L 11 KA 30/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 19 KA 21/02
Datum
-
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 30/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 84/06 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufungen der Kläger zu 1) bis 3) wird das Urteil des Sozialgerichts Köln abgeändert. Es wird festgestellt, dass der Bescheid des Beklagten vom 24.04.2002 rechtswidrig war. Die Berufung der Klägerin zu 4) wird zurückgewiesen. Von den Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte 1/12, die Klägerin zu 4) 11/12. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die (rückwirkende) Rücknahme der Genehmigung einer Gemeinschaftspraxis.

Die Kläger zu 1) bis 3) waren bis zum 30.06.2004 bzw. 30.09.2004 als Ärzte für Neurologie und Psychiatrie bzw. als praktische Ärztin/Psychotherapie in einer Gemeinschaftspraxis in L tätig. Mit Beschluss vom 29.11.1995 hatte der Zulassungsausschuss für Ärzte Köln die gemeinsame Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit der Kläger zu 1) und 2) mit Wirkung vom 01.01.1996 genehmigt. Mit Beschluss vom 18.10.2000 hatte er mit Wirkung vom 01.10.2000 eine gebietsübergreifende Gemeinschaftspraxis der Kläger zu 1) bis 3) genehmigt. Die Klägerin zu 2) ist mit Wirkung vom 30.06.2004 aus der Gemeinschaftspraxis ausgeschieden, die Klägerin zu 3) mit Wirkung vom 30.09.2000. Am Standort der Praxis bestand daneben mit gemeinsamer Nutzung der Praxisräume eine Gemeinschaftspraxis von sieben Psychologischen Psychotherapeuten.

Die Vorlage des zwischen den Klägern bestehenden Vertrages über die Gemeinschaftspraxis war vom Zulassungsausschuss seinerzeit nicht verlangt worden. Erst im Zusammenhang mit einem früheren Bestreben auf Genehmigung einer fachübergreifenden Gemeinschaftspraxis mit den Psychologischen Psychotherapeuten (Verfahren SG Köln, S 19 KA 27/01) erfolgte Ende 2000 die Vorlage eines unter dem 01.12.1998 zwischen dem Kläger zu 1) und der Klägerin zu 2) geschlossenen Vertrages. In diesem Vertrag wird der Kläger zu 1) als Seniorpartner und die Klägerin zu 2) als Juniorpartner bezeichnet. Nach § 3 war die Bildung eines gemeinsamen Gesellschaftsvermögens nicht vorgesehen. Die Kassenarztpraxis werde ausgeübt in den bestehenden Praxisräumen des Seniorpartners bzw. dessen Praxisorganisation. Nach § 4 Abs. 2 war der Kläger zur alleinigen Geschäftsführung und Vertretung unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) berufen. Soweit berufsrechtliche Vorbehalte bestünden, sei der jeweilige Gesellschafter allein zur Geschäftsführung und Vertretung berechtigt und verpflichtet; dies gelte insbesondere im Bereich der Patientenbehandlung und Versorgung. Gemäß § 7 erhielt jeder Gesellschafter als Anteile am Ergebnis der Gesellschaft den in der Beitrittserklärung vereinbarten Anteil an den von ihm erwirtschafteten Honoraren (zuletzt 65%). Darüber hinaus nahmen die Gesellschafter an Gewinne oder Verlust der Gesellschaft nicht teil. Das die Anteile übersteigende Honorar wurden unter Verzicht auf eine Abrechnung als Kostenanteil der Praxisorganisation übergeben; "dies gegen die entsprechende Berechtigung, die räumlichen, personellen und technischen Möglichkeiten zu nutzen" (§ 7 Abs. 4 des Vertrages). Gemäß § 8 lit. a Abs. 1 erbrachten die Gesellschafter ihre Leistungen gegenüber den Patienten eigenverantwortlich und selbständig. Gemäß Abs. 2 a.a.O. waren sie durch den organisatorischen Rahmen der Praxis entsprechend dem jeweiligen Organisations-, Arbeits- und Ablaufplan gebunden. Leistungen im Rahmen der Gesellschaft waren für die Gesellschaft abzurechnen und auf ein von dem geschäftsführenden Gesellschafter zu bestimmendes Konto einzuzahlen. Gemäß § 8 lit. d war jeder Gesellschafter verpflichtet, bei Bedarf und Anforderung der Geschäftsführung einen Assistenten nach berufsrechtlichen Grundsätzen zu halten. Die Kosten für diese Assistenten gingen zu Lasten der Gesellschaft; die von und über den Assistenten erwirtschafteten Erträge galten als solche der Gesellschaft. § 8 lit. d regelte, dass die jeweilige kassenärztliche Zulassung des Juniorpartners der Gesellschaft zustehen sollte und sich der Juniorpartner für den Fall des Ausscheidens verpflichtete, die Zustimmung zur Übertragung auf einen von der Gesellschaft zu benennenden Dritten zu erteilen. Für den Fall der Nichterfüllung dieser Verpflichtung verpflichtete sich der Juniorpartner zu Leistungen von Schadensersatz. § 10 regelte die Auseinandersetzungen im Falle der Auflösung der Gesellschaft. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vertrag vom 01.12.1998 Bezug genommen.

Die Klägerin zu 4) wertete das Vertragsverhältnis auf Grund der getroffenen Regelungen bezüglich der Rechtsverhältnisse an Praxisgegenständen und Praxiswert, der Geschäftsverteilung und der Verteilung des Gewinnes und Verlustes sowie der Regelung für das Ausscheiden der Juniorpartner als Angestelltenverhältnis. Mit Schreiben vom 10.05.2001 beantragte sie beim Zulassungsausschuss den rückwirkenden Widerruf der Genehmigung der Gemeinschaftspraxis. Zugleich forderte sie mit Bescheid vom 22.06.2001 von den Klägern zu 1) bis 3) das Honorar seit dem 1. Quartal 1996 zurück, da tatsächlich keine Gemeinschaftspraxis bestanden habe (die Honorarrückforderung ist Gegenstand des Verfahrens SG Düsseldorf S 2 (25) KA 175/01, das derzeit ruht).

Der Zulassungsausschuss lehnte mit Beschluss vom 15.08.2001 zwar die rückwirkende Rücknahme der Genehmigungen ab, nahm aber die Genehmigung der Gemeinschaftspraxis mit sofortiger Wirkung zurück. Er schloss sich der Auffassung der Klägerin zu 4) an, dass tatsächlich keine Gemeinschaftspraxis, sondern ein verdecktes Anstellungsverhältnis bestehe. Alle Kläger legten Widerspruch ein, wobei die Klägerin zu 4) eine Rücknahme für die Vergangenheit nach § 45 Abs. 4 i. V. m. Abs. 2 10. Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) forderte, weil die Kläger zu 1) bis 3) über die wahren Verhältnisse in der Praxis getäuscht hätten. Mit Beschluss vom 03.04.2002 wies der Beklagte die Widersprüche zurück. Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Genehmigung sei § 45 SGB X. Die Gemeinschaftspraxis hätte nicht genehmigt werden dürfen, denn es gebe nur einen Vertrag vom 01.12.1998 zwischen den Klägern zu 1) und 2), eine Regelung hinsichtlich der Klägerin zu 3) finde sich nicht. Nach der vertraglichen Gestaltung sei nicht die Bildung einer Gemeinschaftspraxis der drei Kläger geplant gewesen, vielmehr habe der Vertrag den "Beitritt" weiterer Psychotherapeuten vorgesehen. Nach der Vertragsgestaltung hätten auch die Juniorpartner keinerlei Einfluss auf die Praxisorganisation gehabt. Damit hätten sie keine freie berufliche Tätigkeit in eigener Praxis ausgeübt. Dagegen lägen die Voraussetzungen für eine rückwirkende Rücknahme nach § 45 Abs. 4 SGB X nicht vor, denn der Vertrag sei vom Zulassungsausschuss früher nie angefordert worden. Der Beschluss ist mit Bescheid vom 24.04.2002 am 25.04.2002 zugestellt worden.

Die Kläger zu 1) bis 3) haben am 27.05.2002, die Klägerin zu 4) am 24.05.2002 Klage erhoben. Mit Beschluss vom 03.06.2002 sind die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden.

Die Kläger zu 1) bis 3) haben zur Begründung ihrer Klage vorgetragen, tatsächlich habe zwischen ihnen eine Gesellschaft bestanden. Nach den gängigen Kriterien zur Abgrenzung zwischen selbständiger und unselbständiger Tätigkeit habe eine freiberufliche Tätigkeit vorgelegen. Die vertragliche Gestaltung habe sich im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten der Ausgestaltung einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis gehalten.

Die Klägerin zu 4) hat gemeint, zwar sei bei der Genehmigung der Gemeinschaftspraxis nicht die Vorlage der Verträge gefordert worden, so dass den Klägern zu 1) bis 3) keine Täuschung vorgeworfen werden könne. Die Kläger zu 1) bis 3) hätten aber die Rechtswidrigkeit der Genehmigung gekannt, da sie gewusst hätten, dass tatsächlich kein Gesellschaftsvertrag, sondern eine verdeckte Anstellung vorgelegen habe.

Nach Beendigung der Gemeinschaftspraxis haben die Kläger zu 1) bis 3) die Feststellung beantragt, dass der Bescheid vom 24.04.2002 rechtswidrig gewesen ist. Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse haben sie damit begründet, dass die Gefahr drohe, dass die Klägerin zu 4) Honorar für die Zeit ab dem 3. Quartal 2001 zurückfordere.

Das Sozialgericht hat die Klagen mit Urteil vom 02.11.2005 abgewiesen. § 45 SGB X sei auf die Rücknahme der Genehmigung einer Gemeinschaftspraxis nicht anwendbar: Auf eine solche Entscheidung seien die für eine Zulassungsentziehung geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden. Der Beklagte sei insofern grundsätzlich nicht gehindert, die Genehmigung einer Gemeinschaftspraxis zu widerrufen. In diesem Rahmen müsse er aber den mit einer fehlerhaften Genehmigung ausgelösten Vertrauensschutz berücksichtigen. Zu Recht habe er den Klägern zu 1) bis 3) Vertrauensschutz zugebilligt, da das sachkundig besetzte Gremium des Zulassungsausschusses die Genehmigung für die Gemeinschaftspraxis erteilt gehabt habe. Es gebe keinen Hinweis dafür, dass die Kläger zu 1) bis 3) von der Rechtswidrigkeit der Genehmigung seiner Entscheidung ausgegangen seien oder lediglich auf Grund grober Fahrlässigkeit guten Glaubens gewesen sei. Andererseits sei die Gemeinschaftspraxis zu Recht für die Zukunft beendet worden, denn die Genehmigung sei schon mangels Vorlage eines Gesellschaftsvertrages rechtswidrig gewesen. Außerdem habe der Vertrag vom 01.12.1998 nicht Grundlage der Genehmigung einer Gemeinschaftspraxis sein können.

Alle Kläger haben fristgerecht Berufung gegen das Urteil eingelegt.

Die Kläger zu 1) bis 3) halten ihren bisherigen Vortrag aufrecht. Sie beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 02.11.2005 abzuändern und festzustellen, dass der Bescheid des Beklagten vom 24.04.2002 rechtswidrig gewesen ist.

Ferner beantragen sie,

die Berufung der Klägerin zu 4) zurückzuweisen.

Die Klägerin zu 4) beantragt,

die Berufung der Kläger zu 1) bis 3) zurückzuweisen und unter teilweiser Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Köln vom 02.11.2005 den Bescheid vom 24.04.2002 teilweise aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Genehmigung der Gemeinschaftspraxen der Kläger zu 1) bis 3) rückwirkend ab 01.01.1996 zurückzunehmen.

Sie meint, die Voraussetzungen für eine rückwirkende Rücknahme nach § 45 Abs. 4 SGB X lägen vor, da die Kläger zu 1) bis 3) den Vertragsinhalt gekannt hätten und es daher schwer vorstellbar sei, dass sie die Rechtswidrigkeit der Genehmigung lediglich infolge einfacher Fahrlässigkeit nicht gekannt hätten.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, auch hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten, wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten der Beklagten und der übersandten Akten des Zulassungsausschusses Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Da es auch im Verfahren um die Rücknahme der Genehmigung einer Gemeinschaftspraxis um eine statusrelevante öffentlich-rechtliche Berechtigung geht, die nicht in die Insolvenzmasse fällt (vgl. BSG, SozR 3-5520, § 24 Nr. 4 zur Zulassung), ist der Kläger zu 1) ungeachtet des Umstandes, dass über sein Vermögen am 22.11.2005 das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, weiter befugt, im eigenen Namen das Verfahren zu betreiben.

Die Berufungen sind zulässig, die Berufungen der Kläger zu 1) bis 3) haben auch in der Sache Erfolg, während die Berufung der Klägerin zu 4) unbegründet ist.

I. Das Sozialgericht hat zu Unrecht die Feststellungsklage der Kläger zu 1) bis 3) abgewiesen.

1. a) Der Fortsetzungsfeststellungsantrag (§ 131 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist zulässig. Der ursprüngliche prozessuale Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 24.04.2002 hat sich erledigt, nachdem die Klägerinnen zu 2) und 3) am 30.06.2004 bzw. 30.09.2004 die Gemeinschaftspraxis verlassen haben und diese damit beendet ist. Eine Erledigung im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG liegt dann vor, wenn der angefochtene Verwaltungsakt keine Rechtswirkung mehr entfaltet (Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 131 Randnr. 7). Mit dem angefochtenen Bescheid ist zwar die Gemeinschaftspraxis zum 15.08.2001, also einem Zeitpunkt vor dem Ausscheiden der Klägerinnen zu 2) und 3) beendet worden. Die am 27.05.2002 erhobene Anfechtungsklage der Kläger zu 1) bis 3) hatte jedoch gemäß § 86 a Abs. 1 Satz 1 aufschiebende Wirkung, so dass der Status als Gemeinschaftspraxis halten geblieben ist. Dieser Status entfällt auch nicht rückwirkend mit dem Eintritt der Bestandskraft des angefochtenen Bescheides, denn die Beendigung der aufschiebenden Wirkung wirkt nicht auf den Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung zurück. Das hat das BSG für einen statusbegründenden Verwaltungsakt (Ermächtigung) entschieden und dargelegt, dass erst nach der Rechtskraft Gebrauch von dem Status gemacht werden kann (BSG SozR 3-1500 § 97 Nr. 3; s. auch BSG, SozR 3-5525, § 32 b Nr. 1). Gleiches gilt für einen statusvernichtenden Verwaltungsakt. Ist der Sofortvollzug nicht angeordnet worden, kann die Entscheidung erst mit Eintritt der Bestandskraft umgesetzt werden, bis dahin bleibt der Status erhalten (vgl. Senat, MedR 1995, 509, 511; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O., § 86 a Randnr. 23). Das BSG hat im Urteil vom 31.05.2006 (B 6 KA 7/05 R) dementsprechend ausdrücklich darauf hingewiesen, der Teilnahmestatus eines Vertragsarztes könne wegen der vielfachen Auswirkungen nicht rückwirkend begründet oder verändert werden. Da die Bestandskraft des Bescheides vom 24.04.2002 bis zum Ausscheiden der Klägerin zu 2) und 3) aus der Gemeinschaftspraxis noch nicht eingetreten war, hat er sich im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG erledigt, weil er sich weder für die Vergangenheit auswirkt noch (infolge der Auflösung der Gemeinschaftspraxis) rechtliche Wirkung für die Zukunft mehr haben kann.

b) Auch ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse der Kläger zu 1) bis 3) ist zu bejahen. Zwar ergibt sich aus dem Erhalt des Status bis zur Bestandskraft des angefochtenen Bescheides auf Grund der aufschiebenden Wirkung, dass Honorarrückforderungen mit der Begründung, dass tatsächlich keine Gemeinschaftspraxis bestanden habe, nicht in Betracht kommen. Die Klägerin zu 4) hat aber bereits Honorarrückforderungsbescheide erlassen. Auch wenn sie diese Honorarrückforderung (zunächst) unabhängig von der Rücknahme der Genehmigung der Gemeinschaftspraxis vorgenommen hat, ist davon auszugehen, dass sie eine Entscheidung über die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 24.04.2002 beachten und ihren Rückforderungsanspruch gegebenenfalls fallen lassen wird. Es besteht somit ein berechtigtes Interesse der Kläger zu 1) bis 3) an der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Bescheides.

2. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts war der Bescheid vom 24.04.2002 rechtswidrig.

a) Rechtsgrundlage dieses Bescheides ist allerdings § 45 SGB X. Für den Widerruf oder die Rücknahme einer Genehmigung nach § 33 Abs. 2 Zulassungsverordnung-Ärzte (ZV-Ä) fehlen eigene Regelungen, wie sie §§ 95 Abs. 6, 27 ZV-Ä für die Entziehung der Zulassung vorsehen. Diese Vorschriften stellen sich zwar in ihrem Anwendungsbereich als abschließende Regelungen der "Rücknahme" der Zulassung dar (BSG, Beschluss vom 05.11.2003 - B 6 KA 56/03 B). Sie gelten aber nicht für die Beendigung einer Gemeinschaftspraxis, so dass insoweit nur auf § 45 SGB X zurückgegriffen werden kann (s. aber zur Wirkung für die Vergangenheit unten II.).

b) Die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Genehmigungen vom 29.11.1995 und 18.10.2000 liegen nicht vor. Der Beklagte hat zu Unrecht diese Genehmigungen zur gemeinsamen Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit als rechtswidrig beurteilt. Soweit er darauf abstellt, dass die Genehmigungen schon mangels Vorlage eines schriftlichen Vertrages nicht hätten erteilt werden dürfen, trifft zwar zu, dass das BSG nunmehr im Urteil vom 16.07.2003 (SozR 4-5520 § 33 Nr. 2) die Vorlage des Gesellschaftsvertrages für erforderlich gehalten hat. Diese Forderung war von den Zulassungsgremien in der Vergangenheit offensichtlich nicht immer erhoben und die Vorlage eines schriftlichen Vertrages vermutlich im Hinblick auf die zivilrechtliche Formfreiheit eines Gesellschaftsvertrages (vgl. Palandt-Sprau, BGB, 65. Aufl., § 705 Randnr. 12) nicht verlangt worden. Von daher kann nicht allein wegen späterer strengerer Anforderungen eine erteilte Genehmigung als rechtswidrig beurteilt werden. Zumindest hätte vor einer Rücknahme die Möglichkeit eingeräumt werden müssen, durch Vorlage eines schriftlichen Vertrages den Mangel zu heilen. Im Übrigen ist die Behauptung des Beklagten falsch, dass kein Vertrag bestanden habe, denn dem zwischen dem Kläger zu 1) und der Klägerin zu 2) geschlossenen Vertrag vom 01.12.1998 war die Klägerin zu 3) beigetreten. Mithin war sie selbst Partner dieses Vertrages. Weshalb es unzulässig gewesen sein soll, dass der Vertrag auch den Beitritt weiterer Juniorpartner ermöglichen sollte, erschließt sich dem Senat nicht. Mit dem Beitritt, d. h. der Anerkennung der vertraglichen Regelungen stand der Kreis der Gesellschafter fest. Dass sie in der Gesellschaftsvertragsurkunde namentlich nicht genannt werden, ist unerheblich. Der Gewinnanteil nach § 7 des Vertrages sollte für die später hinzutretenden Partner in der Beitrittserklärung festgelegt werden, die Gründungsgesellschafter (der Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) hatten ihre Anteile festgelegt.

c) Der Senat teilt nicht die Auffassung des Beklagten, dass die Vertragsgestaltung einer freiberuflichen, selbständigen vertragsärztlichen Tätigkeit im Sinne des § 32 Abs. 1 ZV-Ä entgegenstand. Insbesondere ist unzutreffend, dass die Vertragsgestaltung "eher" einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis entsprochen habe. Eine persönliche Abhängigkeit der Klägerin zu 2) und 3) vom Kläger zu 1), wie sie für ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 4. Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) charakteristisch ist, verbunden mit der Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation ergibt sich aus dem Vertrag nicht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass zwischen gesellschaftsrechtlichen Einflussmöglichkeiten und arbeitsvertraglichem Weisungsrecht zu unterscheiden ist (vgl. von Hoyningen-Huene, NJW 2000, 3233, 3236). Allein die Tatsache, dass ein Gesellschafter einen dominierenden Einfluss auf die Willensbildung der Gesellschaft hat und so Mehrheitsentscheidungen gegenüber anderen Gesellschaftern durchsetzen kann, begründet nicht deren persönliche Abhängigkeit im Sinne des § 7 SGB IV. Eine Weisungsgebundenheit im Sinne dieser Vorschrift setzt voraus, dass ein Gesellschafter den anderen Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit vorschreiben kann. Hierfür gibt weder der Vertrag vom 01.12.1998 etwas her, noch ist eine solche tatsächliche Gestaltung festzustellen. Der Vertrag schreibt den Gesellschaftern weder die Arbeitszeit vor, noch verpflichtet er sie zu einem bestimmten zeitlichen Umfang ihrer Tätigkeit. Die Klägerin zu 3) hat dementsprechend in der mündlichen Verhandlung auch betont, sie allein habe bestimmt, wann und wie viel sie gearbeitet habe. Die Gesellschafter erhielten keine festen monatlichen Zahlungen für ihre Tätigkeit, sondern nur das von ihnen individuell erwirtschaftete Honorar abzüglich des Anteils für die Kosten der Praxis. Wie bei jedem anderen niedergelassenen Arzt hing somit der wirtschaftliche Ertrag ihrer Tätigkeit vom Zuspruch der Patienten ab. Eine Beteiligung an den Kosten eines Betriebes ist für ein Beschäftigungsverhältnis untypisch. Jeder Gesellschafter war nach § 4 Abs. 1 des Vertrages berechtigt, allein Behandlungsverträge abzuschließen bzw. Behandlungsverhältnisse einzugehen, es gab nicht die Möglichkeit einer "Zuweisung" von Patienten durch den Kläger zu 1). Jeder behandelte die Patienten eigenständig und eigenverantwortlich, es bestand insoweit ausdrücklich kein Weisungsrecht. Der Vertrag enthält keine Regelungen über Urlaub oder die Fortzahlung des Honorars im Krankheitsfall. Soweit die Gesellschafter nach § 8 lit. a Abs. 2 durch den organisatorischen Rahmen der Praxis "gebunden" waren, war dies nur Ausdruck der erforderlichen Absprache wegen der gemeinsamen Nutzung der Praxisorganisation. Die einzelnen Ärzte und Psychologen haben aber nach Aussage der im Verfahren SG Köln S 19 KA 27/01 gehörten Zeuginnen selbst festgelegt, wann sie welche Räume nutzen wollten.

d) Insbesondere unter Zugrundelegung des Arbeitspapiers der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zur Zusammenarbeit in der vertragsärztlichen Versorgung ("Schirmer-Papier"), auf das die Klägerin zu 4) in KV No aktuell selbst hingewiesen hat, standen die vertraglichen Regelungen auch einer gemeinsamen freiberuflichen Tätigkeit nicht entgegen. Soweit nach § 3 die Bildung eines gemeinsamen Kapitals nicht vorgesehen war und die Kassenarztpraxis in den bestehenden Praxisräumen des Seniorpartners ausgeübt werden sollte, war dies unbedenklich. Gesellschaftsrechtlich ist die Bildung eines eigenen Gesellschaftsvermögens nicht erforderlich (vgl. Palandt-Sprau, a. a. O., § 706 Randnr. 2; s. auch BAG NJW1993, 2458, 2460). Der Kläger zu 1) brachte als schon seit längerer Zeit zugelassener "Seniorpartner" die Praxiseinrichtung als Sachleistung in die Gesellschaft ein, während der nach § 706 BGB zu leistende Beitrag der anderen Gesellschafter nur in Dienstleistungen bestand. Gesellschaftsrechtlich ist auch ein Ausschluss von Gewinn und Verlust zulässig, der Gewinnanteil kann sogar in festen monatlichen Zahlungen bestehen (vgl. BAG a. a. O.). Die Geschäftsführung kann einem der Gesellschafter allein übertragen sein (vgl. nur § 710 Satz 1 BGB). Insofern ist die Abwicklung der Abrechnungen über ein vom geschäftsführenden Gesellschafter verwaltetes Konto Ausdruck dessen Geschäftsführungsbefugnis. Ob die Regelung in § 10 Abs. 2, wonach ein Gesellschafter bei einem Ausscheiden aus der Gesellschaft nur seine reinen Honoraranteile erhalten (also insbesondere nicht am immateriellen Wert ("good will") der Praxis partizipieren) sollte, als Abfindungsregelung zivilrechtlich Bestand gehabt hätte, kann dahinstehen. Grundsätzlich ist allerdings die Regelung, wonach der ausscheidende Partner nach dem tatsächlichen Wert des Anteils abzufinden ist (§ 738 BGB) dispositiv, die Parteien können etwas anderes vereinbaren (BGH NJW 1993, 2101, 2102). Bei der Würdigung der Abfindungsklausel ist zu berücksichtigen, dass kein gemeinsames Gesellschaftsvermögen gebildet wurde und für eine Arztpraxis der BGH die Möglichkeit der unbeschränkten Mitnahme von Patienten nach einem Ausscheiden als in der Regel angemessene Form der Auseinandersetzung bezeichnet hat (BGH NJW 1994, 796, 797). Unabhängig von der Wirksamkeit der Abfindungsklausel hätte aber nach der salvatorischen Klausel in § 12 Abs. 1 des Vertrages die Unwirksamkeit dieser Bestimmung nicht die Unwirksamkeit des ganzen Vertrages zur Folge gehabt, sondern die unwirksame Bestimmung wäre durch eine zu ersetzen gewesen, die dem wirtschaftlichen gewollten nahe kommt. Von daher ist auch unerheblich, ob die Regelung in § 8 lit. b des Vertrages, wonach die vertragsärztliche Zulassung der Juniorpartner der Gesellschaft "zustehen" sollte, wirksam gewesen ist.

Zutreffend wird im Arbeitspapier der KBV dargelegt, dass die genannten gesellschaftsrechtlich möglichen Gestaltungen nicht aus vertragsarztrechtlicher Sicht unzulässig sind (s. auch LSG Niedersachsen-Bremen, GesR 2002, 21 ff.). Grundsätzlich ist darauf hinzuweisen, dass auch das BSG unterschiedliche Arten von Gemeinschaftspraxen für möglich hält. Die Vertragsfreiheit erlaube den Ärzten, dass Nähere über die gemeinsame Berufsausübung zu vereinbaren (BSG SozR 4-5520 § 33 Nr. 2). Damit von einer selbständigen Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit in eigener Praxis gesprochen werden kann, muss der Arzt allerdings die Möglichkeit haben, im eigenen Namen Behandlungsverträge mit Patienten zu schließen (für die Gemeinschaft oder nur für sich selbst) und er muss auf die Gestaltung der Praxis Einfluss nehmen können, wobei ihm auch das Direktionsrecht gegenüber dem Personal gleichberechtigt zustehen muss. Diese Voraussetzungen lagen nach § 4 Abs. 1 des Vertrages, der die alleinige Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschafter bei der Patientenbehandlung und -versorgung vorsah, vor. Diese Bestimmung schließt auch die Weisungsbefugnis gegenüber dem Personal in diesem Bereich ein; auch § 7 Abs. 4 letzter Halbsatz, wonach die Berechtigung bestand, die räumlichen, personellen und technischen Möglichkeiten der Praxis zu nutzen, begründete eine Weisungsbefugnis gegenüber dem Personal bei der Ausübung der ärztlichen Tätigkeit. Auf die Gestaltung der Praxis hatten die Gesellschafter insoweit Einfluss als nach § 5 Abs. 7 bestimmte Angelegenheiten (u. a. größere Anschaffungen, Abschluss von Mietverträgen) des Beschlusses der Gesellschafterversammlung bedürfte. Die sich aus der gesellschaftsvertraglich festgelegten Stellung resultierenden Einschränkungen (das "Veto-Recht" der Gründungsgesellschafter) muss ein Partner hinnehmen. Im Übrigen zeigt die Regelung, wonach auch die Klägerin zu 2) als Gründungsgesellschafterin über das "Veto-Recht" verfügte, dass keineswegs der Kläger zu 1) das Geschehen uneingeschränkt dominierte, da die Klägerin zu 2) ebenso gesellschaftsrechtlich die Möglichkeit hatte, Beschlüsse zu verhindern. Mithin ist nicht ersichtlich, dass der Vertrag keine selbständige eigenverantwortliche Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit erlaubt hätte.

e) Unabhängig von der Rechtswidrigkeit der erteilten Genehmigungen ist der Bescheid auch wegen fehlender Ermessensausübung des Beklagten rechtswidrig. Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes liegt im Ermessen der Behörde ("darf"). Dieses Ermessen greift erst ein, wenn die Rücknahme nicht schon nach § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X, also insbesondere nicht wegen Vertrauensschutzes ausgeschlossen ist (vgl. BSGE 81, 156, 158). Der Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid aber nur Vertrauensschutz geprüft und verneint. Er war sich nach der Begründung offensichtlich nicht bewusst, für die Rücknahme einen Ermessensspielraum zu haben, da es nach den Ausführungen zum Vertrauensschutz heißt, "demzufolge" sei der Widerspruch zurückzuweisen. Da im Regelfall eine Ermessensreduzierung auf Null nicht in Betracht kommt (BSGE 63, 37, 39) und besondere Umstände, die für eine Ermessensschrumpfung sprechen könnten, nicht ersichtlich sind, ist der Bescheid schon wegen Ermessensnichtgebrauch rechtswidrig.

II. Die Berufung der Klägerin zu 4), mit der sie eine Rücknahme der Genehmigung mit Rückwirkung fordert, kann keinen Erfolg haben, da nach dem oben Gesagten schon die Beendigung der Gemeinschaftspraxis rechtswidrig war.

Im Übrigen wäre ohnehin eine Rücknahme mit Rückwirkung nicht in Betracht gekommen, da - wie dargelegt (I.1a) - der Teilnahmestatus eines Vertragsarztes nicht rückwirkend geändert werden kann. Wegen des Statuscharakters der Entscheidung kommen weder eine rückwirkende Entziehung der Zulassung noch die rückwirkende Rücknahme der Genehmigung einer Gemeinschaftspraxis in Betracht (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 02.02.2006 - L 5 KA 37/05).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1, 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Bei der Quotelung ist der Senat davon ausgegangen, dass der Streitwert des Verfahrens entscheidend durch den Antrag der Klägerin zu 4) auf rückwirkende Rücknahme der Genehmigung bestimmt worden ist und ihr daher wegen ihres Unterliegens in diesem Punkt ein entsprechend hoher Anteil der Gesamtkosten des Verfahrens aufzuerlegen war.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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