L 8 R 144/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 17 RA 700/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 R 144/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. August 2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Die Klägerin ist 1932 in Ungarn geboren worden. Im Juni 2003 beantragte sie bei der Beklagten eine "ghetto pension under ZRBG" (ZRBG = Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto). Auf die Frage im Antragsformular zu "Beginn und Ende der Beschäftigung" antwortete sie "vom 26. September 1944 bis 18. Januar 1945", auf die Frage "in welchem Arbeitsressort (ggf. Nr.) waren Sie beschäftigt" mit "in dieser Zeit war ich ein Kind (12 Jahre alt)". Durch Bescheid vom 8. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2003 lehnte es die Beklagte ab, der Klägerin eine Rente zu gewähren. Die Klägerin habe in keinem Beschäftigungsverhältnis gegen Entgelt gestanden. Dass sie – wie im Widerspruchsverfahren vorgetragen – Arbeiten in der Küche verrichtet habe, stelle kein Beschäftigungsverhältnis im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung dar. Der bloße Aufenthalt in einem Ghetto führe nicht zu einem Zahlungsanspruch. Mit ihrer Klage hat die Klägerin weiter geltend gemacht, dass ihr eine Rente zu zahlen sei. Sie sei als zwölfjähriges Kind in das Ghetto gekommen und den dort einsitzenden Schicksalsgenossen behilflich gewesen. Sie habe keine Bezahlung bekommen. Das Ghetto habe für ihr ganzes Leben schwere Spuren hinterlassen sowohl im Nervensystem wie auch in ihrer Psyche. Durch Urteil vom 26. August 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung auf die Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid verwiesen. Es seien keine Versicherungszeiten in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung vorhanden. Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Anliegen weiter.

Sie beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. August 2004 und den Bescheid der Beklagten vom 8. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Altersrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten lagen dem Gericht bei seiner Entscheidung vor. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -). Streitig ist der Sache nach ein Anspruch auf Altersrente. Das ZRBG selbst regelt keine Rentenansprüche, sondern nur Bestimmungen über die Auszahlung von Rentenleistungen der gesetzlichen Rentenversicherung, wenn diese nach den Vorschriften des allgemeinen Rentenrechts nicht möglich wäre. Das ZRBG enthält auch keine allgemeine Entschädigung für persönliches Leid oder körperliche oder seelische Erkrankungen auf Grund eines Zwangsaufenthaltes in einem Ghetto. Der – für die Klägerin allein in Betracht kommende – Anspruch auf Regelaltersrente setzt voraus, dass die Versicherte das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit erfüllt hat (§ 35 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – SGB VI -). Die Klägerin hat zwar am 1997 das 65. Lebensjahr vollendet, doch ist die Wartezeit für die Regelaltersrente nicht erfüllt. Nach § 50 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI ist die Erfüllung der Wartezeit von fünf Jahren Voraussetzung für den Anspruch. Nach § 51 Abs. 1 SGB VI werden auf die allgemeine Wartezeit Kalendermonate mit Beitragszeiten angerechnet. Nach § 51 Abs. 4 SGB VI werden auf die Wartezeiten auch Kalendermonate mit Ersatzzeiten (das sind bestimmte Zeiten nach Vollendung des 14. Lebensjahres, in denen keine Versicherungspflicht bestand, § 250 SGB VI) angerechnet. Es kann dahin gestellt bleiben, ob die Klägerin die allgemeine Wartezeit zusammen mit "Ersatzzeiten" oder unter Umständen zusammen mit Beitragszeiten in Ungarn, die auf Grund von zwischenstaatlichen Abkommen über die Sozialversicherung oder dem Recht der Europäischen Union anrechenbar sind, überhaupt erfüllt hat. Denn um eine Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung erlangen zu können, muss sie jedenfalls "Versicherte" gewesen sein. Versichert ist aber nur diejenige, für die ein Beitrag zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung vor Beginn der Rente wirksam gezahlt worden ist oder aber als wirksam entrichtet gilt. Die Klägerin hat nicht wenigstens einen Monat einer solchen "Beitragszeit" in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt. Nach § 55 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB VI sind Beitragszeiten solche Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Pflichtbeitragszeiten sind auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Die Klägerin hat die fragliche Arbeit in Ungarn verrichtet und damit naturgemäß außerhalb des Geltungsbereichs deutschen Bundesrechts und auch außerhalb des Geltungsbereichs der Rentenversicherungsgesetze des früheren Deutschen Reichs. Damit kann die Klägerin eine in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zu berücksichtigende Beitragszeit nur auf Grund von § 15 Abs. 1 Satz 1 Fremdrentengesetz (FRG) zurückgelegt haben. Diese Bestimmung sieht vor, dass Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichstehen. Nach Maßgabe des § 16 FRG gilt entsprechendes für Beschäftigungszeiten im Vertreibungsgebiet. Auch hier kann wiederum dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen für die prinzipielle Anwendbarkeit des FRG überhaupt vorliegen (siehe dazu ausführlich Bundessozialgericht – BSG – in Entscheidungssammlung Sozialrecht – SozR - 4-5050 § 15 Nr. 1). Denn eine Gleichstellung ungarischer Beitragszeiten gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 FRG würde voraussetzen, dass die Entrichtung von Beiträgen zum ungarischen Rentenversicherungsträger nachgewiesen oder wenigstens glaubhaft gemacht ist (vgl. § 4 Abs. 1, 2 FRG). Dafür, dass Beiträge an den ungarischen Versicherungsträger für die Arbeit der Klägerin entrichtet worden ist, gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Ohne Nachweis oder Glaubhaftmachung von Beitragszeiten zum ausländischen Versicherungsträger können nur über § 15 Abs. 3 Satz 1 FRG Zeiten der Beschäftigung im Ausland einer in Deutschland zurückgelegten Beitragszeit gleichstehen. Diese Vorschrift bestimmt: "Zeiten einer Beschäftigung, die bei ihrer Zurücklegung nach dem zu dieser Zeit geltenden Recht als Beitragszeiten im Sinne des Absatzes 1 anrechnungsfähig waren und für die an einen Träger eines Systems der sozialen Sicherheit Beiträge nicht entrichtet worden sind, stehen den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich, soweit für sie nach Bundesrecht Beiträge zu zahlen gewesen wären" Ob eine Versicherungspflicht für die von der Klägerin verrichtete Arbeit nach damaligem ungarischem Sozialversicherungsrecht bestanden hat, kann wiederum offen bleiben. Denn eine Gleichstellung mit deutschen Beitragszeiten scheidet jedenfalls deshalb aus, weil die weitere Voraussetzung des § 15 Abs. 3 Satz 1 FRG (" ... soweit für sie Beiträge nach Bundesrecht zu zahlen gewesen wären.") nicht gegeben ist. Nach den deutschen Sozialversicherungsgesetzen waren zur damaligen Zeit nur Beschäftigungen in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig, für die ein Entgelt gezahlt wurde (ausführlich dazu, im Besonderen auch zu den Rechtsvorschriften über die Versicherungspflicht BSG SozR 4-5050 § 15 Nr. 1). Die Klägerin selbst hat stets betont, dass sie für ihre Arbeit kein Geld erhalten hat. Damit hat sie eindeutig keine Beschäftigung ausgeübt, die zu einer "Beitragszeit" im Sinne des § 15 FRG führen könnte. Die Klägerin kann sich auch nicht auf § 16 FRG berufen, weil auch hiernach nur Beschäftigungen einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland gleichstehen, wenn sie nach dem am 1. März 1957 geltenden Recht Versicherungspflicht in den gesetzlichen Rentenversicherungen begründet hätten. Damit scheitert auch eine "Beschäftigungszeit" auf jeden Fall daran, dass die Klägerin kein Entgelt für ihre Arbeit erhalten hat. Aus dem ZRBG ergibt sich kein für die Klägerin günstigeres Ergebnis. Denn die Voraussetzungen des § 1 ZRBG für die Zahlbarmachung einer Rente aus der Zeit der Beschäftigung der Klägerin in der streitigen Zeit sind nicht erfüllt. Nach § 1 Abs. 1 ZRBG gilt dieses Gesetz für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn 1. die Beschäftigung a) aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, b) gegen Entgelt ausgeübt wurde und 2. das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird. Dem ZRBG ist nicht zu entnehmen, dass es für andere Arten von Beschäftigungen in einem Ghetto Geltung beansprucht als solchen, die nach der so genannten Ghetto-Rechtsprechung des BSG als versicherungspflichtige Beschäftigungen anzusehen sind. Das Gesetz knüpft erkennbar an die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit für eine versicherungspflichtige Beschäftigung in einem Ghetto an. Dies ergibt sich auch aus der hierzu vorliegenden Gesetzesbegründung (Bundestags-Drucksache 14/8583, S. 1, 6; 14/8602, S 1, 5), wonach dieses Gesetz ausdrücklich in Reaktion der Rechtsprechung des BSG verabschiedet worden ist, um in vielen Fällen die daraus resultierenden Rentenansprüche ins Ausland erst zahlbar zu machen. Eine Erweiterung des anspruchsberechtigten Personenkreises über den von der Ghetto-Rechtsprechung begünstigten hinaus ist ersichtlich vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen. Die in § 1 ZRBG genannten Kriterien folgen vielmehr der Rechtsprechung des BSG und verdeutlichen die Trennung zur nichtversicherten Zwangsarbeit (Bundestags-Drucksache 14/8583, S 6; 14/8602, S 6). Die Begründung des Gesetzgebers verdeutlicht auch, dass durch das ZRBG kein Rentenanspruch aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung als generelle Entschädigung für Arbeiten in einem Ghetto oder noch allgemeiner auf Grund der Freiheitsberaubung im Ghetto und daraus folgenden körperlichen und psychischen Folgen eingeführt worden war. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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