L 8 RJ 46/99

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 28 RJ 1041/95
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 RJ 46/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Juli 1999 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für den gesamten Rechtsstreit nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit. Der Kläger ist 1955 geboren worden. 1975 schloss er die dreijährige Berufsausbildung zum Maschinenschlosser erfolgreich ab. Er war in der Folgezeit in seinem Ausbildungsberuf beziehungsweise verwandten Berufen tätig, zuletzt bis 30. September 1987 versicherungspflichtig als Betriebsschlosser in einer Pressholzfabrik. Seither bezog er Sozialleistungen wegen Krankheit beziehungsweise wegen Arbeitslosigkeit. Vom Arbeitsamt geförderte Umschulungen zum technischen Zeichner beziehungsweise zum Güteprüfer wurden 1992 und 1993 aus gesundheitlichen Gründen abgebrochen. Vom 1. Dezember 1995 bis zum 31. Mai 1996 war der Kläger nochmals, als Computertechniker, versicherungspflichtig tätig. Seit 1994 ist ihm ein Grad der Behinderung nach dem Schwerbehindertengesetz/Sozialgesetzbuch Neuntes Buch von 60 zuerkannt (Bescheid des Versorgungsamtes II Berlin vom 28. April 1995; Funktionsbeeinträchtigungen: Wirbelsäulenverschleiss mit Bandscheibenschaden und Gefügelockerung, Retrolisthetis L5/S1, Übergewicht; psychische Behinderung; Sehschwäche). Ab dem 1. Januar 2005 hat ihm die Beklagte eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis zum 31. Juli 2007 auf Grund eines am 21. Juni 2004 (Beginn ärztlich bescheinigter Arbeitsunfähigkeit) eingetretenen Leistungsfalls zuerkannt. In Kostenträgerschaft der Beklagten befand sich der Kläger 1988 und 1993 in Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation (Reha). Aus der ersten, vom 27. Juli bis zum 24. August 1988 in der Rheumaklinik Bad B durchgeführten Reha-Maßnahme wurde er als vollschichtig leistungsfähig für die zuletzt ausgeübte Erwerbstätigkeit, im übrigen als vollschichtig leistungsfähig für mittelschwere Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen entlassen (Entlassungsbericht Dr. W/Dr. R/ V vom 6. September 1988). Aus der zweiten, vom 14. September bis zum 12. Oktober 1993 in der B-Klinik Bad E durchgeführten Maßnahme wurde er als dauerhaft leistungsunfähig für den zuletzt ausgeübten Beruf, im übrigen als vollschichtig leistungsfähig für leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen entlassen (Entlassungsbericht Dres. M und S vom 12. Oktober 1993; Diagnosen: LWS-Syndrom bei episodischer Wurzelreizung S1 links, Wirbelgleiten L5/S1, Grad II, Bandscheibenvorfall L4/L5 (CT).

Den Antrag auf Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit stellte der Kläger im September 1994. Die Beklagte veranlasste die Begutachtung durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. T. Er kam in seinem Gutachten vom 27. Dezember 1994 zu dem Ergebnis, dass der Kläger im Beruf des Maschinenschlossers nicht mehr leistungsfähig sei, im übrigen jedoch ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Arbeiten ohne Gefährdung durch Kälte oder Nässe, ohne häufiges Bücken, Knien und Hocken, häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten und ohne Arbeiten auf Leitern, Gerüsten oder mit Absturzgefahr besitze (Diagnosen: Therapieresistentes LWS-Syndrom mit Wurzelirritationsbeschwerden bei Spondylolisthesis L5/S1 und im CT dargestellten Prolapsen L4/L5 und L5/S1). Die Beklagte lehnte den Rentenantrag darauf hin durch Bescheid vom 17. Februar 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 1995 ab. Der Kläger sei zwar als Facharbeiter einzustufen und könne den rentenrechtlich maßgeblichen Beruf des Maschinenschlossers nicht mehr ausüben. Er müsse sich jedoch auf sozial zumutbare Tätigkeiten wie die des Kontrolleurs, Revisors oder Lagerverwalters in der Metallindustrie sowie auf die eines Registrators oder Telefonisten im öffentlichen Dienst verweisen lassen. Mit seiner auf Rente wegen Berufsunfähigkeit gerichteten Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass die Beklagte die Schwere der bestehenden Leistungsbeeinträchtigungen verkannt, nicht alle bei ihm vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen berücksichtigt und folglich das Restleistungsvermögen überschätzt habe. Das Sozialgericht hat Befundberichte von behandelnden Ärzten des Klägers (Arzt D vom 5. Februar 1996, Arzt für Orthopädie und Chirurgie R vom 30. April 1996) sowie eine Arbeitgeber-Auskunft der Firma K ohne Datum, beim Sozialgericht eingegangen am 11. Oktober 1996, und eine Auskunft des Berufsförderungswerkes E (R) vom 29. Oktober 1998 eingeholt. Es hat ferner ein arbeitsamtsärztliches Gutachten des Facharztes für Chirurgie D vom 21. Dezember 1994 beigezogen (Leistungseinschätzung: Vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte körperliche Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen). Diesem Gutachten war eines des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Berlin e.V. vom 3. Juli 1996 beigefügt, in welchem dem Kläger, der seit 20. Mai 1996 arbeitsunfähig krankgeschrieben war, bescheinigt wird, auf nicht einschätzbare Zukunft arbeitsunfähig zu sein. Das langjährige Lumballeiden sei durch die am letzten Arbeitsplatz erforderlichen körperlichen Verrichtungen verschlimmert worden.

Zu den Akten ist des weiteren ein Gutachten des Facharztes für Neurochirurgie Dr. Z vom 3. Februar 1997 gelangt, das im Auftrag der Beklagten im Rahmen eines Reha-Verfahrens erstattet worden war. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger vollschichtig noch leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten im Wechsel der Haltungsarten verrichten könne. Vermieden werden müsse häufiges Bücken, häufiges Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, Leiter- und Gerüstarbeit sowie Arbeit mit Absturzgefahr (Diagnose: Therapieresistentes LWS-Syndrom mit Wurzelreizerscheinungen links bei nachgewiesener Spondylolisthesis L5/S1. CT-graphischer Nachweis einer spinalen Enge und Protrusionen der Bandscheiben L3 bis L1). Im Auftrag des Sozialgerichts ist der Kläger durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. G begutachtet worden. Er ist in seinem Gutachten vom 9. Oktober 1997 (Untersuchungstag 28. August 1997) zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger täglich regelmäßig vollschichtig leichte körperliche Arbeiten, in überwiegend geschlossenen Räumen, unter normalem Einfluss von Hitze, Kälte, Staub, Feuchtigkeit und Zugluft, überwiegend im Sitzen aber auch im Wechsel der Haltungsarten verrichten könne. Zumutbar sei eine zeitweilig einseitige körperliche Belastung und mäßiger Zeitdruck. Arbeiten auf Leitern und Gerüsten seien nicht mehr möglich. Wirbelsäule, Arme und Beine seien für leichte Lasten belastbar. Das Heben und Tragen leichter Gewichte sei möglich. Einfache bis mäßig schwere geistige Arbeiten könne der Kläger verrichten (Diagnosen: Rezidivierende Lumboischialgien bei Wurzelschädigung L5 und S 1 links bei Ventralgleiten von L5 auf S1; Verdacht auf Analgetika-Missbrauch und -Abhängigkeit). Gegen das Gutachten hat sich der Kläger mit einem Attest des Arztes D vom 24. November 1997 gewandt. Vom 9. bis zum 30. Juni 1998 nahm der Kläger in Kostenträgerschaft der Beklagten an einer medizinischen Reha-Maßnahme in der Reha-Klinik L (S) teil. Aus ihr wurde er als arbeitsunfähig für den Beruf des Computertechnikers, im übrigen als vollschichtig leistungsfähig für leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten, ohne häufiges Bücken und ohne häufiges Heben, Tragen schwerer Lasten entlassen (Entlassungsbericht Dres. S und P vom 3. Juli 1998; Diagnosen: Chronisch rezidivierendes Schmerzsyndrom im Sinne einer Lumboischialgie S1 links bei computertomographischem Nachweis einer beidseitigen Spondylose und Spondylolisthese Grad U nach Meyerding LWK 5 über S1 sowie diskreten medio-lateralen linksseitigen Bandschreibenprolaps L4/5; hochgradige Adipositas).

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Kläger sei auf die Tätigkeit eines Fertigungs- und Güteprüfers in Metallbetrieben, Maschinenbedieners in der Kleinteilefertigung, Arbeiters im Hochregallager mit warenkundlichen Kenntnissen, Arbeiters im Fertigungs- und Modellbau sowie eines Verkaufsberaters in Geschäften für Computerzubehör verweisbar und sich auf eine von ihr in einem anderen Rentenverfahren ausgegangene Anfrage an die Vereinigung der Unternehmerverbände in Berlin und Brandenburg e.V. vom 10. Juni 1996 und die Antwort des Verbandes der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg vom 25. Juni 1996 bezogen. Das Sozialgericht hat den Zeugen T B zur Tätigkeit des Klägers bei der Firma K vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Anlage zum Protokoll des Erörterungstermins vom 13. Januar 1999 bezug genommen. Durch Urteil vom 6. Juli 1999 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. Oktober 1994 "die gesetzlich zustehende Leistung" und ab 1. Juli 1998 Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren. Der Kläger sei berufsunfähig. Bisheriger Beruf im Sinne des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung sei der des Maschinenschlossers, da ihn der Kläger nicht nur vorübergehend, sondern überwiegend ausgeübt habe. Von diesem Beruf habe sich der Kläger allein aus gesundheitlichen Gründen gelöst, wovon auch die Beklagte ausgehe. Den bisherigen Beruf könne er nicht mehr ausüben, nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen aber auch keine zumutbare Verweisungstätigkeit mehr verrichten. Die Tätigkeit als Computertechniker sei ihm nicht zumutbar, weil dabei zeitweilig mittelschwere bis schwere Arbeiten anfielen. Die im Widerspruchsbescheid genannten Verweisungstätigkeiten und die im Klageverfahren benannte Tätigkeit als Maschinenbediener in der Kleinteilefertigung entsprächen nicht den Anforderungen an die Benennung, wie sie das Bundessozialgericht aufgestellt habe. Die übrigen während des Klageverfahrens benannten Tätigkeiten kämen nicht in Betracht, weil sie entweder dem verbliebenen Leistungsvermögen des Klägers nicht entsprächen oder er die hierfür erforderlichen Kenntnisse nicht innerhalb einer Anlernzeit von drei Monaten erwerben könne. Mit ihrer Berufung macht die Beklagte geltend, dass der Kläger zumutbar auf die von ihr bereits benannten und darüber hinaus auf die Tätigkeit als Poststellenmitarbeiter im öffentlichen Dienst verwiesen werden könne. Sie halte die vom Sozialgericht aufgestellten Anforderungen an die Benennung von Verweisungstätigkeiten nicht für zutreffend. Im übrigen sei das Sozialgericht beim Rentenantrag von einem unzutreffenden Datum ausgegangen.

Ferner vertritt die Beklagte die Auffassung, dass nicht der Beruf des Maschinenschlossers sondern der des Computertechnikers der bisherige Beruf des Klägers sei, der mithin die Anforderungen an die Verweisungstätigkeit bestimme. Sie hat schließlich ein Gutachten des Facharztes für Chirurgie Dr. H vom 28. Juli 2005 zu den Akten gereicht, auf Grund dessen Leistungsbewertung dem Kläger eine Zeitrente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt worden war. Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Juli 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und vertritt die Auffassung, dass sein Gesundheitszustand sogar eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit rechtfertige. Zum Beleg hat er ein Attest des Facharztes für Orthopädie Dr. J, H, vom 16. Januar 2001, einen Arztbrief der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. R, Bad M, vom 31. Oktober 2000 sowie schließlich noch ein Attest der Augenärztin B vom 24. August 2005 zu den Akten gereicht. Im Auftrag des Senats hat der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B mit Datum des 1. August 2001 ein Gutachten über den Kläger erstattet. Er ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger noch täglich regelmäßig vollschichtig leichte körperliche Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten oder überwiegend im Sitzen, in geschlossenen Räumen unter Ausschluss von Hitze, Kälte, Feuchtigkeit oder Zugluft verrichten könne. Lasten bis zu 10 kg könnten gehoben und getragen werden. Einseitige Arbeiten und Arbeiten unter Zeitdruck seien zu vermeiden. Tätigkeiten in gebückter und gebeugter Körperhaltung könnten nicht ausgeübt werden. Arbeiten auf Leitern und Gerüsten und Arbeiten, die eine Belastbarkeit der Wirbelsäule und der Beine voraussetzten, seien nicht zumutbar. Einfache und mittelschwere geistige Arbeiten könne der Kläger verrichten. Auf Grund des linksseitig erheblich reduzierten Sehvermögens könne ein stereotypes Sehen nicht vorausgesetzt werden (Diagnosen: Degenerative Lendenwirbelsäulenveränderungen mit einer Spondylolisthesis Grad I bis II nach Meyerding mit spinaler Stenose und einem Bandscheibenvorfall L5/S1 sowie einem mediolateralen Bandscheibenvorfall L4/L5 links mit mittelgradig ausgeprägter Funktionsbehinderung der Wirbelsäule ohne sichere neurologische Ausfallerscheinungen; anhaltende somatoforme

Schmerzstörung bei depressiver Neurose; ausgeprägte Adipositas). Der Kläger ist dem Gutachten mit einer ärztlichen Bescheinigung der Ärztin für Psychiatrie Dr. H vom 26. Oktober 2001 entgegen getreten. Nachdem die Beklagte die Auffassung vertreten hatte, dass der Kläger noch die Tätigkeiten des Lageristen (Bedieners) in Hochregallagern und des Büroinformationselektronikers verrichtete könne, hat der Senat eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dr. B eingeholt und Ermittlungsunterlagen aus dem Rechtsstreit LSG Berlin L 6 RJ 67/01 in das Verfahren eingeführt.

Der Senat hat schließlich eine Auskunft des Verbandes der M in B e.V. (V) vom 9. August 2005 mit Ergänzung vom 12. September 2005 eingeholt, auf die Bezug genommen wird.

Die Gerichtsakte, die Akte des Rechtsstreits SG Berlin S 63 Ar 1814/92 sowie die Verwaltungsakte der Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit beziehungsweise an deren Stelle auf vorgezogenes Übergangsgeld bis zum Ende der medizinischen Reha-Maßnahme am 30. Juni 1998. Der erhobene Rentenanspruch bestimmt sich für die Zeit vor dem 1. Januar 2001 noch nach § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (im Folgenden ohne Zusatz zitiert), weil der Kläger seinen Rentenantrag im September 1995 gestellt hat und Rente wegen Berufsunfähigkeit auch für Zeiträume vor dem 1. Januar 2001 geltend macht (Umkehrschluss aus § 300 Abs. 2 SGB VI). Für einen "Versicherungsfall" nach dem 30. November 2000 und folglich einem Rentenbeginn ab 1. Januar 2001 oder später (§ 99 Abs. 1 SGB VI) beurteilt er sich dagegen nach § 240 SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung (im Folgenden: SGB VI n.F. = neue Fassung zitiert), der den Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit regelt, die an die Stelle der Rente wegen Berufsunfähigkeit getreten ist (Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 17. Februar 2005 – B 13 RJ 31/04 R -). Die Ansprüche auf Rente wegen Berufsunfähigkeit und wegen teilweiser Erwerbsminderung wegen Berufsunfähigkeit erfordern neben den sogenannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (bestimmte Vorversicherungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung), dass aus medizinischen Gründen Berufsunfähigkeit besteht (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, § 240 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI n.F.). Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 43 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB VI, § 240 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB VI). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig (nach § 43 Abs. 2 Satz 4 SGB VI) beziehungsweise mindestens sechs Stunden täglich (nach § 240 Abs. 2 Satz 4 SGB VI n.F.) ausüben kann; sowohl nach "altem" wie nach "neuem" Recht ist dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Der Kläger ist aus medizinischen Gründen nicht berufsunfähig im Sinne der gesetzlichen Vorschriften. Ausgangspunkt für die Prüfung von Berufsunfähigkeit ist der "bisherige Beruf" des Versicherten. Dies ist in der Regel jedenfalls dann die letzte, nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, wenn diese die qualitativ höchste ist. Eine zuletzt ausgeübte geringerwertige Tätigkeit ist dann unbeachtlich, wenn die vorangegangene höherwertige Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben wurde. Löst sich ein Versicherter vom erlernten Beruf aus anderen als gesundheitlichen Gründen, kann ein neuer Hauptberuf auf einer anderen sozialen Ebene jedoch dann angenommen werden, wenn er dem Erwerbsleben des Versicherten sein Gepräge gegeben hat. Durch die Ausübung einer lediglich befristeten Beschäftigung - zB im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme - löst sich der Versicherte dagegen grundsätzlich nicht von seinem bisherigen Beruf (siehe dazu ausführlich BSG, Urteil vom 5. August 2004 – B 13 RJ 7/04 R – zitiert nach Juris; zur – ständigen - Rechtsprechung des BSG, siehe ferner z.B. BSG in der Entscheidungssammlung Sozialrecht –SozR - 2200 § 1246 Nrn. 107, 130, 164, 169; BSG, Urteil vom 11. Mai 2000 – B 13 RJ 43/99 R -, zitiert nach Juris). Diese Kriterien berücksichtigend, ist bisheriger Beruf des Klägers der des Maschinenschlossers/Betriebsschlossers. Für die Zeit ab dem Rentenantrag bis zur Aufnahme der Beschäftigung als PC-Techniker gilt dies schon deshalb, weil ein bis dahin eingetretener "Versicherungsfall" rein logisch nicht auf der Unfähigkeit beruhen konnte, einen noch gar nicht ausgeübten Beruf nicht mehr ausüben zu können. Aber auch für die Zeit danach, in der die Beschäftigung als PC-Techniker wenigstens dem Grunde nach als bisheriger Beruf in Betracht kommt, ergibt sich nichts anderes. Als Tätigkeit in einem anerkannten Ausbildungsberuf, in dem der Kläger einen Berufsabschluss besitzt, steht der Beruf des Maschinenschlossers/Betriebsschlossers qualitativ über der zeitlich zuletzt ausgeübten Beschäftigung als PC-Techniker, für die der Kläger keine formale Berufsqualifikation besitzt. Vom Beruf des Maschinenschlossers/Betriebsschlossers hat sich der Kläger aus gesundheitlichen Gründen gelöst. Bereits der Reha-Entlassungsbericht aus dem Jahr 1988 spricht davon, dass der Kläger mittelschwere Arbeiten nur im Wechsel der Haltungsarten, ohne häufiges Bücken, häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten sowie ohne Gefährdung durch Kälte und Nässe verrichten könne. Damit aber wird – anders als in dem Entlassungsbericht angegeben - das berufsspezifische Anforderungsprofil von ihm nicht mehr erfüllt, so wie es aus der Auskunft des V vom 9. August 2005 hervorgeht.

Denn die Arbeit des Maschinen- bzw Betriebsschlossers umfasst Verrichtungen nicht nur in geschlossenen Räumen, sondern auch im Freien. Die Arbeit wird viel im Stehen und damit in nur einer Haltungsart verrichtet, ferner fallen auch viele Arbeiten in gebückter Haltung an. Solcherart Verrichtungen waren dem Kläger aber bereits bei Abschluss des ersten Heilverfahrens 1998 nicht mehr möglich, wie sich aus der Beschreibung des Leistungsvermögens ergibt. Spätestens ab dem Zeitpunkt der 1993 absolvierten medizinischen Reha-Maßnahme hat im Übrigen auch die Beklagte selbst die Auffassung vertreten, dass der Kläger den Beruf des Maschinenschlossers aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann. Der vom Kläger selbst angestrengte Wechsel des Berufsfeldes im Jahr 1995 war deshalb wesentlich durch diese Gründe bestimmt. Dies noch umso mehr, als zwei Versuche seitens des Arbeitsamtes, den Kläger in Berufe umzuschulen, die auf Kenntnisse und Fertigkeiten aus dem erlernten Beruf aufbauen konnten, gescheitert waren Dass der Kläger den Beruf des Maschinenschlossers/Betriebsschlossers auf Dauer nicht mehr ausüben kann, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und auch für das Gericht ergibt sich keine abweichende Bewertung der Sachlage. Wie ausgeführt, war bereits in dem Entlassungsbericht der Bückeburg-Klinik aus dem Jahr 1993 ausdrücklich diese Einschätzung abgegeben worden, und seither ist dies allen Leistungsbewertungen der von der Beklagten eingesetzten Gutachter und der gerichtlichen Sachverständigen zu entnehmen. Allein dass der bisherige Beruf nicht mehr ausgeübt werden kann, führt jedoch noch nicht zur Berufsunfähigkeit. Diese setzt vielmehr zusätzlich voraus, dass auch keine sozial zumutbare Erwerbstätigkeit vorhanden ist, die der Kläger mit dem verbliebenen Leistungsvermögen noch hätte ausführen können. Die soziale Zumutbarkeit richtet sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Hierzu hat das BSG das sogenannte Stufenschema entwickelt, welches die "Arbeiterberufe" in verschiedene Berufsgruppen unterteilt, die durch die Leitberufe - Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion bzw. besonders hoch qualifizierter Facharbeiter, - Facharbeiter (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von mehr als zwei Jahren) - angelernter Arbeiter (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren) - ungelernter Arbeiter (Anlern- oder Einweisungszeit bis zu drei Monate) charakterisiert werden.

Sozial zumutbar kann der Versicherte grundsätzlich nur auf Berufe der nächstniedrigeren Stufe verwiesen werden, die er binnen drei Monaten vollwertig ausüben kann. Soweit nicht die Verweisung auf ungelernte Arbeiten und damit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt in Betracht kommt, müssen die Verweisungsberufe konkret benannt werden (ständige Rechtsprechung des BSG, siehe etwa BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 143; SozR 3-2200 § 1246 Nr. 15 und SozR 3-2600 § 43 Nr. 17). Der Kläger kann sozial zumutbar noch auf die Tätigkeit als Mechaniker oder Blechschlosser bei der Herstellung und Montage elektromechanischer oder mechanischer Kleinteile, beziehungsweise Montierer von Kleinteilen bzw. Gerätezusammensetzer verwiesen werden. Das ergibt sich aus der Auskunft des V vom 9. August 2005 mit der Ergänzung vom 12. September 2005. Es gibt keinen Anlass, deren Richtigkeit in Frage zu stellen, da sie von einem Fachverband der Industrie stammt, der auf Grund seiner Verbandsarbeit einschließlich der Zusammenarbeit mit den Tarifvertragspartnern über aktuelle und abgesicherte berufskundliche Kenntnisse verfügt. Bei den, nach der Auskunft zu einem einheitlichen Tätigkeitsbereich zu verbindenden Verrichtungen handelt es sich nach dieser Auskunft um solche, die jedenfalls dem Bereich der angelernten Tätigkeiten zuzuordnen sind und vom Kläger nach seiner Ausbildung und Berufslaufbahn spätestens binnen drei Monaten vollwertig ausgeübt werden können. Sie entsprechen auch seinem gesundheitlichen Leistungsvermögen, wie der V an Hand der vom Gericht mitgeteilten qualitativen Einschränkungen des Leistungsvermögens mitzuteilen wusste, die übereinstimmend von allen im Lauf des Verwaltungs- und Klageverfahrens tätig gewordenen Gutachtern und Sachverständigen festgestellt worden waren. Das von der Beklagten zu den Akten gereichte Gutachten des Dr. H vom 28. Juli 2005 gibt keinen Anlass zu einer anderen Bewertung, da der Gutachter keine Befunde mitteilt, die nicht schon von den vorher tätig gewordenen Sachverständigen und Gutachtern erkannt worden wären. Mit der für die Zuerkennung eines Anspruchs erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit dafür, dass die anspruchsbegründenden Tatsachen vorliegen, lässt sich deshalb nicht begründen, dass bereits vor dem vom Gutachter angenommenen Datum 21. Juni 2004 eine Einschränkung des Leistungsvermögens vorlag, welche die genannte Verweisungstätigkeit ausschließen würde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch bei progredient verlaufenden Krankheitsbildern ein konkreter Anknüpfungspunkt vorhanden sein muss, anhand dessen sich eine rentenrechtlich erhebliche Veränderung des Leistungsvermögens festmachen lässt.

Der Einsatzfähigkeit des Klägers in diesem Bereich steht auch nicht entgegen, dass er auf dem linken Auge stark sehbehindert ist. Dadurch ist, wie der Sachverständige Dr. B erkannt hat, zwar ein stereotypes Sehen ausgeschlossen. Diese Fähigkeit ist jedoch nicht erforderlich dafür, den Verweisungsberuf ausüben zu können. Wie der V in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 12. September 2005 ausgeführt hat, ist maßgeblich, ob der Arbeitnehmer mit dem verbliebenen Sehvermögen in der Lage ist, die Stellen für die Montage der Kleinteile richtig zu verorten. Nachvollziehbar leitet der V daraus ab, dass die Arbeit auch von Personen zu bewerkstelligen ist, die lediglich auf einem Auge eine uneingeschränkte Sehschärfe haben, wenn sie im Sehen auf nur einem Auge geübt sind. Auf dem rechten Auge verfügt der Kläger – anders als er vorträgt – über eine uneingeschränkte Sehschärfe. Denn noch in dem aktuellen Attest der Augenärztin B vom 25. August 2005 wird sie mit 1,0 und damit dem Normalwert angegeben. Es bestehen auch keine Zweifel daran, dass der Kläger im einäugigen Sehen geübt ist. Die Einschränkung des Sehvermögens auf dem linken Auge beruht auf einer seit Geburt vorhandenen Erkrankung. Unabhängig davon, in welcher Ausprägung sie bereits im Zeitpunkt der Ausbildung des Klägers als "eingebrachtes Leiden" oder später während des aktiven Berufslebens des Klägers vorhanden war, war sie jedenfalls bereits bei der Feststellung des Grades der Behinderung im Jahr 1995 in einem Umfang vorhanden, der es rechtfertigte, eine Sehschwäche als eigenständige Funktionsbeeinträchtigung zur Begründung des zuerkannten Grades der Behinderung in den Bescheid des Versorgungsamtes aufzunehmen. Ausgehend davon, dass die Verschlechterung des Sehvermögens auf dem rechten Auge schon nach dem eigenen Vortrag des Klägers allein darin besteht, dass er nunmehr eine Lesebrille benötigt, um seine Fehlsichtigkeit zu korrigieren und weiter ausgehend davon, dass folglich die gegenwärtig festgestellte Sehschärfe auf dem rechten Auge im gesamten streitigen Zeitraum mit oder ohne Sehhilfe bei 1,0 lag, musste die (nicht mehr korrigierbare) Sehschärfe auf dem linken Auge bereits 1995 auf 0,5 oder weniger gesunken sein, um einen Grad der Behinderung von wenigstens 5 vom Hundert zu rechtfertigen (Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, Ausgabe 1983 Nr. 26.4 S. 51; Ausgabe 1996 Nr. 26.4 S. 65). Gleichwohl war der Kläger in der Lage, 1995/1996 die Tätigkeit als PC-Techniker jedenfalls insoweit auszuüben, als sie nach seinem eigenen Bekunden auch das Bestücken oder Reparieren der Geräte, mit anderen Worten ebenfalls das Hantieren mit kleinen Teilen umfasste. Das indiziert, dass er bereits in diesem Zeitraum ausreichend darin geübt war, sein voll funktionsfähiges rechtes Auge für alle Verrichtungen, die ein scharfes Sehen erfordern, allein zu gebrauchen.

Dies noch umso mehr, als die im Mai 1996 eingetretene Arbeitsunfähigkeit allein auf orthopädischen Beschwerden beruhte. Nachdem kein Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit besteht, kann der Kläger auch nicht das an Stelle der Rente zu zahlende "vorgezogene" Übergangsgeld (§ 25 Abs. 2 i.V. mit § 116 Abs. 1 SGB VI) vom Zeitpunkt des Rentenantrags bis zum Abschluss einer während des Rentenverfahrens durchgeführten Reha-Maßnahme beanspruchen – das vom Sozialgericht offenbar mit dem Begriff "gesetzlich zustehende Leistung" gemeint war. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gründe dafür, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved