S 9 AS 169/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Würzburg (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 AS 169/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
1) Die Klage wird abgewiesen.
2) Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
3) Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung eines Zuschusses zur Anschaffung von Kinderkleidung Größe 104 für den Kläger zu 2) streitig.

Die 1968 geborene Klägerin zu 1), die seit 01.01.2005 als alleinerziehende Mutter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für sich und den Kläger zu 2), ihren Sohn N., geboren am 2003, bezieht, beantragte am 07.12.2005 eine Erstausstattung mit Bekleidung in Kleidergröße 104 für ihren Sohn.

Mit Bescheid vom 11.01.2006 lehnte die Beklagte die Gewährung eines solchen Zuschusses ab. Die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes umfasse auch die für die Anschaffung von Kleidung notwendigen Beträge. Die im Rahmen des SGB II zu gewährenden einmaligen Beihilfen seien in § 23 Abs. 3 SGB II abschließend geregelt. Darüber hinaus können keine einmaligen Leistungen gewährt werden.

Mit ihrem Widerspruch vom 19.01.2006 machte die Klägerin geltend, dass die Erstausstattung vom Regelbedarf zu unterscheiden sei. Regelbedarf umfasse die Dinge, die regelmäßig beschafft oder ersetzt werden müssten. Kinderbekleidung, die in der Zeit, in der Kinder wachsen, jeweils neu in der jeweiligen Kleidergröße angeschafft werden müsste, sei aber Erstausstattung, da das Kind erstmals die genannte Kleidergröße benötige. Aufgrund des Wachstums von Kindern würde immer wieder eine Erstausstattung mit Kleidung in der nächsten Größe erforderlich. Der Gesetzgeber habe den Anspruch bewusst nicht als "Einmalige Ausstattung" sondern als "Erstausstattung" formuliert, um deutlich zu machen, dass ein erstmals entstehender Bedarf zu decken ist, wohingegen einem Erwachsenen zugemutet wird, seine Kleidung zu tragen, bis sie abgetragen ist und aus der Regelleistung für den Ersatz anzusparen.

Am 20.04.2006 haben die Kläger Untätigkeitsklage zum Sozialgericht Würzburg erhoben, mit dem Begehren, die Beklagte zu verurteilen, über den Widerspruch zu entscheiden. Nach Erlass des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 10.05.2006 haben die Kläger im Erörterungstermin vom 16.05.2006 die Klage umgestellt. Sie beantragen nunmehr,

den Bescheid der Beklagten vom 11.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Klägern eine einmalige Beihilfe zur Erstausstattung für Bekleidung in Größe 104 für den Kläger zu 2) nach § 23 Abs. 3 SGB II zu gewähren, mindestens 125,00 Euro.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Klageakte und der Leistungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist nach der Klageänderung gem. § 99 Abs. 1 SGG als Verpflichtungsklage zulässig.

Das Gericht konnte im vorliegenden Fall durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 SGG entscheiden, da die Streitsache keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten aufweist und der Sachverhalt, sofern er entscheidungserheblich ist, geklärt ist. Die Beteiligten haben gegen die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung keine Einwände erhoben. Das Rubrum war von Amts wegen um den Kläger zu 2) zu ergänzen, da die Klägerin zu 1) als gesetzliche Vertreterin den Anspruch des Klägers zu 2) durchsetzt.

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Es besteht kein zusätzlicher Anspruch auf Leistungen für Erstausstattung für Bekleidung in Größe 104 für den Kläger zu 2), die Kleidung muss vielmehr aus der Regelleistung erworben werden.

Gem. § 28 Abs. 1 S. 1 - 3 i. V. m. § 19 S. 1 Nr. 1, 20 Abs. 1 S. 1 SGB II erhält die Klägerin zu 1) für den Kläger zu 2) eine Regelleistung in Höhe von 207 Euro zur Sicherung des Lebensunterhalts; die Regelleistung umfasst gem. § 20 Abs. 1 S. 1 SGB II insbesondere auch Kleidung. Gem. § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB II sind lediglich Leistungen für Erstausstattungen für Bekleidung einschließlich bei Schwangerschaft und Geburt nicht von der Regelleistung umfasst. Sie werden gem. § 23 Abs. 3 S. 2 SGB II gesondert erbracht. Nach der gesetzgeberischen Konzeption der §§ 20 ff. SGB II bedeutet dies: Alle Bedarfe, die nicht von den Sondervorschriften der §§ 21, 22 sowie 23 Abs. 3 SGB II abgedeckt werden, sind grundsätzlich aus der pauschalierten Regelleistung zu tragen (Schmidt in Oestreicher, SGB XII/ SGB II, § 20 Rn. 12).

Aufwendungen für die Beschaffung und Instandhaltung von Bekleidung sind daher grundsätzlich aus der Regelleistung und gegebenenfalls dem daraus anzusparenden, nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II freigestellten Vermögen zu tragen. Einmalige Leistungen für Bekleidung kommen nur in dem Ausnahmefall des § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB II in Betracht, wenn es sich um eine Erstausstattung handelt.

Der Begriff der Erstausstattung ist gesetzlich nicht definiert. Ausweislich des Gesetzeswortlauts ("einschließlich") kommen neben Schwangerschaft und Geburt auch weitere Fälle der Erstausstattung in Betracht. Die Begründung zum insoweit parallelen § 31 Abs. 1 SGB XII (Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eines Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 05.09.2003, BT-Drs. 15/1514) nennt als Fälle der Erstausstattung den Gesamtverlust (denkbar z. B. bei Wohnungsbrand) oder neuen Bedarf aufgrund außergewöhnlicher Umstände (denkbar z. B. bei größeren körperlichen Veränderungen aufgrund eines Unfalls etc.). Deutlich wird, dass der Gesetzgeber bei seinem Verständnis der Erstausstattung auf kurzfristige, vor allem unvorhersehbar eintretende Veränderungen abstellen wollte, bei denen der Leistungsempfänger vorher keine Möglichkeit hatte, quasi planbar aus der Regelleistung für diesen Fall des Kleiderverlustes bzw. des kurzfristigen Neubedarfs an Kleidung etwas anzusparen.

Den Klägern ist insofern Recht zu geben, dass der Begriff der Erstausstattung nicht eingeschränkt so zu verstehen ist, dass gleichsam nur eine Einmalausstattung damit gemeint ist (Lang in Eicher/Spellbrinck, SGB II, § 23 Rn. 105), deshalb kann durchaus z. B. nach längerer Zeit etwa nach einem zweiten Unfall, der eine anders geartete körperliche Veränderung zur Folge hat, eine erneute Erstausstattung erforderlich werden. Entscheidend ist jedoch, dass den vom Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung genannten Ereignissen das Moment der Regelmäßigkeit, der Planbarkeit fehlt, was jedoch bei dem für Kinder erforderlich werdenden Kleidungsbedarf gerade vorliegt. Wachstumsschübe bei Kindern geschehen meist nicht über Nacht sondern über einen gewissen Zeitraum, so dass es für Eltern durchaus planbar ist, eine Rücklage aus dem Teil der Regelleistung zu bilden, der für Kleidung vorgesehen ist bzw. immer nur nach und nach die Kleidungsstücke in der nächsten Größe zu ersetzen, die gerade nicht mehr passen. Dies ist auch dadurch bedingt, dass Kleidungstücke hinsichtlich ihrer Größe unterschiedlich ausfallen und damit teilweise länger getragen werden können.

Der in der Regelleistung vorgesehene Betrag für Bekleidung [rund 10 %, d. h. 20,70 Euro bei 207 Euro Regelleistung für den Kläger zu 2)] ist auch als ausreichend anzusehen.

Tragendes Grundprinzip bei der Festlegung der Regelsätze ist der Bedarfsdeckungsgrundsatz im Sinne einer Deckung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein. Dieser Grundsatz gilt auch im SGB II (vgl. hierzu: Brünner in LPK-SGB II § 20 RdNr 18 mit Hinweis auf BVerfGE 82, 60; Rothkegel in SGb 2006, 74). Unter einem menschenwürdigen Dasein ist dabei nicht nur das physische Existenzminimum, sondern das sozio-kulturelle Existenzminimum zu verstehen. Dem Hilfeempfänger muss es möglich sein, in der Umgebung von Nichthilfeempfängern ähnlich wie diese zu leben (vgl. Brünner aaO RdNr 21 mit Hinweis auf BVerwGE 97, 376; 94, 336; 92, 6). Orientierungspunkt ist dabei der Lebensstandard wirtschaftlich schwächerer Bevölkerungskreise (vgl. Brünner aaO; BVerwGE 94, 336). Mit einem Betrag von 20,70 Euro monatlich, d. h. rund 248 Euro jährlich, ist es auch möglich, Kinderkleidung für ein Kind im Alter von 3 Jahren, wie es der Kläger zu 2) ist, zu erwerben. Dabei ist es sicherlich - nicht nur in wirtschaftlich schwächeren Bevölkerungskreisen - üblich und auch erforderlich, Kauf- bzw. Tauschgelegenheiten auf Basaren oder Kleidermärkten zu nutzen, die gerade bei Kinderkleidung ein günstiges Einkaufen ermöglichen. Noch dazu werden Kinder - wie oben bereits erwähnt - nicht von einem auf den anderen Tag größer, so dass nur nach und nach Neuanschaffungen fällig werden. Dies kann z. B. durch sparsameres Einkaufsverhalten in Wachstumspausen oder/ und während einer Saison ausgeglichen werden. Zum anderen ist es durchaus üblich, Kleidungsstücke für Kinder bereits etwas größer anzuschaffen, damit diese "hineinwachsen" können, um dadurch die Tragedauer zu verlängern oder auch eine Konfektionsgröße zu "überspringen".

Die Berufung war gem. § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Streitsache hat eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufgeworfen, nämlich die Frage, ob die größenabhängig immer wieder neu erforderlich werdende Kinderbekleidung durch die Regelleistung abgedeckt ist oder als Leistung für Erstausstattung für Bekleidung gesondert erbracht werden muss. Die Klärung dieser Frage liegt im allgemeinen Interesse, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig, SGG, § 144 Rn. 28).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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