L 2 U 2422/03

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 15 U 3431/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 U 2422/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid vom 23. Mai 2003 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Verletztenrente streitig.

Der 1966 geborene Kläger ist nach seinen Angaben am 14. April 1997, als er mit seinem Mofa auf dem Weg zur Arbeit gewesen sei, von einem von rechts kommenden PKW angefahren worden, sodass er auf die gegenüberliegende Seite gedrückt und auf den Bordstein gestürzt sei (siehe auch Unfallanzeige und Durchgangsarztbericht v. 16. April bzw. 14. April 1997).

Der Kläger wurde in der chirurgischen Abteilung des Kreiskrankenhauses B. vom 14. April 1997 bis zum 29. April 1997 stationär behandelt. Der Durchgangsarzt Dr. S. diagnostizierte u. a. nach röntgenologischer Untersuchung unter dem 14. April 1997 multiple Prellungen. In dem Entlassungsbericht 2. Mai 1997 wurden als Diagnosen multiple Prellungen sowie eine HWS - Distorsion genannt. Der Kläger sei in nahezu beschwerdefreiem Zustand entlassen worden. Der Kläger begab sich nachfolgend in die Behandlung des Chirurgen Dr. T., der weitere Arbeitsunfähigkeit bis 2. Juni 1997 annahm. Der Orthopäde Dr. L. gab unter dem 8. September 1997 an, dem Kläger wegen unfallunabhängiger " Lumbagie und Periarthritis vom 2. Juni bis 29. Juni 1997 Arbeitsunfähigkeit bescheinigt zu haben. In dem Durchgangsarztbericht des Dr. B. vom 21. November 2000 wird eine "Keilwirbelbildung von Th12 mit ventralen Abnützungsreaktionen zwischen L1 und Th12" diagnostiziert und dies möglicherweise als Unfallfolge angesehen. Nach Beiziehung der Unterlagen über die Arbeitsunfälle vom 5. Dezember 1983 und 23. Februar 1996, der kernspintomographischen Untersuchungen vom 1. Dezember 2001 und 6. März 2001 sowie der Beiziehung eines Vorerkrankungsverzeichnisses der AOK M. O. veranlasste die Beklagte eine fachorthopädische Begutachtung durch Prof. Dr. W ... In seinem Gutachten vom 19. April 2002 vertrat er die Auffassung, dass die festgestellte Keilwirbelbildung des 12. Brustwirbelkörpers nicht verletzungsbedingt durch den Unfall vom 14. April 1997 entstanden sei, weil es nach dem 10. April 1997 nicht zu reaktiven reparativen Veränderungen an diesem Wirbelkörper gekommen sei. Dies sei eher als Wachstumsstörung im Sinne eines Morbus Scheuermann zu deuten.

Mit Bescheid vom 24. Mai 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. September 2002 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente ab. Der Kläger habe sich durch den Unfall vom 14. April 1997 eine Wirbelsäulenprellung zugezogen. Diese sei folgenlos abgeheilt. Es bestehe keine messbare Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE).

Am 10. Oktober 2002 hat der Kläger zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben. Mit Gerichtsbescheid vom 23. Mai 2003 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird, hat es ausgeführt, ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfall und der Keilwirbelbildung von Th12 mit ventralen Abnützungsreaktionen zwischen L1 und Th12, die übereinstimmend der behandelnde Chirurg Dr. B. und der Gutachter Prof. Dr. W. festgestellt hätten, sei nicht gegeben.

Gegen den am 30. Mai 2003 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung des Klägers vom 23. Juni 2003. Zur Begründung wird vorgetragen, der Kläger habe bei dem Unfall einen Bruch des 12. Brustwirbelkörpers erlitten, weshalb die MdE mindestens 20 v.H. betrage.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid vom 23. Mai 2003 und den Bescheid vom 24. Mai 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. September 2002 aufzuheben die Beklagte zu verurteilen, einen Bruch des Wirbelkörpers Th12 und des 1. Lendenwirbelkörpers als Folge des Arbeitsunfalls vom 14. April 1997 anzuerkennen und dem Kläger Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Der Senat hat zunächst den behandelnden Chirurgen Dr. B. als sachverständigen Zeugen befragt. In seiner Auskunft vom 18. Dezember 2003 hat Dr. B. u. a. ausgeführt, eine Verletzung des ersten Lendenwirbelkörpers bzw. des Zwischenraumes Th12/L1 durch den Unfall könne nicht bewiesen werden, allerdings könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass es bei dem Unfall vom 14. April 1997 zu einem Deckplatteneinbruch des ersten Lendenwirbelkörpers, einem Grundplatteneinbruch des 12. Brustwirbelkörpers und zu einer Verletzung des entsprechenden Zwischenwirbelraumes gekommen sei.

Der Senat hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens durch den Orthopäden Dr. C. sowie auf Antrag nach § 109 SGG durch den Orthopäden Dr. B ...

In seinem Gutachten vom 22. September 2004 hat Prof. Dr. C. zunächst ausgeführt, ob der Unfallmechanismus geeignet gewesen sei einen Bruch des 12. Brustwirbelkörpers zu verursachen, könne nicht eindeutig geklärt werden. Zweifelsfrei zeigten die Röntgenbilder eine keilförmige Deformierung des 12. Brustwirbelkörpers. Zur definitiven Beantwortung der Frage der Verursachung sei die Beiziehung (näher bezeichneter) weiterer Röntgenbilder erforderlich. Nach Vorlage der vom Sachverständigen benötigten Röntgenbilder hat dieser in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10. Januar 2005 dargestellt, dass der Unfall vom 14. April 1997 zu einem Kompressionsbruch des 12. Brustwirbelkörpers und zu einer hieraus resultierenden keilförmigen Deformierung des 12. Brustwirbels und zu einer wiederum hieraus resultierenden Schädigung der Bandscheibe zwischen dem 12. Brustwirbel und dem ersten Lendenwirbelkörper mit nach hinten gerichteter Vorwölbung geführt habe. Daraus resultiere eine Arbeitsunfähigkeit von drei Monaten, sodass mit Arbeitsfähigkeit spätestens ab 1. August 1997 zu rechnen gewesen sei. Die unfallbedingte MdE sei mit unter 10 v.H. anzunehmen.

Die Beklagte äußerte sich hierzu mit der beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. K ...

Dr. B. hat in seinem Gutachten vom 10. Dezember 2005 als Folgen des Unfalls ein Halswirbelsäulensyndrom bei Fehlstatik und Gefügestörung in Höhe C3/C4 mit posttraumatischer Verformung von C4 - einem unter Höhenminderung stabil verheilten Kompressionsbruch entsprechend - sowie sekundär beginnenden degenerativen Veränderungen mit blockierungsbedingt passageren Kopfschmerzattacken und reaktiven Funktionseinschränkungen genannt. Weiter liege ein chronisches posttraumatisches Brust- und Lendenwirbelsäulensyndrom bei Zustand nach Kompressionsbruch des 12. Brustwirbelkörpers und 1. Lendenwirbelkörpers, jeweils keilförmig stabil verheilt mit reaktiv segmentaler Funktionseinschränkung mit Neigung zu Wirbelgelenksblockierungen vor. Die MdE betrage 20 v.H. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 24. Februar 2006 hat Prof. Dr. C. u. a. ausgeführt, aus der Analyse der Unfallaufnahme sowie der im weiteren Verlauf angefertigten Röntgenaufnahmen der Halswirbelsäule ergebe sich eindeutig, dass die Deformierung des 4. Halswirbelkörpers zweifelsfrei vor dem streitgegenständlichen Unfall bestanden habe. Auch der Ansicht des Dr. B., dass der Kläger sich bei dem Unfall einen Bruch des 1. Lendenwirbelkörpers zugezogen habe, könne nicht zugestimmt werden. Schließlich sei auch nicht schlüssig, wenn Dr. B. argumentiere, dass der Unfall ein chronisches posttraumatisches Brust- und Lendenwirbelsäulensyndrom hervorgerufen habe.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 18. Juni 2006 hat Dr. B. zwar seine Auffassung dahingehend korrigiert, dass der Bruch des 4. Halswirbelkörpers nicht unfallbedingt sei. Ansonsten verblieb er, auch bezüglich der Einschätzung der MdE, bei seiner Auffassung.

Bezüglich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie auf die Prozessakten der 1. und 2. Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die statthafte (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) sowie frist- und formgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 24. Mai 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. September 2002, mit dem die Beklagte die Gewährung von Verletztenrente auf Grund des als Arbeitsunfall anerkannten Ereignisses vom 14. April 1997 abgelehnt hat. Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII gehört zur versicherten Tätigkeit auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Grundvoraussetzung für die Gewährung einer Verletztenrente ist nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII, dass die Erwerbsfähigkeit des Versicherten über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die Anspruch begründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Unfallereignis) und die Gesundheitsstörung, derentwegen Entschädigungsleistungen begehrt werden, erwiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr. 1; BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr. 84). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSGE 58, 80, 83; 61, 127, 129); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSGE 45, 285, 286 = SozR 2200 § 548 Nr. 38; BSG SozR 3-2200 § 551 Nr. 16 S. 81 f.). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSGE 63, 277, 280 = SozR 2200 § 548 Nr. 91).

Das Unfallereignis vom 14. April 1997 erfüllt die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls (von außen auf den Körper einwirkendes schädigendes Ereignis, versicherte Tätigkeit, innerer Zusammenhang); dies hat die Beklagte im angefochtenen Bescheid anerkannt. Als Unfallfolge besteht allenfalls eine diskrete keilförmige Deformierung des 12. Brustwirbelkörpers, die eine nach hinten gerichteter Vorwölbung der Bandscheibe Th12/L1 hervorgerufen hat und damit einen geringen Teil der Bewegungseinschränkung des Klägers im Brust- und Lendenübergang verursacht.

Über die genannten Unfallfolgen hinaus liegen beim Kläger keine Gesundheitsstörungen vor, die mit Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 14. April 1997 zurückzuführen sind.

Soweit Dr. B. die Ansicht vertritt, dass sich der Kläger auch einen Bruch des 1. Lendenwirbelkörpers unfallbedingt zugezogen hat, kann dies nach den schlüssigen Argumenten von Prof. Dr. C. nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Dr. B. konnte auch in seinen ergänzenden Stellungnahmen nicht darlegen, auf Grund welcher Röntgenbilder er diese Auffassung vertritt. Prof. Dr. C. hat dargestellt, dass sich im Bereich des 1. Lendenwirbelkörpers auf den ab dem Unfallzeitpunkt angefertigten Röntgenbildern der Lendenwirbelsäule in 2 Ebenen nicht der leiseste Hinweis darauf ergeben hat, dass hier eine knöcherne Verletzung stattgefunden hat. Im übrigen kann nicht nachvollzogen werden, dass Dr. B. ein "chronisches posttraumatisches Brust- und Lendenwirbelsäulensyndrom mit reaktiv- segmentaler Funktionseinschränkung und Neigung zu Wirbelgelenksblockierungen" als Unfallfolge angenommen hat. Nach der Darstellung des Sachverständigen Dr. C. ist die keilförmige Deformierung des 12. Brustwirbelkörpers mit 12 Grad so gering, dass auf Grund klinischer Erfahrung nicht zu erwarten ist, dass hieraus eine negative statische Fernwirkung auf die angrenzenden Wirbelsäulensegmente infolge Überschreitung der Kompensationsfähigkeit dieser Segmente resultiert.

Auf Grund der genannten Unfallfolge ist eine MdE, die 10 v.H. erreicht, nicht gegeben. Der Senat folgt auch hier den schlüssigen Ausführungen des Prof. Dr. C. in seinem Gutachten und den ergänzenden Stellungnahmen. Die Einschränkung der Beweglichkeit des betroffenen Segmentes Th11/12 wird von ihm als geringgradig (1,8 Prozent) beschrieben. Der Bruch ist nach übereinstimmender Auffassung stabil und nach Darstellung des Sachverständigen Prof. Dr. C. in funktionell unbedeutender Fehlstellung verheilt, sodass sich auch keine Erhöhungsfaktoren ergeben. Somit ergibt sich eine MdE unter 10 v.H. (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin Arbeitsunfall und Berufskrankheit 7.Aufl. S. 535 ff.). Für den Senat ist außerdem die Einschätzung der MdE des Dr. B. - selbst wenn die von ihm genannten weiteren Unfallfolgen unterstellt werden - nicht schlüssig. Obwohl er in seinem Gutachten vom 10. Dezember 2005 den Veränderungen der Halswirbelsäule, die er damals noch als Unfallfolge beschrieben hat, erhebliche funktionelle Bedeutung beigemessen hat und zusammen mit den anderen Unfallfolgen mit einer MdE von 20 v.H. bewertet , hat er weiterhin - auch ohne diese Unfallfolge - eine MdE von 20 v.H. angenommen, ohne dies zu begründen. Weiter sind die im übrigen von ihm beschriebenen Funktionseinschränkungen nicht nachvollziehbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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