L 24 KR 29/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
24
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 9 KR 39/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 24 KR 29/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers hin wird das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 11. März 2003 geändert. Der Bescheid vom 14. Februar 2002 sowie der Bescheid vom 18. Februar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 2002 werden aufgehoben und es wird festgestellt, dass der Kläger seit dem 01. April 2001 aufgrund seiner versicherungspflichtigen Tätigkeit bei der Firma SL Warenhandel Mitglied bei der Beklagten ist. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die sich hieraus ergebenden Leistungen zu gewähren. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit zwischen den Beteiligten ist die Mitgliedschaft des Klägers aufgrund von Versicherungspflicht bei der Beklagten.

Der Kläger wurde von der Firma SL Warenhandel, Inhaber S Lindner, zum 01. April 2001 versicherungspflichtig bei der Beklagten angemeldet. Mit Schreiben vom 10. Dezember 2001 überreichte die Beklagte dem Kläger einen Fragebogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung einer Beschäftigung von Familienangehörigen, um festzustellen, ob der Kläger bei seiner Stieftochter abhängig beschäftigt war. Seinen dortigen Angaben zufolge war er von 1972 bis 1996 privat krankenversichert sowie privat pflegeversichert. Von 1997 bis 2000 war er bei der Gmünder Ersatzkasse kranken- beziehungsweise pflegeversichert (pflichtversichertes Mitglied). Sein Beschäftigungsverhältnis bei der Firma SL Warenhandel begann nach seinen Angaben am 01. April 2002 für eine Tätigkeit als Maschinenführer/ Produktionsarbeiter. Es war eine wöchentliche Arbeitszeit von 45 Stunden bei einer 6 Tage Arbeitswoche vereinbart. Das Arbeitsentgelt betrug monatlich 1 000,00 DM. Es wurde bar ausgezahlt. Den Angaben im Fragebogen zufolge war der Kläger bezüglich Arbeitszeit, Arbeitsort und Art der Tätigkeit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterworfen. Die Frage, ob die Beschäftigung aufgrund von familienhaften Rücksichten durch ein gleichwertiges Nebeneinander zum Betriebsinhaber geprägt sei, beantwortete der Kläger mit "nein".

Mit Bescheid vom 14. Februar 2002 sowie Bescheid vom 18. Februar 2002 nahm die Beklagte eine versicherungspflichtige Beurteilung der Beschäftigung des Klägers bei seiner Stieftochter vor und stellte fest, dass keine Versicherungspflicht zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung für seine Tätigkeit ab 01. April 2001 bestand. Zur Begründung führte sie aus, dass im Arbeitsvertrag vom 02. April 2001 ein Bruttogehalt in Höhe von 1 000,00 DM monatlich vereinbart worden sei. Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 41,54 Stunden entspreche dies einem Stundenlohn von 5,55 DM. Das sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht üblich und spreche daher gegen die Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Die Höhe der Vergütung im Verhältnis zu Umfang und Art der Tätigkeit sei von grundlegender Bedeutung. Leistung und Gegenleistung müssten in einem angemessenen Verhältnis stehen. Ein Entgelt, das den halben Tariflohn beziehungsweise das halbe ortsübliche Arbeitsentgelt unterschreite, stelle keinen angemessenen Gegenwert für die ausgeübte Tätigkeit dar. Allein der formelle Abschluss seines Arbeitsvertrages führe deshalb nicht gleichzeitig zum Eintritt der Sozialversicherungspflicht. Die fehlenden Angaben im Fragebogen zur gesetzlichen Unfallversicherung beziehungsweise zu seiner Tätigkeit im Zeitraum vom 01. Oktober 2000 bis 31. März 2001 sprächen gegen die Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Zudem sei es fraglich, wie er mit einem Nettolohn von 622,16 DM monatlich seinen Lebensunterhalt bestreiten könne. Unter Berücksichtigung dieser vorstehenden Angaben bestehe für die Tätigkeit ab 01. April 2001 keine Versicherungspflicht.

Dagegen hat der Kläger am 22. Februar 2002 Widerspruch eingelegt und vorgetragen, dass sein Arbeitsentgelt brutto über 322,11 EUR (630,00 DM) liege. Von einer freiwilligen Versicherung könne insoweit keine Rede sein.

Am 28. März 2002 (Eingang beim Sozialgericht Neuruppin am 05. April 2002) hat der Kläger Klage erhoben und vorgetragen, dass er seit dem 19. Juli 2001 arbeitsunfähig krankgeschrieben sei und ab 30. August 2001 Krankengeld von der Beklagten beziehen müsste. Bisher habe er jedoch nichts erhalten, weil die Beklagte ihre Leistungsverpflichtung rückwirkend zum 01. April 2001 storniert habe. Er sei durch den Arbeitgeber ordnungsgemäß angemeldet worden und halte deshalb eine Leistungsverweigerung für nicht rechtmäßig.

Seine Selbstständigkeit habe er am 31. Dezember 1997 mit dem Konkurs der Firma WGmbH, in der er Gesellschafter und Geschäftsführer war, beendet. Danach sei er Angestellter bei der WSR GmbH bis November 2000 gewesen. Von Dezember 2000 bis März 2001 habe er überhaupt nicht gearbeitet. Ab 01. April 2001 sei er dann bei SL Warenhandel angestellt gewesen. Mit Schreiben vom 29. April 2002 teilte die Beklagte mit, dass das Vorverfahren noch nicht abgeschlossen sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Mai 2002 hat die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurückgewiesen. In den Gründen nahm sie Bezug auf die bereits angefochtenen Bescheide und führte ergänzend aus, dass ein Mindesturlaubsanspruch von 24 Werktagen gemäß § 3 Bundesurlaubsgesetz generell geregelt sei. Abweichungen hiervon seien unzulässig. Entgegen der gesetzlichen Bestimmung sei in dem Vertrag allerdings vereinbart, dass er nur Anspruch auf 18 Tage Urlaub im Kalenderjahr habe. Dies müsse von der Beklagten als Zustimmung im Rahmen familiärer Rücksichtnahmen gewertet werden und belege daher eine familienhafte Mitarbeit. Ergänzend solle erwähnt werden, dass für den Kläger keine Beiträge durch die Arbeitgeberin entrichtet worden seien. Möglicherweise habe die Stieftochter an der Rechtsmäßigkeit der Sozialversicherungspflicht gezweifelt und deshalb die Beitragszahlung unterlassen. Zusammenfassend handele es sich bei der genannten Konstellation wohl eher um eine Einstellung zum Zweck der Erlangung des Pflichtversicherungsstatus, verbunden mit Leistungsinanspruchnahme zu Lasten der Solidargemeinschaft, als um eine weisungsabhängige Beschäftigung, die zur Sozialversicherungspflicht führen würde.

Mit Urteil vom 11. März 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass der Kläger bei der Firma SL Warenhandel im Rahmen der familienhaften Mithilfe tätig gewesen sei. Die Zahlung eines Stundenlohnes von 2,84 EUR stelle keinen angemessenen Gegenwert für die geleistete Arbeit dar, was nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts jedoch ein ausschlaggebendes Kriterium sei. Darüber hinaus sei festzustellen, dass die in der Firma SL Warenhandel tatsächlich als Arbeitnehmer tätigen Beschäftigten deutlich höhere Bruttoentgelte erzielten. Darüber hinaus habe weder der Kläger noch die angebliche Arbeitgeberin einen Nachweis über die tatsächliche Zahlung des Arbeitsentgelts erbringen können. Der Vortrag, die Zahlung sei bar gegen Quittung geleistet worden, habe nach der Auskunft der Insolvenzverwalterin nicht bestätigt werden können. Insgesamt sei festzustellen, dass der Kläger nach dem Konkurs einer eigenen Firma im Unternehmen seiner Ehefrau und seiner Stieftochter familienhaft mitgewirkt habe.

Gegen dieses dem Kläger am 14. Mai 2003 zugestellte Urteil richtet sich seine Berufung vom 13. Juni 2003.

Die Prozessbevollmächtigten des Klägers wiederholen im Wesentlichen das Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Verfahren und legen dar, dass eine untertarifliche Bezahlung lediglich ein Indiz für ein nichtbeitragspflichtiges Beschäftigungsverhältnis sei, dieses jedoch nicht in jedem Fall ausschließe.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 11. März 2003 zu ändern, die Bescheide vom 14. Februar 2002 sowie vom 18. Februar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 2002 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger ab 01. April 2001 versicherungspflichtig bei der Firma SL Warenhandel beschäftigt und Mitglied der Beklagten ist sowie die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die sich daraus ergebenden Leistungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt, die Beigeladene zu 1, die ursprünglich Versicherungspflicht bejaht hatte, zweifelt nunmehr an der Richtigkeit dieser Einschätzung, die Beigeladene zu 2 ist der Auffassung, es habe Versicherungspflicht vorgelegen.

Die Bevollmächtigte des Klägers hat Gehaltsabrechnungen für diesen und den einschlägigen Tarifvertrag eingereicht; der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Lund S im Erörterungstermin vom 25. Mai 2005. Wegen der Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf deren Niederschrift verwiesen.

Die Beteiligten haben überstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Berichterstatters ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht erhoben, somit insgesamt zulässig. Über sie konnte der Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§§ 124, 155 Sozialgerichtsgesetz - SGG - ).

Die Berufung des Klägers ist auch begründet.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten, die feststellen, dass dieser für seine Tätigkeit bei der SL Warenhandel ab 01. April 2001 nicht der Pflichtversicherung bei ihr unterliegt, sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Sie waren daher aufzuheben und das bestätigende angefochtene Urteil des Sozialgerichts zu ändern. Als versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten stehen dem Kläger die gesetzlichen Leistungen zu.

Versicherungspflichtig gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in der gesetzlichen Krankenversicherung sind Arbeitnehmer, das heißt Personen, die einer Beschäftigung in Form nichtselbständiger Arbeit nachgehen (§ 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch).

Die Versicherungs- bzw. Beitragspflicht richtet sich nach den Grundsätzen, die Lehre und Rechtsprechung zum entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis in der Sozialversicherung entwickelt haben. Arbeitnehmer ist hiernach, wer von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Persönliche Abhängigkeit erfordert Eingliederung in den Betrieb und Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung. Zwar kann das Weisungsrecht erheblich eingeschränkt sein, wie dies insbesondere bei Diensten höherer Art der Fall ist, vollständig entfallen darf es jedoch nicht. Es muss eine fremdbestimmte Dienstleistung sein, die Dienstleistung muss also zumindest in einer von anderer Seite vorgegebene Ordnung des Betriebs aufgehen. Ist ein Weisungsrecht nicht vorhanden, kann der Betreffende also seine Tätigkeit wesentlich frei gestalten, insbesondere über die eigene Arbeitskraft, über Arbeitsort und Arbeitszeit frei verfügen, oder fügt er sich nur in die von ihm selbst gegebene Ordnung des Betriebes ein, liegt keine abhängige, sondern eine selbständige Tätigkeit vor, die zusätzlich durch ein Unternehmerrisiko gekennzeichnet zu sein pflegt (Urteil des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 01. Oktober 1999 L 8 AL 60/98 m.w.N).

Wenn diese Grundsätze auf die Tätigkeit des Klägers in der Firma SL Warenhandel angewandt werden, so ergibt sich, dass der Kläger nicht mithelfendes Familienmitglied war, sondern Arbeitnehmer dieses Unternehmens.

Die Beweisaufnahme des Senats hat ergeben, dass der Kläger in den Betrieb der Zeugin L, seiner Stieftochter, als Arbeitnehmer eingegliedert war. Er hatte dort eine bestimmte, ihm von der Arbeitgeberin zugewiesene Arbeit zu verrichten und es waren die Arbeitszeiten vorgegeben, die Art der Ausführung der Tätigkeit und die Arbeitszeit. Urlaub musste er sich genehmigen lassen. Er hat also über die Arbeitszeit, den Arbeitsort und die Art der Arbeit nicht frei verfügt, sondern war, wie bei einem Arbeitnehmer üblich, einer fremden Ordnung unterworfen. Die geringe Entlohnung, die im Übrigen nach den Feststellungen nicht wesentlich von dem im Übrigen, da nicht allgemeinverbindlich, hier nicht anwendbaren Tarifvertrag abweicht, erklärt sich aus der Leistungsminderung des Klägers, nämlich der erheblichen Behinderung an seinen beiden Händen, die im Erörterungstermin vom Senat selbst deutlich wahrgenommen wurden. Dass ein derartig behinderter Arbeitnehmer nicht die volle Leistung erzielt und darauf eine gewisse Rücksicht genommen wird, wie im Übrigen auch der Zeuge S, der die Darlegungen der Zeugin L bestätigt hat, bekundet hat, führt nicht dazu, dass die Arbeitnehmereigenschaft entfällt. Sonst wären Schwerbehinderte mit entsprechender Unterstützung grundsätzlich keine Arbeitnehmer. Auch dass diese Rücksichtnahme hier in einem Betrieb der Stieftochter erfolgte, ändert nichts daran, dass die Situation der eines Arbeitnehmer-/Arbeitgeberverhältnisses entspricht und es sich nicht um einen Familienbetrieb gehandelt hat. Es ist nicht ersichtlich, wie der Kläger irgendein Unternehmerrisiko an Wohl und Wehe des Betriebes seiner Stieftochter getragen hat, mit Ausnahme des Risikos, das jeder Arbeitnehmer trägt, nämlich der Insolvenz seines Arbeitgebers mit den sich daraus ergebenden Folgen für den Arbeitplatz.

In Anbetracht dieses Ergebnisses der Beweisaufnahme musste die Berufung mit der Kostenfolge aus § 193 SGG erfolgreich sein.

Für die Zulassung der Revision liegt keiner der im Gesetz (§ 160 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz) dargelegten Gründe vor; es wurde eine Beweiswürdigung im Einzelfall vorgenommen.
Rechtskraft
Aus
Saved