L 25 B 74/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
25
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 22 AS 775/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 25 B 74/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Umstritten ist – im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens – ob es der Antragsgegner (Ag.) zu Recht abgelehnt hat, dem 1986 geborenen, ledigen Antragsteller (Ast.) weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Form der Übernahme von Mietkosten für eine eigene 2-Zimmer-Wohnung zu gewähren. Einen entsprechenden Antrag auf Übernahme von Mietkosten für die eigene 2-Zimmer-Wohnung hatte der Ag. bereits mit Bescheid vom 19. Oktober 2005 abgelehnt; das hiergegen gerichtete Widerspruchsverfahren blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. November 2005). Das Sozialgericht Cottbus hatte einen diesbezüglichen Antrag im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens bereits mit Beschluss vom 31. Oktober 2005, auf dessen Gründe wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird (Bl. 64 ff. Leistungsakte [LA]), abgelehnt.

Nach Ergehen eines Bescheides vom 17. November 2005 über die – nach Ablehnung eines Abzweigungsantrags – neu berechneten Leistungen der Grundsicherung für November 2005 bis April 2006 reichte der Ast. die Kopie eines Vertrags vom 21. November 2005 über die Anmietung einer 2-Zimmer-Wohnung ein (46, 54 qm, Nettokaltmiete 220 EUR zzgl. Vorauszahlungen für Heiz- und Betriebskosten 90 EUR). Der Ag. wertete dies als Antrag auf Änderung des Bescheides vom 17. November 2005 und lehnte diesen nach einem Hausbesuch (Protokoll Bl. 123 LA) mit Bescheid vom 29. November 2005 ab, da dem Ast. im Haus seines Vaters eine Wohnung zur Verfügung stehe, die er kostenfrei nutzen könne. Einen Widerspruch hiergegen legte der Ast. nicht ein.

Vertreten durch seinen Vater stellte der Ast. am 1. Dezember 2005 beim Sozialgericht Cottbus erneut den Antrag, den Ag. im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für die Wohnung des Ast. in D zu übernehmen.

Mit Beschluss vom 21. Dezember 2006 hat das Sozialgericht Cottbus den Antrag abgelehnt, da der Ast. genügend Wohnraum im Hause seines Vaters habe und diesen auch nutze (ein Raum, Küche, Bad). Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht Bezug auf die Ausführungen in dem Beschluss des Sozialgerichts vom 21. Dezember 2005 (Bl. 58 ff. GA).

Am 11. Januar 2006 hat der Ast., nunmehr vertreten durch die Rechtsanwältin T, hiergegen beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Beschwerde eingelegt. Sie trägt vor, dass der fehlende Widerspruch nicht schädlich sei; da der Ast. durch seinen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz bei dem Sozialgericht kund getan habe, dass die Bescheide des Ag. keine Akzeptanz fänden; gleichwohl habe sie beim Ag. um die Erteilung eines Widerspruchsbescheides gebeten. In sachlicher Hinsicht sei darauf hinzuweisen, dass ausreichender Wohnraum in dem dem Vater und der Stiefmutter des Ast. gehörenden Haus nicht zur Verfügung stehe, da dort sieben Personen leben müssten, und dass die Wohnung des Ast. nicht bewohnbar sei; da sie keine Türen, keine funktionsfähige Küche, keine Heizung und keinen Stromanschluss habe und lediglich ein Ofen zur Verfügung stehe. Auch sei es dem Ast. aufgrund heftiger Auseinandersetzungen mit seinem Vater und der Stiefmutter nach dem Abbruch der zweiten Ausbildung nicht mehr zumutbar, im Haus seines Vaters zu bleiben. Die Stiefmutter weigere sich, weiterhin für den Ast. zu kochen und zu waschen. Da der Ag. den Ast. aus der Bedarfsgemeinschaft (BG) S R gestrichen habe, könne er sich jetzt nicht auf den Standpunkt stellen, dass der Ast. nicht ausziehen dürfe, nur weil der Vater gesteigert unterhaltspflichtig sei. Die vom Ast. angemietete Wohnung, in der er seit dem 21. November 2005 gemeldet sei, sei unmöbliert, weil der Ast. über keine Mittel hierfür verfüge. Mittlerweile seien Mietrückstände von 1 242,50 EUR aufgelaufen.

Der Senat geht davon aus, der Ast. wolle im hiesigen Verfahren beantragen, den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 21. Dezember 2005 aufzuheben und den Ag. im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Ast. weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Form der Übernahme der Miete für die Wohnung in D ab 1. Dezember 2005 unter Vorbehalt einer Regelung zur Hauptsache vorläufig auszuzahlen.

Der Ag. beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Er trägt vor, dass der Ast. zum einen weder gegen den Bewilligungsbescheid vom 17. November 2005 noch gegen den die Kostenübernahme ablehnenden Bescheid vom 29. November 2005 Widerspruch erhoben habe. Zum anderen verfüge der Ast. im Haus seines Vaters, einer ehemaligen Gastwirtschaft mit rd. 500 qm Gesamtfläche, von denen 16o qm bewohnbar seien, über ausreichenden und bewohnbaren Raum in Form eines separaten Wohnflächenanteils von 45 qm und nutze diesen auch weiterhin. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Akten des einstweiligen Verfahrens einschließlich der Verwaltungsunterlagen des Ag., insbesondere auf die Protokolle über die Hausbesuche verwiesen (Berichte vom 26. 10., 18. 11., 7. 12. 2005, Bl. 116 ff. GA), die dem Senat bei seiner Entscheidung vorgelegen haben. Das Sozialgericht Cottbus hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Sozialgerichts Cottbus hat in seinem Beschluss vom 21. Dezember 2005 zu Recht festgestellt, dass die Verwaltungsentscheidung des Ag. keinen Anhalt ihrer Rechtswidrigkeit ergibt. Deswegen kann der Ast. im Wege des einstweiligen Rechtschutzes weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Form der Übernahme der Kosten für die angemietete Wohnung vorläufig nicht erhalten. Es mangelt sowohl an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches als auch eines Anordnungsgrundes (§ 86 b Abs. 2 Satz 1, 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG] i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Da der Ast. in seinem Schreiben vom 5. Januar 2006 an den Ag. angibt, die angemietete Wohnung zum 31. März 2006 gekündigt zu haben, ist ein dringendes Bedürfnis zur Entscheidung über die Übernahme der Mietaufwendungen im einstweiligen Verfahren zur Abwendung wesentlicher Nachteile – und damit ein Anordnungsgrund - nicht mehr ersichtlich. Das Rechtsschutzbedürfnis ist damit entfallen. Betrachtet man davon unabhängig den Zeitraum ab 1. Dezember 2005, dem Beginn des Mietverhältnisses, so fehlt es am Anordnungsanspruch. Es ist bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung nicht ersichtlich, dass der Ast. einen Anspruch auf Übernahme der Mietaufwendungen hätte. Es kann hier offen gelassen werden, ob der Antrag bereits deshalb zurückzuweisen wäre, weil der Ast. anscheinend weder gegen den Bewilligungsbescheid vom 17. November 2005 noch gegen den die Kostenübernahme ablehnenden Bescheid vom 29. November 2005 Widerspruch erhoben hat und diese Bescheide des Ag. daher bestandskräftig geworden sind. Jedenfalls fehlt es an den Voraussetzungen dafür, den Ag. zur Übernahme der Aufwendungen für die Miete zu verpflichten. Es trifft zwar zu, dass § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II in der auf den Streitfall noch anzuwendenden Fassung eine förmliche Zustimmung zum Wohnungswechsel im Sinne einer Anspruchsvoraussetzung nicht vorsah (anders § 22 Abs. 2 a SGB II in der ab dem 1. April 2006 geltenden Fassung, der bei Personen unter 25 Jahren die Zusicherung des kommunalen Trägers für die Übernahme der Kosten der Unterkunft obligatorisch macht). Vielmehr sollte der erwerbsfähige Hilfebedürftige in der im Streitfall noch zur Anwendung kommenden Fassung lediglich vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die Zusicherung des kommunalen Trägers zu den Aufwendungen einholen; Hintergrund dieser Soll-Regelung war, den Antragsteller etwa vor der Anmietung einer letztlich zu teuren Wohnung zu bewahren, andererseits aber auch die Allgemeinheit nicht unnötig mit unangemessenen Kosten zu belasten. Unter Berücksichtigung dieser Soll-Regelung kann also der Leistungsträger die Übernahme der Kosten nicht allein wegen des Fehlens der vorherigen Zustimmung ablehnen. Allerdings lässt sich aus § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II entnehmen, unter welchen Voraussetzungen der kommunale Träger zur Übernahme der Aufwendungen für die Wohnung verpflichtet ist, nämlich nur dann, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Hiernach lässt sich im Streitfall nicht feststellen, dass der Ag. zur Übernahme der Mietkosten verpflichtet wäre. Es gibt keinen tatsächlichen Anhalt für die Erforderlichkeit des Wohnungswechsels. Zwar kann der Leistungsempfänger bei der Auswahl zwischen mehreren Wohnungen, die im Rahmen des Angemessenen liegen, grundsätzlich frei wählen, und zwar auch dann, wenn der Leistungsempfänger bereits eine angemessene Wohnung innehatte und nunmehr eine andere, abstrakt gesehen ebenfalls angemessene Wohnung als Mittelpunkt seines Lebens wählen will. Unterscheiden sich diese jedoch hinsichtlich der für sie erforderlichen Mietaufwendungen, kann der kommunale Träger den Leistungsempfänger auf die Inanspruchnahme der kostengünstigeren Alternative verweisen, also auch auf die bisherige Unterkunft, wenn sie ihm im Bedarfszeitraum noch zugänglich ist (vgl. zur sozialhilferechtlichen Rechtsprechung Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Sammlung der Entscheidungen des BVerwG [BVerwGE] 97, 110). Dies gilt insbesondere dann, wenn bei wertender Betrachtungsweise Gründe, die den Umzug notwendig erscheinen ließen, nicht vorliegen.

So liegt es im Streitfall. Dass der Umzug etwa aus hygienischen oder gesundheitlichen Gründen oder wegen erheblicher baulicher Mängel der Unterkunft erforderlich wurde, lässt sich unter Berücksichtigung der Protokolle des Ag. über die Ortsbesichtigungen vom 26. Oktober und 18. November 2005 nicht feststellen. Hiernach war die Wohnung seit dem Jahr 1999 durchgehend von dem Bruder des Ast. bewohnt worden. Sie war ausgestattet mit Schrankwand, Bett, Couch, Fernsehgerät, Allesbrenner; Stromanschlüssen und Stromkabel waren verlegt, es fehlten lediglich die Steckdosen sowie der Anschluss am Verteilerkasten. Die Küche befand sich im grundsanierten Rohzustand, kleine Malerarbeiten fehlten noch, Küchenschrank und Tisch waren vorhanden, die Spüle war nicht angeschlossen, eine Lampe wegen fehlender Stromversorgung nicht vorhanden. Ferner gehörte zu der Wohnung ein voll saniertes, mit funktionstüchtigem Durchlauferhitzer ausgestattetes, allerdings bisher nicht beheizbares und unbeleuchtetes Bad. Wie der Vater des Ast. gegenüber dem Ag. selbst erklärt hat, könnten Stromversorgung und Heizung durch Anschluss an das neue Leitungssystem realisiert werden. Auch hat sich der Zustand der Wohnung zwischenzeitlich insoweit verbessert, als der Vater die alten undichten Fenster durch neue ersetzt hat.

Dass dies bisher nicht geschehen ist, hat seinen Grund darin, dass der Vater des Ast. – wie dieser selbst einräumt - sich infolge des uneinsichtigen und absprachewidrigen Verhaltens des Ast. weigert, die zur Fertigstellung notwendigen Arbeiten durchzuführen. Hierzu wäre er aber aufgrund der - trotz des Ausscheidens des Ast. mit Eintritt der Volljährigkeit aus der Bedarfsgemeinschaft - weiterhin bestehenden Unterhaltspflicht verpflichtet. Die Beseitigung der Mängel wäre ihm auch finanziell zumutbar, weil er seit dem Jahr 2000 Eigenheimzulage erhält, die nach seinen Angaben für den Kauf einer Heizungsanlage verwendet werden sollte, die das ganze Haus versorgen könne. Schließlich ist bei der Frage nach der Notwendigkeit eines Umzugs zu berücksichtigen, dass die Sachbearbeiterin des Ag. vorgeschlagen hat, die Kosten für die Sanierung der Wohnung des Ast. zu übernehmen.

Das Gericht geht nach alledem im einstweiligen Rechtsschutzverfahren davon aus, dass dem Ast. ausreichender und zumutbarer Wohnraum im Haus seines Vaters nach wie vor zur Verfügung steht.

Auch den vom Ast. angeführten Problemen mit seinen Eltern, insbesondere mit der Stiefmutter, kommt kein ausreichendes Gewicht zu, um die Erforderlichkeit des Wohnungswechsel zu begründen. Einem hieraus entspringenden Bedürfnis nach räumlicher Trennung ist angesichts der separat zugänglichen Wohnung im Haus des Vaters ausreichend Rechnung getragen. Die vom Ast. befürchteten tätlichen Auseinandersetzungen erscheinen schon im Hinblick darauf, dass er zu Vorsprachen bei dem Ag. stets im Beistand seines Vaters aufgetreten ist, wenig wahrscheinlich. Ebenso wenig für die Annahme ernsthafter Differenzen genügt es, dass sich die Stiefmutter weigert, den Ast. zu beköstigen und seine Wäsche zu waschen. Derartige Aufwendungen hat der Ast. aus seiner Regelleistung zu bestreiten, zudem ihm auch noch seit April 2006 das Kindergeld ausgezahlt wird.

Nach alldem liegen Anhaltspunkte für eine Erforderlichkeit des Umzugs i. S. des § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II nicht vor.

Eine Verpflichtung des Ag. zur Übernahme der zwischenzeitlich aufgelaufenen Mietschulden nach § 22 Abs. 5 SGB II liegen nach dem Gesagten ebenso wenig vor, zumal es auch am weiteren Erfordernis der ohne Mietschuldenübernahme drohenden Verhinderung einer in Aussicht stehenden Beschäftigung fehlte.

Nach alledem musste die Beschwerde zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) analog.

Gegen diese Entscheidung sieht das Gesetz einen ordentlichen Rechtsbehelf nicht vor (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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