L 8 R 1444/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 1 RA 298/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 R 1444/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 7. Juli 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:
I.

Streitig ist die Feststellung von Daten nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG). Der Kläger ist 1946 geboren worden. Am 20. Februar 1974 wurde ihm durch die Ingenieurschule für Maschinenbau und Elektrotechnik Berlin das Recht verliehen, die Berufsbezeichnung Ingenieur zu führen. Ab 1. Februar 1974 (Angabe des Klägers) bzw. 1. September 1974 (Bescheinigung des früheren Arbeitgebers) war er im VEB Bandstahlkombinat "H M", E, beschäftigt. Dieser Betrieb wurde am 28. Juni 1990 im Register der Volkseigenen Wirtschaft des Bezirks Frankfurt (Oder) gelöscht und am darauf folgenden Tag die E AG E als dessen Rechtsnachfolger in das Handelsregister eingetragen. Bei der AG war der Kläger auch am 30. Juni 1990 beschäftigt. Den im November 2002 gestellten Antrag auf Feststellung der Zeit vom 1. Februar 1974 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem nach Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG (Altersversorgung der technischen Intelligenz) und der in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Entgelte lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 25. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. April 2003 ab. Eine Versorgungsanwartschaft sei nicht entstanden, da weder zu DDR-Zeiten eine Versorgungszusage erteilt noch am 30. Juni 1990 eine Beschäftigung ausgeübt worden sei, die aus bundesrechtlicher Sicht dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen sei. Er habe am 30. Juni 1990 nicht bei einem Arbeitgeber gearbeitet, der nach den Regeln der Versorgungssysteme in die Versorgung einbezogen war. Entscheidend sei das Datum der Löschung im Register der Volkseigenen Wirtschaft und die Eintragung in das Handelsregister. Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass er die Voraussetzungen für eine "fiktive Einbeziehung" in die Altersversorgung der technischen Intelligenz nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfülle. Er hat auf die Eintragung in seinem Sozialversicherungsausweis verwiesen, in dem bis zum 30. Juni 1990 eine Beschäftigung beim VEB Bandstahlkombinat "H M" eingetragen sei. Abgesehen davon sei nicht zwingend, dass die Voraussetzungen für die fiktive Einbeziehung genau am 30. Juni 1990 erfüllt sein müssen.

Das Sozialgericht hat einen Auszug aus dem Register der Volkseigenen Wirtschaft zum VEB Bandstahlkombinat E ("H M") vom Amtsgericht Frankfurt (Oder) - Altregister - und einen Handelsregisterauszug zur EKO Stahl AG vom Amtsgericht Eisenhüttenstadt beigezogen. Durch Urteil vom 7. Juli 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Das AAÜG sei auf den Kläger nicht anwendbar, so dass die begehrten Feststellungen nicht getroffen werden könnten. Er erfülle nicht die Voraussetzungen für eine Versorgungsanwartschaft. Unstreitig sei ihm zu DDR-Zeiten keine Versorgungszusage erteilt worden. Aber auch die Voraussetzungen für eine obligatorische Einbeziehung in ein Versorgungssystem seien nicht erfüllt. Der Kläger habe nicht, wie für die Altersversorgung der technischen Intelligenz erforderlich, am 30. Juni 1990 in einem volkseigenen Betrieb der Industrie oder des Bauwesens oder einem gleichgestellten Betrieb gearbeitet. Die E AG sei bereits am 29. Juni 1990 in das Register eingetragen worden. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er habe nicht nur von seiner Qualifikation und der Art seiner Tätigkeit her die Voraussetzungen für die fiktive Einbeziehung in die Altersversorgung der technischen Intelligenz erfüllt. Er habe auch am 30. Juni 1990 in einem Volkseigenen Betrieb gearbeitet. Die Umfirmierung des VEB zum 29. Juni 1990 ändere daran nichts. Eine Privatisierung im Sinne einer Überführung in Privateigentum habe es bis zum 30. Juni 1990 noch nicht gegeben. Bei ehemaligen Kollegen seien die von ihm begehrten Feststellungen von der Beklagten zudem getroffen worden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 7. Juli 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 25. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. April 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Beschäftigungszeiten vom 1. Februar 1974 bis zum 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG) sowie die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Entgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen. Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten lagen dem Gericht bei seiner Entscheidung vor. Für Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.

II.

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss über die Berufung entscheiden, da er sie einstimmig für unbegründet und angesichts der eindeutigen Sachlage und der höchstrichterlich geklärten Rechtslage eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG -). Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, kann der Kläger die begehrten Feststellungen nicht beanspruchen. Er fällt nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG. Denn er hatte bei In-Kraft-Treten dieses Gesetzes am 1. August 1991 keinen Versorgungsanspruch gegen einen Versorgungsträger und auch keine Versorgungsanwartschaft. Eine Versorgungsanwartschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG zum 1. August 1991 hätte der Kläger nur gehabt, wenn sie einzelvertraglich vereinbart gewesen wäre oder ein nach Art. 19 Satz 1 Einigungsvertrag (EV) bindend gebliebener Verwaltungsakt einer Versorgungsstelle der DDR oder eine Versorgungsbewilligung eines Funktionsnachfolgers einer solchen Stelle oder ein Verwaltungsakt eines Versorgungsträgers im Sinne von § 8 Abs. 4 AAÜG oder eine sonstige bindende Entscheidung eines solchen Versorgungsträgers über das Bestehen einer derartigen Versorgung ("Status-Feststellung", siehe dazu etwa BSG, Urteil vom 18. Juni 2003 – B 4 RA 50/02 R -, zitiert nach Juris) vorliegen würde. Keine dieser Alternativen ist erfüllt. Der Kläger hatte aber auch am 1. August 1991 keinen Anspruch darauf, fiktiv so behandelt zu werden als sei ihm eine Versorgungszusage erteilt worden. Dieser Anspruch hat seine Grundlage in einer verfassungskonformen erweiterten Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG. Die Vorschrift ist auch auf diejenigen zu erstrecken, die am 30. Juni 1990 (dem Tag vor der Schließung der Zusatzversorgungssysteme der DDR) zwar nicht in ein Zusatzversorgungssystem einbezogen waren, aber aus bundesrechtlicher Sicht auf Grund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage nach der bundesrechtlichen Rechtslage zum 1. August 1991 einen "Anspruch auf eine Versorgungszusage" im Hinblick auf die bundesrechtlich weiter geltenden leistungsrechtlichen Regeln der Versorgungssysteme gehabt hätten. Es kommt somit in erster Linie auf das Bundesrecht des AAÜG an sowie nachrangig und lückenfüllend kraft bundesrechtlichen Anwendungsbefehls (Art. 9. Abs. 2 EV) auch auf die nach Maßgabe des Bundesrechts auszulegenden Versorgungsregeln im EV , der in Bundesrecht transformiert worden ist (ständige Rechtsprechung des BSG, s. etwa in Entscheidungssammlung Sozialrecht – SozR - 4-8570 § 1 Nr. 6 und in SozR 3-8570 § 1 Nr. 2, 3 und 8). Für den Kläger kommt ein Anspruch auf eine Versorgungszusage unter Berücksichtigung seiner Beschäftigung am 30. Juni 1990 allenfalls – wie es auch seinem Antrag entspricht - auf der Grundlage der Regeln der Altersversorgung der technischen Intelligenz (Versorgungssystem nach Anlage 1 Nr. 1 AAÜG) in Betracht. Nach den bundesrechtskonform auszulegenden Regeln dieses Versorgungssystems bestand am 1. August 1991 aus bundesrechtlicher Sicht zum Stichtag 30. Juni 1990 kein Recht, das die Beklagte im Sinne einer gebundenen Verwaltung verpflichtet hätte, den Kläger durch Einzelfallregelung in ein Versorgungssystem einzubeziehen. Er war am Stichtag 30. Juni 1990 nach der vom Sozialgericht bereits zitierten Versorgungsordnung und der hierzu ergangenen Durchführungsbestimmung kein obligatorisch Versorgungsberechtigter, da er nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesen gearbeitet und damit die so genannte betriebliche Voraussetzung nicht erfüllt hat. Denn er war am 30. Juni 1990 bei einer Aktiengesellschaft beschäftigt. Das ergibt sich eindeutig aus den vom Sozialgericht beigezogenen Registerauszügen. Betriebe in der Rechtsform einer juristischen Person des Privatrechts (wie die AG oder die GmbH) erfüllen diese Voraussetzung nicht, auch wenn sie unmittelbare Rechtsnachfolger eines VEB sind (s. im besonderen BSG, Urteil vom 29. Juli 2004 – B 4 RA 12/04 R -, zitiert nach Juris). Was in den Sozialversicherungsausweis des Klägers eingetragen war, hat keine rechtliche Bedeutung, weil diese Eintragungen nicht über die Rechtsform eines Betriebs entscheiden können. Ob der Kläger vor dem 30. Juni 1990 angesichts seiner Qualifikation, der Art seiner Beschäftigung und des Beschäftigungsbetriebs zu bestimmten Zeiten die Voraussetzungen für die Einbeziehung in ein System der Zusatzversorgung erfüllt haben könnte, musste nicht geprüft werden, weil dies – da die Sachlage am 30. Juni 1990 maßgeblich ist - rechtlich keine Bedeutung hat. § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG führt zu keinem anderen Ergebnis, weil diese Vorschrift voraussetzt, dass eine Rechtsposition (einzelvertragliche Vereinbarung, Versorgungszusage durch eine staatliche Stelle der DDR) tatsächlich bestand, die der Begünstigte vor dem 30. Juni 1990 verloren hatte (BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 und 3; BSG, Urteil vom 29. Juli 2004 – B 4 RA 16/04 R -, zitiert nach Juris).

Ein Verstoß des § 1 AAÜG in der Auslegung des BSG gegen Verfassungsrecht, im Besonderen gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), liegt nicht vor. Die Ungleichbehandlung ist bereits in den Versorgungsordnungen der DDR angelegt. Der Gesetzgeber des Einigungsvertrags war von Verfassungs wegen nicht gehalten, sie nachträglich zu korrigieren; auch der Stichtag 30. Juni 1990 ist nicht zu beanstanden, da er an den Tag des In-Kraft-Tretens des Verbots der Neueinbeziehung in die Versorgungssysteme der DDR und damit an einen in der geschriebenen Rechtsordnung verankerten Zeitpunkt anknüpft (siehe Nichtannahmebeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts in SozR 4-8570 § 5 Nr. 4 und jüngstens vom 26. Oktober 2005 – 1 BvR 1921/04 u. a. -, zitiert nach www.bundesverfassungsgericht.de). Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liegt auch nicht im konkreten Fall vor, selbst wenn davon ausgegangen würde, dass die Beklagte – wie der Kläger vorträgt - bei im wesentlichen gleicher Sachlage bei anderen seiner früheren Kollegen Feststellungen nach dem AAÜG getroffen hätte. Die Entscheidung darüber, ob das AAÜG anwendbar ist, steht nicht im Ermessen der Beklagten. Dementsprechend kann nicht aus Art. 3 Abs. 1 GG ein Anspruch auf eine gleichförmige Ermessensausübung hergeleitet werden. Abgesehen davon besteht in keinem Fall ein Anspruch auf eine Gleichbehandlung im Unrecht, da durch ein Handeln der an Gesetz und Recht gebundenen Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) kein dauerhaft rechtswidriger Zustand geschaffen werden darf (s. zum Ganzen etwa BSG, Beschluss vom 9. Dezember 1999 – B 9 V 61/99 B -, zitiert nach Juris, unter Bezug auf BVerfGE 50, 142 [166]; dazu, dass im Bereich der "gebundenen" Verwaltung aus einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis keine Rechte hergeleitet werden können BSG, Urteil vom 20. April 2003 – 4 RA 7/92 -, zitiert nach Juris).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved