L 15 B 1103/05 SO ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 49 SO 3814/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 B 1103/05 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Oktober 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

Gründe:

I.

Der Antragsteller bezog vom 01. August 2003 bis zum 30. November 2004 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz. Nachdem der Antragsgegner zu der Auffassung gelangt war, dass die Hilfe – im Wesentlichen wegen verschwiegenen Vermögens – zu Unrecht gewährt worden sei, nahm er nach schriftlicher Anhörung des Antragsstellers und unter Anordnung sofortiger Vollziehung die Bewilligung zurück und forderte die Erstattung der gewährten Leistungen in Höhe von rund 7.000,00 Euro. Gegen den ihm am 23. März 2005 zugestellten Bescheid legte der Antragsteller, vertreten durch seinen hiesigen Prozessbevollmächtigten, am 28. April 2005 verspätet Widerspruch ein und beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Mit Widerspruchsbescheid vom 01. Juli 2005 wies der Antragsgegner, ohne auf diesen Antrag einzugehen, den Widerspruch als unzulässig zurück, weil er erst nach Ablauf der Widerspruchsfrist am 23. April 2005 eingegangen sei.

Die am 08. Juli 2005 mit der Anfechtungsklage eingegangenen sinngemäßen Anträge,

dem Antragsteller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Widerspruchsfrist zu gewähren und die aufschiebende Wirkung seiner Klage wieder herzustellen,

hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 26. Oktober 2005 abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Versäumung der Widerspruchsfrist sei auf ein dem Antragsteller zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurückzuführen.

Gegen den am 02. November 2005 zugestellten Beschluss richtet sich die am 29. November 2005 eingegangene Beschwerde des Antragstellers, zu deren Begründung sein Prozessbevollmächtigter unter anderem geltend macht, dass entgegen der Auffassung des Sozialgerichts aus der am 01. April 2005 per Fax erfolgten Mandatserteilung nicht habe geschlossen werden können, dass der Antragsteller sein Anliegen als besonders eilig und vordringlich habe behandelt wissen wollen. Er habe die Berechnung der Widerspruchsfrist deshalb seiner erfahrenen und ansonsten immer zuverlässigen Mitarbeiterin überlassen dürfen, die irrtümlich den 28. April 2005 als Fristende notiert und ihm die Akte erstmals zur üblichen Vorfrist am 25. April 2005 vorgelegt habe. Wegen Arbeitsüberlastung habe er die eigenverantwortliche Überprüfung der Widerspruchsfrist erst am Folgetag vorgenommen, was nach der Rechtsprechung zum Beispiel des Bundesgerichtshofes zulässig sei, und dabei festgestellt, dass der Bescheid ausweislich des Zustellvermerkes auf dem Umschlag bereits am 23. März 2005 zugestellt worden sein dürfte. Eine Überprüfung noch am Vortag hätte die Fristüberschreitung auch nicht mehr verhindern können.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 67 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG –, der auch für Fristen in Widerspruchsverfahren gilt (vgl. § 84 Abs. 2 Satz 3 SGG), ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Verschulden eines gesetzlichen Vertreters wie auch eines Prozessbevollmächtigten steht dem Verschulden eines Beteiligten nach allgemeiner Meinung gleich (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8. Auflage, Rdnr. 3 e zu § 67 m. w. N.).

Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht im vorliegenden Fall anwaltliches Verschulden als entscheidende Ursache der Fristversäumung angenommen. Zwar hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers im Einzelnen dargelegt, wie die Sichtung und Bearbeitung der Eingangspost und die Führung des Fristenwesens in seiner Kanzlei organisiert sind und von einer qualifizierten und zuverlässigen Mitarbeiterin ausgeführt werden, die hier aber irrtümlich eine Zustellung des streitigen Bescheides am 28. März 2005 angenommen und als Fristende den 28. April 2005 notiert habe. Auf das alleinige Verschulden einer Hilfsperson, das regelmäßig die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigt (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O., Rdnr. 8 b m. w. N.), ist hier aber nicht abzustellen. Der wesentliche Pflichtenverstoß besteht im vorliegenden Fall nämlich darin, dass der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers die Frist nicht selbst bei Vorlage der Akte am 25. April 2005 überprüft hat. Auf die von ihm zitierte Rechtsprechung kann er sich nicht mit Erfolg berufen. Zwar hat der BGH in Zivilsachen mehrfach entschieden, dass es kein Verschulden des Rechtsanwaltes begründet, wenn er bei Vorlegung einer ausdrücklich als Vorfristsache gekennzeichneten Akte sowohl die Bearbeitung als auch die gebotene Prüfung, ob das Fristende richtig ermittelt und festgehalten ist, nicht bereits am Tag der Vorlage, sondern erst am nächsten Tag vornimmt (Beschluss des BGH vom 05. Oktober 1999 – VI ZB 22/99 – m. w. N., zitiert nach Juris).

Bei der Aktenvorlage zu einer Vorfrist handelt es sich danach um eine von der Rechtsprechung entwickelte zusätzliche Anforderung im Rahmen der Organisationspflicht des Rechtsanwaltes, die dem Zweck dient, die Einhaltung der Hauptfrist dadurch zu sichern, dass auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit verbleibt. Unter besonderen Umständen kann eine Vorfrist von 4 Tagen ausreichen, während üblicher Praxis eine Woche entspricht (vgl. BGH a. a. O.). Da der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers nur eine dreitägige Vorfrist vorgesehen hat, hätte er angesichts dieses sehr knappen Zeitrahmens die ihm am 25. April 2005 erstmals vorgelegte Akte des Antragstellers jedenfalls einer kurzen Prüfung unterziehen müssen, ob die Bearbeitung dieser ihm bisher inhaltlich nicht bekannten Angelegenheit noch Aufschub bis zum nächsten Tag duldete. Bei dieser Gelegenheit hätte ihm – wie es am Folgetag auch geschehen ist – sogleich auffallen müssen, dass das Ende der Widerspruchsfrist von seiner Mitarbeiterin unzutreffend für den 28. April 2005 notiert war, denn das auf dem Umschlag vermerkte Zustelldatum ist eindeutig der 23. März 2005. Selbst auf der dem Gericht übermittelten Faxkopie ist die Ziffer 3 klar erkennbar. Zur Klärung angeblicher Zweifel hätte es auch keiner Nachfrage beim Antragsteller bedurft, denn ein Blick auf den Kalender hätte seinem Prozessbevollmächtigten für die Feststellung genügen müssen, dass die Zustellung durch einen Postbediensteten nicht am 28. März 2005 – dem Ostermontag – erfolgt sein konnte.

Entgegen der Auffassung des Antragstellervertreters hätte er am Tag dieser Vorfrist auch noch fristwahrend – per Fax – Widerspruch einlegen können. Die gemäß § 84 Abs. 1 SGG einmonatige Widerspruchsfrist begann am Tag nach der Zustellung des Bescheides, das heißt am 24. März 2005, und lief regulär am 23. April 2005 ab. Da dieser Tag aber ein Sonnabend war, endete die Widerspruchsfrist erst mit Ablauf des nächsten Werktages, das heißt am Montag, dem 25. April 2005 um 24:00 Uhr. Da dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers diese Regelungen des § 64 SGG nicht geläufig zu sein scheinen, kann auch nicht angenommen werden, dass er seine Mitarbeiterin in dieser Hinsicht ordnungsgemäß angeleitet und kontrolliert hat.

Ist mithin der Rücknahme- und Erstattungsbescheid des Antragsgegners vom 21. März 2005 bestandskräftig geworden, kam die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der somit offensichtlich nicht erfolgversprechenden Anfechtungsklage gegen diesen Bescheid im Wege vorläufigen Rechtschutzes nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

Die Unanfechtbarkeit dieser Entscheidung folgt aus § 177 SGG
Rechtskraft
Aus
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