L 15 B 1091/05 SO PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 38 SO 2923/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 B 1091/05 SO PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 08. November 2005 aufgehoben.

Den Klägern wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtanwältin A E, Gstraße , B beigeordnet.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

Gründe:
I.

Der 1979 im Libanon geborene Kläger und seine 1982 geborene schwedische Ehefrau, die Klägerin zu 2), beantragten am 21. Mai 2004 für sich und ihre damals zwei Kinder die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt, die der Beklagte zunächst mit Bescheid vom 30. Juni 2004 aus aufenthaltsrechtlichen Gründen ablehnte. Nachdem die Kläger im Widerspruchsverfahren diverse Unterlagen beigebracht hatten, bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 31. August 2004 Hilfe zum Lebensunterhalt anteilig für August 2004 sowie für den vollen Monat September 2004. Mit Bescheid vom 28. Oktober 2004 half der Beklagte dem Widerspruch der Kläger vom 22. Juli 2004 gegen den Bescheid vom 30. Juni 2004 (teilweise) ab und gewährte ihnen unter Anrechnung eines im Mai 2004 von einem Bekannten erhaltenen Darlehens in Höhe von 1.200,00 Euro Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit vom 15. Juli bis 29. August 2004 in Höhe von 1.173,75 Euro. Hiergegen legten die Kläger mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 17. November 2004 Widerspruch ein, mit dem sie unter anderem geltend machten, dass die Bedarfszeiträume unzutreffend festgelegt worden seien und die Anrechnung des Darlehens als Einkommen nur im Monat Mai 2004 erfolgen dürfe. Daraufhin nahm der Beklagte eine auf Kalendermonate bezogene Neuberechnung des Bedarfs der Kläger ab Mai 2004 vor und bewilligte ihnen mit Bescheid vom 22. Dezember 2004 eine Nachzahlung für den Monat Juli 2004 in Höhe von 85,26 Euro, die nach Aktenlage von den Klägern bisher noch nicht als Barzahlung in Empfang genommen wurde. Auch hiergegen ließen die Kläger von ihren Prozessbevollmächtigten am 21. Januar 2005 Widerspruch einlegen, mit dem sie unter anderen die Anrechnung der von Freunden für die Ernährung des Klägers gewährten Naturalleistungen im Mai und Juni 2004 und die weitere Berücksichtigung des Darlehens über den Monat Mai 2004 hinaus beanstandeten.

Mit der am 26. Mai 2005 erhobenen Klage haben die Kläger die Bescheidung ihres Widerspruches vom 27. Januar 2005 sowie die Anerkennung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten in mehreren Widerspruchsverfahren begehrt, und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten beantragt.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 08. November 2005 die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Diese komme gemäß § 73 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG – in Verbindung mit § 121 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO – in gerichtskostenfreien Verfahren nur in Betracht, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheine. Dies sei der Fall, wenn es in dem Rechtsstreit um nicht einfach überschaubare Tat- und Rechtsfragen gehe oder der Rechtsuchende aus persönlichen Umständen zu einem sachdienlichen Tatsachenvortrag nicht in der Lage sei (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 1976 – BVerwGE 51, 111, 113). Diese Voraussetzungen seien hier offensichtlich nicht gegeben. Es handle sich um einen rechtlich und tatsächlich überschaubaren Sachverhalt. Hinsichtlich der begehrten Bescheidung ihres Widerspruches und der Anerkennung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren sei der – wenn überhaupt – erforderliche – Vortrag zur Klärung eventueller Fragen auf Tatsachen gestützt, die in das Wissen der Kläger gestellt seien. Den entsprechenden Vortrag könnten die Kläger selbst ohne anwaltliche Anleitung verständlich formulieren. Eine anwaltliche Vertretung erscheine angesichts des einfach gelagerten Sachverhalts und des ohnehin bestehenden Amtsermittlungsgrundsatzes nicht erforderlich.

Gegen den am 15. November 2005 zugestellten Beschluss richtet sich die am 28. November 2005 eingegangene Beschwerde der Kläger, die derzeit laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – SGB II – beziehen. Sie machen geltend, dass sie als Ausländer mit dem deutschen Rechtssystem nicht vertraut seien, auch Verständigungsprobleme hätten und ihnen die Möglichkeit der Erhebung einer Untätigkeitsklage ebenso wenig bekannt sei wie die Regelungen über die Kostentragung im Widerspruchsverfahren. Da der Beklagte als staatliche Institution im Sozialgerichtsverfahren durch eine sachkundige Rechtstelle oder das Rechtsamt vertreten werde, sei es im Hinblick auf den Grundsatz der Waffengleichheit erforderlich, ihnen einen Rechtsanwalt beizuordnen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Kläger ist begründet.

Nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 114 ZPO erhält ein Beteiligter auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Bedürftigkeit der Kläger, die ihren Lebensunterhalt derzeit ausschließlich von Leistungen nach dem SGB II bestreiten, steht außer Frage. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sind aber auch die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe erfüllt.

Das Sozialgericht in im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass in einem gerichtskostenfreien Verfahren wie dem vorliegenden (vgl. § 183 S. 1 SGG) die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach den genannten Vorschriften nur in Betracht kommt, wenn die Vertretung durch einen Anwalt erforderlich erscheint. Die Auslegung, die das Gericht dem Tatbestandsmerkmal der "Erforderlichkeit" der Anwaltsbeiordnung im Sinne des § 121 Abs. 2 Satz 1 ZPO hier gegeben hat, verletzt die Kläger jedoch in ihrem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz – GG –) und die aus Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitete Garantie des effektiven Rechtsschutzes. Ob eine anwaltliche Vertretung im Rechtsstreit erforderlich erscheint, ist im Einzelfall unter Berücksichtigung der Sach- und Rechtslage und der persönlichen Verhältnisse der Beteiligten zu beurteilen, wobei keine überspannten Anforderungen hieran zu stellen sind. Zu berücksichtigen sind die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Sache, deren Umfang sowie die wirtschaftliche und persönliche Bedeutung der Angelegenheit für die Beteiligten ebenso wie deren Bildungshorizont und Ausdrucksfähigkeit. Maßstab ist auch, ob ein Beteiligter, der nicht auf Prozesskostenhilfe angewiesen ist, einen Rechtsanwalt hinzuziehen würde. Die Beurteilung der den Klägern seit Antragstellung im Mai 2004 bis zum Bezug ihrer eigenen Wohnung im Oktober 2004 zustehenden Hilfe zum Lebensunterhalt wirft unter Berücksichtigung unter anderem des vorherigen Zusammenwohnens mit Verwandten, der Anrechnung des im Mai 2004 empfangenen Darlehens sowie gegebenenfalls der Naturalleistungen anderer Nothelfer durchaus schwierige Fragen auf, wie sich auch aus den mehrfachen Neuberechnungen nach anwaltlich ausführlich begründeten Widersprüchen ergibt. Dass es im vorliegenden Verfahren jetzt "nur" um eine Untätigkeitsklage wegen des noch nicht erteilten abschließenden Widerspruchsbescheides sowie um Kosten des Vorverfahrens geht, rechtfertigt angesichts der komplexen Vorgeschichte, aber auch generell nicht die Annahme, es handele sich um einen tatsächlich und rechtlich einfach gelagerten Fall, der keine rechtskundige Vertretung der Kläger erfordere. Dass überhaupt und unter welchen Voraussetzungen im Bereich des Sozialrechts eine so genannte Untätigkeitsklage erhoben werden kann, ist juristischen Laien in der Regel nicht bekannt, und schon die Klärung der Frage, ob der Bescheid oder Widerspruchsbescheid ohne zureichenden Grund nicht erlassen worden ist (vgl. § 88 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 SGG), kann tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufwerfen (zur Gewährung von Prozesskostenhilfe bei Untätigkeitsklagen siehe z. B. auch OVG Nordrhein-Westfahlen, Beschlüsse vom 04. September 1998 – 24 E 587/97 – und vom 14. April 1992 – 14 E 1422/91 –, zitiert nach Juris).

Die Erforderlichkeit anwaltlicher Vertretung ist entgegen der Auffassung des Sozialgerichts auch nicht deshalb zu verneinen, weil im sozialgerichtlichen Verfahren gemäß § 103 SGG der Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen ist, weil die Aufklärungs- und Beratungspflicht des Anwalts über die Reichweite der Amtsermittlungspflicht des Richters hinaus geht, die allein nicht geeignet ist, das Ungleichgewicht zwischen rechts- und sachkundig vertretener Behörde bzw. Versicherungsträger und der anderen Prozesspartei auszugleichen. Hierauf wurde die Kammer bereits durch den Beschluss des erkennenden Senats vom 01. März 2005 – L 15 B 7/05 SO – unter ausführlicher Zitierung der einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Februar 1997 – 1 BvR 1440/96 – (NJW 1997, 2103) und vom 18. Dezember 2001 – 1 BvR 391/01 – (Breithaupt 2002, 486) hingewiesen, des Weiteren auch vom 23. Senat des LSG Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 25. Januar 2006 – L 23 B 1090/05 SO PKH (vgl. weiter Bayerisches LSG, Beschluss vom 23. Juli 2004 – L 18 B 305/04 SB PKH –, Breithaupt 2005, 254; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17. Oktober 2001 – L 3 B 8/01 RI –, zitiert nach Juris). Dass die Amtsermittlungspflicht des Gerichts im Falle der Kläger anwaltliche Vertretung im vorliegenden Verfahren nicht entbehrlich macht, zeigt sich im Übrigen auch daran, dass in den über 5 Monaten zwischen Klageerhebung und PKH-Beschluss von Seiten des Gerichts außer der Aufforderung zur Stellungnahme an den Beklagten innerhalb einer – ungewöhnlich langen – Frist von 2 Monaten nichts weiter veranlasst wurde, das zur Klärung der Untätigkeit des Beklagten oder zur Beschleunigung der Bescheiderteilung hätte beitragen können (vgl. zum Verfahren und der Entscheidung des Gerichts nach Erhebung einer Untätigkeitsklage Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8. Auflage, Rdnr. 7 ff zu § 88).

Die von den Klägern beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet schließlich auch hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig. Ihre Untätigkeitsklage vom 28. Mai 2005 wurde nach Ablauf der 3–monatigen Sperrfrist gemäß § 88 Abs. 2 SGG erhoben. Zureichende Gründe dafür, dass ihr Widerspruch vom 27. Januar 2005 gegen den Bescheid vom 22. Dezember 2004 bis zur Klageerhebung und darüber hinaus auch bis heute nicht beschieden worden ist, hat das Gericht weder festgestellt noch ergibt sich etwas dafür aus dem kurzen Schriftsatz des Beklagten vom 31. Januar 2006 – dem ersten im gesamten Rechtsstreit – oder den zugleich überreichten Verwaltungsvorgängen.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf §§ 193, 73 a SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Die Unanfechtbarkeit dieses Beschlusses folgt aus § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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