L 5 KR 81/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 KR 167/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 81/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 85/06 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 10. Februar 2005 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen nach einer Prüfung beim Arbeitgeber.

Die Klägerin betreibt den Frisiersalon "S. Frisurenpavillion" in S ... Im streitigen Zeitraum beschäftigte sie die Beigeladenen zu 1) und 2) im Rahmen der Entgelt-Geringfügigkeit ohne einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder eine Niederschrift im Sinne von § 2 Nachweisgesetz.

Aufgrund einer Betriebsprüfung einschließlich Schlussbesprechung forderte die Beklagte mit Bescheid vom 02.05.2001 Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Umlagen in Höhe von 11.572,86 DM für den Prüfzeitraum 01.01.1997 bis 31.12.2000 nach. Die Klägerin habe den Beigeladenen zu 1) und 2) das aufgrund allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages geschuldete Weihnachtsgeld nicht gezahlt. Zu verbeitragen sei nicht das tatsächliche, sondern das tariflich geschuldete Entgelt. In der Summe von gezahltem und geschuldeten Entgelt sei die Grenze der Entgelt-Geringfügigkeit überschritten, so dass die entsprechenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge nachzufordern seien. Zudem ergebe sich eine Nachforderung, weil die Umlagen U 1 und U 2 unzutreffend berechnet und abgeführt worden seien.

Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, die verabredete monatliche Pauschalvergütung habe auch das tarifliche Weihnachtsgeld enthalten sollen, der relevante Tarifvertrag sei erst ab 01.05.1998 in Kraft getreten, die Höhe des Weihnachtsgeldes sei nicht aufgrund einer Teilzeit-, sondern aufgrund einer Vollzeitbeschäftigung und damit in unzutreffender Höhe berechnet. Im zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 10.06.2002 führte die Beklagte aus, ein arbeitsrechtlicher Verzicht sei nicht nachgewiesen, die Klägerin habe gegen ihre Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten verstoßen, der Beitragsanspruch sei mit Entstehung des arbeitsrechtlichen Entgeltanspruches fällig geworden, die Nachforderung habe die Teilzeitbeschäftigung zutreffend berücksichtigt und auch im übrigen sei der Bescheid nicht zu beanstanden.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Regensburg hat sich die Klägerin zunächst auf ihr Vorbringen im Widerspruchsvefahren bezogen. Sie hat auf Anforderung Arbeitszeitnachweise für die Beigeladenen zu 1) und 2) in Kopie vorgelegt, deren Richtigkeit die Beklagte angezweifelt hat, weil auch an Tagen nachgewiesener Arbeitsunfähigkeit jeweils zwei Stunden Tätigkeit aufgezeichnet seien. Im Hinblick darauf, dass der allgemeinverbindliche Weihnachtsgeld-Tarifvertrag vom 23.07.1993 zum 01.05.1998 außer Kraft getreten war und die Allgemeinverbindlichkeit des Nachfolgetarifvertrages erst am 01.12.1998 veröffentlicht wurde, hat die Beklagte die Beitragsnachforderungen von 5.917,11 EUR auf 3.947,16 EUR reduziert und insoweit ein Teilanerkenntnis abgegeben, welches die Klägerin angenommen hat.

Mit Urteil vom 10.02.2005 hat das Sozialgericht die Klage im zuletzt streitigen Umfang abgewiesen und unter Bezugnahme auf die Bescheidbegründung sowie auf die Urteilsserie des Bundessozialgerichts vom 14.07.2004 darauf hingewiesen, dass die Verbeitragung des sozialrechtlich relevanten Lohnes dem Entstehungsprinzip folge.

Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und geltend gemacht, sie werde durch die Wirkungen der Allgemeinverbindlichkeit grundrechtswidrig belastet. Einen Vortrag, die Beigeladenen zu 1) und 2) seien Angestellte und deswegen bei der Umlage U 1 nicht zu berücksichtigen, hat die Klägerin im Laufe des Verfahrens fallen gelassen und stattdessen behauptet, der Weihnachtsgeld-Tarifvertrag vom 28.03.1993 beziehe sich wegen der Voraussetzung der Versicherungspflicht in der Arbeiterrentenversicherung nicht auf Aushilfskräfte, welche versicherungsfrei seien. Einwendungen zur Wirksamkeit des Verfahrens der Allgemeinverbindlicherklärung der betroffenen Tarifverträge und zum Streitwert hat die Klägerin zuletzt nicht mehr aufrecht erhalten.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 10.02.2005 und den Bescheid vom 02.05.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.06.2002 aufzuheben, soweit ein Beitrag von 3.947,16 EUR festgesetzt wurde.

Die Beklagte beantragt, die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 10.02.2005 zurückzuweisen.

Die Beigeladene zu 5. hat sich dem Antrag der Beklagten angeschlossen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 11.07. 2006 waren die Betriebsprüfungsakten der Beklagten. Darauf sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151, 153 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), jedoch nicht begründet.

Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 02.05.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.06.2002 im Umfange einer Beitrags- und Umlagennachforderung in Höhe von 3.947,16 EUR. Die ursprünglich weitergehende Nachforderung hat die Beklagte nicht mehr geltend gemacht, insoweit ist der Rechtsstreit durch das erstinstanzliche Teilanerkenntnis der Beklagten, dass die Klägerin angenommen hat, erledigt gem. § 101 Abs. 2 SGG.

Rechtsgrundlage der Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für die Beigeladene zu 1) und 2) aus der Beschäftigung in der Zeit 01.01.1997 bis 31.12.2000 ist zunächst § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV, wonach die Träger der Rentenversicherung aufgrund einer Prüfung bei den Arbeitgebern Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der gesetzlichen Sozialversicherung erlassen. Personen, die - wie die Beigeladenen zu 1) und 2) - gegen Arbeitsentgelt als Arbeitnehmerinnen beschäftigt sind, unterliegen in der gesamten Sozialversicherung der Versicherungspflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI, § 1 Nr. 1 SGB VI und § 160 AFG bzw. § 27 SGB III). Als Ausnahme hierzu ist gemäß § 8 SGB IV (in der hier noch anzuwendenden Fassung vor der Änderung durch das Gesetz vom 23.12.2002 - BGBl I S. 4621), versicherungsfrei, wessen Arbeitsentgelt regelmäßig im Monat ein Siebtel der Bezugsgröße nicht überschreitet - sog. Entgeltgeringfügigkeit.

Beitragspflichtig ist das gesamte Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 SGB IV, also alle laufenden und einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, unabhängig davon, ob ein Rechtsanspruch darauf besteht, unter welcher Bezeichnung und in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden.

Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen und Umlagen U 1 und U 2 in Höhe von insgesamt 3.947,16 EUR dem Grunde nach zutreffend festgestellt und auch der Höhe nach richtig errechnet wurden. Die Klägerin war aufgrund der allgemeinverbindlichen Tarifverträge über die Zahlung von Weihnachtsgeld an die Beschäftigten im bayer. Friseurhandwerk (jeweils veröffentlicht im Bundesanzeiger vom 29.10.1993 bzw. vom 11.12.1998) verpflichtet gewesen, nicht nur das gezahlte Entgelt, welches die Grenze des § 8 SGB IV im jeweiligen Jahr gerade erreichte, zu erbringen, sondern darüberhinaus auch ein Weihnachtsgeld. Insofern war die Klägerin verpflichtet, Beiträge nicht nur aus dem tatsächlich gezahlten, untertariflichen Entgelt zu entrichten, sondern aus dem geschuldeten Entgelt, auf das die Beigeladenen zu 1) und 2) Anspruch hatten. Wie das Bundessozialgericht in der Urteilsserie vom 14.07.2004 überwiegend festgestellt hat, ist insoweit nicht das Zuflussprinzip anzuwenden, sondern das Entstehungsprinzip. Nur so kann vorausschauend festgestellt werden, ob Versicherungsfreiheit gemäß § 8 SGB IV (§ 7 Abs. 1 SGB V, § 5 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI, § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB III bzw. § 169a Abs. 1 AFG) besteht oder nicht. Dies gilt jedenfalls für den streitigen Zeitraum vor Inkrafttreten der Neuregelung in § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB IV (durch das Gesetz vom 23.12.2002 - BGBl I S. 4621 (vgl. BT-Drs. 15/26 S. 24).

Die Einwände der Klägerin gegen die Allgemeinverbindlichkeit der streitigen Weihnachtsgeld-Tarifverträge greifen nicht. Die gesetzliche Regelung zur Allgemeinverbindlichkeit in § 5 TVG ist historisch entstanden auf dem Hintergrund eines bereits während des ersten Weltkriegs durchgeführten behördlichen Verfahrens und wurde in der Bundesrepublik bereits durch das Tarifvertragsgesetz vom 09.04.1949 (BGBl I S. 55) normiert. Allgemeinverbindlicherklärungen sind nur bei einer Arbeitgeberquote von 50 % Tarifgebundenheit zulässig (§ 5 Abs. 1 TVG) und sind nur in einem differenzierten Verfahren einschließlich Beteiligung eines Tarifausschusses möglich. Zudem rechtfertigen sich die Regelungen der Allgemeinverbindlichkeit aus dem Schutz von Arbeitnehmern gegen nicht ausreichende Entlohnung und einem Schutz der Arbeitgeber vor unlauterem Wettbewerb. Der Eingriff in Grundrechtspositionen der Klägerin durch die tarifliche Allgemeinverbindlichkeit ist somit durch stichhaltige gesetzlich normierte Gründe gerechtfertigt.

Der Tarifvertrag vom 28.03.1993 über die Zahlung von Weihnachtsgeld an die Beschäftigten im bayer. Friseurhandwerk erfasste mit seinem in § 1 Ziff. 3 genannten persönlichen Geltungsbereich auch die Beigeladenen zu 1) und 2). Diese waren nach eigenem Vorbringen der Klägerin im fraglichen Zeitraum mit Helfertätigkeiten im Friseurgeschäft der Klägerin tätig, wie z.B. Zusammenkehren von Haaren etc. Sie waren deshalb Arbeitnehmer, die mit friseurhandwerklichen Arbeiten beschäftigt waren und unterlagen grundsätzlich der Versicherungspflicht in der Arbeiterrentenversicherung (§ 1 Nr. 3 Tarifvertrag vom 28.03.1993). Für eine Angestelltentätigkeit, wie von der Klägerin zunächst behauptet, findet sich kein Anhalt; im Bereich des Friseurhandwerkes sind im übrigen im wesentlichen nur Geschäftsführertätigkeiten als Angestelltentätigkeiten denkbar.

Für die von der Klägerin vorgenommene Auslegung, § 1 Nr. 3 des Tarifvertrages fordere grundsätzlich eine versicherungspflichtige Tätigkeit und schließe damit geringfügig Beschäftigte vom persönlichen Geltungsbereich aus, findet sich kein Anhalt. Vielmehr folgt der Tarifvertrag mit dieser Regelung dem Grundsatz, dass Beschäftigte zunächst versicherungspflichtig sind und nur im Ausnahmefall des § 8 SGB IV Sonderregelungen bei Geringfügigkeit bestehen können. Im übrigen wäre es nicht zulässig, geringfügig Beschäftigte arbeitsrechtlich anders zu behandeln als sonstige Teil- und Vollzeitbeschäftigte (vgl. BAG AP BetrAVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 26 - Urteil vom 07.03.1995). Dafür, dass die Tarifparteien gegen diesen Grundsatz, welcher seit dem Urteil EuGH 08.04.1976 (EAS EG-Vertrag Art. 119 Nr. 2 - Defrenne II) zum arbeitsrechtlichen Allgemeinwissen zu zählen ist, hätten verstoßen wollen, besteht kein Anhalt.

Die Einwendungen der Klägerin zur Höhe der Nachforderung, insbesondere zum Berechnungsweg und vor allem zur Berücksichtigung der Teilzeittätigkeit, sind nicht nachvollziehbar. Vielmehr hat die Beklagte diese Umstände zutreffend berücksichtigt und den sich ergebenden Betrag ebenfalls zutreffend errechnet.

Die Berufung musste deshalb in vollem Umfange ohne Erfolg bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 SGG).
Rechtskraft
Aus
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