Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 102 AS 1564/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 19 B 316/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. März 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
I. Der am 1955 geborene Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung u.a. die Zusage des Antragsgegners, die Kosten für eine Brille unter Verzicht auf eine Aufrechnung mit dem Regelsatz zu übernehmen.
Dr. med. W verordnete dem Antragsteller am 30. Januar 2006 eine Brille und bezeichnete diese als Multifokalbrille. Der Antrag auf Kostenübernahme für eine Brille vom 31. Januar 2006 wurde von dem Antragsgegner mit Bescheid vom 14. Februar 2006 abgelehnt. Dagegen hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 18. Februar 2006 Widerspruch eingelegt. Am 20. Februar 2006 beantragte er den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Mit Beschluss vom 23. März 2006 hat das Sozialgericht Berlin diesen Antrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, dass ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden sei. Der nach § 23 Abs. 1 Satz 1 des zweiten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB II) unabweisbare Bedarf sei von dem Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Aus der vorgelegten ärztlichen Verordnung ergebe sich nicht, dass der Antragsteller auf eine Multifokalbrille angewiesen sei. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass dem Antragsteller zumindest bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zuzumuten sei, mit preiswerten Sehhilfen auszukommen. Auch habe der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass er nicht in der Lage wäre, die Kosten für eine Multifokalbrille aus eigenem Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 4 SGB II aufzubringen.
Gegen diesen dem Antragsteller am 28. März 2006 zugestellten Beschluss wendet er sich mit seiner am 26. April 2006 eingegangenen Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat.
Zur Begründung führt der Antragsteller im Wesentlichen aus, dass er kein Vermögen habe und nicht in der Lage sei, die Brille zu finanzieren. Soweit das Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung das Vorhandensein von Vermögen behaupte, stelle dies eine Überraschungsentscheidung dar, denn er sei auf diesen Punkt nicht hingewiesen worden. Es sei ihm nicht möglich, die Aufwendungen für den Kauf einer Brille mit dem Regelsatz zu bestreiten. Auch sei seine Schwerbehinderung bei der Bestimmung der Bedarfslage zu berücksichtigen. Eine Schwerbehinderung sei immer mit Kosten verbunden. Dies spreche für einen unabweisbaren Bedarf. Der Beschluss stelle eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes dar. Die Kosten für ärztlich verordnete Medikamente würden übernommen werden, wenn sie Therapiestandard darstellen würden. Dagegen werde die Übernahme von ärztlich verordneten Brillen, die Therapiestandard seien, ausgeschlossen. Mit der ärztlichen Verordnung würde vorliegend zudem die medizinische Notwendigkeit bewiesen. Es sei vom Sozialgericht nicht dargelegt worden, woher es die medizinischen Kenntnisse habe zur Beurteilung der Notwendigkeit einer ärztlichen Verordnung. Dies sei jedoch erforderlich, wenn das Gericht eine weitere Sachaufklärung ablehne. Der Beschluss sei in mehreren Punkten widersprüchlich.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss vom 23. März 2006 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für die Anschaffung einer Multifokalbrille unter Verzicht auf eine Aufrechnung mit der Regelleistung zu übernehmen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag zu Recht abge-lehnt, weil die Voraussetzungen für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht vorliegen.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass sowohl ein Anordnungsanspruch (d.h. ein nach der Rechtslage gegebener An-spruch auf die einstweilig begehrte Leistung) wie auch ein Anordnungsgrund (im Sinne einer Eilbedürftigkeit des Verfahrens) bestehen. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).
Bei seiner Entscheidung kann das Gericht grundsätzlich sowohl eine Folgenabwägung vornehmen wie auch eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache anstellen. Drohen aber ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dann dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist allein anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 596/05 -).
Unter Beachtung dieser Grundsätze war eine einstweilige Anordnung nicht zu erlassen.
Ein Anordnungsanspruch wurde nicht glaubhaft gemacht.
Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II umfasst die Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Bedarfe des täglichen Lebens und in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilhabe am kulturellen Leben. Leistungen für Mehrbedarfe werden bei Vorliegen der in § 21 SGB II genannten Voraussetzungen erbracht. Ein solcher Mehrbedarf kann vorliegen, wenn erwerbsfähige Hilfebedürftige aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen. Sonstiger medizinisch notwendiger Bedarf, der durch die Krankenkassen nicht abgedeckt wird, ist in § 21 SGB II nicht genannt und daher kein Mehrbedarf in diesem Sinne. Somit stellen die Kosten einer ärztlich verordneten Brille keinen Mehrbedarf im Sinne des § 21 SGB II dar. Die Aufzählung in § 21 SGB II ist abschießend. Eine von den §§ 20, 21 SGB II abweichende Erbringung von Leistungen ist gemäß § 23 SGB II möglich, wenn im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes weder durch das Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 4 SGB II noch auf andere Weise gedeckt werden kann. In diesen Fällen wird bei entsprechendem Nachweis der Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung erbracht und dem Hilfebedürftigen ein entsprechendes Darlehen gewährt, welches durch Aufrechnung mit der jeweils zu zahlenden Regelleistung getilgt wird. Zu den in § 20 SGB II genannten Kosten der Körperpflege zählen auch die Kosten für ärztlich verordnete Medikamente oder Hilfsmittel, soweit diese nicht von der Krankenkasse übernommen werden. Diese können unter den Voraussetzungen des § 23 SGB II als Sach- oder Geldleistung erbracht werden. Ein unabweisbarer Bedarf im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II liegt dann vor, wenn die Abdeckung des fraglichen Bedarfs keinen Aufschub duldet und eine erhebliche Beeinträchtigung des Bedarfs vorliegt, die auch nicht durch eine Mittelumschichtung innerhalb der Regelleistung beseitigt oder aufgefangen werden kann (Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, § 23 Rz. 26 ff). Eine schlichte Bedarfsunterdeckung hat nicht bereits die Unabweisbarkeit des Bedarfs zu Folge. Unabweisbarkeit liegt noch nicht vor, wenn ein nach § 20 SGB II an sich notwendiger Bedarf nicht befriedigt werden kann (Eicher/Spellbrink, a.a.O.). Der Hilfebedürftige hat das Vorliegen eines solchen Mehrbedarfs nachzuweisen.
Vorliegend ist nicht vom Antragsteller glaubhaft gemacht worden, dass der Bedarf an einer Multifokalbrille unabweisbar im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist. Zwar spricht die ärztliche Verordnung vom 30. Januar 2006 für das Bestehen eines Bedarfs, der auch als notwendig angesehen werden kann. Ein notwendiger Bedarf ist jedoch nicht einem unabweisbaren Bedarf gleichzusetzen. Es wurde nicht von dem für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen darlegungspflichtigen Antragsteller aufgezeigt, dass die Abdeckung seines Bedarfes an einer Multifokalbrille keinen Aufschub duldet, d.h. dass er in zeitlicher Hinsicht umgehend dieses Hilfsmittel benötigt. Die ärztliche Verordnung einer Multifokalbrille besagt noch nicht, dass er dieses Hilfsmittel sofort benötigt. Auch aus der Natur der begehrten Leistung folgt dies nicht. Der Antragsteller hat nicht behauptet, aufgrund seiner Sehschwäche ausschließlich auf diese Art der Brille angewiesen zu sein. Die erforderliche Bedarfssituation besteht nicht bereits deshalb, weil der Antragsteller schwerbehindert ist, da nicht abstrakt an diese Eigenschaft sondern an die konkreten Umstände anzuknüpfen ist. Solche Gegebenheiten wurden nicht mitgeteilt.
Ob der Bedarf durch das Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II oder auf andere Weise gedeckt werden kann, insbesondere ob der Antragsteller über solches Vermögen verfügt, kann daher dahingestellt bleiben.
Im Übrigen wäre eine Kostenübernahme und somit eine Geldleistung nach § 23 SGB II nur als Darlehen möglich, da die Regelung in § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II keine Ausnahme von dem Grundsatz der Gewährung eines Darlehens vorsieht. Dies entspricht jedoch nicht dem Interesse des Antragstellers, der sich ausdrücklich in seinem Antrag und in seinem schriftsätzlichen Vorbringen gegen eine Verrechnung mit der Regelleistung und damit gegen eine Darlehensgewährung ausspricht.
Auch ein Anordnungsgrund wurde nicht glaubhaft gemacht. Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II dienen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens, mithin der Erfüllung einer verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -).
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Sicherung des Existenzminimums des An-tragstellers vorliegend nicht geboten. Auch unter Berücksichtigung der möglichen Verfahrensdauer kann der Antragsteller zur Durchsetzung seines geltend gemachten Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden. Von einer erheblichen Beeinträchtigung, die auch nachträglich bei einem erfolgreichen Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht mehr bzw. nur mit längerer Verzögerung ausgeglichen werden könnte, ist nicht auszugehen. Bei der Kostenübernahme für eine Brille handelt es sich nicht um den elementaren Lebensbedarf eines Menschen, der grundsätzlich nur in dem Augenblick befriedigt werden kann, in dem er entsteht.
Soweit der Antragsteller in seiner Antragsschrift eine Anordnung in Bezug auf eine bis auf weiteres bestehende Arbeitsunfähigkeit des Antragstellers begehrte, hat er dies im Beschwerdeverfahren nicht mehr weiter verfolgt. Seine Beschwerdebegründung enthält dazu keine Ausführungen. Im Übrigen ist insoweit weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Eine im Ermessen des Landessozialgerichts liegende Zurückverweisung des einstweiligen Rechtschutzverfahrens an das Sozialgericht analog § 159 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kam vorliegend nicht in Betracht, da der behauptete Verfahrensmangel einer Überra-schungsentscheidung nicht vorliegt.
Der Beschluss ist nicht verfahrensfehlerhaft. Das Sozialgericht hat den Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör nicht verletzt. Eine Überraschungsentscheidung liegt nicht vor. Die Regelungen der §§ 62, 128 Abs. 2 SGG, Artikel 103 Abs. 2 Grundgesetz (GG) sollen verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf einer Rechtsauffassung beruht, zu der sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Die hieraus folgenden Hinweispflichten beziehen sich jedoch nur auf erhebliche Tatsachen, die den Betroffenen bislang unbekannt waren, und auf neue rechtliche Gesichtspunkte. Das Gericht ist nicht gemäß § 62 SGG generell verpflichtet, vor seiner Entscheidung den Beteiligten seine Rechtsauffassung zu dem Prozessstoff mitzuteilen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2003 - B 2 U 32/02 R -). Da gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II der Hilfebedürftige die Voraussetzungen für einen Mehrbedarf im Sinne dieser Norm nachzuweisen hat, ist der Amtsermittlungsgrundsatz insoweit eingeschränkt und das Gericht war nicht gehalten, die Frage des Vermögens von Amts wegen weiter aufzuklären. Auch ein Hinweis an den Antragsteller, seine wirtschaftliche Situa-tion näher darzulegen, war nicht erforderlich, da die materielle Bedürftigkeit eine Anspruchsvoraussetzung ist und insoweit von dem Sozialgericht kein neuer rechtlicher Gesichtspunkt angesprochen wurde.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens war wegen fehlender Erfolgsaussichten (§ 73 a SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung) abzulehnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I. Der am 1955 geborene Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung u.a. die Zusage des Antragsgegners, die Kosten für eine Brille unter Verzicht auf eine Aufrechnung mit dem Regelsatz zu übernehmen.
Dr. med. W verordnete dem Antragsteller am 30. Januar 2006 eine Brille und bezeichnete diese als Multifokalbrille. Der Antrag auf Kostenübernahme für eine Brille vom 31. Januar 2006 wurde von dem Antragsgegner mit Bescheid vom 14. Februar 2006 abgelehnt. Dagegen hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 18. Februar 2006 Widerspruch eingelegt. Am 20. Februar 2006 beantragte er den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Mit Beschluss vom 23. März 2006 hat das Sozialgericht Berlin diesen Antrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, dass ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden sei. Der nach § 23 Abs. 1 Satz 1 des zweiten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB II) unabweisbare Bedarf sei von dem Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Aus der vorgelegten ärztlichen Verordnung ergebe sich nicht, dass der Antragsteller auf eine Multifokalbrille angewiesen sei. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass dem Antragsteller zumindest bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zuzumuten sei, mit preiswerten Sehhilfen auszukommen. Auch habe der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass er nicht in der Lage wäre, die Kosten für eine Multifokalbrille aus eigenem Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 4 SGB II aufzubringen.
Gegen diesen dem Antragsteller am 28. März 2006 zugestellten Beschluss wendet er sich mit seiner am 26. April 2006 eingegangenen Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat.
Zur Begründung führt der Antragsteller im Wesentlichen aus, dass er kein Vermögen habe und nicht in der Lage sei, die Brille zu finanzieren. Soweit das Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung das Vorhandensein von Vermögen behaupte, stelle dies eine Überraschungsentscheidung dar, denn er sei auf diesen Punkt nicht hingewiesen worden. Es sei ihm nicht möglich, die Aufwendungen für den Kauf einer Brille mit dem Regelsatz zu bestreiten. Auch sei seine Schwerbehinderung bei der Bestimmung der Bedarfslage zu berücksichtigen. Eine Schwerbehinderung sei immer mit Kosten verbunden. Dies spreche für einen unabweisbaren Bedarf. Der Beschluss stelle eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes dar. Die Kosten für ärztlich verordnete Medikamente würden übernommen werden, wenn sie Therapiestandard darstellen würden. Dagegen werde die Übernahme von ärztlich verordneten Brillen, die Therapiestandard seien, ausgeschlossen. Mit der ärztlichen Verordnung würde vorliegend zudem die medizinische Notwendigkeit bewiesen. Es sei vom Sozialgericht nicht dargelegt worden, woher es die medizinischen Kenntnisse habe zur Beurteilung der Notwendigkeit einer ärztlichen Verordnung. Dies sei jedoch erforderlich, wenn das Gericht eine weitere Sachaufklärung ablehne. Der Beschluss sei in mehreren Punkten widersprüchlich.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss vom 23. März 2006 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für die Anschaffung einer Multifokalbrille unter Verzicht auf eine Aufrechnung mit der Regelleistung zu übernehmen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag zu Recht abge-lehnt, weil die Voraussetzungen für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht vorliegen.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass sowohl ein Anordnungsanspruch (d.h. ein nach der Rechtslage gegebener An-spruch auf die einstweilig begehrte Leistung) wie auch ein Anordnungsgrund (im Sinne einer Eilbedürftigkeit des Verfahrens) bestehen. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).
Bei seiner Entscheidung kann das Gericht grundsätzlich sowohl eine Folgenabwägung vornehmen wie auch eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache anstellen. Drohen aber ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dann dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist allein anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 596/05 -).
Unter Beachtung dieser Grundsätze war eine einstweilige Anordnung nicht zu erlassen.
Ein Anordnungsanspruch wurde nicht glaubhaft gemacht.
Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II umfasst die Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Bedarfe des täglichen Lebens und in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilhabe am kulturellen Leben. Leistungen für Mehrbedarfe werden bei Vorliegen der in § 21 SGB II genannten Voraussetzungen erbracht. Ein solcher Mehrbedarf kann vorliegen, wenn erwerbsfähige Hilfebedürftige aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen. Sonstiger medizinisch notwendiger Bedarf, der durch die Krankenkassen nicht abgedeckt wird, ist in § 21 SGB II nicht genannt und daher kein Mehrbedarf in diesem Sinne. Somit stellen die Kosten einer ärztlich verordneten Brille keinen Mehrbedarf im Sinne des § 21 SGB II dar. Die Aufzählung in § 21 SGB II ist abschießend. Eine von den §§ 20, 21 SGB II abweichende Erbringung von Leistungen ist gemäß § 23 SGB II möglich, wenn im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes weder durch das Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 4 SGB II noch auf andere Weise gedeckt werden kann. In diesen Fällen wird bei entsprechendem Nachweis der Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung erbracht und dem Hilfebedürftigen ein entsprechendes Darlehen gewährt, welches durch Aufrechnung mit der jeweils zu zahlenden Regelleistung getilgt wird. Zu den in § 20 SGB II genannten Kosten der Körperpflege zählen auch die Kosten für ärztlich verordnete Medikamente oder Hilfsmittel, soweit diese nicht von der Krankenkasse übernommen werden. Diese können unter den Voraussetzungen des § 23 SGB II als Sach- oder Geldleistung erbracht werden. Ein unabweisbarer Bedarf im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II liegt dann vor, wenn die Abdeckung des fraglichen Bedarfs keinen Aufschub duldet und eine erhebliche Beeinträchtigung des Bedarfs vorliegt, die auch nicht durch eine Mittelumschichtung innerhalb der Regelleistung beseitigt oder aufgefangen werden kann (Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, § 23 Rz. 26 ff). Eine schlichte Bedarfsunterdeckung hat nicht bereits die Unabweisbarkeit des Bedarfs zu Folge. Unabweisbarkeit liegt noch nicht vor, wenn ein nach § 20 SGB II an sich notwendiger Bedarf nicht befriedigt werden kann (Eicher/Spellbrink, a.a.O.). Der Hilfebedürftige hat das Vorliegen eines solchen Mehrbedarfs nachzuweisen.
Vorliegend ist nicht vom Antragsteller glaubhaft gemacht worden, dass der Bedarf an einer Multifokalbrille unabweisbar im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist. Zwar spricht die ärztliche Verordnung vom 30. Januar 2006 für das Bestehen eines Bedarfs, der auch als notwendig angesehen werden kann. Ein notwendiger Bedarf ist jedoch nicht einem unabweisbaren Bedarf gleichzusetzen. Es wurde nicht von dem für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen darlegungspflichtigen Antragsteller aufgezeigt, dass die Abdeckung seines Bedarfes an einer Multifokalbrille keinen Aufschub duldet, d.h. dass er in zeitlicher Hinsicht umgehend dieses Hilfsmittel benötigt. Die ärztliche Verordnung einer Multifokalbrille besagt noch nicht, dass er dieses Hilfsmittel sofort benötigt. Auch aus der Natur der begehrten Leistung folgt dies nicht. Der Antragsteller hat nicht behauptet, aufgrund seiner Sehschwäche ausschließlich auf diese Art der Brille angewiesen zu sein. Die erforderliche Bedarfssituation besteht nicht bereits deshalb, weil der Antragsteller schwerbehindert ist, da nicht abstrakt an diese Eigenschaft sondern an die konkreten Umstände anzuknüpfen ist. Solche Gegebenheiten wurden nicht mitgeteilt.
Ob der Bedarf durch das Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II oder auf andere Weise gedeckt werden kann, insbesondere ob der Antragsteller über solches Vermögen verfügt, kann daher dahingestellt bleiben.
Im Übrigen wäre eine Kostenübernahme und somit eine Geldleistung nach § 23 SGB II nur als Darlehen möglich, da die Regelung in § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II keine Ausnahme von dem Grundsatz der Gewährung eines Darlehens vorsieht. Dies entspricht jedoch nicht dem Interesse des Antragstellers, der sich ausdrücklich in seinem Antrag und in seinem schriftsätzlichen Vorbringen gegen eine Verrechnung mit der Regelleistung und damit gegen eine Darlehensgewährung ausspricht.
Auch ein Anordnungsgrund wurde nicht glaubhaft gemacht. Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II dienen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens, mithin der Erfüllung einer verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -).
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Sicherung des Existenzminimums des An-tragstellers vorliegend nicht geboten. Auch unter Berücksichtigung der möglichen Verfahrensdauer kann der Antragsteller zur Durchsetzung seines geltend gemachten Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden. Von einer erheblichen Beeinträchtigung, die auch nachträglich bei einem erfolgreichen Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht mehr bzw. nur mit längerer Verzögerung ausgeglichen werden könnte, ist nicht auszugehen. Bei der Kostenübernahme für eine Brille handelt es sich nicht um den elementaren Lebensbedarf eines Menschen, der grundsätzlich nur in dem Augenblick befriedigt werden kann, in dem er entsteht.
Soweit der Antragsteller in seiner Antragsschrift eine Anordnung in Bezug auf eine bis auf weiteres bestehende Arbeitsunfähigkeit des Antragstellers begehrte, hat er dies im Beschwerdeverfahren nicht mehr weiter verfolgt. Seine Beschwerdebegründung enthält dazu keine Ausführungen. Im Übrigen ist insoweit weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Eine im Ermessen des Landessozialgerichts liegende Zurückverweisung des einstweiligen Rechtschutzverfahrens an das Sozialgericht analog § 159 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kam vorliegend nicht in Betracht, da der behauptete Verfahrensmangel einer Überra-schungsentscheidung nicht vorliegt.
Der Beschluss ist nicht verfahrensfehlerhaft. Das Sozialgericht hat den Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör nicht verletzt. Eine Überraschungsentscheidung liegt nicht vor. Die Regelungen der §§ 62, 128 Abs. 2 SGG, Artikel 103 Abs. 2 Grundgesetz (GG) sollen verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf einer Rechtsauffassung beruht, zu der sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Die hieraus folgenden Hinweispflichten beziehen sich jedoch nur auf erhebliche Tatsachen, die den Betroffenen bislang unbekannt waren, und auf neue rechtliche Gesichtspunkte. Das Gericht ist nicht gemäß § 62 SGG generell verpflichtet, vor seiner Entscheidung den Beteiligten seine Rechtsauffassung zu dem Prozessstoff mitzuteilen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2003 - B 2 U 32/02 R -). Da gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II der Hilfebedürftige die Voraussetzungen für einen Mehrbedarf im Sinne dieser Norm nachzuweisen hat, ist der Amtsermittlungsgrundsatz insoweit eingeschränkt und das Gericht war nicht gehalten, die Frage des Vermögens von Amts wegen weiter aufzuklären. Auch ein Hinweis an den Antragsteller, seine wirtschaftliche Situa-tion näher darzulegen, war nicht erforderlich, da die materielle Bedürftigkeit eine Anspruchsvoraussetzung ist und insoweit von dem Sozialgericht kein neuer rechtlicher Gesichtspunkt angesprochen wurde.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens war wegen fehlender Erfolgsaussichten (§ 73 a SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung) abzulehnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
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