und dem Eintritt des Versicherungsfalls spricht ebenfalls gegen den Kausalzusammenhang.
Die von dem Kläger eingereichten Bescheinigungen des Orthopäden Dr. Gsind nicht geeignet, sein Begehren zu stützen. Während Dr. G in seinem Attest vom 28. August 200 noch ausge-führt hatte, der Bandscheibenschaden der LWS sei möglicherweise durch die berufliche Tätig-keit als Bäcker hervorgerufen, hat er in seinem Attest vom 27. Oktober 2003 die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen der BK Nr. 2108 seien erfüllt, denn es seien bei dem Kläger ausschließlich die beiden letzten Bandscheiben befallen. Wie sich aber aus den obigen Ausfüh-rungen ergibt, sind bei der Beurteilung des Kausalzusammenhangs eine Vielzahl von Kriterien zu prüfen und es hat eine Abwägung der für und gegen eine berufliche Verursachung spre-chenden Faktoren zu erfolgen, die Dr. Gnicht vorgenommen hat. Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Gründe:
I.
Streitig ist die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Berufskrankheit (BK) Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) – bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule – im Wege des Überprüfungsverfahrens.
Der 1950 in Polen geborene und dort bis 1981 lebende Kläger wurde nach seinen Angaben von 1964 bis 1967 in Polen zum Bäcker und im Anschluss daran bis 1970 zum Konditor ausgebil-det. Nach der Ableistung des Wehrdienstes von 1971 bis 1973 und einer Beschäftigung im Zolldienst von 1973 bis 1975 arbeitete er ab September 1975 als Bäcker und Konditor und leg-te außerdem die Meisterprüfung ab. Von Juni 1981 an war er dann in der Bundesrepublik bei der Firma OR (heute OT) als Bäcker und Konditor tätig. Am 26. Juli 2000 stellte der Kläger unter Bezugnahme auf ein Attest des Orthopäden Dr. Gvom 18. Juli 2000 formlos einen Antrag auf Anerkennung einer Berufskrankheit. Aus einer weiteren ärztlichen Bescheinigung von Dr. G vom 28. August 2000 ergab sich die Diagnose einer Bandscheibenprotrusion im Bereich der LWS, erhebliche Osteochondrose bei L5/S1 mit Vakuumphänomen, ausgeprägte Spondylarthrose der unteren LWS sowie beginnende Einen-gung L5/S1. Dr. Gäußerte den Verdacht des Vorliegens der BK Nr. 2108. Am 17. Oktober 2000 erstattete er dann auch eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit. Am 16. Novem-ber 2000 meldete die AOK Berlin einen Erstattungsanspruch an, da angenommen werde, dass der Kläger an einer Berufskrankheit erkrankt sei. Dieser sei seit dem 22. August 2000 wegen einer Lumboischialgie arbeitsunfähig krank und beziehe seit dem 03. Oktober 2000 Kranken-geld. Dem Schreiben war ein Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers seit 1991 beigefügt.
Zur Ermittlung des Sachverhalts holte die Beklagte weitere Auskünfte des Klägers ein, der unter anderem angab, seit 1993 Rückenbeschwerden zu haben. In Stellungnahmen des Techni-schen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten vom 07. Februar, 2. und 17. April 2001 wurde festgestellt, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108 und auch 2109 nicht vorlägen. Unter Zugrundelegung der Zeit der belastenden Tätigkeit vom Sep-tember 1975 bis Juni 1981 ergebe sich nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) eine Gesamtbelastungsdosis von 9,85 MNh. Der TAD der Beigeladenen kam in seiner Stellung-nahme vom 15. Dezember 2000 ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die arbeitstechnischen Vor-aussetzungen der BK Nr. 2108 und 2109 nicht vorlägen. Die Tagesbelastungsdosis während der Tätigkeit in dem Mitgliedsbetrieb von Juni 1981 bis Dezember 2000 liege nach dem MDD mit 2650 Nh unterhalb des Richtwertes von 5500 Nh. Nachdem der Gewerbearzt Dr. S in seiner Stellungnahme vom 06. Juni 2001 die Anerkennung der BK Nr. 2108 mangels Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht empfehlen konnte, lehnte die Beklagte mit bindendem Bescheid vom 21. Juni 2001 Entschädigungsleis-tungen wegen der BK Nr. 2108 ab. Eine Anerkennung komme nicht in Betracht, weil die ar-beitstechnischen Voraussetzungen nach dem MDD nicht erfüllt seien.
Am 09. Juli 2001 ging ein Attest des Orthopäden Dr. G vom 26. Juni 2001 ein, in dem er gel-tend machte, der Berechnung der arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Zeit der Beschäf-tigung in Polen könne nicht gefolgt werden. Der Kläger habe in Polen eine wesentlich höhere Arbeitsleistung erbracht, da dort mechanische Hilfsmittel in einer Bäckerei die Ausnahme ge-wesen seien. Es sei deshalb davon auszugehen, dass er die erforderliche Tagesdosis in Nh er-bracht habe. Aus einem Vermerk vom 07. August 2001 ergibt sich, dass die Beklagte eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) nicht in Betracht zog, da der Arzt kein Beteiligter des Verfahrens sei und neue Anhaltspunkte sich aus seinem Schreiben nicht ergäben.
Am 22. Oktober 2002 stellte der Kläger einen Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 21. Juni 2001 gemäß § 44 SGB X und nahm zur Begründung Bezug auf das der Beklagten vorlie-gende Attest von Dr. G. Mit Bescheid vom 11. November 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2003 lehnte die Beklagte die Rücknahme des bindend gewordenen Bescheides vom 21. Juni 2001 ab. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2108 seien nicht nachgewiesen. Aus welchem Grund Dr. Gdie Berücksichtigung der beruflichen Tätigkeit ab 1961 fordere, sei nicht erklärlich, da der Kläger erst im September 1964 die berufliche Tätigkeit als Bäckerlehr-ling begonnen habe.
Mit der dagegen bei dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger geltend ge-macht, die Beschreibung der typischen Tätigkeit eines Bäckers in einer handwerklichen Bäcke-rei müsse noch mit den üblichen Tragegewichten den polnischen Gegebenheiten angepasst werden. Die Beklagte sei also verpflichtet, entsprechende sachverständige Ermittlungen bei dem polnischen Sozialversicherungsträger für die Unfallversicherung vorzunehmen. Weiter hat der Kläger mitgeteilt, dass er im Februar 1996 innerbetrieblich aufgrund zunehmender Haut- und Respirationsbeschwerden in die Kommissionierung umgesetzt worden sei.
Zur Ermittlung des Sachverhalts hat das Sozialgericht ein Vorerkrankungsverzeichnis des Klä-gers seit 1981 und einen Befundbericht des Orthopäden DrG vom 25. Juni 2003 eingeholt. Dann hat es ein Gutachten des Orthopäden Dr. Everanlasst, der am 05. Oktober 2003 zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der Kläger unter anderem an einem rezidivierenden LSW-Syndrom mit belastungsabhängigen Lumbalgien auf dem Boden einer deutlichen Bandschei-benvorwölbung bei deutlichen degenerativen Veränderungen leide. Eine Tätigkeit als Bäcker sei dem Kläger wegen des LWS- und auch des HWS-Syndroms nicht mehr zumutbar. Die Ge-sundheitsstörungen an der Wirbelsäule seien jedoch nicht auf die berufliche Tätigkeit als Bä-cker zurückzuführen. Dem Ergebnis der Begutachtung hat sich der Kläger unter Bezugnahme auf ein weiteres Attest von Dr. Gvom 27. Oktober 2003 nicht anzuschließen vermocht.
Durch Urteil vom 20. Februar 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Be-gründung ausgeführt, der Bescheid vom 21. Juni 2001 sei rechtmäßig gewesen, denn bei dem Kläger liege keine BK Nr. 2108 vor. Es habe bereits nicht festgestellt werden können, dass die von dem Kläger verrichtete Tätigkeit als Bäcker die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die begehrte Berufskrankheit erfülle. Dies ergebe sich aus den Stellungnahmen des TAD der Beklagten und der Beigeladenen. Es seien die schriftlichen Angaben des Klägers gegenüber der Beklagten über die von ihm verrichteten Hebe- und Tragevorgänge berücksichtigt worden. Die Erhebungen hinsichtlich des Zeitraumes ab Juni 1981 werde von dem Kläger hinsichtlich der zugrunde gelegten Hebe- und Tragevorgänge auch nicht weiter angegriffen, so dass sich seine Kritik im Wesentlichen auf die Anwendung des MDD beziehe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich die Kammer anschließe, stelle das MDD zur Ermittlung der arbeitstechnischen Voraussetzungen für die BK Nr. 2108 nach dem derzeitigen Stand der me-dizinischen Erkenntnisse eine hinreichend bestimmte Grundlage dar, die eine rechtmäßige Rechtsanwendung gewährleiste. Selbst für den Fall, dass der TAD der Beklagten bei der Er-mittlung der arbeitstechnischen Voraussetzungen hinsichtlich der Tätigkeit des Klägers als Bäcker in Polen von unzutreffenden Expositionen ausgegangen sei, komme eine Anerkennung der BK Nr. 2108 nicht in Betracht, da die medizinischen Voraussetzungen nicht vorlägen. Der Versicherungsfall, der mit Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit aufgrund der Arbeitsunfähig-keit ab dem 22. August 2000 eingetreten sei, wäre nämlich unter Zugrundelegung des Vorbrin-gens des Klägers erst etwa 19 Jahre nach dem Ende einer beruflichen Belastung im Sinne der BK Nr. 2108 eingetreten. Ein so erheblicher zeitlicher Abstand zwischen dem Ende einer rele-vanten Exposition und dem Eintritt des Versicherungsfalls sei mit einer beruflichen Verursa-chung nicht zu vereinbaren. Es könne deshalb dahinstehen, ob das bei dem Kläger im Bereich der Lendenwirbelsäule bestehende Schadensbild einem Belastungsschaden entspreche, wie er durch langjähriges Heben oder Tragen hervorgerufen werde.
Gegen das am 28. April 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27. Mai 2004 Berufung ein-gelegt, mit der er geltend macht, der TAD habe die arbeitstechnischen Voraussetzungen in der Zeit von 1971 bis 1981 als erfüllt angesehen, nicht jedoch für die Zeit ab Juni 1981, obwohl er auch ab diesem Zeitpunkt mindestens 25 bis 30 mal Mehlsäcke mit einem Gewicht von bis zu 50 kg über eine Distanz von bis zu einem Meter gehoben und getragen, und außerdem auch nur zum Teil gefüllte Mehlsäcke getragen habe. Auch die medizinischen Voraussetzungen lägen vor. Dr. E stimme mit der Beurteilung von Dr. G insoweit überein, als bei ihm ein isolierter Verschleiß der letzten Bandscheibe bei sonst altersgemäßen degenerativen Veränderungen vor-liege. Dr. Ehabe weder eine relevante konkurrierende Ursache benannt, um die berufsbedingten Belastungen ursächlich auszuschließen, noch habe er eine wesentliche Mitursächlichkeit der beruflichen Schädigung diskutiert.
Am 13. August 2004 hat der TAD der Beklagten eine Neuberechnung der arbeitstechnischen Voraussetzungen nach dem MDD vorgenommen, die allein auf den Angaben des Klägers be-ruhen. Danach ergebe sich für die Zeit vom 01. Januar 1964 bis 31. Dezember 1970 eine Ge-samtbelastungsdosis von 7,29 MNh, für die Zeit vom 01. September 1975 bis 01. Juni 1981 von 8,93 MNh und vom 01. Juni 1981 bis zum 31. Dezember 2000 von 0,00 MNh. Damit betrage die Lebensbelastungsdosis 16,22 MNh. Mit Schreiben vom 19. Oktober 2004 hat der TAD seine Berechnung erklärt. Der Kläger ver-tritt die Auffassung, dass dieser Dosiswert noch innerhalb der Grenzen liege, die eine Berufs-krankheit nicht ausschließe.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Februar 2004 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. November 2002 in Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 23. Januar 2003 zu verurteilen, den Bescheid vom 21. Juni 2001 zurückzunehmen und ihm wegen der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage zur BKV Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. zu ge-währen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladene beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte macht geltend, die Berechnung der Tagesbelastungsdosis durch den TAD sei allein aufgrund der Angaben des Klägers im Sinne einer "worst-case-Betrachtung" erfolgt, da sie für die als gefährdend angeschuldigten Tätigkeiten nicht zuständig sei. Die zuständige Bei-geladene habe für die Tätigkeit bei der Firma OR bzw. T eine Tagesbelastungsdosis von 2650 Nh festgestellt, dies seien weniger als 50% des Richtwerts von 5500 Nh. Bei dieser Sachlage erübrige sich eine medizinische Beurteilung der Wirbelsäulenschädigung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts-akte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
II.
Der Senat konnte nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozial-gerichtsgesetz (SGG) entscheiden, denn er hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.
Der Kläger hat, wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat, keinen Anspruch auf Rück-nahme des Bescheides vom 21. Juni 2001.
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar ge-worden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erwiesen hat, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, denn die von der Beklagten mit Bescheid vom 21. Juni 2001 getroffene Entscheidung, dem Kläger keinen Entschädigungsleistungen wegen der BK Nr. 2108 zu gewähren, war rechtmäßig. Die Beklagte hat weder das Recht unrichtig ange-wandt noch war sie von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erwiesen hat.
Als Anspruchsgrundlage für die Gewährung einer Verletztenrente kommen §§ 56 Abs. 1, 9 Abs. 1 Sozialgesetzbuch VII (SGB VII) in Verbindung mit Nr. 2108 der Anlage zur BKV in Betracht. Hiernach sind bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in ex-tremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, als BK anzusehen.
Für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als BK nach Nr. 2108 muss bei dem Kläger mithin eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vorlie-gen, die durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tä-tigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung entstanden ist. Die Erkrankung muss den Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben, und als Konsequenz aus diesem Zwang muss die Aufgabe der Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein (BSG SozR 3-5670 An-lage 1 Nr. 2108 Nr. 2).
Das Vorliegen des Tatbestandes der BK setzt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (haftungsbegründen-de Kausalität) und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) voraus. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätig-keit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der we-sentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit – nicht allerdings die bloße Möglichkeit – ausreicht (BSG SozR 3-2200 § 551 RVO Nr. 16 m.w.N.) Ein Zusammenhang ist wahrscheinlich, wenn bei Abwägung aller Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Überzeu-gung des Gerichts gegründet werden kann.
Danach besteht kein Anspruch auf Entschädigungsleistungen wegen der BK Nr. 2108.
Nach dem MDD, das nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG SozR 4- 2700 § 9 Nr. 1) zumindest derzeit ein geeignetes Modell ist, um die kritische Belastungsdosis eines Versicherten durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten für eine Arbeits-schicht und für das Berufsleben zu ermitteln und in Beziehung zu einem Erkrankungsrisiko zu setzen, sind bei Männern nur Hebe- und Tragevorgänge zu berücksichtigen, die zu einer Druckkraft von 3200 Newton (N) auf die Bandscheibe L5/S1 führen. Diese Hebe- und Trage-vorgänge werden unter Einbeziehung ihrer zeitlichen Dauer pro Arbeitstag aufaddiert und, wenn sie eine Tagesdosis von 5500 Nh überschreiten, wird dieser Arbeitstag als wirbelsäulen-belastend angesehen und für die weitere Berechnung berücksichtigt. Bei einer Summe der Werte dieser belastenden Arbeitstage (Gesamtdosis) von über 25 MNh wird das Vorliegen ei-ner Einwirkung i.S. der BK Nr. 2108 bejaht. Diese Werte sind keine Grenzwerte, sondern Ori-entierungswerte, die eine Hilfe bei der Beurteilung des medizinischen Zusammenhangs zwi-schen der Einwirkung und Erkrankung darstellen. Dass bei dem Kläger von dem TAD der Beklagten nur eine Gesamtbelastungsdosis von 16,22 MNh ermittelt wurde, schließt die Anerkennung einer BK Nr. 2108 aber noch nicht aus. Zwar unterschreitet dieser Wert den Orientierungswert von 25 MNh deutlich, er liegt jedoch über dem Mittelwert von 12,5 MNh, bei dessen Überschreitung medizinische Ermittlungen, wie sie vorliegend durch Einholung eines Sachverständigengutachtens vorgenommen worden sind, geboten erscheinen. Nach der Rechtsprechung des Senats (u.a. Urteil vom 9. Juni 2005, Az.: L 3 U 113/02) kann bei einer Unterschreitung des Orientierungswerts von 25 MNh nach dem MDD die Anerkennung einer BK Nr. 2108 nur dann in Betracht gezogen werden, wenn einer-seits die Hälfte der nach dem MDD erforderlichen Gesamtdosis, also 12,5 MNh, übertroffen wurde und andererseits die Ermittlungen zum Krankheitsbild und zum medizinischen Kausal-zusammenhang eindeutig zu dem Ergebnis geführt haben, dass eine berufliche Verursachung der bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule hinreichend wahrscheinlich ist.
Diese Voraussetzung ist hier jedoch nicht gegeben. Vielmehr sind auch die medizinischen Voraussetzungen für das Vorliegen der BK Nr. 2108 nicht als erfüllt anzusehen. Nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die bei dem Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen im Bereich der LWS im Sinne der erstmaligen Entstehung oder zumindest im Sinne einer wesentlichen Verschlimmerung eines bestehenden Leidens ursächlich auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen sind. Dies ergibt sich aus dem überzeugenden Gutachten des Orthopäden Dr. Evom 5. Oktober 2003. Nach seinen Feststellungen leidet der Kläger im Bereich der Wirbelsäule an einem HWS-Syndrom mit belastungsabhängigen Nacken-Schulterschmerzen und Verspannungen auf dem Boden deutlicher degenerativer Veränderungen, einem BWS-Syndrom mit belastungsabhängi-gen Dorsalgien sowie einem rezidivierenden LWS-Syndrom mit belastungsabhängigen Lum-balgien auf dem Boden einer deutlichen Bandscheibenvorwölbung bei deutlichen degenerati-ven Veränderungen. Gegen einen Kausalzusammenhang der Erkrankung der LWS mit der be-ruflichen Tätigkeit des Klägers spricht nach den Ausführungen von Dr. Eentscheidend, dass bei ihm kein dem Alter vorauseilender Verschleißzustand vorliegt und das Schadensbild der Wir-belsäule nicht von cranial nach caudal zunehmend ausgebildet ist. Im Bereich der HWS ist in der Etage C 5/6 eine deutliche Höhenminderung des Bandscheiben-raumes röntgenologisch festgestellt worden. Es fanden sich Veränderungen in Form von Rand-kantenanbauten. Aufgrund von Verplumpungen der Processi unicinati vermutet der Gutachter Einengungen der Nervenaustrittslöcher. Im unteren Drittel der BWS von D 8 bis D 11 zeigten sich erhebliche linksseitig schnabelför-mig veränderte und rechtsseitig mäßige degenerative Veränderungen. In den genannten Etagen waren die Höhenminderungen nur sehr gering. Im Bereich der LWS zeigten sich nur minimale Ansatzverkalkungen des vorderen Längsban-des zwischen L 2 und L 4. Lediglich im letzten Bewegungssegment L 5/S 1 war eine deutliche Höhenminderung des Zwischenwirbelraumes mit mäßigen degenerativen Randzackenbildun-gen und entsprechenden Einengungen der Nervenwurzelaustrittslöcher festzustellen. Die CT-Untersuchung ergab auf dieser Etage eine deutliche mediale Bandscheibenvorwölbung mit Alteration der nervösen Strukturen sowie deutliche degenerative Veränderungen der kleinen Wirbelgelenke in allen drei Etagen. Der Auffassung des Sachverständigen, das für einen beruf-lich bedingten Überlastungsschaden zu fordernde Verteilungsmuster eines von oben nach unten zunehmenden Schadens sei bei dem Kläger nicht nachgewiesen, stimmt der Senat angesichts des erhobenen Befundes zu. Dabei ist der Umstand, dass bei dem Kläger ein isolierter Band-scheibenschaden an der LWS vorliegt, nur ein Argument bei der Beurteilung des Kausalzu-sammenhangs. Unter Berücksichtigung des Schadensbildes an der gesamten Wirbelsäule, bei der die HWS und BWS sich als stärker geschädigt erweisen und die Schäden an allen Ab-schnitten der Wirbelsäule als dem Alter noch nicht bzw. im Bereich der HWS dem alterstypi-schen Maß kaum vorauseilend zu beurteilen sind, hält es der Senat für nachvollziehbar, dass der Schaden an der LWS nicht wahrscheinlich auf die Tätigkeit des Klägers als Bäcker und Konditor zurückzuführen ist. Hinzu kommt, worauf das Sozialgericht bereits hingewiesen hat, dass der Versicherungsfall mit Aufgabe der belastenden Tätigkeit am 22. August 2000 einge-treten ist, also etwa 19 Jahre nach Aufgabe der belastenden Tätigkeit. Ein so langer Zeitraum zwischen dem Ende der beruflichen Exposition und dem Eintritt des Versicherungsfalls spricht ebenfalls gegen den Kausalzusammenhang.
Die von dem Kläger eingereichten Bescheinigungen des Orthopäden Dr. Gsind nicht geeignet, sein Begehren zu stützen. Während Dr. G in seinem Attest vom 28. August 200 noch ausge-führt hatte, der Bandscheibenschaden der LWS sei möglicherweise durch die berufliche Tätig-keit als Bäcker hervorgerufen, hat er in seinem Attest vom 27. Oktober 2003 die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen der BK Nr. 2108 seien erfüllt, denn es seien bei dem Kläger ausschließlich die beiden letzten Bandscheiben befallen. Wie sich aber aus den obigen Ausfüh-rungen ergibt, sind bei der Beurteilung des Kausalzusammenhangs eine Vielzahl von Kriterien zu prüfen und es hat eine Abwägung der für und gegen eine berufliche Verursachung spre-chenden Faktoren zu erfolgen, die Dr. Gnicht vorgenommen hat. Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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