Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 12 RA 5508/96 W99
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 RA 4/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 23. November 2000 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines sogenannten Überführungsbescheides im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens. Der Kläger ist 1931 geboren worden. Vom 1. Februar 1970 bis zum 31. Januar 1990 war er in die Sonderversorgung der Angehörigen des Minsteriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit (Sonderversorgung nach Anlage 2 Nr. 4 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz [AAÜG]) einbezogen. Zuletzt bekleidete er beim Ministerium für Staatssicherheit den Rang eines Hauptmanns. Ab 16. Januar 1990 bezog er eine Übergangsrente aus diesem Versorgungssystem. Mit Bescheid vom 2. November 1993 stellte die Beklagte die Zeit vom 1. Februar 1970 bis zum 31. Januar 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur Sonderversorgung, die in dieser Zeit bezogenen tatsächlichen Jahresbruttoentgelte sowie die tatbestandlichen Voraussetzungen dafür fest, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der besonderen Beitragsbemessungsgrenze nach § 7 AAÜG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Renten-Überleitungsgesetzes vom 18. Dezember 1991 (BGBl. I S. 2207) – 70 % des Durchschnittseinkommens der Versicherten des Beitrittsgebiets - vorliegen. Der Bescheid wurde bestandskräftig. Im September 1996 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheides und machte geltend, dass die ihm zu DDR-Zeiten zugesicherten Versorgungsansprüche verfassungswidrig reduziert worden seien. Durch Bescheid vom 23. September 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 1996 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Bescheid vom 2. November 1993 entspreche der Rechtslage. Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass das "Rentenstrafrecht" verfassungswidrig sei. Im Klageverfahren, zu dem die Deutsche Rentenversicherung Bund (vormals Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) – Rentenversicherungsträger – durch Beschluss des Sozialgerichts vom 9. September 1997 beigeladen worden ist, hat die Beklagte, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 28. April 1999 – 1 BvL 11/94 u.a. – (BVerfGE 100, 138) umsetzend, durch Bescheid 24. September 1999 den Bescheid vom 2. November 1993 dahingehend geändert, dass das Durchschnittseinkommen der Versicherten im Beitrittsgebiet als besondere Beitragsbemessungsgrenze anzuwenden ist (§ 7 Abs 1 AAÜG in Verbindung mit Anlage 6 zum AAÜG in der Fassung des 2. AAÜG-Änderungsgesetz vom 27. Juli 2001, BGBl. I S. 1939). Die vom Kläger weiterhin aufrecht erhaltene Klage hat das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid vom 23. November 2000 abgewiesen. Sie sei unbegründet, soweit sich der Kläger gegen die Begrenzung der tatsächlich erzielten Entgelte auf die Werte der Anlage 5 zum AAÜG wende. Der Feststellungsbescheid der Beklagten vom 24. September 1999 entspreche dem geltenden Recht. Das Bundesverfassungsgericht habe im Urteil vom 28. April 1999 ausdrücklich festgestellt, dass keine durchgreifenden Bedenken dagegen bestünden, für den Personenkreis der Angehörigen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit die für die Rentenberechnung nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch berücksichtigungsfähigen Verdienste unter das Niveau der allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze und somit im Vergleich zu sonstigen Versicherten stärker zu begrenzen. § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG sei lediglich insoweit für nichtig erklärt worden, als er eine Begrenzung der Entgelte unter die Werte der Durchschnittsentgelte in der ehemaligen DDR geregelt habe. Soweit der Kläger die Berücksichtigung seiner Ansprüche auf Rente und auf zusätzliche Altersversorgung in der Höhe begehre, in der diese in der DDR erworben worden seien, sei die Verpflichtungsklage unzulässig, weil die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden dazu keine Verwaltungsentscheidung getroffen habe und auch nicht dafür zuständig sei. Mit der Berufung macht der Kläger weiterhin geltend, dass die angefochtenen Bescheide auf der Anwendung von Rechtsvorschriften beruhten, die gegen das Grundgesetz und die Europäische Menschenrechtskonvention verstießen. Wegen seines Vorbringens im Einzelnen wird auf die Schriftsätze der Bevollmächtigten des Klägers vom 17. Januar und 20. März 2005 sowie vom 1. März 2006 Bezug genommen.
Der Kläger beantragt in der Sache,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 23. November 2000 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 4. Oktober 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 1996 und die Bescheide vom 2. November 1993 und 24. September 1999 aufzuheben und den Entgeltbescheid neu zu erlassen unter Berücksichtigung der Ansprüche auf Rente und auf zusätzliche Altersversorgung in der Höhe, in der in der DDR die Ansprüche rechtmäßig erworben worden sind, insbesondere ohne die Begrenzung, die verfassungswidrig unter Anwendung des AAÜG vorgesehen ist. Ferner hat er die Anträge gestellt, den Schriftsatz vom 1. März 2006 einschließlich Anlagen den ehrenamtlichen Richter vor der mündlichen Verhandlung vom 2. März 2006 zur Verfügung zu stellen sowie den Rechtsstreit zum Ruhen zu bringen oder auszusetzen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für zutreffend und die Verfassungsrechtslage für geklärt.
Die Beigeladene hat sich im Berufungsverfahren zur Sache nicht geäußert.
Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und lagen dem Gericht bei seiner Entscheidung vor. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet. Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Gemäß § 44 Abs. 2 SGB X ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt im Übrigen, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Es kann dahinstehen, ob § 44 Abs. 1 oder Abs. 2 SGB X die Rechtsgrundlage für die Überprüfung des Bescheides vom 2. November 1993 bilden (offen gelassen in BSG SozR 3-8570 § 8 Nr. 7; für § 44 Abs. 1 SGB X SG Dresden, Urteil vom 30. September 2002 – S 14 RA 622/99 -, zitiert nach Juris). Ein Anspruch auf Rücknahme dieses Bescheides und Verpflichtung der Beklagten in dem mit der Klage und der Berufung begehrten Umfang besteht jedenfalls deshalb nicht, weil der Bescheid in der durch den Bescheid vom 24. September 1999 hergestellten Fassung nicht (mehr) rechtswidrig ist. Nach § 8 Abs. 1 AAÜG hat der Versorgungsträger (hier: die Beklagte) in einem dem Rentenfeststellungsverfahren vorgelagerten, dem Vormerkungsverfahren nach § 149 Abs. 5 SGB VI ähnlichen Verfahren einzelne Daten verbindlich festzustellen, die für die spätere Feststellung des Wertes der SGB VI-Rente oder -Anwartschaften von Bedeutung sein können. Dies sind die Daten über - die Zeiten der sogenannten Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem, - die tatsächlichen Voraussetzungen dafür, ob die Anwendung einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungsgrenze in Betracht kommt (s. §§ 6 und 7 AAÜG), - die Summe der Arbeitsausfalltage, soweit diese nicht in einem Sozialversicherungsausweis eingetragen sind (§ 8 Abs. 1 Satz 3 AAÜG) sowie - die Höhe des Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens, soweit es in der vom Versorgungssystem erfassten Beschäftigung oder Tätigkeit erzielt worden ist (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – BSG -, siehe hierzu etwa BSG SozR 3-8570 § 8 Nr. 7; Urteile vom 4. August 1998 - B 4 RA 74/96 R - und vom 23. Juni 1998 - B 4 RA 61/97 R -, zitiert nach Juris). Angesichts dieses begrenzten Aufgabenkreises des Versorgungsträgers ist die Berufung wegen Unzulässigkeit der Klage unbegründet, soweit der Kläger andere Feststellungen oder Verpflichtungen der Beklagten begehrt, im besonderen die Berücksichtigung von zu DDR-Zeiten erworbenen Ansprüchen auf Rente oder zusätzliche Versorgungen. Soweit der Kläger jedenfalls der Sache nach die Verpflichtung der Beklagten zu Feststellungen begehrt, die nach dem Gesagten in ihre Zuständigkeit fallen, ist die Berufung unbegründet, weil die Beklagte die maßgeblichen Umstände und Daten ohne Rechtsfehler festgestellt hat. Das gilt im Besonderen für die Feststellung, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze nach § 7 Abs. 1 AAÜG in Verbindung mit Anlage 6 zum AAÜG vorliegen, da der Kläger im streitigen Zeitraum durchgängig in die Sonderversorgung für Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit einbezogen war. Auf Grund der durch das AAÜG vorgegebenen, dem Prinzip der Spezialität folgenden Typik (ebenfalls s. dazu etwa BSG SozR 3-8570 § 8 Nr. 7 und § 10 Nr. 1) schließt das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für § 7 Abs. 1 AAÜG die Anwendung anderer, für den Kläger günstigerer Beitragsbemessungsgrenzen ebenso aus wie eine Überprüfung der erzielten Arbeitseinkünfte im Einzelfall. Ob die verfassungsrechtlichen Einwendungen gegen § 7 AAÜG im Verfahren gegen den Versorgungsträger angesichts dessen begrenzter Aufgaben überhaupt rechtlich erheblich sein können, kann dahinstehen. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass dies der Fall ist, weil die Beklagte die tatsächlichen Feststellungen nur auf Grund einer Ermächtigungsgrundlage treffen kann und dies die unweigerliche Folge hat, dass die Ermächtigungsgrundlage auch verfassungswidrig sein kann, würde dies keinen Einfluss auf den Verfahrensgang haben. Denn verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 7 Abs. 1 AAÜG bestehen nicht. Das BVerfG hat es generell für zulässig gehalten, dass es eine besondere Beitragsbemessungsgrenze für Arbeitsverdienste aus Beschäftigungen beim Ministerium für Staatssicherheit gibt und § 7 Abs. 1 (Satz 1) AAÜG i. V. mit der damaligen Anlage 6 zum AAÜG - nur - insoweit für nichtig erklärt, als diese besondere Beitragsbemessungsgrenze unter dem Durchschnittseinkommen des Beitrittsgebiets lag (s. BVerfGE 100, 138 [182 f.]). Es hat dagegen sowohl die generelle Typisierung für zulässig gehalten, dass die Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit deutlich überhöhte Entgelte erhalten haben, als auch eine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers verneint, Arbeitsentgelte über dem Durchschnittsseinkommen des Beitrittsgebiets zu berücksichtigen (so nochmals ausdrücklich BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2004 – 1 BvR 1070/02 –, Abs. 11 und, als Abgrenzung zu § 6 Abs. 2 und 3 AAÜG, Beschluss vom 23. Juni 2004 – 1 BvL 3/98 u. a. -, Abs. 79, zitiert – wie auch die folgenden mit Aktenzeichen genannten Beschlüsse des BVerfG - nach www.bundesverfassungsgericht.de). Ein Grund, das BVerfG von neuem mit der verfassungsrechtlichen Überprüfung des § 7 Abs. 1 AAÜG zu befassen, besteht nicht. Es ist nicht erkennbar, dass nach der Beschlussfassung des BVerfG vom 22. Juni 2004 neue Tatsachen bekannt geworden wären, die den Gesetzgeber von Verfassungs wegen zwängen, seine bisherige Einschätzung zu ändern (s. zum zulässigen Ausgangspunkt des Gesetzgebers BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2004 a. a. O. Abs. 13, 14). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) war bereits mit der Frage der Überleitung von Ansprüchen und Anwartschaften von ehemaligen Angehörigen der Sonderversorgung des Ministeriums für Staatssicherheit befasst und hat – in Kenntnis des Urteils des BVerfG vom 28. April 1999 (BVerfGE 100, 138) – eine Menschenrechtsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (Entscheidung vom 2. März 2000, Günter Schwengel./. Bundesrepublik Deutschland – Az. 52442/99 -) Die sich aus § 8 Abs. 3 AAÜG in der Auslegung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ergebende Folge, dass im Verfahren gegen den Versorgungsträger bestimmte Einwendungen gegen die Begrenzung der rentensteigernd wirksam werdenden Entgelte nicht mit Erfolg geltend gemacht werden können, stellt die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes nicht in Frage und ist von daher nicht verfassungswidrig (BVerfG SozR 3-8570 § 8 Nr. 5). Auch in Kenntnis des Vortrags der Bevollmächtigten des Klägers zur Verfassungswidrigkeit beziehungsweise Menschenrechtswidrigkeit der "Rentenüberleitung", der von ihnen seit Jahren ungeachtet der bestehenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des EGMR wiederholt wird, bestehen keine Bedenken, dem BVerfG und dem EGMR zu folgen. Allein deshalb, weil der Kläger beziehungsweise dessen Bevollmächtigte im besonderen die Rechtsprechung des BVerfG für sich nicht als gültig akzeptieren wollen oder sie in anderer Weise verstehen als es die Fachgerichte (und das BVerfG selbst) tun und weil sie sich von weiteren Verfassungsbeschwerden oder Beschwerden an den EGMR günstigere Entscheidungen dieser Gerichte erhoffen, ist der Senat nicht gehalten, von einer Entscheidung in der Sache abzusehen. Der Kläger verkennt dabei bezüglich des BVerfG ohnehin, dass dieses Gericht nicht dazu berufen ist, das einfache Recht "richtiger" auszulegen als die Fachgerichte (siehe beispielhaft etwa BVerfG, Beschluss vom 4. August 2004 – 1 BvR 1557/01 – unter III 1 b bb mit Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 7. Februar 2000 – 1 BvR 262/99). Weiteres Eingehen auf den Vortrag der Bevollmächtigten des Klägers erübrigt sich angesichts dessen. Selbst wenn die Beklagte dem zustimmte, gäbe es in der Folge keinen Anlass, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen (§ 202 SGG i. V. mit § 251 Zivilprozessordnung) oder es – auch ohne Zustimmung der Beklagten – auszusetzen (§ 114 SGG analog). Es ist weder zweckmäßig noch gar zwingend, den Rechtsstreit auf Grund der vom Kläger angeführten, anhängigen oder in Vorbereitung befindlichen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegenwärtig nicht in der Sache zu entscheiden. Für den Antrag, den ehrenamtlichen Richtern des Senats den Schriftsatz vom 1. März 2006 einschließlich Anlagen bereits vor der mündlichen Verhandlung vom 2. März 2006 zur Verfügung zu stellen, gibt es keine Rechtsgrundlage, so dass ihm gleichfalls nicht zu entsprechen war. In der mündlichen Verhandlung wie in der geheimen Beratung, welche der gerichtlichen Entscheidung vorausgeht, besteht für die ehrenamtlichen Richter auch ausreichend Gelegenheit, Fragen zur Sach- und Rechtslage zu stellen oder den Akteninhalt zur Kenntnis zu nehmen. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen angesichts der umfangreichen Rechtsprechung des BSG und des BVerfG zu § 7 AAÜG nicht vor. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines sogenannten Überführungsbescheides im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens. Der Kläger ist 1931 geboren worden. Vom 1. Februar 1970 bis zum 31. Januar 1990 war er in die Sonderversorgung der Angehörigen des Minsteriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit (Sonderversorgung nach Anlage 2 Nr. 4 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz [AAÜG]) einbezogen. Zuletzt bekleidete er beim Ministerium für Staatssicherheit den Rang eines Hauptmanns. Ab 16. Januar 1990 bezog er eine Übergangsrente aus diesem Versorgungssystem. Mit Bescheid vom 2. November 1993 stellte die Beklagte die Zeit vom 1. Februar 1970 bis zum 31. Januar 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur Sonderversorgung, die in dieser Zeit bezogenen tatsächlichen Jahresbruttoentgelte sowie die tatbestandlichen Voraussetzungen dafür fest, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der besonderen Beitragsbemessungsgrenze nach § 7 AAÜG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Renten-Überleitungsgesetzes vom 18. Dezember 1991 (BGBl. I S. 2207) – 70 % des Durchschnittseinkommens der Versicherten des Beitrittsgebiets - vorliegen. Der Bescheid wurde bestandskräftig. Im September 1996 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheides und machte geltend, dass die ihm zu DDR-Zeiten zugesicherten Versorgungsansprüche verfassungswidrig reduziert worden seien. Durch Bescheid vom 23. September 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 1996 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Bescheid vom 2. November 1993 entspreche der Rechtslage. Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass das "Rentenstrafrecht" verfassungswidrig sei. Im Klageverfahren, zu dem die Deutsche Rentenversicherung Bund (vormals Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) – Rentenversicherungsträger – durch Beschluss des Sozialgerichts vom 9. September 1997 beigeladen worden ist, hat die Beklagte, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 28. April 1999 – 1 BvL 11/94 u.a. – (BVerfGE 100, 138) umsetzend, durch Bescheid 24. September 1999 den Bescheid vom 2. November 1993 dahingehend geändert, dass das Durchschnittseinkommen der Versicherten im Beitrittsgebiet als besondere Beitragsbemessungsgrenze anzuwenden ist (§ 7 Abs 1 AAÜG in Verbindung mit Anlage 6 zum AAÜG in der Fassung des 2. AAÜG-Änderungsgesetz vom 27. Juli 2001, BGBl. I S. 1939). Die vom Kläger weiterhin aufrecht erhaltene Klage hat das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid vom 23. November 2000 abgewiesen. Sie sei unbegründet, soweit sich der Kläger gegen die Begrenzung der tatsächlich erzielten Entgelte auf die Werte der Anlage 5 zum AAÜG wende. Der Feststellungsbescheid der Beklagten vom 24. September 1999 entspreche dem geltenden Recht. Das Bundesverfassungsgericht habe im Urteil vom 28. April 1999 ausdrücklich festgestellt, dass keine durchgreifenden Bedenken dagegen bestünden, für den Personenkreis der Angehörigen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit die für die Rentenberechnung nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch berücksichtigungsfähigen Verdienste unter das Niveau der allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze und somit im Vergleich zu sonstigen Versicherten stärker zu begrenzen. § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG sei lediglich insoweit für nichtig erklärt worden, als er eine Begrenzung der Entgelte unter die Werte der Durchschnittsentgelte in der ehemaligen DDR geregelt habe. Soweit der Kläger die Berücksichtigung seiner Ansprüche auf Rente und auf zusätzliche Altersversorgung in der Höhe begehre, in der diese in der DDR erworben worden seien, sei die Verpflichtungsklage unzulässig, weil die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden dazu keine Verwaltungsentscheidung getroffen habe und auch nicht dafür zuständig sei. Mit der Berufung macht der Kläger weiterhin geltend, dass die angefochtenen Bescheide auf der Anwendung von Rechtsvorschriften beruhten, die gegen das Grundgesetz und die Europäische Menschenrechtskonvention verstießen. Wegen seines Vorbringens im Einzelnen wird auf die Schriftsätze der Bevollmächtigten des Klägers vom 17. Januar und 20. März 2005 sowie vom 1. März 2006 Bezug genommen.
Der Kläger beantragt in der Sache,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 23. November 2000 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 4. Oktober 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 1996 und die Bescheide vom 2. November 1993 und 24. September 1999 aufzuheben und den Entgeltbescheid neu zu erlassen unter Berücksichtigung der Ansprüche auf Rente und auf zusätzliche Altersversorgung in der Höhe, in der in der DDR die Ansprüche rechtmäßig erworben worden sind, insbesondere ohne die Begrenzung, die verfassungswidrig unter Anwendung des AAÜG vorgesehen ist. Ferner hat er die Anträge gestellt, den Schriftsatz vom 1. März 2006 einschließlich Anlagen den ehrenamtlichen Richter vor der mündlichen Verhandlung vom 2. März 2006 zur Verfügung zu stellen sowie den Rechtsstreit zum Ruhen zu bringen oder auszusetzen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für zutreffend und die Verfassungsrechtslage für geklärt.
Die Beigeladene hat sich im Berufungsverfahren zur Sache nicht geäußert.
Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und lagen dem Gericht bei seiner Entscheidung vor. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet. Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Gemäß § 44 Abs. 2 SGB X ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt im Übrigen, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Es kann dahinstehen, ob § 44 Abs. 1 oder Abs. 2 SGB X die Rechtsgrundlage für die Überprüfung des Bescheides vom 2. November 1993 bilden (offen gelassen in BSG SozR 3-8570 § 8 Nr. 7; für § 44 Abs. 1 SGB X SG Dresden, Urteil vom 30. September 2002 – S 14 RA 622/99 -, zitiert nach Juris). Ein Anspruch auf Rücknahme dieses Bescheides und Verpflichtung der Beklagten in dem mit der Klage und der Berufung begehrten Umfang besteht jedenfalls deshalb nicht, weil der Bescheid in der durch den Bescheid vom 24. September 1999 hergestellten Fassung nicht (mehr) rechtswidrig ist. Nach § 8 Abs. 1 AAÜG hat der Versorgungsträger (hier: die Beklagte) in einem dem Rentenfeststellungsverfahren vorgelagerten, dem Vormerkungsverfahren nach § 149 Abs. 5 SGB VI ähnlichen Verfahren einzelne Daten verbindlich festzustellen, die für die spätere Feststellung des Wertes der SGB VI-Rente oder -Anwartschaften von Bedeutung sein können. Dies sind die Daten über - die Zeiten der sogenannten Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem, - die tatsächlichen Voraussetzungen dafür, ob die Anwendung einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungsgrenze in Betracht kommt (s. §§ 6 und 7 AAÜG), - die Summe der Arbeitsausfalltage, soweit diese nicht in einem Sozialversicherungsausweis eingetragen sind (§ 8 Abs. 1 Satz 3 AAÜG) sowie - die Höhe des Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens, soweit es in der vom Versorgungssystem erfassten Beschäftigung oder Tätigkeit erzielt worden ist (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – BSG -, siehe hierzu etwa BSG SozR 3-8570 § 8 Nr. 7; Urteile vom 4. August 1998 - B 4 RA 74/96 R - und vom 23. Juni 1998 - B 4 RA 61/97 R -, zitiert nach Juris). Angesichts dieses begrenzten Aufgabenkreises des Versorgungsträgers ist die Berufung wegen Unzulässigkeit der Klage unbegründet, soweit der Kläger andere Feststellungen oder Verpflichtungen der Beklagten begehrt, im besonderen die Berücksichtigung von zu DDR-Zeiten erworbenen Ansprüchen auf Rente oder zusätzliche Versorgungen. Soweit der Kläger jedenfalls der Sache nach die Verpflichtung der Beklagten zu Feststellungen begehrt, die nach dem Gesagten in ihre Zuständigkeit fallen, ist die Berufung unbegründet, weil die Beklagte die maßgeblichen Umstände und Daten ohne Rechtsfehler festgestellt hat. Das gilt im Besonderen für die Feststellung, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze nach § 7 Abs. 1 AAÜG in Verbindung mit Anlage 6 zum AAÜG vorliegen, da der Kläger im streitigen Zeitraum durchgängig in die Sonderversorgung für Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit einbezogen war. Auf Grund der durch das AAÜG vorgegebenen, dem Prinzip der Spezialität folgenden Typik (ebenfalls s. dazu etwa BSG SozR 3-8570 § 8 Nr. 7 und § 10 Nr. 1) schließt das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für § 7 Abs. 1 AAÜG die Anwendung anderer, für den Kläger günstigerer Beitragsbemessungsgrenzen ebenso aus wie eine Überprüfung der erzielten Arbeitseinkünfte im Einzelfall. Ob die verfassungsrechtlichen Einwendungen gegen § 7 AAÜG im Verfahren gegen den Versorgungsträger angesichts dessen begrenzter Aufgaben überhaupt rechtlich erheblich sein können, kann dahinstehen. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass dies der Fall ist, weil die Beklagte die tatsächlichen Feststellungen nur auf Grund einer Ermächtigungsgrundlage treffen kann und dies die unweigerliche Folge hat, dass die Ermächtigungsgrundlage auch verfassungswidrig sein kann, würde dies keinen Einfluss auf den Verfahrensgang haben. Denn verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 7 Abs. 1 AAÜG bestehen nicht. Das BVerfG hat es generell für zulässig gehalten, dass es eine besondere Beitragsbemessungsgrenze für Arbeitsverdienste aus Beschäftigungen beim Ministerium für Staatssicherheit gibt und § 7 Abs. 1 (Satz 1) AAÜG i. V. mit der damaligen Anlage 6 zum AAÜG - nur - insoweit für nichtig erklärt, als diese besondere Beitragsbemessungsgrenze unter dem Durchschnittseinkommen des Beitrittsgebiets lag (s. BVerfGE 100, 138 [182 f.]). Es hat dagegen sowohl die generelle Typisierung für zulässig gehalten, dass die Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit deutlich überhöhte Entgelte erhalten haben, als auch eine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers verneint, Arbeitsentgelte über dem Durchschnittsseinkommen des Beitrittsgebiets zu berücksichtigen (so nochmals ausdrücklich BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2004 – 1 BvR 1070/02 –, Abs. 11 und, als Abgrenzung zu § 6 Abs. 2 und 3 AAÜG, Beschluss vom 23. Juni 2004 – 1 BvL 3/98 u. a. -, Abs. 79, zitiert – wie auch die folgenden mit Aktenzeichen genannten Beschlüsse des BVerfG - nach www.bundesverfassungsgericht.de). Ein Grund, das BVerfG von neuem mit der verfassungsrechtlichen Überprüfung des § 7 Abs. 1 AAÜG zu befassen, besteht nicht. Es ist nicht erkennbar, dass nach der Beschlussfassung des BVerfG vom 22. Juni 2004 neue Tatsachen bekannt geworden wären, die den Gesetzgeber von Verfassungs wegen zwängen, seine bisherige Einschätzung zu ändern (s. zum zulässigen Ausgangspunkt des Gesetzgebers BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2004 a. a. O. Abs. 13, 14). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) war bereits mit der Frage der Überleitung von Ansprüchen und Anwartschaften von ehemaligen Angehörigen der Sonderversorgung des Ministeriums für Staatssicherheit befasst und hat – in Kenntnis des Urteils des BVerfG vom 28. April 1999 (BVerfGE 100, 138) – eine Menschenrechtsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (Entscheidung vom 2. März 2000, Günter Schwengel./. Bundesrepublik Deutschland – Az. 52442/99 -) Die sich aus § 8 Abs. 3 AAÜG in der Auslegung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ergebende Folge, dass im Verfahren gegen den Versorgungsträger bestimmte Einwendungen gegen die Begrenzung der rentensteigernd wirksam werdenden Entgelte nicht mit Erfolg geltend gemacht werden können, stellt die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes nicht in Frage und ist von daher nicht verfassungswidrig (BVerfG SozR 3-8570 § 8 Nr. 5). Auch in Kenntnis des Vortrags der Bevollmächtigten des Klägers zur Verfassungswidrigkeit beziehungsweise Menschenrechtswidrigkeit der "Rentenüberleitung", der von ihnen seit Jahren ungeachtet der bestehenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des EGMR wiederholt wird, bestehen keine Bedenken, dem BVerfG und dem EGMR zu folgen. Allein deshalb, weil der Kläger beziehungsweise dessen Bevollmächtigte im besonderen die Rechtsprechung des BVerfG für sich nicht als gültig akzeptieren wollen oder sie in anderer Weise verstehen als es die Fachgerichte (und das BVerfG selbst) tun und weil sie sich von weiteren Verfassungsbeschwerden oder Beschwerden an den EGMR günstigere Entscheidungen dieser Gerichte erhoffen, ist der Senat nicht gehalten, von einer Entscheidung in der Sache abzusehen. Der Kläger verkennt dabei bezüglich des BVerfG ohnehin, dass dieses Gericht nicht dazu berufen ist, das einfache Recht "richtiger" auszulegen als die Fachgerichte (siehe beispielhaft etwa BVerfG, Beschluss vom 4. August 2004 – 1 BvR 1557/01 – unter III 1 b bb mit Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 7. Februar 2000 – 1 BvR 262/99). Weiteres Eingehen auf den Vortrag der Bevollmächtigten des Klägers erübrigt sich angesichts dessen. Selbst wenn die Beklagte dem zustimmte, gäbe es in der Folge keinen Anlass, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen (§ 202 SGG i. V. mit § 251 Zivilprozessordnung) oder es – auch ohne Zustimmung der Beklagten – auszusetzen (§ 114 SGG analog). Es ist weder zweckmäßig noch gar zwingend, den Rechtsstreit auf Grund der vom Kläger angeführten, anhängigen oder in Vorbereitung befindlichen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegenwärtig nicht in der Sache zu entscheiden. Für den Antrag, den ehrenamtlichen Richtern des Senats den Schriftsatz vom 1. März 2006 einschließlich Anlagen bereits vor der mündlichen Verhandlung vom 2. März 2006 zur Verfügung zu stellen, gibt es keine Rechtsgrundlage, so dass ihm gleichfalls nicht zu entsprechen war. In der mündlichen Verhandlung wie in der geheimen Beratung, welche der gerichtlichen Entscheidung vorausgeht, besteht für die ehrenamtlichen Richter auch ausreichend Gelegenheit, Fragen zur Sach- und Rechtslage zu stellen oder den Akteninhalt zur Kenntnis zu nehmen. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen angesichts der umfangreichen Rechtsprechung des BSG und des BVerfG zu § 7 AAÜG nicht vor. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
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