Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 88 SO 35/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 B 34/06 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 27. Januar 2006 aufgehoben. Der Antragsgegner wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab Januar 2006 für vorerst 6 Monate Leistungen der Grundsicherung unter Berücksichtigung der vollen Kosten für Miete und Heizung (derzeit in Höhe von 558, 94 Euro) zu gewähren.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.
Gründe:
I.
Der Antragsteller, dem nach jahrelangem Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente seit Dezember 2005 Regelaltersrente in Höhe von monatlich 542, 34 Euro gezahlt wird, bezieht vom Antragsgegner ergänzende Leistungen der Grundsicherung nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – SGB XII -. Nach § 42 SGB XII sind in seine Bedarfsberechnung neben dem Regelsatz von zur Zeit 345 Euro zumindest ein Mehrbedarf gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII und die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Sinne des § 29 SGB XII einzustellen. Die Kaltmiete für die vom Antragsteller seit September 1985 genutzte, nach dem Tod seiner Lebensgefährtin am 13. März 2005 aber allein bewohnte, cirka 76 m² große 2 ½ Zimmer-Wohnung beträgt 432, 94 Euro, hinzu kommen Gasheizungskosten in Höhe von derzeit monatlich 126 Euro. Als "angemessene" Kosten der Unterkunft hat der Antragsgegner seit Oktober 2005 nur noch eine Miete von 241, 57 Euro sowie auf 50 m² bezogene Heizkosten in Höhe von 75, 66 Euro in Ansatz gebracht (Bescheid vom 6. Oktober 2005). Aufgrund des Änderungsbescheides vom 29. November 2005 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 12. Dezember 2005 berücksichtigt er für die Zeit ab 1. Januar 2006 als "angemessene" Bruttowarmmiete für den 1-Personen-Haushalt des Antragstellers monatlich 360 Euro, wogegen dieser am 20. Dezember 2005 Widerspruch eingelegt und die Übernahme der vollen Unterkunftskosten begehrt hat. Zur Begründung hat er geltend gemacht, dass ihm im Hinblick auf seine Schwerbehinderung ein Auszug aus dieser Wohnung, die er mit erheblichen Mitteln behindertengerecht ausgebaut habe, nicht zuzumuten sei und bisherige Bemühungen um einen Untermieter keinen Erfolg gehabt hätten.
Mit gleicher Begründung hat der Antragsteller am 5. Januar 2006 einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt, den das Sozialgericht mit Beschluss vom 27. Januar 2006 abgelehnt hat. Die tatsächlichen Kosten der Unterkunft des Antragstellers seien nicht angemessen im Sinne des § 29 SGB XII. Sie hätten nur noch für 6 Monate übernommen werden können, gerechnet ab dem Aufklärungsschreiben des Antragsgegners vom 15. März 2005, mit dem er den Antragsteller aufgefordert habe, innerhalb von 3 Monaten die Kosten der Unterkunft durch Untervermietung zu senken oder sich um eine günstigerer Wohnung zu bemühen. Die Behinderungen des Antragstellers rechtfertigten nicht den Schluss, dass ihm ein Umzug nicht zuzumuten wäre. Die jetzt nur noch berücksichtigte Bruttowarmmiete von 360 Euro entspreche dem Richtwert für einen 1-Personen-Haushalt nach den Ausführungsvorschriften zu § 22 SGB II, die zur Vermeidung von ungerechtfertigten Ungleichbehandlungen von Leistungsbeziehern nach dem SGB XII und dem SGB II hier entsprechend zugrunde zu legen seien.
II.
Die dagegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts liegen die Voraussetzungen des § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – in Verbindung mit § 920 Zivilprozessordnung – ZPO – für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung vor.
Der Antragsteller hat im Rahmen der ihm gemäß § 42 SGB XII unstreitig zustehenden ergänzenden Leistungen der Grundsicherung Anspruch auf die Berücksichtigung seiner tatsächlichen derzeitigen Kosten für Miete (432, 94 Euro) und Heizung (126 Euro) ab 1. Januar 2006 für vorläufig 6 Monate glaubhaft gemacht.
Zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "angemessenen Aufwendungen" für Unterkunft und Heizung im Sinne des § 29 SGB XII kann auf die Ausführungsvorschriften der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz zurückgegriffen werden, die unter Berücksichtigung des örtlichen Wohnungsmarktes und Mietspiegels sowie der persönlichen und familiären Verhältnisse der Leistungsberechtigten ergehen (vgl. § 29 Abs. 2 SGB XII). Mit Rundschreiben I Nr. 24/2005 vom 8. Dezember 2005, das mit Wirkung vom 15. Dezember 2005 in Kraft getreten ist, hat die Senatsverwaltung zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsausübung im Land Berlin festgesetzt, dass die angemessenen Kosten für die Wohnung für den Personenkreis der Leistungsberechtigten nach dem SGB II und dem SGB XII nach einem einheitlichen Maßstab zu ermitteln und deshalb die landesrechtlichen Ausführungsvorschriften zu § 22 SGB II (AV-Wohnen) vom 1. Oktober 2005 auch für Leistungsempfänger nach dem SGB XII anzuwenden sind. Zwar gilt nach Ziffer 4 Abs. 2 der AV-Wohnen für einen 1-Personen-Haushalt als Richtwert eine Bruttowarmmiete von 360 Euro als angemessen, auf die der Antragsgegner und das Sozialgericht im vorliegenden Fall in ihren angefochtenen Entscheidungen auch abgestellt haben. Beide haben aber unberücksichtigt gelassen, dass dem Antragsteller die Härtefallbestimmungen für bestehenden Wohnraum nach der AV-Wohnen zugute kommen, die bei dem vom SGB XII erfassten Personenkreis grundsätzlich zunächst zu prüfen sind (vgl. Ziffer 2 des Rundschreibens I Nr. 24/2005). Nach Ziffer 4 Abs. 5 der AV-Wohnen können bei bestehendem Wohnraum die in Absatz 2 aufgeführten Richtwerte im Einzelfall um bis zu 10 Prozent überschritten werden, und zwar insbesondere – unter anderem – bei mindestens 15-jähriger Wohndauer sowie bei über 60-jährigen Hilfeempfangenden. Treffen diese Merkmale zusammen oder besteht eine schwere Krankheit oder Behinderung, können nach Abs. 9 der genannten Vorschrift Maßnahmen zur Senkung der Wohnungskosten "in der Regel" nicht verlangt werden. Der Antragsteller erfüllt alle diese Voraussetzungen, denn er hat bereits das 65. Lebensjahr vollendet, lebt seit über 20 Jahren in der fraglichen Wohnung und ist wegen diverser internistischer und orthopädischer Leiden als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 80 anerkannt, wobei auch eine erhebliche Gehbehinderung festgestellt wurde (Merkzeichen "G"). Unter derartigen Umständen sind vom Antragsgegner als Träger der Sozialhilfe gemäß Ziffer 2 Abs. 3 des oben zitierten Rundschreibens grundsätzlich keine Maßnahmen zur Senkung der Miete zu veranlassen.
Die Gründe, mit denen der Antragsgegner nunmehr ein Abweichen von der Regel zu rechtfertigen versucht, sind ermessensfehlerhaft. Die – offenbar ohne die nach dem Rundschreiben erforderliche Einbeziehung des zuständigen Sozialdienstes ergangene – Stellungnahme des Fachbereichsleiters vom 6. März 2006 stellt im Wesentlichen – und durch Fettdruck hervorgehoben – auf fiskalische Erwägungen ab. Eine nicht unerhebliche Überschreitung der als angemessen angenommenen Bruttowarmmiete kennzeichnet jedoch den von den oben genannten Ausführungsvorschriften erfassten Regelfall des Bestandsschutzes bestehender Wohnverhältnisse für den von diesen Ausnahmeregelungen betroffenen Personenkreis und erreicht hier noch nicht ein Ausmaß, hinter dem die vom Antragsgegner allenfalls floskelhaft behandelten Belange des Antragsstellers zurückzustehen hätten. Dies sind neben der sehr langen Verweildauer in der vom Antragsgegner bisher für 2 Personen nicht beanstandeten Wohnung insbesondere deren für den erheblich gehbehinderten Antragsteller gute Erreichbarkeit im Parterre, behindertengerechte Einbauten in Bad und Küche sowie die Möglichkeit, den für längere Fußwege und Einkäufe benötigten Elektrorollstuhl in einer kleinen Garage auf dem Grundstück unterstellen zu können. Damit unterscheidet sich der vorliegende Fall wesentlich von demjenigen, der dem Beschluss des erkennenden Senats vom 16. Februar 2006 – L 15 B 1112/05 SO ER – zugrunde lag.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners steht der vom Antragsteller zu Recht begehrten Übernahme der vollen Unterkunftskosten nicht die Bestandskraft früherer Bescheide entgegen. Den Bescheid vom 9. Juni 2005, mit dem die Grundsicherungsleistungen wegen nur noch teilweiser Berücksichtigung der Unterkunfts- und Heizungskosten ab 1. Juli 2005 herabgesetzt werden sollten, hat der Antragsgegner im Hinblick auf die Stellungnahme der Abteilung Gesundheitswesen vom 27. Juli 2005 geändert und bis September 2005 weiterhin die volle Miete berücksichtigt, allerdings wohl eine Korrektur der Heizungskosten versäumt, was zur Vermeidung von Energieschulden überprüft werden sollte (vgl. Bedarfsberechnung Blatt 475 der Sozialhilfeakte). Mit den Änderungsbescheiden vom 29. November/12. Dezember 2005 hat der Antragsgegner hinsichtlich der Leistungen ab 1. Januar 2006 eine neue Entscheidung getroffen. Hierbei hatte er das am 15. Dezember 2005 in Kraft getretene Rundschreiben I Nr. 24/2005 zu berücksichtigen, was bisher, wie dargelegt, aber nicht in beanstandungsfreier Weise geschehen ist. Mit seinem dagegen rechtzeitig eingelegten Widerspruch ist der Antragsteller deshalb nicht gehindert, die Berücksichtigung der vollen Unterkunftskosten geltend zu machen. Die Befristung der antragsgemäß erlassenen einstweiligen Anordnung entspricht dem besonderen Charakter vorläufigen Rechtsschutzes.
Unabhängig von seinem Obsiegen im vorliegenden Verfahren ist dem Antragsteller allerdings dringend anzuraten, seine Bemühungen um eine Untervermietung fortzusetzen, denn der Antragsgegner weist insoweit zutreffend darauf hin, dass die für den Antragsteller allein zweifellos zu große Wohnung Nebenkosten mit sich bringen kann, die seine finanziellen Möglichkeiten überschreiten dürften. Allerdings ist entgegen dem Vorbringen des Antragsgegners für die bisherigen Energieschulden des Antragstellers nicht letztendlich der Träger der Sozialhilfe aufgekommen, weil dieser die Energieschulden nach Aktenlage nur darlehensweise übernommen hat und zur Tilgung dieser Darlehen monatlich derzeit 40 Euro von den dem Antragsteller gewährten ergänzenden Grundsicherungsleistungen einbehält, was nahezu dem gesamten Betrag entspricht, der im Regelsatz für einmaligen Bedarf und das Ansparen für größere Anschaffungen vorgesehen ist, für die dem Antragsteller nunmehr keine Mittel verbleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
Die Unanfechtbarkeit dieses Beschlusses folgt aus § 177 SGG.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.
Gründe:
I.
Der Antragsteller, dem nach jahrelangem Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente seit Dezember 2005 Regelaltersrente in Höhe von monatlich 542, 34 Euro gezahlt wird, bezieht vom Antragsgegner ergänzende Leistungen der Grundsicherung nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – SGB XII -. Nach § 42 SGB XII sind in seine Bedarfsberechnung neben dem Regelsatz von zur Zeit 345 Euro zumindest ein Mehrbedarf gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII und die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Sinne des § 29 SGB XII einzustellen. Die Kaltmiete für die vom Antragsteller seit September 1985 genutzte, nach dem Tod seiner Lebensgefährtin am 13. März 2005 aber allein bewohnte, cirka 76 m² große 2 ½ Zimmer-Wohnung beträgt 432, 94 Euro, hinzu kommen Gasheizungskosten in Höhe von derzeit monatlich 126 Euro. Als "angemessene" Kosten der Unterkunft hat der Antragsgegner seit Oktober 2005 nur noch eine Miete von 241, 57 Euro sowie auf 50 m² bezogene Heizkosten in Höhe von 75, 66 Euro in Ansatz gebracht (Bescheid vom 6. Oktober 2005). Aufgrund des Änderungsbescheides vom 29. November 2005 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 12. Dezember 2005 berücksichtigt er für die Zeit ab 1. Januar 2006 als "angemessene" Bruttowarmmiete für den 1-Personen-Haushalt des Antragstellers monatlich 360 Euro, wogegen dieser am 20. Dezember 2005 Widerspruch eingelegt und die Übernahme der vollen Unterkunftskosten begehrt hat. Zur Begründung hat er geltend gemacht, dass ihm im Hinblick auf seine Schwerbehinderung ein Auszug aus dieser Wohnung, die er mit erheblichen Mitteln behindertengerecht ausgebaut habe, nicht zuzumuten sei und bisherige Bemühungen um einen Untermieter keinen Erfolg gehabt hätten.
Mit gleicher Begründung hat der Antragsteller am 5. Januar 2006 einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt, den das Sozialgericht mit Beschluss vom 27. Januar 2006 abgelehnt hat. Die tatsächlichen Kosten der Unterkunft des Antragstellers seien nicht angemessen im Sinne des § 29 SGB XII. Sie hätten nur noch für 6 Monate übernommen werden können, gerechnet ab dem Aufklärungsschreiben des Antragsgegners vom 15. März 2005, mit dem er den Antragsteller aufgefordert habe, innerhalb von 3 Monaten die Kosten der Unterkunft durch Untervermietung zu senken oder sich um eine günstigerer Wohnung zu bemühen. Die Behinderungen des Antragstellers rechtfertigten nicht den Schluss, dass ihm ein Umzug nicht zuzumuten wäre. Die jetzt nur noch berücksichtigte Bruttowarmmiete von 360 Euro entspreche dem Richtwert für einen 1-Personen-Haushalt nach den Ausführungsvorschriften zu § 22 SGB II, die zur Vermeidung von ungerechtfertigten Ungleichbehandlungen von Leistungsbeziehern nach dem SGB XII und dem SGB II hier entsprechend zugrunde zu legen seien.
II.
Die dagegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts liegen die Voraussetzungen des § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – in Verbindung mit § 920 Zivilprozessordnung – ZPO – für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung vor.
Der Antragsteller hat im Rahmen der ihm gemäß § 42 SGB XII unstreitig zustehenden ergänzenden Leistungen der Grundsicherung Anspruch auf die Berücksichtigung seiner tatsächlichen derzeitigen Kosten für Miete (432, 94 Euro) und Heizung (126 Euro) ab 1. Januar 2006 für vorläufig 6 Monate glaubhaft gemacht.
Zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "angemessenen Aufwendungen" für Unterkunft und Heizung im Sinne des § 29 SGB XII kann auf die Ausführungsvorschriften der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz zurückgegriffen werden, die unter Berücksichtigung des örtlichen Wohnungsmarktes und Mietspiegels sowie der persönlichen und familiären Verhältnisse der Leistungsberechtigten ergehen (vgl. § 29 Abs. 2 SGB XII). Mit Rundschreiben I Nr. 24/2005 vom 8. Dezember 2005, das mit Wirkung vom 15. Dezember 2005 in Kraft getreten ist, hat die Senatsverwaltung zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsausübung im Land Berlin festgesetzt, dass die angemessenen Kosten für die Wohnung für den Personenkreis der Leistungsberechtigten nach dem SGB II und dem SGB XII nach einem einheitlichen Maßstab zu ermitteln und deshalb die landesrechtlichen Ausführungsvorschriften zu § 22 SGB II (AV-Wohnen) vom 1. Oktober 2005 auch für Leistungsempfänger nach dem SGB XII anzuwenden sind. Zwar gilt nach Ziffer 4 Abs. 2 der AV-Wohnen für einen 1-Personen-Haushalt als Richtwert eine Bruttowarmmiete von 360 Euro als angemessen, auf die der Antragsgegner und das Sozialgericht im vorliegenden Fall in ihren angefochtenen Entscheidungen auch abgestellt haben. Beide haben aber unberücksichtigt gelassen, dass dem Antragsteller die Härtefallbestimmungen für bestehenden Wohnraum nach der AV-Wohnen zugute kommen, die bei dem vom SGB XII erfassten Personenkreis grundsätzlich zunächst zu prüfen sind (vgl. Ziffer 2 des Rundschreibens I Nr. 24/2005). Nach Ziffer 4 Abs. 5 der AV-Wohnen können bei bestehendem Wohnraum die in Absatz 2 aufgeführten Richtwerte im Einzelfall um bis zu 10 Prozent überschritten werden, und zwar insbesondere – unter anderem – bei mindestens 15-jähriger Wohndauer sowie bei über 60-jährigen Hilfeempfangenden. Treffen diese Merkmale zusammen oder besteht eine schwere Krankheit oder Behinderung, können nach Abs. 9 der genannten Vorschrift Maßnahmen zur Senkung der Wohnungskosten "in der Regel" nicht verlangt werden. Der Antragsteller erfüllt alle diese Voraussetzungen, denn er hat bereits das 65. Lebensjahr vollendet, lebt seit über 20 Jahren in der fraglichen Wohnung und ist wegen diverser internistischer und orthopädischer Leiden als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 80 anerkannt, wobei auch eine erhebliche Gehbehinderung festgestellt wurde (Merkzeichen "G"). Unter derartigen Umständen sind vom Antragsgegner als Träger der Sozialhilfe gemäß Ziffer 2 Abs. 3 des oben zitierten Rundschreibens grundsätzlich keine Maßnahmen zur Senkung der Miete zu veranlassen.
Die Gründe, mit denen der Antragsgegner nunmehr ein Abweichen von der Regel zu rechtfertigen versucht, sind ermessensfehlerhaft. Die – offenbar ohne die nach dem Rundschreiben erforderliche Einbeziehung des zuständigen Sozialdienstes ergangene – Stellungnahme des Fachbereichsleiters vom 6. März 2006 stellt im Wesentlichen – und durch Fettdruck hervorgehoben – auf fiskalische Erwägungen ab. Eine nicht unerhebliche Überschreitung der als angemessen angenommenen Bruttowarmmiete kennzeichnet jedoch den von den oben genannten Ausführungsvorschriften erfassten Regelfall des Bestandsschutzes bestehender Wohnverhältnisse für den von diesen Ausnahmeregelungen betroffenen Personenkreis und erreicht hier noch nicht ein Ausmaß, hinter dem die vom Antragsgegner allenfalls floskelhaft behandelten Belange des Antragsstellers zurückzustehen hätten. Dies sind neben der sehr langen Verweildauer in der vom Antragsgegner bisher für 2 Personen nicht beanstandeten Wohnung insbesondere deren für den erheblich gehbehinderten Antragsteller gute Erreichbarkeit im Parterre, behindertengerechte Einbauten in Bad und Küche sowie die Möglichkeit, den für längere Fußwege und Einkäufe benötigten Elektrorollstuhl in einer kleinen Garage auf dem Grundstück unterstellen zu können. Damit unterscheidet sich der vorliegende Fall wesentlich von demjenigen, der dem Beschluss des erkennenden Senats vom 16. Februar 2006 – L 15 B 1112/05 SO ER – zugrunde lag.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners steht der vom Antragsteller zu Recht begehrten Übernahme der vollen Unterkunftskosten nicht die Bestandskraft früherer Bescheide entgegen. Den Bescheid vom 9. Juni 2005, mit dem die Grundsicherungsleistungen wegen nur noch teilweiser Berücksichtigung der Unterkunfts- und Heizungskosten ab 1. Juli 2005 herabgesetzt werden sollten, hat der Antragsgegner im Hinblick auf die Stellungnahme der Abteilung Gesundheitswesen vom 27. Juli 2005 geändert und bis September 2005 weiterhin die volle Miete berücksichtigt, allerdings wohl eine Korrektur der Heizungskosten versäumt, was zur Vermeidung von Energieschulden überprüft werden sollte (vgl. Bedarfsberechnung Blatt 475 der Sozialhilfeakte). Mit den Änderungsbescheiden vom 29. November/12. Dezember 2005 hat der Antragsgegner hinsichtlich der Leistungen ab 1. Januar 2006 eine neue Entscheidung getroffen. Hierbei hatte er das am 15. Dezember 2005 in Kraft getretene Rundschreiben I Nr. 24/2005 zu berücksichtigen, was bisher, wie dargelegt, aber nicht in beanstandungsfreier Weise geschehen ist. Mit seinem dagegen rechtzeitig eingelegten Widerspruch ist der Antragsteller deshalb nicht gehindert, die Berücksichtigung der vollen Unterkunftskosten geltend zu machen. Die Befristung der antragsgemäß erlassenen einstweiligen Anordnung entspricht dem besonderen Charakter vorläufigen Rechtsschutzes.
Unabhängig von seinem Obsiegen im vorliegenden Verfahren ist dem Antragsteller allerdings dringend anzuraten, seine Bemühungen um eine Untervermietung fortzusetzen, denn der Antragsgegner weist insoweit zutreffend darauf hin, dass die für den Antragsteller allein zweifellos zu große Wohnung Nebenkosten mit sich bringen kann, die seine finanziellen Möglichkeiten überschreiten dürften. Allerdings ist entgegen dem Vorbringen des Antragsgegners für die bisherigen Energieschulden des Antragstellers nicht letztendlich der Träger der Sozialhilfe aufgekommen, weil dieser die Energieschulden nach Aktenlage nur darlehensweise übernommen hat und zur Tilgung dieser Darlehen monatlich derzeit 40 Euro von den dem Antragsteller gewährten ergänzenden Grundsicherungsleistungen einbehält, was nahezu dem gesamten Betrag entspricht, der im Regelsatz für einmaligen Bedarf und das Ansparen für größere Anschaffungen vorgesehen ist, für die dem Antragsteller nunmehr keine Mittel verbleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
Die Unanfechtbarkeit dieses Beschlusses folgt aus § 177 SGG.
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