L 15 BL 13/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 15 BL 2/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 BL 13/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 05.04.2005 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 02.08.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2002 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Blindengeld nach dem Bayer. Blindengeldgesetz vom 01.04.1995 (BayBlindG) streitig.

Der 1965 geborene Kläger, bei dem nach einem Herzstillstand infolge chronischer Myocarditis und Reanimation im Dezember 1998 ein apallisches Syndrom (Koma vigile) besteht, beantragte am 21.04./04.05.1999 durch seine Betreuerin (Ehefrau) beim Beklagten die Gewährung von Blindengeld.

Der Beklagte zog einen Bericht des Bezirkskrankenhauses M. vom 12.04.1999 bei und holte ein Gutachten des Augenarztes Dr.K. vom 03.07.1999 sowie eine versorgungsärztliche Stellungnahme (Leitender Medizinaldirektor Dr.W.) vom 23.07.1999 ein.

Dr.K. gelangte zu der Auffassung, Blindheit am Auge des Klägers sei objektiv nicht nachweisbar, wahrscheinlich bestehe eine generelle zerebrale Schädigung. Dr.W. führte aus, von einer Zerstörung der Sehrinden könne nach den computertomographischen Befunden nicht ausgegangen werden; bei der Untersuchung durch Dr.K. seien die Papillen als vital randscharf beschrieben worden, auch die übrigen Augenbefunde ließen auf eine Normalsichtigkeit schließen. Da Blindheit somit weder von Seiten der Augen noch der Sehbahnen oder Sehrinden zu belegen sei, seien die Voraussetzungen für die Gewährung von Blindengeld nicht erfüllt.

Mit Bescheid vom 02.08.1999 lehnte der Beklagte daraufhin den Antrag des Klägers auf Zahlung von Blindengeld ab.

Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.03.2002 zurück.

Dagegen hat der Kläger beim Sozialgericht Landshut Klage erhoben. Bei der augenärztlichen Untersuchung am 03.07.1999 sei eine objektive Prüfung der Sehkraft und des Gesichtsfeldes wegen des apallischen Syndroms nicht möglich gewesen. Die Annahme des Beklagten, bei ihm bestehe Normalsichtigkeit, sei daher nicht bewiesen.

Das Sozialgericht hat die den Kläger betreffenden Akten des Beklagten (Blindengeld-, Schwerbehindertenakte) sowie die Rentenakte mit Gutachtensheft der LVA Niederbayern-Oberpfalz und einschlägige CT-Aufnahmen sowie EEG-Aufzeichnungen des Bezirkskrankenhauses M. beigezogen und einen Befundbericht des Allgemeinarztes Dr.H. vom 06.08.2003 mit Anlagen eingeholt.

Im Auftrag des Sozialgerichts hat der Augenarzt Prof.Dr.G. (Universitätsaugenklinik R.) am 05.02.2004 ein Gutachten mit neurophysiologischem Zusatzgutachten (Neurologe Dr.S.) vom 23.01.2004 sowie radiologischem Zusatzgutachten (Prof.Dr.F.) vom 30.10.2003 erstattet. Insbesondere auf Grund der Ergebnisse des radiologischen Zusatzgutachtens gelangte Prof.Dr.G. zu der Auffassung, beim Kläger liege eine Rindenblindheit (generalisierte Großhirnschädigung mit Beteiligung der Sehrinde) vor, aus der eine faktische Blindheit resultiere.

Der Beklagte hat sich hierzu unter Vorlage einer versorgungsärztlichen Stellungnahme (Medizinaldirektorin P.) vom 05.03.2004 geäußert. Danach sei ein vollständiger Ausfall der Sehrinde im Sinne einer Rindenblindheit nicht bewiesen; die aus den CT-Aufnahmen ablesbare generalisierte Großhirnschädigung lasse einen derartigen Schluss nicht zu.

Nach Einholung eines weiteren Befundberichtes des Dr.H. vom 24.02.2005, in dem dieser mitteilte, bei dem beim Kläger bestehenden apallischen Syndrom mit Tetraspastik handle es sich um einen Endzustand, hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 05.04.2005 den Beklagten verurteilt, beim Kläger ab 26.04.1999 Blindheit im Sinne des BayBlindG anzuerkennen und entsprechende Leistungen zu gewähren. Beim Kläger liege eine Störung des Sehvermögens von einem Schweregrad vor, der der Beeinträchtigung der Sehschärfe auf maximal 1/50 gleich zu achten sei. Auf Grund der Feststellungen im neuroradiologischen Gutachten des Prof.Dr.F. sei von einer generalisierten Großhirnschädigung auszugehen, die auch die Sehbahn und Areale der Sehrinde betreffe. Beim Kläger fehle infolge dieser Gehirnschädigung die Fähigkeit, optische Reize wahrzunehmen und auf sie angemessen zu reagieren. Dabei handle es sich um Wahrnehmungsstörungen, die das Erkennen und nicht nur das Benennen beträfen. Da es entsprechend den Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 31.01.1995 (1 RS 1/93) und 26.10.2004 (B 7 SF 2/03 R) nicht maßgeblich darauf ankomme, auf welchen Ursachen (ophtalmische oder zerebrale) die Störung des Sehvermögens beruhe, stünden dem Kläger Ansprüche nach dem BayBlindG zu, weil er "faktisch" blind im Sinne der BSG-Rechtsprechung sei.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Es sei zwar zutreffend, dass auch zerebrale Schäden, die eine Beeinträchtigung des Sehvermögens zur Folge hätten, bei der Beurteilung nach dem BayBlindG beachtlich seien. Nach den grundsätzlichen Ausführungen des BSG in dem jüngsten Urteil vom 20.07.2005 (B 9a BL 1/05 R) müsse aber bei umfangreichen zerebralen Schädigungen neben der Differenzierung zwischen Störungen, die das Erkennen und solchen, die das Benennen beträfen, eine weitere Unterscheidung erfolgen. Es müsse sich im Vergleich zu anderen - möglicherweise ebenfalls eingeschränkten - Gehirnfunktionen eine spezifische Störung des Sehvermögens feststellen lassen. Zum Nachweis einer zu faktischer Blindheit führenden schweren Störung des Sehvermögens genüge es insoweit, dass die visuelle Wahrnehmung deutlich stärker betroffen sei als die Wahrnehmung in anderen Sinnesmodalitäten. Dies sei bei einem vollständigen apallischen Syndrom, wie es beim Kläger bestehe, nicht der Fall. Das Vorliegen von Blindheit sei deshalb beim Kläger nicht mit der notwendigen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nachzuweisen.

Der Kläger hat sich hierzu schriftsätzlich am 19.10.2005 geäußert und vorgetragen, die Behauptung des Beklagten, bei ihm liege ein vollständiges apallisches Syndrom vor, sei medizinisch nicht untermauert; weitere medizinische Aufklärung von Amts wegen sei insoweit veranlasst.

Mit weiterem Schreiben vom 27.11.2005 hat die Ehefrau des Klägers "als Laie" mitgeteilt, dass Ihr Mann nicht mit den Augen fixiere, aber Stimmen und Geräusche sofort mit Augenöffnen wahrnehme. Bei lauten Geräuschen oder unangesagten Berührungen erschrecke er sofort. Von vertrauten Stimmen lasse er sich beruhigen, seine Atmung sei ruhig, bei fremden Stimmen sei die Atmung schnell und erhöht. Außerdem nehme er Schmerzreize sofort wahr, auch bei Frieren zeige sich sofort eine Gänsehaut. Das beiliegende Attest des Allgemeinarztes Dr.H. vom 24.11.2005 bestätigt das Vorliegen eines apallischen Syndroms. Der Käger reagiere auf akustische Reize mit Schreckreaktionen, ebenso auf Berührungsreize. Der Senat hat daraufhin die Verhandlung am 08.12.2005 zur Durchführung weiterer Ermittlungen vertagt. Der Senat hat insbesondere die Unterlagen der den Kläger betreuenden Einrichtungen beigezogen (Praxis für Ergotherapie - B. K. -; Physiotherapie N. - U. K. ; Caritas-Sozialstation F. - M. E. -). Die Praxis für Ergotherapie berichtet, dass eine taktile Reizverarbeitung zu einer Reaktion führe, meist in Form eines leichten Zuckens bzw. eines mit Tonuserhöhung verbundenen Anspannens der Arme oder Beine. Auf tiefen, festen Druck, der von den Muskeln und Gelenken aufgenommen werde, reagiere der Kläger sehr positiv, er könne dadurch seinen spastischen Muskeltonus entspannen und die Extremitäten würden sich passiv strecken lassen. Auf auditive Reize reagiere der Kläger zum Teil sehr heftig mit spastischen Bewegungen, die oft sehr ruckartig seien, und man habe den Eindruck, er erschrecke. Auf visuelle Reize reagiere er nicht. Der Beklagte hat hierzu mit Schriftsatz vom 24.02.2006 auf der Grundlage des versorgungsärztlichen Gutachtens nach Aktenlage der Medizinaldirektorin P. dahingehend Stellung genommen, dass der Bericht der Ergotherapeutin B. K. keine spezifische Störung des Sehvermögens im Vergleich zu anderen ebenfalls eingeschränkten Gehirnfunktionen erkennen lasse. Die Physiotherapiepraxis N. hat mit Schreiben vom 12.03.2006 mitgeteilt, dass der Kläger, wenn man an ihn herantrete - 30 cm Abstand mittig ins Gesichtsfeld -, ein kurzes Parallelstellen der Augen zeige, was einer visuellen Fixierung gleiche. Eine "Erkennreaktion" erfolge jedoch nicht. Geräusche wie Telefon oder Hausklingel würden meist eine Schreckreaktion im spastischen Muster auslösen. Auf leichte Berührung erfolge keine Reaktion, bei plötzlich stärkerer Berührung könne ein Schreckreflex erfolgen. Die Caritas Sozialstation F. hat mit Schreiben vom 16.03.2006 berichtet, dass der Kläger ganz klar auf laute Geräusche erschrecke, sich bei Musik entspanne und auf Schmerz reagiere. Der Beklagte hat hierzu mit Schreiben vom 13.04.2006 auf der Grundlage des versorgungsärztlichen Gutachtens der Medizinaldirektorin P. keine neuen Gesichtspunkte erkennen können.

Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 05.04.2005 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 02.08.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2002 abzuweisen.

Die Bevollmächtigte des Klägers beantragt, die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 05.04.2005 zurückzuweisen,

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die zu Beweiszwecken beigezogen, den Kläger betreffende Blindengeld- und Schwerbehindertenakte des Beklagen sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist zulässig (Artikel 7 Abs.2 BayBlindG i.V.m. §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und auch begründet.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger blind im Sinne des BayBlindG ist und ihm deshalb ab dem Monat der Antragstellung Blindengeld zusteht.

Dies ist zur Überzeugung des Senats - im Gegensatz zur Entscheidung des Sozialgerichts - zu verneinen.

Gemäß Artikel 1 Abs.1 BayBlindG erhalten Blinde, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben, zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld.

Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Artikel 1 Abs.2 Satz 1 BayBlindG).

Als blind gelten gemäß Artikel 1 Abs.2 Satz 2 BayBlindG auch Personen,

1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 beträgt,

2. bei denen durch Nr.1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschäfte nach Nr.1 gleichzuachten sind.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist es nicht entsprechend den Anforderungen des Vollbeweises mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass dem Kläger das Augenlicht völlig fehlt. Der Augenarzt Prof.Dr.G. nimmt zwar in seinem Gutachten vom 05.02.2004 an, entsprechend der generalisierten Großhirnschädigung des Klägers mit apallischem Syndrom sei von einer Rindenblindheit auszugehen. Dieser Schluss ist in dieser Eindeutigkeit jedoch dem neuroradiologischen Zusatzgutachten des Prof.Dr.F. vom 30.10.2003, auf das Prof.Dr.G. sich bezieht, nicht zu entnehmen. Nach der Beurteilung des Prof.Dr.F. sind auf den CT-Aufnahmen vom 20.01.1999 die Zeichen einer generalisierten Großhirnschädigung mit Beteiligung der Sehbahn bzw. Sehrinde erkennbar. Prof. Dr.F. spricht aber weder von einer objektivierbaren vollständigen Zerstörung der Sehrinde noch zieht er - im Unterschied zu dem hierfür als Augenarzt fachlich nicht kompetenten Prof. Dr.G. - den nur aus einer derart umfassenden Zerstörung der Sehrinde ableitbaren Schluss einer Rindenblindheit. Das Vorliegen einer Rindenblindheit wird im Übrigen auch dadurch widerlegt, dass beim Kläger der optische Schutzreflex noch vorhanden ist und auch, wenn auch nur diskret, eine Lichtreaktion der Pupillen auf beiden Seiten feststellbar ist (Berichte des Bezirkskrankenhauses M. vom 12.04.1999 und 28.06.2000). Auch die Physiotherapiepraxis N. berichtet in dem Schreiben vom 12.03.2006 davon, dass beim Kläger ein kurzes Parallelstellen der Augen erkennbar ist, wenn man an ihn heran tritt - Abstand 30 cm mittig im Gesichtsfeld des Klägers.

Der Nachweis von Blindheit im Sinne von Artikel 1 Abs.2 Satz 2 Nr.1 BayBlindG kann beim Kläger ebenfalls nicht geführt werden. Denn die Reduzierung der Sehschärfe - also des Auflösungsvermögens des Auges - auf maximal 1/50 auf dem besseren Auge muß durch Messungen/Tests, die den Anforderungen des Vollbeweises genügen, festgestellt sein. Exakte Mess- und Testergebnisse sind beim Kläger auf Grund der schweren zerebralen Beeinträchtigung aber nicht zu erhalten.

Auch die Voraussetzungen der Nr.2 des Artikel 1 Abs.2 Satz 2 BayBlindG sind nicht erfüllt.

Es ist zwar für die Feststellung faktischer Blindheit im Sinne der Nr.2 nicht maßgeblich, auf welchen Ursachen die Störung des Sehvermögens beruht und ob das Sehorgan selbst geschädigt ist. Auch zerebrale Schäden, die zu einer Beeinträchtigung des Sehvermögens führen, sind beachtlich, und zwar für sich allein oder im Zusammenwirken mit Beeinträchtigungen des Sehorgans. Allerdings ist in Abgrenzung vor allem zu Störungen aus dem Bereich der seelisch - geistigen Behinderung zu differenzieren, ob das Sehvermögen, d.h. das Sehen- bzw. Erkennen-Können beeinträchtigt ist, oder ob - bei vorhandener Sehfunktion - (nur) eine zentrale Verarbeitungsstörung vorliegt, bei der das Gesehene nicht richtig identifiziert bzw. mit früheren visuellen Erinnerungen verglichen werden kann, die also nicht (schon) das Erkennen, sondern (erst) das Benennen betrifft. Ausfälle allein des Bennen-Könnens erfüllen mithin die Voraussetzungen faktischer Blindheit nicht (BSG vom 31.01.1995, 1 RS 1/93).

Bei Vorliegen umfangreicher zerebraler Schäden ist darüber hinaus eine weitere Differenzierung insoweit erforderlich als sich im Vergleich zu anderen - möglicherweise ebenfalls eingeschränkten Gehirnfunktionen - eine spezifische Störung des Sehvermögens feststellen lassen muss. Zum Nachweis einer zu faktischer Blindheit führenden schweren Störung des Sehvermögens genügt es insoweit, dass die visuelle Wahrnehmung deutlich stärker betroffen ist als die Wahrnehmung in anderen Sinnesmodalitäten. Bei einem vollständigen apallischen Syndrom ist dies nicht der Fall (BSG vom 20.07.2005, B 9a BL 1/05 R).

Diese vom BSG (Urteil vom 20.07.2005) herausgearbeitete zusätzliche Differenzierung beim Vorliegen umfangreicher zerebraler Schäden entspricht dem aus den Motiven zum BayBlindG (Landtagsdrucksache 13/458 vom 16.02.1995, S. 5) sich ergebenden Willen des Landesgesetzgebers insoweit, als dieser Leistungen nach dem BayBlindG aufgrund einer ausschließlich infolge einer generellen zerebralen Behinderung mit allgemeiner Herabsetzung der kognitiven Fähigkeiten bestehenden Unfähigkeit zur visuellen Wahrnehmung ausschließen wollte.

Beim Kläger liegt eine derartige generelle zerebrale Behinderung mit im Wesentlichen gleichmäßiger und allgemeiner Herabsetzung der Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfähigkeit sensorischer Reize vor. Infolge der durch Sauerstoffmangel nach zeitweiligem Herzstillstand (12/98) aufgetretenen zerebralen Schäden befindet sich der Kläger im sogenannten "Wachkoma" (apallisches Syndrom). Das Vollbild eines solchen Syndroms ist gekennzeichnet durch den vollständigen Verlust der Wahrnehmungsfähigkeit, also permanente Bewußtlosigkeit, bei Erhalt der vegetativen Körperfunktionen.

Die in den Akten enthaltenen medizinischen Unterlagen belegen, dass beim Kläger ein dem Vollbild des apallischen Syndroms angenäherter Zustand vorliegt. Reaktionen auf sensible Reize sind nur in ganz rudimentärer, schwacher Form vorhanden; deutliche Unterschiede in der Funktionsfähigkeit der verschiedenen Sinnesmodalitäten bestehen nicht.

Nach dem Bericht des Bezirkskrankenhauses M. vom 12.04.1999 konnte während des Rehabilitationsverfahrens vom 14.01.1999 bis 12.04.1999 das Ziel einer Kontaktaufnahme nicht erreicht werden, weder war eine Reaktion auf Ansprache erkennbar noch eine Spontanmotorik. Auf Aufforderung erfolgte keine Reaktion. Versuche, den Kläger über Musik zu erreichen, blieben ebenso erfolglos. Der optische Schutzreflex war seinerzeit vorhanden und es fand eine diskrete Lichtreaktion der Pupillen beidseits statt, eine Blickfixation und Blickfolge wurde zu keiner Zeit festgestellt. Bei der augenärztlichen Untersuchung am 03.07.1999 (Dr.K.) öffnete der Käger auf Schmerzreize die Lider, es erfolgte keine Fixation, auch keine Abwehrreaktion auf Licht, der Blick ging ins Leere. Der Abschlussbericht des Therapiezentrums B. vom 28.06.2000, das zum Zwecke der Begutachtung im Hinblick auf ein möglicherweise vorliegendes Rehabilitationspotential erfolgte, beschreibt diskrete Lichtreaktionen beider Pupillen, aber keine Blickfixation und Blickfolge. Die Ernährung erfolgte unverändert per PEG-Sonde, die Atmung über eine Trachealkanüle. Es bestand eine massive Spastik, die sich in den letzten Monaten zunehmend verstärkt und zu ausgeprägten Gelenkkontrakturen geführt hatte. Auf Berührung erfolgte eine allgemeine Tonuserhöhung, auf grobe Schmerzreize erfolgte eine ungezielte Abwehr ebenfalls durch allgemeine Tonuserhöhung. Es war keinerlei Kontaktfähigkeit gegeben. Es erfolgte keine Reaktion auf verbale Ansprache, optische und taktile Reize und keine Sprachproduktion. Im Vergleich zu den genannten Untersuchungsbefunden ergeben sich aus den vom Senat eingeholten Unterlagen (der Praxis für Ergotherapie B. K. , Praxis für Physiotherapie N. , Caritas Sozialstation in F.) und dem von Klägerseite vorgelegten Attest des Allgemeinarztes Dr.H. vom 24.11.2005 keine für den Kläger günstigen neuen Erkenntnisse. Bei den dort beschriebenen Schreckreaktionen auf laute Geräusche und starke Berührung handelt es sich um allgemeine vegetative Funktionen ebenso wie bei den beschriebenen Reaktionen auf Berührung mit leichtem Zucken und vermehrten Anspannen der Arme und Beine im Sinne einer allgemeinen Tonuserhöhung und Entspannungsreaktionen auf Musik. Diese auch als Startle-Reaktion bezeichneten Schreckreaktionen auf externe Reize und die ausgeprägte Spastik sind typisch für das apallische Syndrom. Hierbei handelt es sich um vegetative Reaktionen, die nicht als reizspezifische Antworten bzw. willkürliche motorische Reaktionen fehlgedeutet werden dürfen. Die durch Tiefenstimulierung bewirkte Verringerung des Muskeltonus und damit der Spastik erfolgt über spinale Reflexbahnen, d.h. über das Rückenmark mit zusätzlichen Verschaltungen im Mittelhirn, der motorische Kortex (die Areale der Großhirnrinde für die willkürliche muskuläre Steuerung) ist daran nicht beteiligt. Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, das sich der Zustand des Klägers seit dem für ihn verheerenden "plötzlichen Herztod" mit Reanimation am 18.12.1998 nach mehr als sieben Jahren nicht wesentlich geändert hat. Er leidet unverändert an einem vollständigen apallischen Syndrom mit der Folge eines Zustands permanenter Bewußtlosigkeit mit Unfähigkeit zur Wahrnehmung infolge eines globalen Funktionsverlustes der Großhirnrinde. Davon betroffen sind zur Überzeugung des Senats nicht nur das Sehen und Erkennen, sondern in vergleichbarer Weise sämtliche Sinnesmodalitäten. Eine spezifische Beeinträchtigung gerade des Sehsinns ist für den Senat nicht erkennbar.

Auf die Berufung des Beklagten ist daher der angefochtene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut aufzuheben und die Klage gegen die Bescheide des Beklagten abzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 183 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1, 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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